Kohlezug statt ICE? Regierung plant Vorfahrt für Energieträger
Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, erhalten künftig Güterzüge Vorrang vor Personenzügen. Dann nämlich, wenn sie Kohle, Gas, Öl oder andere Fracht an Bord haben, um Fabriken und Kraftwerke am Laufen zu halten.
Wenn ein Kohlezug kommt, springen möglicherweise schon bald die Signale für Personenzüge auf Rot. Das plant die Bundesregierung für den Fall, dass sich die Energiekrise weiter verschärft. Und dass es so kommt, ist mehr als wahrscheinlich. Denn schon jetzt ist die Versorgung von Industrie und Kraftwerken mit Treibstoffen mehr als angespannt.
Die Lage ist ernst: Wichtige Wasserstraßen wie der Rhein führen wegen der Trockenheit zu wenig Wasser und die systemrelevanten Frachtschiffe mit Energieträgern an Bord können wegen der geringen Wassertiefe nur noch einen Bruchteil ihrer normalen Ladung transportieren.
Wenn ein Kohlezug kommt, springen möglicherweise schon bald die Signale für Personenzüge auf Rot. Das plant die Bundesregierung für den Fall, dass sich die Energiekrise weiter verschärft. Und dass es so kommt, ist mehr als wahrscheinlich. Denn schon jetzt ist die Versorgung von Industrie und Kraftwerken mit Treibstoffen mehr als angespannt.
Auf die Schiene umgeladen können die Frachtmengen, die sonst auf dem Rhein transportiert werden, aber nicht. Denn mittlerweile sind auf dem deutschen Schienennetz so viele Züge unterwegs wie noch nie. Bauarbeiten an der seit rund drei Jahrzehnten heruntergewirtschafteten Bahn-Infrastruktur und mehr Passagiere, die mit dem 9-Euro-Ticket unterwegs sind, sorgen für ein hohes Stresslevel: Nicht nur bei Bahn-Kunden und Mitarbeitern – auch beim Schienennetz selbst.
Multipler Stresstest
Noch nicht einmal 60 Prozent der deutschen Fernzüge waren zuletzt pünktlich, obwohl die Deutsche Bahn Verzögerungen von bis zu sechs Minuten schon gar nicht mehr als Verspätung mitzählt. Im Regionalverkehr ist es etwas besser, dort sind immerhin knapp 90 Prozent der Regionalzüge pünktlich.
Auch Güterzüge sind alles andere als pünktlich und verlässlich. Weil stellenweise mehr als 200 Güterzüge stillstanden, geht die deutsche Industrie seit Monaten auf die Barrikaden.
Die Energiekrise hat sich wegen der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und der Sanktionen gegen das Putin-Regime in den vergangenen Monaten erheblich verschärft. Dazu kommt ein trockener und heißer Sommer, der zu Niedrigwasser im Rhein und anderen wichtigen Wasserstraßen führt. Auf Regen können die zuständigen Minister nur hoffen. Auf der Schiene können Volker Wissing (FDP) vom Verkehrsressort und sein Wirtschafts-Amtskollege Robert Habeck (Grüne) aber die Signale für systemrelevante Güterzüge auf Grün schalten lassen. Und genau das wird in Berlin aktuell vorbereitet.
“Ziel ist es, den Betrieb von Kraftwerken, Raffinerien, Stromnetzen sowie von weiteren lebenswichtigen Betrieben sicherzustellen”, heißt es in einem Papier der Bundesministerien für Wirtschaft und für Verkehr, das am Wochenende verbreitet wurde. Damit weiter Kohle in Kraftwerke und Öl in Raffinerien kommt, wollen sie Energietransporten auf der Schiene sechs Monate lang Vorrang einräumen.
Der Marktführer, die staatliche Deutsche Bahn, bringt pro Woche 50 Züge mit jeweils 3000 Tonnen Steinkohle auf die Schiene. Hört sich nach viel an? Ist es aber nicht. Allein ein großes Steinkohlekraftwerk wie das in Gelsenkirchen-Scholven verheizt nach Recherchen der Nachrichtenagentur DPA unter Volllast 20.000 Tonnen am Tag.
Verglichen mit den insgesamt 20.000 Güterzügen von DB Cargo sind 50 Kohlezüge allerdings nicht gerade viel. Ein Vorteil beim schwarzen Energieträger ist aber, dass der Kohlenachschub für Kraftwerke und Fabriken auf Halde gelegt werden kann – und nicht “just in time” am Bestimmungsort angeliefert werden muss.
Das Transportgeschäft mit Öl und Gas dominiert die private Konkurrenz, die im Netzwerk Europäischer Eisenbahnen organisiert ist.
Die Vize-Geschäftsführerin der Vereinigung, Neele Wesseln, ist skeptisch, wenn es um die neue Verordnung der Bundesregierung geht. Schließlich könnten schon heute Güterzüge Vorrang erhalten, allerdings gegen Zahlung einer Express-Zulage.
Beim Verband Die Güterbahnen ist man ebenfalls wenig begeistert von den Regierungs-Plänen: “Klingt einleuchtend, könnte sich aber als Kopfgeburt erweisen. Chaos auf der Schiene gibt es schon genug”, sagte Verbandssprecher Peter Westenberger. Er mahnte “eine gründliche Debatte statt vollmundiger Ankündigungen” an.
Dass Fahrgastvertreter gegen einen Vorrang für Züge mit Kohle, Öl oder Gas sind, versteht sich schon fast von selbst. “Es darf kein Nah- oder Fernverkehrszug für diese Transporte ausfallen”, verlangte der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Detlef Neuß. Das Chaos beim 9-Euro-Ticket habe die gravierenden Probleme der Eisenbahn in Deutschland für jeden sichtbar gemacht.
“Wir haben in den letzten drei Jahrzehnten beim Ausbau geschlafen und sogar sträflich Infrastruktur abgebaut.” Noch mehr Verspätungen würden die Leute aus den Zügen zurück ins Auto treiben, wird Neuß von der DPA zitiert. “Das ist genau das, was wir nicht wollen.”
Verspätungen für die Fahrgäste sollen nach den Regierungsplänen möglichst vermieden werden, auch wenn der Personenverkehr im Zweifelsfall warten muss, unterstreicht Verkehrsminister Volker Wissing. Wenn Ende August die 9-Euro-Ticket-Aktion ausläuft, könnte das für Entspannung im Passagierverkehr sorgen, hofft man bei der Bahn. Außerdem seien noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden, Güterzüge zu verlängern oder verstärkt in der Nacht zu fahren, erklärten Branchenvertreter.
Dass mit dem Verlängern der Güterzüge hat allerdings einen Haken: Waggons sind in ganz Europa knapp. Bis jetzt gibt es weder bei der Deutschen Bahn noch bei ihren privaten Konkurrenten eine erhöhte Nachfrage nach Energietransporten. “Die Rechtsverordnung zur Priorisierung versorgungsrelevanter Züge ist eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme der Bundesregierung”, ließ die Deutsche Bahn etwas gestelzt mitteilen. “Ob sie überhaupt zum Tragen kommen muss, bleibt abzuwarten.”
Wenn ein Kohlezug kommt, springen möglicherweise schon bald die Signale für Personenzüge auf Rot. Das plant die Bundesregierung für den Fall, dass sich die Energiekrise weiter verschärft. Und dass es so kommt, ist mehr als wahrscheinlich. Denn schon jetzt ist die Versorgung von Industrie und Kraftwerken mit Treibstoffen mehr als angespannt.
Die Lage ist ernst: Wichtige Wasserstraßen wie der Rhein führen wegen der Trockenheit zu wenig Wasser und die systemrelevanten Frachtschiffe mit Energieträgern an Bord können wegen der geringen Wassertiefe nur noch einen Bruchteil ihrer normalen Ladung transportieren.
Multipler Stresstest
Auf die Schiene umgeladen können die Frachtmengen, die sonst auf dem Rhein transportiert werden, aber nicht. Denn mittlerweile sind auf dem deutschen Schienennetz so viele Züge unterwegs wie noch nie. Bauarbeiten an der seit rund drei Jahrzehnten heruntergewirtschafteten Bahn-Infrastruktur und mehr Passagiere, die mit dem 9-Euro-Ticket unterwegs sind, sorgen für ein hohes Stresslevel: Nicht nur bei Bahn-Kunden und Mitarbeitern – auch beim Schienennetz selbst.
Noch nicht einmal 60 Prozent der deutschen Fernzüge waren zuletzt pünktlich, obwohl die Deutsche Bahn Verzögerungen von bis zu sechs Minuten schon gar nicht mehr als Verspätung mitzählt. Im Regionalverkehr ist es etwas besser, dort sind immerhin knapp 90 Prozent der Regionalzüge pünktlich.
Auch Güterzüge sind alles andere als pünktlich und verlässlich. Weil stellenweise mehr als 200 Güterzüge stillstanden, geht die deutsche Industrie seit Monaten auf die Barrikaden.
Die Energiekrise hat sich wegen der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und der Sanktionen gegen das Putin-Regime in den vergangenen Monaten erheblich verschärft. Dazu kommt ein trockener und heißer Sommer, der zu Niedrigwasser im Rhein und anderen wichtigen Wasserstraßen führt. Auf Regen können die zuständigen Minister nur hoffen. Auf der Schiene können Volker Wissing (FDP) vom Verkehrsressort und sein Wirtschafts-Amtskollege Robert Habeck (Grüne) aber die Signale für systemrelevante Güterzüge auf Grün schalten lassen. Und genau das wird in Berlin aktuell vorbereitet.
Güterzüge schon jetzt mit Kohle, Öl und Gas unterwegs
“Ziel ist es, den Betrieb von Kraftwerken, Raffinerien, Stromnetzen sowie von weiteren lebenswichtigen Betrieben sicherzustellen”, heißt es in einem Papier der Bundesministerien für Wirtschaft und für Verkehr, das am Wochenende verbreitet wurde. Damit weiter Kohle in Kraftwerke und Öl in Raffinerien kommt, wollen sie Energietransporten auf der Schiene sechs Monate lang Vorrang einräumen.
Verkehrsminister versucht zu beruhigen
Der Marktführer, die staatliche Deutsche Bahn, bringt pro Woche 50 Züge mit jeweils 3000 Tonnen Steinkohle auf die Schiene. Hört sich nach viel an? Ist es aber nicht. Allein ein großes Steinkohlekraftwerk wie das in Gelsenkirchen-Scholven verheizt nach Recherchen der Nachrichtenagentur DPA unter Volllast 20.000 Tonnen am Tag.
Verglichen mit den insgesamt 20.000 Güterzügen von DB Cargo sind 50 Kohlezüge allerdings nicht gerade viel. Ein Vorteil beim schwarzen Energieträger ist aber, dass der Kohlenachschub für Kraftwerke und Fabriken auf Halde gelegt werden kann – und nicht “just in time” am Bestimmungsort angeliefert werden muss.
Das Transportgeschäft mit Öl und Gas dominiert die private Konkurrenz, die im Netzwerk Europäischer Eisenbahnen organisiert ist.
Die Vize-Geschäftsführerin der Vereinigung, Neele Wesseln, ist skeptisch, wenn es um die neue Verordnung der Bundesregierung geht. Schließlich könnten schon heute Güterzüge Vorrang erhalten, allerdings gegen Zahlung einer Express-Zulage.
Beim Verband Die Güterbahnen ist man ebenfalls wenig begeistert von den Regierungs-Plänen: “Klingt einleuchtend, könnte sich aber als Kopfgeburt erweisen. Chaos auf der Schiene gibt es schon genug”, sagte Verbandssprecher Peter Westenberger. Er mahnte “eine gründliche Debatte statt vollmundiger Ankündigungen” an.
Dass Fahrgastvertreter gegen einen Vorrang für Züge mit Kohle, Öl oder Gas sind, versteht sich schon fast von selbst. “Es darf kein Nah- oder Fernverkehrszug für diese Transporte ausfallen”, verlangte der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Detlef Neuß. Das Chaos beim 9-Euro-Ticket habe die gravierenden Probleme der Eisenbahn in Deutschland für jeden sichtbar gemacht.
“Wir haben in den letzten drei Jahrzehnten beim Ausbau geschlafen und sogar sträflich Infrastruktur abgebaut.” Noch mehr Verspätungen würden die Leute aus den Zügen zurück ins Auto treiben, wird Neuß von der DPA zitiert. “Das ist genau das, was wir nicht wollen.”
Verspätungen für die Fahrgäste sollen nach den Regierungsplänen möglichst vermieden werden, auch wenn der Personenverkehr im Zweifelsfall warten muss, unterstreicht Verkehrsminister Volker Wissing. Wenn Ende August die 9-Euro-Ticket-Aktion ausläuft, könnte das für Entspannung im Passagierverkehr sorgen, hofft man bei der Bahn. Außerdem seien noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden, Güterzüge zu verlängern oder verstärkt in der Nacht zu fahren, erklärten Branchenvertreter.
Dass mit dem Verlängern der Güterzüge hat allerdings einen Haken: Waggons sind in ganz Europa knapp. Bis jetzt gibt es weder bei der Deutschen Bahn noch bei ihren privaten Konkurrenten eine erhöhte Nachfrage nach Energietransporten. “Die Rechtsverordnung zur Priorisierung versorgungsrelevanter Züge ist eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme der Bundesregierung”, ließ die Deutsche Bahn etwas gestelzt mitteilen. “Ob sie überhaupt zum Tragen kommen muss, bleibt abzuwarten.”