Linke Legende: Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele tot
Bei den Grünen, die längst in die politische Mitte vorgedrungen sind, stand er immer ganz links. Parteifreunde haben ihn geliebt oder abgelehnt: Jetzt starb Ströbele mit 83 Jahren.
Auf dem Fahrrad mit rotem Schal und wehenden, schneeweißen Haaren, so fuhr Hans-Christian Ströbele durch die Straßen Berlins. Nun ist er in seiner Wahlheimat verstorben.
Er war Grüner der ersten Stunde, Parteichef, Zeitungsgründer, verteidigte als Anwalt linksextreme Terroristen. Asket, Antialkoholiker und Nichtraucher. Milchtrinker, bei fast jeder Gelegenheit. Er war erster Grüner mit einem Direktmandat für den Bundestag. Der Mann, der den US-Whistleblower Edward Snowden in Moskau besuchte.
Auf dem Fahrrad mit rotem Schal und wehenden, schneeweißen Haaren, so fuhr Hans-Christian Ströbele durch die Straßen Berlins. Nun ist er in seiner Wahlheimat verstorben.
Es gab wenig, was Hans-Christian Ströbele nicht war. Wenn es um Inhalte ging, dann konnte er stur sein wie kaum ein anderer. Er war immer links, immer gegen (fast) jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr, nur bei Afghanistan machte er eine Ausnahme.
Dreimal direkt gewählt: grüner Rekord
Die Waffenlieferungen an die Ukraine im Krieg gegen Russland, für die sich vor allem seine grünen Parteifreunde in der Berliner Ampelkoalition eingesetzt haben, sah er sehr skeptisch. Pazifist per sé war er aber nicht. 1980 beteiligte sich Ströbele an einem Spendenaufruf für Waffen für linksgerichtete Guerilla-Kämpfer in El Salvador.
Noch mit 78 Jahren, bis 2017, saß er im Bundestag. Davor hatte er dreimal in Folge ein Direktmandat im links-alternativen Stadtteil Berlin-Kreuzberg ergattert. Das hat bis heute noch kein anderer Grüner geschafft.
Zu den heutigen, in die Mitte drängenden Grünen im Bundestag würde er kaum noch passen. Einen “Querkopf und Freigeist” nennt ihn in Erinnerung Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckart; Vizekanzler Robert Habeck hat Ströbeles “Geradlinigkeit imponiert”. Daraus spricht Anerkennung, aber wohl auch Seufzen über Ströbeles knorrige Unangepasstheit. Und der Grünen Co-Vorsitzende Omid Nouripour verabschiedet sich auf Twitter von einem “wunderbaren Ex-Büronachbarn.”
Ströbele eckte immer wieder an, in seiner Partei und in der Gesellschaft insgesamt. 2006 bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland fühlte er sich “unwohl” angesichts der vielen Deutschlandfahnen, zur Nation hatte er ein eher distanziertes Verhältnis. Einmal forderte er die Einführung eines muslimischen Feiertags, stattdessen sollte ein christlicher wegfallen. In beiden Fällen löste das einen Sturm der Entrüstung aus. In der Corona-Pandemie warnte er vor einem Absondern von Alten und chronisch Kranken und drohte mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht.
Dabei war Ströbele, 1939 in Halle an der Saale geboren, anfangs alles andere als ein Revoluzzer. Nach dem Abitur geht er zunächst zur Bundeswehr. Doch während seines Jurastudiums im damals eingeschlossenen West-Berlin wendet sich das Blatt.
Es ist die Zeit der Studentenrevolte. Seit 1969 als Anwalt zugelassen, verteidigt er Demonstranten. Und später, Mitte der Siebzigerjahre, bei den Prozessen in Stuttgart-Stammheim, sogar die Terroristen der “Rote-Armee-Fraktion”, die mit Morden an Politikern und Wirtschaftsvertretern sowie Flugzeugentführungen Angst und Schrecken im Land verbreiten.
Er wird schließlich von den Richtern als Verteidiger ausgeschlossen und später sogar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Vorwurf: Ströbele soll die Terroristen aktiv unterstützt haben. Er sollte das sein ganzes Leben lang bestreiten.
Rastlos geht es dann weiter: Im links-alternativen West-Berlin gründet er 1980 die linke “tageszeitung” mit und die “Alternative Liste”, wie die Grünen in der Mauer-Stadt damals hießen. Als es kurz vor dem Mauerfall 1989 zur Bildung einer Koalition in Berliner Westteil mit der SPD kommt, gilt Ströbele als Architekt dieses Bündnisses. Der linke Vorkämpfer ist pragmatisch genug, um sich auf ein solches Bündnis einzulassen.
Wieder einige Jahre später, als die Grünen erstmals auch Teil einer Bundesregierung werden und Joschka Fischer realpolitischer Außenminister wird, ist Ströbele, immer in Jeans und Schlabber-Klamotten, dessen heftigster Gegenspieler. Er wird von den eigenen Leuten, die regieren wollen, an den Rand gedrängt. Da entschließt Ströbele sich, auf eigene Faust in Kreuzberg zu kandidieren, getragen von seinen Parteianhängern dort. Und er gewinnt. “Ströbele wählen, Fischer quälen” schreibt er auf seine Wahlplakate.
Die Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Kampfeinsätzen auf dem Balkan, von Fischer vorangetrieben, ist ihm ein Graus. Er kämpft für Bürgerrechte, lehnt eine übermäßige Überwachung auch in Zeiten des Terrors nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 ab. Er streitet für die Palästinenser und muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, antisemitisch zu sein, was er wild abstreitet.
Und er kritisiert die Nachrichtendienste. Bei diesem Themenfeld gelingt ihm dann – noch einmal – ein spektakulärer Auftritt. Im Oktober 2013 besucht er den US-Whistleblower und früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden im Exil in Moskau und setzt sich für ihn ein.
“Sowas schafft nur Ströbele”, raunen im Bundestag Parteifreunde und Gegner, teils genervt und doch auch bewundernd.
Ein pralles, volles Leben war es, ganz früh schon. Ströbele war Neffe des berühmten Fußball-Radioreporters Herbert Zimmermann, dessen Reportage vom Endspiel um die Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Ungarn 1954 tief in die deutsche Seele eingebrannt ist (“Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!”).
Er lernte als Jugendlicher über seinen Onkel die großen Helden kennen, die auch seine waren: Fritz Walter, den Kapitän, Sepp Herberger, den Weltmeister-Trainer. Bis zuletzt verwaltete Ströbele die Tantiemen seines Onkels, denn dessen Reportage wird immer wieder gespielt. Und Ströbele spendete die Einnahmen, was sonst, für linke Projekte.
So wild und links sein Leben anmutete, so bürgerlich war Ströbele privat. Seit 1967 war er mit der Ethnologin Juliana Ströbele-Gregor verheiratet. Und lebte in einem eher bürgerlichen Viertel Berlins, im Westen der Stadt.
Jetzt ist Hans-Christian Ströbele nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben. Er habe seinen “langen Leidensweg” nicht mehr fortsetzen wollen und daher “lebenserhaltende Maßnahmen reduziert”, erklärte Ströbeles Anwalt.
Auf dem Fahrrad mit rotem Schal und wehenden, schneeweißen Haaren, so fuhr Hans-Christian Ströbele durch die Straßen Berlins. Nun ist er in seiner Wahlheimat verstorben.
Er war Grüner der ersten Stunde, Parteichef, Zeitungsgründer, verteidigte als Anwalt linksextreme Terroristen. Asket, Antialkoholiker und Nichtraucher. Milchtrinker, bei fast jeder Gelegenheit. Er war erster Grüner mit einem Direktmandat für den Bundestag. Der Mann, der den US-Whistleblower Edward Snowden in Moskau besuchte.
Dreimal direkt gewählt: grüner Rekord
Es gab wenig, was Hans-Christian Ströbele nicht war. Wenn es um Inhalte ging, dann konnte er stur sein wie kaum ein anderer. Er war immer links, immer gegen (fast) jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr, nur bei Afghanistan machte er eine Ausnahme.
Die Waffenlieferungen an die Ukraine im Krieg gegen Russland, für die sich vor allem seine grünen Parteifreunde in der Berliner Ampelkoalition eingesetzt haben, sah er sehr skeptisch. Pazifist per sé war er aber nicht. 1980 beteiligte sich Ströbele an einem Spendenaufruf für Waffen für linksgerichtete Guerilla-Kämpfer in El Salvador.
Noch mit 78 Jahren, bis 2017, saß er im Bundestag. Davor hatte er dreimal in Folge ein Direktmandat im links-alternativen Stadtteil Berlin-Kreuzberg ergattert. Das hat bis heute noch kein anderer Grüner geschafft.
Zu den heutigen, in die Mitte drängenden Grünen im Bundestag würde er kaum noch passen. Einen “Querkopf und Freigeist” nennt ihn in Erinnerung Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckart; Vizekanzler Robert Habeck hat Ströbeles “Geradlinigkeit imponiert”. Daraus spricht Anerkennung, aber wohl auch Seufzen über Ströbeles knorrige Unangepasstheit. Und der Grünen Co-Vorsitzende Omid Nouripour verabschiedet sich auf Twitter von einem “wunderbaren Ex-Büronachbarn.”
Verteidiger von RAF-Mitgliedern
Ströbele eckte immer wieder an, in seiner Partei und in der Gesellschaft insgesamt. 2006 bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland fühlte er sich “unwohl” angesichts der vielen Deutschlandfahnen, zur Nation hatte er ein eher distanziertes Verhältnis. Einmal forderte er die Einführung eines muslimischen Feiertags, stattdessen sollte ein christlicher wegfallen. In beiden Fällen löste das einen Sturm der Entrüstung aus. In der Corona-Pandemie warnte er vor einem Absondern von Alten und chronisch Kranken und drohte mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht.
“Ströbele wählen, Fischer quälen!”
Dabei war Ströbele, 1939 in Halle an der Saale geboren, anfangs alles andere als ein Revoluzzer. Nach dem Abitur geht er zunächst zur Bundeswehr. Doch während seines Jurastudiums im damals eingeschlossenen West-Berlin wendet sich das Blatt.
Es ist die Zeit der Studentenrevolte. Seit 1969 als Anwalt zugelassen, verteidigt er Demonstranten. Und später, Mitte der Siebzigerjahre, bei den Prozessen in Stuttgart-Stammheim, sogar die Terroristen der “Rote-Armee-Fraktion”, die mit Morden an Politikern und Wirtschaftsvertretern sowie Flugzeugentführungen Angst und Schrecken im Land verbreiten.
Er wird schließlich von den Richtern als Verteidiger ausgeschlossen und später sogar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Vorwurf: Ströbele soll die Terroristen aktiv unterstützt haben. Er sollte das sein ganzes Leben lang bestreiten.
Gegen Militär und Geheimdienste
Rastlos geht es dann weiter: Im links-alternativen West-Berlin gründet er 1980 die linke “tageszeitung” mit und die “Alternative Liste”, wie die Grünen in der Mauer-Stadt damals hießen. Als es kurz vor dem Mauerfall 1989 zur Bildung einer Koalition in Berliner Westteil mit der SPD kommt, gilt Ströbele als Architekt dieses Bündnisses. Der linke Vorkämpfer ist pragmatisch genug, um sich auf ein solches Bündnis einzulassen.
Wieder einige Jahre später, als die Grünen erstmals auch Teil einer Bundesregierung werden und Joschka Fischer realpolitischer Außenminister wird, ist Ströbele, immer in Jeans und Schlabber-Klamotten, dessen heftigster Gegenspieler. Er wird von den eigenen Leuten, die regieren wollen, an den Rand gedrängt. Da entschließt Ströbele sich, auf eigene Faust in Kreuzberg zu kandidieren, getragen von seinen Parteianhängern dort. Und er gewinnt. “Ströbele wählen, Fischer quälen” schreibt er auf seine Wahlplakate.
Ein Fußballreporter als Vorbild
Die Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Kampfeinsätzen auf dem Balkan, von Fischer vorangetrieben, ist ihm ein Graus. Er kämpft für Bürgerrechte, lehnt eine übermäßige Überwachung auch in Zeiten des Terrors nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 ab. Er streitet für die Palästinenser und muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, antisemitisch zu sein, was er wild abstreitet.
Und er kritisiert die Nachrichtendienste. Bei diesem Themenfeld gelingt ihm dann – noch einmal – ein spektakulärer Auftritt. Im Oktober 2013 besucht er den US-Whistleblower und früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden im Exil in Moskau und setzt sich für ihn ein.
“Sowas schafft nur Ströbele”, raunen im Bundestag Parteifreunde und Gegner, teils genervt und doch auch bewundernd.
Ein pralles, volles Leben war es, ganz früh schon. Ströbele war Neffe des berühmten Fußball-Radioreporters Herbert Zimmermann, dessen Reportage vom Endspiel um die Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Ungarn 1954 tief in die deutsche Seele eingebrannt ist (“Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!”).
Er lernte als Jugendlicher über seinen Onkel die großen Helden kennen, die auch seine waren: Fritz Walter, den Kapitän, Sepp Herberger, den Weltmeister-Trainer. Bis zuletzt verwaltete Ströbele die Tantiemen seines Onkels, denn dessen Reportage wird immer wieder gespielt. Und Ströbele spendete die Einnahmen, was sonst, für linke Projekte.
So wild und links sein Leben anmutete, so bürgerlich war Ströbele privat. Seit 1967 war er mit der Ethnologin Juliana Ströbele-Gregor verheiratet. Und lebte in einem eher bürgerlichen Viertel Berlins, im Westen der Stadt.
Jetzt ist Hans-Christian Ströbele nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben. Er habe seinen “langen Leidensweg” nicht mehr fortsetzen wollen und daher “lebenserhaltende Maßnahmen reduziert”, erklärte Ströbeles Anwalt.