Syriens Arbeitsmarkt wird weiblicher
Als Folge des elfjährigen Krieges arbeiten in Syrien doppelt so viele Frauen wie zuvor. Ihre Beschäftigung ist aber nicht nur der Notwendigkeit geschuldet, ihre Familien zu ernähren. Sie erfordert auch Mut.
Seit etwa sechs Wochen sieht Moufida Rahmon ihre Nachbarschaft mit anderen Augen. Als die 38-Jährige ihren eigenen kleinen Molkereibetrieb im Flüchtlingslager Maarat Misrin, nördlich von Idlib, eröffnete, wurden ihre Nachbarn zu Kunden.
“Im ersten Monat verdiente ich 40 Dollar, das reichte, um meine Söhne und mich zu ernähren”, sagt die zweifache Mutter der DW. In ihren Augen ist zu sehen, wie stolz sie ist. “Nach allem, was in den vergangenen Jahren passiert ist, spüre ich zum ersten Mal Hoffnung auf ein besseres Leben”, sagte sie.
Seit etwa sechs Wochen sieht Moufida Rahmon ihre Nachbarschaft mit anderen Augen. Als die 38-Jährige ihren eigenen kleinen Molkereibetrieb im Flüchtlingslager Maarat Misrin, nördlich von Idlib, eröffnete, wurden ihre Nachbarn zu Kunden.
Am 29. August 2012, etwas mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, verschwand Rahmons Ehemann – wie viele andere Menschen in Syrien. Ursprünglich hatte sie beschlossen, im Haus der Familie in Al-Tah zu bleiben, aber nachdem Russland auf Bitten der syrischen Regierung 2015 in den Krieg eingetreten war, wurde ihre Wohnung durch russischem Beschuss zerstört. “Ich habe mein Zuhause verloren, alles, was wir besaßen, und als Truppen des syrischen Regimes die Stadt besetzten mussten wir über Nacht fliehen”, erzählt sie.
Überleben ohne Ehemann
Seither lebt sie mit ihren Kindern in absoluter Armut in einem kleinen Zelt im Flüchtlingslager Ma’arat Misrin. Rahmon und ihre Familie waren auf internationale Hilfe angewiesen, da sie weder studiert noch eine Berufsausbildung absolviert hatte.
Anfang dieses Jahres trat die Lagerleitung mit einer Idee an Rahmon heran. “Sie haben mir eine Berufsausbildung in der Molkerei angeboten. Andere Frauen haben mich ermutigt und versprochen, meine Produkte zu kaufen”, so die 38-Jährige.
Nach einem 15-tägigen Intensivkurs und einem 800-Dollar-Projektstipendium des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, das es ihr ermöglichte, Produkte und Werkzeuge zu kaufen, richtete sie sich in ihrem Zelt ein. Bisher haben ihre Nachbarn Wort gehalten und ihre Milchprodukte gekauft sowie Milch und Käse bestellt. “Ich hoffe wirklich, dass dieses Geschäft expandieren und es mir ermöglichen wird, unsere Situation für immer zu verändern.”
Rahmon ist bei weitem nicht die einzige syrische Frau, die zum ersten Mal in den Arbeitsmarkt eingetreten ist. Hintergrund sind die ständig schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen, der anhaltende bewaffnete Konflikt und nicht zuletzt der Mangel an männlichen Ernährern.
Laut dem diesjährigen Syria Economic Monitor der Weltbank hat sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen von 13 Prozent im Jahr 2010 auf 26 Prozent im Jahr 2021 verdoppelt. Im Vergleich dazu stieg der Anteil der Männer im gleichen Zeitraum nur leicht von 72 auf 76 Prozent.
Seit 2017 hat der Syria Cross-Border Humanitarian Fund (SCHF) der Vereinten Nationen 76 Millionen US-Dollar in 67 kleine Unternehmen, Berufsausbildungen und Starthilfen im Nordwesten Syriens investiert. “51 Prozent der Menschen, die von diesen Unterstützungen profitiert haben, sind Frauen”, sagte Madevi Sun-Suon, Sprecherin des türkischen UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, der DW.
Eines dieser Projekte ist die Organisation Spark of Hope in der Innenstadt von Idlib, die von Sawsan Saeed geleitet wird. “Ich unterstütze Frauen dabei, um die Ecke zu denken”, sagt die energiegeladene 48-Jährige der DW.
Eine ihrer jüngsten Ideen war es, Frauen auszubilden, damit sie Mobiltelefone reparieren können – ein Geschäft, das in Syrien früher ausschließlich in Männerhand war. Und doch brauchte sie nicht lange, um eine Ausbilderin und genügend interessierte Frauen zu finden, damit der Kurs beginnen konnte. “Die Frauen waren gut darin und sind jetzt auch gut beschäftigt”, sagte Saeed.
Die 23-jährige Enas Manna bewarb sich für eine von den UN finanzierte Berufsausbildung zur Fotografin. “Da ich kein Geld hatte, um mein Studium an der Universität Idlib abzuschließen, fühlte ich mich ein Jahr lang wie verloren”, sagt sie der DW. Nach der Ausbildung eröffnete sie ihr eigenes Fotostudio und stellte sogar ein paar Frauen ein. “Dieses Projekt hat mir geholfen, genug Geld zu verdienen, um trotz des anhaltenden Krieges an die Universität zurückzukehren.”
In elf Jahren Bürgerkrieg ist das Leben in der Region um Idlib, die ehemals reich an Landwirtschaft war, immer prekärer geworden. Hier leben laut UN 2,8 Millionen Vertriebene in 1500 Flüchtlingslagern. Die Region gilt als eine der letzten Hochburgen des Widerstands gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seine Verbündeten.
“Diese Zivilisten in und um Idlib leisten immer noch Widerstand gegen das Assad-Regime, ebenso wie die verschiedenen bewaffneten Gruppen, die in dieser Gegend Zuflucht gefunden haben. Dadurch hat sich die soziale Struktur dieser Region erheblich verändert”, erklärt Anna Fleischer, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, im Gespräch mit der DW.
Das hat sich auch auf das Leben der Frauen ausgewirkt. “Zum einen fürchten die Frauen in Idlib das syrische Militär und die russischen Streitkräfte. Hinzukommt, dass islamistische Milizen wie Hai’at Tahrir al-Sham und andere nicht die größten Anhänger der Idee sind, dass Frauen lesen, arbeiten und finanziell unabhängig sind”, erklärt Fleischer.
Fleischer, die zuvor für die Organisation Women Now for Development gearbeitet hat, weiß aus erster Hand von vielen Projekten, die in der Region Idlib weitergeführt werden, nachdem Aktivistinnen aus den Städten vertrieben wurden, die wieder in die Hände des syrischen Regimes gefallen sind. “Allerdings müssen sie in Idlib unter dem Radar arbeiten.”
Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.
Seit etwa sechs Wochen sieht Moufida Rahmon ihre Nachbarschaft mit anderen Augen. Als die 38-Jährige ihren eigenen kleinen Molkereibetrieb im Flüchtlingslager Maarat Misrin, nördlich von Idlib, eröffnete, wurden ihre Nachbarn zu Kunden.
“Im ersten Monat verdiente ich 40 Dollar, das reichte, um meine Söhne und mich zu ernähren”, sagt die zweifache Mutter der DW. In ihren Augen ist zu sehen, wie stolz sie ist. “Nach allem, was in den vergangenen Jahren passiert ist, spüre ich zum ersten Mal Hoffnung auf ein besseres Leben”, sagte sie.
Überleben ohne Ehemann
Am 29. August 2012, etwas mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, verschwand Rahmons Ehemann – wie viele andere Menschen in Syrien. Ursprünglich hatte sie beschlossen, im Haus der Familie in Al-Tah zu bleiben, aber nachdem Russland auf Bitten der syrischen Regierung 2015 in den Krieg eingetreten war, wurde ihre Wohnung durch russischem Beschuss zerstört. “Ich habe mein Zuhause verloren, alles, was wir besaßen, und als Truppen des syrischen Regimes die Stadt besetzten mussten wir über Nacht fliehen”, erzählt sie.
Seither lebt sie mit ihren Kindern in absoluter Armut in einem kleinen Zelt im Flüchtlingslager Ma’arat Misrin. Rahmon und ihre Familie waren auf internationale Hilfe angewiesen, da sie weder studiert noch eine Berufsausbildung absolviert hatte.
Anfang dieses Jahres trat die Lagerleitung mit einer Idee an Rahmon heran. “Sie haben mir eine Berufsausbildung in der Molkerei angeboten. Andere Frauen haben mich ermutigt und versprochen, meine Produkte zu kaufen”, so die 38-Jährige.
Nach einem 15-tägigen Intensivkurs und einem 800-Dollar-Projektstipendium des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, das es ihr ermöglichte, Produkte und Werkzeuge zu kaufen, richtete sie sich in ihrem Zelt ein. Bisher haben ihre Nachbarn Wort gehalten und ihre Milchprodukte gekauft sowie Milch und Käse bestellt. “Ich hoffe wirklich, dass dieses Geschäft expandieren und es mir ermöglichen wird, unsere Situation für immer zu verändern.”
Rahmon ist bei weitem nicht die einzige syrische Frau, die zum ersten Mal in den Arbeitsmarkt eingetreten ist. Hintergrund sind die ständig schlechter werdenden wirtschaftlichen Bedingungen, der anhaltende bewaffnete Konflikt und nicht zuletzt der Mangel an männlichen Ernährern.
Mehr Frauen verdienen Geld
Laut dem diesjährigen Syria Economic Monitor der Weltbank hat sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen von 13 Prozent im Jahr 2010 auf 26 Prozent im Jahr 2021 verdoppelt. Im Vergleich dazu stieg der Anteil der Männer im gleichen Zeitraum nur leicht von 72 auf 76 Prozent.
Erfolgreiche Entwicklungshilfe
Seit 2017 hat der Syria Cross-Border Humanitarian Fund (SCHF) der Vereinten Nationen 76 Millionen US-Dollar in 67 kleine Unternehmen, Berufsausbildungen und Starthilfen im Nordwesten Syriens investiert. “51 Prozent der Menschen, die von diesen Unterstützungen profitiert haben, sind Frauen”, sagte Madevi Sun-Suon, Sprecherin des türkischen UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, der DW.
Eines dieser Projekte ist die Organisation Spark of Hope in der Innenstadt von Idlib, die von Sawsan Saeed geleitet wird. “Ich unterstütze Frauen dabei, um die Ecke zu denken”, sagt die energiegeladene 48-Jährige der DW.
Eine ihrer jüngsten Ideen war es, Frauen auszubilden, damit sie Mobiltelefone reparieren können – ein Geschäft, das in Syrien früher ausschließlich in Männerhand war. Und doch brauchte sie nicht lange, um eine Ausbilderin und genügend interessierte Frauen zu finden, damit der Kurs beginnen konnte. “Die Frauen waren gut darin und sind jetzt auch gut beschäftigt”, sagte Saeed.
Verändertes Gesicht von Idlib
Die 23-jährige Enas Manna bewarb sich für eine von den UN finanzierte Berufsausbildung zur Fotografin. “Da ich kein Geld hatte, um mein Studium an der Universität Idlib abzuschließen, fühlte ich mich ein Jahr lang wie verloren”, sagt sie der DW. Nach der Ausbildung eröffnete sie ihr eigenes Fotostudio und stellte sogar ein paar Frauen ein. “Dieses Projekt hat mir geholfen, genug Geld zu verdienen, um trotz des anhaltenden Krieges an die Universität zurückzukehren.”
In elf Jahren Bürgerkrieg ist das Leben in der Region um Idlib, die ehemals reich an Landwirtschaft war, immer prekärer geworden. Hier leben laut UN 2,8 Millionen Vertriebene in 1500 Flüchtlingslagern. Die Region gilt als eine der letzten Hochburgen des Widerstands gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seine Verbündeten.
“Diese Zivilisten in und um Idlib leisten immer noch Widerstand gegen das Assad-Regime, ebenso wie die verschiedenen bewaffneten Gruppen, die in dieser Gegend Zuflucht gefunden haben. Dadurch hat sich die soziale Struktur dieser Region erheblich verändert”, erklärt Anna Fleischer, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, im Gespräch mit der DW.
Das hat sich auch auf das Leben der Frauen ausgewirkt. “Zum einen fürchten die Frauen in Idlib das syrische Militär und die russischen Streitkräfte. Hinzukommt, dass islamistische Milizen wie Hai’at Tahrir al-Sham und andere nicht die größten Anhänger der Idee sind, dass Frauen lesen, arbeiten und finanziell unabhängig sind”, erklärt Fleischer.
Fleischer, die zuvor für die Organisation Women Now for Development gearbeitet hat, weiß aus erster Hand von vielen Projekten, die in der Region Idlib weitergeführt werden, nachdem Aktivistinnen aus den Städten vertrieben wurden, die wieder in die Hände des syrischen Regimes gefallen sind. “Allerdings müssen sie in Idlib unter dem Radar arbeiten.”
Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.