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Polen: Reden, Lachen, Singen und Beten in einem zur Kirche umgewandelten Shop

In Polen bekennen sich mehr als 90 Prozent zum Katholizismus. Aber weniger als 30 Prozent praktizieren ihren Glauben. Ein Pfarrer in Poznan will mit einer ungewöhnlichen Kirche das Gemeindeleben erneuern.

Es ist Sonntagvormittag. Nach der Heiligen Messe für junge Familien beseitigt der 30-jährige Maciej mit dem Staubsauger noch schnell einige Kekskrümel. Derweil läuft seine zweieinhalb Jahre alte Tochter Hania vergnügt lachend umher und krümelt weiter. Der Staubsauger ist zwar leise – aber dennoch passt sein Geräusch nicht in eine Kirche.

Nicht nur deswegen wird sich, wer es traditionell mag, ziemlich verloren fühlen im Gotteshaus der Pfarrei von Lacina. Schon von außen wirkt die Kirche der jüngsten Gemeinde der Stadt Poznan (Posen) im Westen Polens ganz anders als andere katholische Kirchen: Es gibt keinen Kirchturm und keine Kirchenglocken, das Portal ist eine Glastür im Erdgeschoß zwischen einem Immobilienhändler und einer Zahnarztpraxis.

Es ist Sonntagvormittag. Nach der Heiligen Messe für junge Familien beseitigt der 30-jährige Maciej mit dem Staubsauger noch schnell einige Kekskrümel. Derweil läuft seine zweieinhalb Jahre alte Tochter Hania vergnügt lachend umher und krümelt weiter. Der Staubsauger ist zwar leise – aber dennoch passt sein Geräusch nicht in eine Kirche.

Die Innenausstattung des ehemaligen Ladengeschäfts, das die Kirche von Lacina beherbergt, erinnert an IKEA – doch es riecht hier weder nach Möbeln noch nach Weihrauch, eher wie in einer normalen Wohnung. Auch das Licht ist ganz anders als in anderen Kirchen, nicht gedämpft, sondern hell. An der Wand des Gebetsraumes steht ein Sofa. Daneben eine Küchenzeile mit Waschbecken und zwei betriebsbereiten Kaffeemaschinen.

Evangelisieren im Neubaugebiet

Café Latte oder Cappuccino? Alles kein Problem, nur ein schneller Knopfdruck für “Tante Dominika”, wie die Gemeindemanagerin hier liebevoll genannt wird. Die 25-Jährige, die eigentlich Dominika Iwasiuta heißt, kümmert sich um alles, von Terminen über Verwaltungsangelegenheiten bis hin zur Gitarre, die das einzige Musikinstrument in der Kirche ist. Gemeindebürozeiten gibt es nicht, weil man immer herkommen kann, sagt sie der DW.

Das neue Stadtviertel Lacina ist in weiten Teilen eine Baustelle. Vielerorts stehen Bagger und andere Maschinen, der Parkplatz und die Zufahrten zu den Gebäuden sind noch unbefestigt, vor den Wohnhäusern stapeln sich Baumaterialien. Ist das die richtige Gegend, um eine neue Kirchengemeinde zu gründen?

“Der Erzbischof hat mir vorgeschlagen, diese junge Gemeinschaft hier zu evangelisieren, die Menschen in Lacina irgendwie zusammenzubringen”, erzählt Pfarrer Radek Rakowski (38), der Seelsorger der katholischen Gemeinde, die im September 2022 gegründet wurde. Dass das Neubauviertel, in dem einmal 21.000 Menschen wohnen sollen, einen eigenen Priester braucht, steht außer Zweifel: Im Jahr 2021 waren nach Angaben des Instituts für Statistik der katholischen Kirche in Polen 91 Prozent der Menschen im Land römisch-katholisch getauft.

83 Prozent der Polinnen und Polen bezeichnen sich laut einer Umfrage des Warschauer Zentrums für öffentliche Meinungsforschung (Centrum Badania Opinii Spolecznej, CBOS) als gläubig – ein weltweiter Spitzenwert. Aber nur 28 Prozent besuchten regelmäßig die Sonntagsmessevor der Corona-Pandemie waren es 36,9. Und der Anteil derjenigen, die sich als nichtreligiös bezeichnen, hat mittlerweile einen Rekordwert von acht Prozent erreicht.

“Wir haben wegen dieser Gemeinde zur Kirche zurückgefunden”, erzählt Julia, die Mutter der kleinen Hania und Maciejs Ehefrau. Die 26-Jährige und ihre kleine Familie sind offensichtlich nicht die einzigen Menschen in Lacina, denen Rakowskis Gottesdienst gefällt: Schon 20 Minuten, bevor die nächste Messe für Familien mit Schulkindern beginnt, ist der Gebetsraum wieder fast voll. Freie Sitzplätze auf den Bänken gibt es nicht mehr. In jeder kleinsten Ecke hockt, sitzt oder kniet jemand.

Pfarrer Radek schaut noch nach, ob alle Kinderwagen zur Kirche durchkommen oder ob doch einer in einem der Schlaglöcher stecken geblieben ist, die vor dem Gebäude seiner Kirche klaffen. Und ob die Kleiderständer am Rand des Gebetsraums nicht unter der Last der Jacken der Besucherinnen und Besucher umgefallen sind. Sind sie. Der Priester legt die Kleidungsstücke auf einen Haufen und versteckt sie hinter einem Vorhang. Er hat offensichtlich Übung beim Improvisieren – und schafft es dabei noch, viele Hände zu schütteln.

“Es war meine Idee, mir eine Wohnung in einem dieser Wohnblocks zu mieten, um unter den Menschen hier zu leben, ihr Schicksal zu teilen – und so die Gemeinde aufzubauen”, erzählt Radek der DW. “Die Leute in Lacina sind aus ganz Polen hierhergekommen, um hier neu anzufangen.”

Der Moment, in dem die Heilige Messe beginnt, bringt dann auch für geübte Kirchgänger die Gewissheit, dass sie sich nicht verlaufen haben: Hier wird ein echter katholischer Gottesdienst gefeiert. Dabei ist es sehr eng in dem ehemaligen Geschäft. Und die Decke ist so niedrig, dass der Klang der Gitarre kaum trägt, egal wie sehr sich Tante Dominika, die auch die Musikerin der Kirche ist, bemüht.

Krzysiu, der Messdiener, ist neun Jahre alt. Hier und da braucht er noch einen kleinen liturgischen Hinweis, aber alles in allem klappen die Abläufe schon sehr gut. Sein Vater, Germanistikprofessor an der Universität von Poznan, sitzt in der zweiten Reihe und strahlt stolz über beide Ohren: “Das hier ist unsere Kirchengemeinde”, sagt er der DW.

Andere Räumlichkeiten sucht die Gemeinde vorerst nicht. “Abseits der Gottesdienste kommen hier meist 30 bis 40 Personen zusammen, da passt es schon mit dem Raum,” erklärt Radek Rakowski. Der ungewöhnliche Geistliche ist in Poznan bekannt wie ein bunter Hund: Viele Fußgänger kennen ihn als schnellen Radfahrer, zudem ist er in den sozialen Medien aktiv.

Ein “Hochwürden” ist Radek Rakowski nicht, eher ein Kumpeltyp. Der leichte Bauchansatz und ein herzliches Lachen zeugen davon, dass sich der Pfarrer von Lacina wohlfühlt unter den Menschen hier im neuen Viertel, die in sein ungewöhnliches Gotteshaus kommen, um mit ihm zu beten, zu reden – und zu lachen.

Familien mit Kindern und Kinderwagen vor der Fassade eines Ladenlokals, in dem die Kirchengemeinde untergebracht ist
Pfützen und schlammige Wiesen vor großen Baustellen von Wohnhäusern und Kränen
Julia trägt ihre Tochter Hania auf dem Arm, Vater Maciej steht daneben und lächelt

Es ist Sonntagvormittag. Nach der Heiligen Messe für junge Familien beseitigt der 30-jährige Maciej mit dem Staubsauger noch schnell einige Kekskrümel. Derweil läuft seine zweieinhalb Jahre alte Tochter Hania vergnügt lachend umher und krümelt weiter. Der Staubsauger ist zwar leise – aber dennoch passt sein Geräusch nicht in eine Kirche.

Nicht nur deswegen wird sich, wer es traditionell mag, ziemlich verloren fühlen im Gotteshaus der Pfarrei von Lacina. Schon von außen wirkt die Kirche der jüngsten Gemeinde der Stadt Poznan (Posen) im Westen Polens ganz anders als andere katholische Kirchen: Es gibt keinen Kirchturm und keine Kirchenglocken, das Portal ist eine Glastür im Erdgeschoß zwischen einem Immobilienhändler und einer Zahnarztpraxis.

Evangelisieren im Neubaugebiet

Die Innenausstattung des ehemaligen Ladengeschäfts, das die Kirche von Lacina beherbergt, erinnert an IKEA – doch es riecht hier weder nach Möbeln noch nach Weihrauch, eher wie in einer normalen Wohnung. Auch das Licht ist ganz anders als in anderen Kirchen, nicht gedämpft, sondern hell. An der Wand des Gebetsraumes steht ein Sofa. Daneben eine Küchenzeile mit Waschbecken und zwei betriebsbereiten Kaffeemaschinen.

Café Latte oder Cappuccino? Alles kein Problem, nur ein schneller Knopfdruck für “Tante Dominika”, wie die Gemeindemanagerin hier liebevoll genannt wird. Die 25-Jährige, die eigentlich Dominika Iwasiuta heißt, kümmert sich um alles, von Terminen über Verwaltungsangelegenheiten bis hin zur Gitarre, die das einzige Musikinstrument in der Kirche ist. Gemeindebürozeiten gibt es nicht, weil man immer herkommen kann, sagt sie der DW.

Das neue Stadtviertel Lacina ist in weiten Teilen eine Baustelle. Vielerorts stehen Bagger und andere Maschinen, der Parkplatz und die Zufahrten zu den Gebäuden sind noch unbefestigt, vor den Wohnhäusern stapeln sich Baumaterialien. Ist das die richtige Gegend, um eine neue Kirchengemeinde zu gründen?

“Der Erzbischof hat mir vorgeschlagen, diese junge Gemeinschaft hier zu evangelisieren, die Menschen in Lacina irgendwie zusammenzubringen”, erzählt Pfarrer Radek Rakowski (38), der Seelsorger der katholischen Gemeinde, die im September 2022 gegründet wurde. Dass das Neubauviertel, in dem einmal 21.000 Menschen wohnen sollen, einen eigenen Priester braucht, steht außer Zweifel: Im Jahr 2021 waren nach Angaben des Instituts für Statistik der katholischen Kirche in Polen 91 Prozent der Menschen im Land römisch-katholisch getauft.

Immer mehr Nichtreligiöse

83 Prozent der Polinnen und Polen bezeichnen sich laut einer Umfrage des Warschauer Zentrums für öffentliche Meinungsforschung (Centrum Badania Opinii Spolecznej, CBOS) als gläubig – ein weltweiter Spitzenwert. Aber nur 28 Prozent besuchten regelmäßig die Sonntagsmessevor der Corona-Pandemie waren es 36,9. Und der Anteil derjenigen, die sich als nichtreligiös bezeichnen, hat mittlerweile einen Rekordwert von acht Prozent erreicht.

Ein Pfarrer zum Anfassen

“Wir haben wegen dieser Gemeinde zur Kirche zurückgefunden”, erzählt Julia, die Mutter der kleinen Hania und Maciejs Ehefrau. Die 26-Jährige und ihre kleine Familie sind offensichtlich nicht die einzigen Menschen in Lacina, denen Rakowskis Gottesdienst gefällt: Schon 20 Minuten, bevor die nächste Messe für Familien mit Schulkindern beginnt, ist der Gebetsraum wieder fast voll. Freie Sitzplätze auf den Bänken gibt es nicht mehr. In jeder kleinsten Ecke hockt, sitzt oder kniet jemand.

Pfarrer Radek schaut noch nach, ob alle Kinderwagen zur Kirche durchkommen oder ob doch einer in einem der Schlaglöcher stecken geblieben ist, die vor dem Gebäude seiner Kirche klaffen. Und ob die Kleiderständer am Rand des Gebetsraums nicht unter der Last der Jacken der Besucherinnen und Besucher umgefallen sind. Sind sie. Der Priester legt die Kleidungsstücke auf einen Haufen und versteckt sie hinter einem Vorhang. Er hat offensichtlich Übung beim Improvisieren – und schafft es dabei noch, viele Hände zu schütteln.

“Es war meine Idee, mir eine Wohnung in einem dieser Wohnblocks zu mieten, um unter den Menschen hier zu leben, ihr Schicksal zu teilen – und so die Gemeinde aufzubauen”, erzählt Radek der DW. “Die Leute in Lacina sind aus ganz Polen hierhergekommen, um hier neu anzufangen.”

Katholischer Gottesdienst im Ladenlokal

Der Moment, in dem die Heilige Messe beginnt, bringt dann auch für geübte Kirchgänger die Gewissheit, dass sie sich nicht verlaufen haben: Hier wird ein echter katholischer Gottesdienst gefeiert. Dabei ist es sehr eng in dem ehemaligen Geschäft. Und die Decke ist so niedrig, dass der Klang der Gitarre kaum trägt, egal wie sehr sich Tante Dominika, die auch die Musikerin der Kirche ist, bemüht.

Krzysiu, der Messdiener, ist neun Jahre alt. Hier und da braucht er noch einen kleinen liturgischen Hinweis, aber alles in allem klappen die Abläufe schon sehr gut. Sein Vater, Germanistikprofessor an der Universität von Poznan, sitzt in der zweiten Reihe und strahlt stolz über beide Ohren: “Das hier ist unsere Kirchengemeinde”, sagt er der DW.

Andere Räumlichkeiten sucht die Gemeinde vorerst nicht. “Abseits der Gottesdienste kommen hier meist 30 bis 40 Personen zusammen, da passt es schon mit dem Raum,” erklärt Radek Rakowski. Der ungewöhnliche Geistliche ist in Poznan bekannt wie ein bunter Hund: Viele Fußgänger kennen ihn als schnellen Radfahrer, zudem ist er in den sozialen Medien aktiv.

Ein “Hochwürden” ist Radek Rakowski nicht, eher ein Kumpeltyp. Der leichte Bauchansatz und ein herzliches Lachen zeugen davon, dass sich der Pfarrer von Lacina wohlfühlt unter den Menschen hier im neuen Viertel, die in sein ungewöhnliches Gotteshaus kommen, um mit ihm zu beten, zu reden – und zu lachen.

Männer, Frauen und Jugendliche sitzen zusammen mit Pfarrer Radek um einen Tisch herum und debattieren

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