Deutschland

Indigene und Kirche – koloniale Last und Klimawandel

Bei seiner Vollversammlung in Karlsruhe hat der Weltkirchenrat besonders auf die Teilnahme indigener Delegierter geachtet. Ihnen geht es auch um das Thema Befreiung.

Indigene sind eine Minderheit der rund 800 Delegierten bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe. Sie kommen aus Mexiko, Belize, Brasilien, Tahiti, Neuseeland, Papua oder den Philippinen. Mit Kopfschmuck und bunten Trachten fallen viele von ihnen auf unter den Gästen aus 120 Ländern, den Christen, die bis zum 8. September als Teil des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Deutschland tagen.

“Ich höre hier die wichtigen Stimmen der indigenen Völker”, sagt Diana Binkor Jenbise. Die 48-Jährige mit dem bunten Federschmuck ist Indigene – und Pastorin der Evangelischen Kirche in Westpapua. Vor einem Monat hat sie ihre Promotionsprüfung an der Divinity School der Silliman University im philippinischen Dumanguete abgelegt. Jenbise bearbeitete das Thema “Christologie aus der Sicht der Menschen in Papua”.

Indigene sind eine Minderheit der rund 800 Delegierten bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe. Sie kommen aus Mexiko, Belize, Brasilien, Tahiti, Neuseeland, Papua oder den Philippinen. Mit Kopfschmuck und bunten Trachten fallen viele von ihnen auf unter den Gästen aus 120 Ländern, den Christen, die bis zum 8. September als Teil des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Deutschland tagen.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle schildert sie die Sorgen angesichts des Klimawandels, die Sorge um ihr Land, das angeblich irgendwelchen Menschen aus dem Ausland gehöre, den langen Kampf ihrer Heimat um Unabhängigkeit von Indonesien. “Versöhnung, das ist Gottes Auftrag für uns”, sagt sie.

“Unsere Theologie befreien”

Aber dann erzählt sie von ihrer Theologie, vom Grundgedanken der Befreiung. Im Westen kenne man ja die “Theologie der Befreiung”, die der peruanische Theologe Gustavo Gutierrez vor über 50 Jahren angestoßen habe, sagt sie. Ihr gehe es aber um eine “Befreiung der Theologie”. Und das meint auch: Befreiung von der Theologie der Kolonialzeit.

“Wir müssen unsere Theologie befreien”, sagt sie. “Nicht so, wie es zu ihren Zeiten lutherische oder calvinistische Traditionen taten. Aber wir müssen zum Beispiel unser Jesus-Bild von den Menschen her denken.” Sie zeigt auf die Farbe ihrer Haut, auf ihr Haar. Jesus “ist auch einer von uns”, sagt sie.

Das ist – neben den Sorgen um den Klimawandel – das Hauptanliegen der indigenen Delegierten. Das kritische Nachdenken über Kolonialismus und die Reflexion über den Reichtum eigener Traditionen, die die Kirchen wertschätzen sollten.

Der Begriff “Befreiung” fällt häufig in den Gesprächen. Suleman Allo Linggi, evangelischer Pfarrer aus Indonesien, gebraucht im Gespräch mit der DW auch den Begriff “Dekonstruktion”. Das steht für das kritische Hinterfragen des Glaubensvorgaben, die die Kolonialherren einst brachten.

Oft verbinden sich damit die Biographien konkret. Da ist Te Kitohi Pikaahu vom Kirchenrat der Maori. Er ist anglikanischer Pfarrer, studierte unter anderem in Oxford. Vor dem Wort “Neuseeland” steht auf seinem Badge “Aotearoa”, so heißen für die Maori jene Inseln, die die Menschen von außen dann Neuseeland nannten.

Auf die Frage, wann er oder seine Familie Christen wurden, antwortet er prompt. “1814. Da wurde einer meiner Vorfahren” – er zählt die Ahnenfolge detailliert auf – “ins Gefängnis geworfen und wurde getauft”. Seitdem sind die Pikaahus Christen, Anglikaner.

“Als Maori und Christen lebten und leben wir gleichzeitig in zwei Welten”, sagt er. Er hofft, dass der Weltkirchenrat den Reichtum der indigenen Traditionen wertschätze. Diese könnten die christliche Sicht auf die Welt bereichern.

Seit Sonntag haben die Indigenen sich bei einer Vor-Konferenz beraten, etwa gleich viele Männer und Frauen. Der Titel lautete “Reconciliation: Restoring Wholeness”, also “Versöhnung: Ganzheitlichkeit wiederherstellen”. Indigene Delegierte treten in Karlsruhe auf wie alle anderen auch: Sie kommunizieren mit Smartphones, verteilen Visitenkarten. Aber wenn sie zwischendurch beten oder singen, wirkt es anders ergreifend. Ihre Musik klingt oft ebenso innig wie melancholisch.

Wie andere Vor-Konferenzen auch haben die Indigenen an einer Resolution für die Vollversammlung gearbeitet. In dem langen Text geht es um Identität, Gerechtigkeit und Klimawandel, außerdem immer wieder um “reconciliation”, Versöhnung.

Im Entwurf steht: “Wir erkennen an, dass die Mehrheit der indigenen Völker heute zu den am meisten ausgegrenzten Gemeinschaften in vielen Teilen der Welt gehören, die unter Armut, Krankheiten, Ausgrenzung, Menschenhandel und Zwangsarbeit leiden.” An anderer Stelle erinnern sie an die “indigene Weisheit”, die vom ÖRK integriert werden müsse.

Wenn Philip Wright (55), anglikanischer Bischof auf Belize, erzählt, kommt vieles von diesen Gedanken zusammen. Seine Familie, die während der vergangenen 150 Jahre auf einem langen Weg von Jamaika und Honduras nach Belize gekommen sei, sei dabei irgendwann zu Christen geworden.

Im Gespräch mit der DW ruft er die Weltversammlung zu Solidarität mit indigenen Völkern auf, die ihrerseits als prophetische Stimme ihren Beitrag leisten würden. Dann beginnt er zu erzählen von den fürchterlichen Folgen des Klimawandels, zu dem sich der ÖRK äußern solle.

“Hurrikans, Flutkatastrophen und all diese Dinge”, sagt Wright: “Ein einziger Hurrikan kann uns 15, 20 Jahre zurückwerfen.” Für Menschen in Europa sei das “vielleicht unmöglich nachzuvollziehen”, ergänzt er freundlich. “Für uns ist es eine Frage des Überlebens. Für andere ist es gerade mal ein Thema, um sich mit Leidenschaft zu engagieren.”

Eine Frau mit dunklen Haaren, Brille und einem großen Federschmuck auf dem Kopf schaut freundlich in die Kamera. Sie sitzt in einem Saal mit zahlreichen weiteren Menschen
Blick auf ein leuchtend orangenes T-Shirt mit der Aufschrift: Honouring Residential School Survivors - Ehrung der Überlebenden von Internatsschulen
Ein Mann mit dunklen Haaren unter einer Kopfbedeckung aus einem rot-weißen Stoff schaut ernst. Hinter ihm sind ein Mann und eine Frau im Gespräch zu sehen, die Frau trägt einen Federschmuck auf dem Kopf

Indigene sind eine Minderheit der rund 800 Delegierten bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe. Sie kommen aus Mexiko, Belize, Brasilien, Tahiti, Neuseeland, Papua oder den Philippinen. Mit Kopfschmuck und bunten Trachten fallen viele von ihnen auf unter den Gästen aus 120 Ländern, den Christen, die bis zum 8. September als Teil des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Deutschland tagen.

“Ich höre hier die wichtigen Stimmen der indigenen Völker”, sagt Diana Binkor Jenbise. Die 48-Jährige mit dem bunten Federschmuck ist Indigene – und Pastorin der Evangelischen Kirche in Westpapua. Vor einem Monat hat sie ihre Promotionsprüfung an der Divinity School der Silliman University im philippinischen Dumanguete abgelegt. Jenbise bearbeitete das Thema “Christologie aus der Sicht der Menschen in Papua”.

“Unsere Theologie befreien”

Im Gespräch mit der Deutschen Welle schildert sie die Sorgen angesichts des Klimawandels, die Sorge um ihr Land, das angeblich irgendwelchen Menschen aus dem Ausland gehöre, den langen Kampf ihrer Heimat um Unabhängigkeit von Indonesien. “Versöhnung, das ist Gottes Auftrag für uns”, sagt sie.

Aber dann erzählt sie von ihrer Theologie, vom Grundgedanken der Befreiung. Im Westen kenne man ja die “Theologie der Befreiung”, die der peruanische Theologe Gustavo Gutierrez vor über 50 Jahren angestoßen habe, sagt sie. Ihr gehe es aber um eine “Befreiung der Theologie”. Und das meint auch: Befreiung von der Theologie der Kolonialzeit.

“Wir müssen unsere Theologie befreien”, sagt sie. “Nicht so, wie es zu ihren Zeiten lutherische oder calvinistische Traditionen taten. Aber wir müssen zum Beispiel unser Jesus-Bild von den Menschen her denken.” Sie zeigt auf die Farbe ihrer Haut, auf ihr Haar. Jesus “ist auch einer von uns”, sagt sie.

Das ist – neben den Sorgen um den Klimawandel – das Hauptanliegen der indigenen Delegierten. Das kritische Nachdenken über Kolonialismus und die Reflexion über den Reichtum eigener Traditionen, die die Kirchen wertschätzen sollten.

“Ins Gefängnis geworfen und getauft”

Der Begriff “Befreiung” fällt häufig in den Gesprächen. Suleman Allo Linggi, evangelischer Pfarrer aus Indonesien, gebraucht im Gespräch mit der DW auch den Begriff “Dekonstruktion”. Das steht für das kritische Hinterfragen des Glaubensvorgaben, die die Kolonialherren einst brachten.

“Eine Frage des Überlebens”

Oft verbinden sich damit die Biographien konkret. Da ist Te Kitohi Pikaahu vom Kirchenrat der Maori. Er ist anglikanischer Pfarrer, studierte unter anderem in Oxford. Vor dem Wort “Neuseeland” steht auf seinem Badge “Aotearoa”, so heißen für die Maori jene Inseln, die die Menschen von außen dann Neuseeland nannten.

Auf die Frage, wann er oder seine Familie Christen wurden, antwortet er prompt. “1814. Da wurde einer meiner Vorfahren” – er zählt die Ahnenfolge detailliert auf – “ins Gefängnis geworfen und wurde getauft”. Seitdem sind die Pikaahus Christen, Anglikaner.

“Als Maori und Christen lebten und leben wir gleichzeitig in zwei Welten”, sagt er. Er hofft, dass der Weltkirchenrat den Reichtum der indigenen Traditionen wertschätze. Diese könnten die christliche Sicht auf die Welt bereichern.

Seit Sonntag haben die Indigenen sich bei einer Vor-Konferenz beraten, etwa gleich viele Männer und Frauen. Der Titel lautete “Reconciliation: Restoring Wholeness”, also “Versöhnung: Ganzheitlichkeit wiederherstellen”. Indigene Delegierte treten in Karlsruhe auf wie alle anderen auch: Sie kommunizieren mit Smartphones, verteilen Visitenkarten. Aber wenn sie zwischendurch beten oder singen, wirkt es anders ergreifend. Ihre Musik klingt oft ebenso innig wie melancholisch.

Wie andere Vor-Konferenzen auch haben die Indigenen an einer Resolution für die Vollversammlung gearbeitet. In dem langen Text geht es um Identität, Gerechtigkeit und Klimawandel, außerdem immer wieder um “reconciliation”, Versöhnung.

Im Entwurf steht: “Wir erkennen an, dass die Mehrheit der indigenen Völker heute zu den am meisten ausgegrenzten Gemeinschaften in vielen Teilen der Welt gehören, die unter Armut, Krankheiten, Ausgrenzung, Menschenhandel und Zwangsarbeit leiden.” An anderer Stelle erinnern sie an die “indigene Weisheit”, die vom ÖRK integriert werden müsse.

Wenn Philip Wright (55), anglikanischer Bischof auf Belize, erzählt, kommt vieles von diesen Gedanken zusammen. Seine Familie, die während der vergangenen 150 Jahre auf einem langen Weg von Jamaika und Honduras nach Belize gekommen sei, sei dabei irgendwann zu Christen geworden.

Ein Mann mit kurzen dunklen Haaren mit grauem Ansatz mit weißem Priesterkragen im leuchtenden lila Gewand schaut freundlich in die Kamera

Im Gespräch mit der DW ruft er die Weltversammlung zu Solidarität mit indigenen Völkern auf, die ihrerseits als prophetische Stimme ihren Beitrag leisten würden. Dann beginnt er zu erzählen von den fürchterlichen Folgen des Klimawandels, zu dem sich der ÖRK äußern solle.

“Hurrikans, Flutkatastrophen und all diese Dinge”, sagt Wright: “Ein einziger Hurrikan kann uns 15, 20 Jahre zurückwerfen.” Für Menschen in Europa sei das “vielleicht unmöglich nachzuvollziehen”, ergänzt er freundlich. “Für uns ist es eine Frage des Überlebens. Für andere ist es gerade mal ein Thema, um sich mit Leidenschaft zu engagieren.”

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