Fanforscher Harald Lange: “Die DFL hat eine Riesenchance vergeben”
Die DFL hat einen neuen Modus beschlossen, nach dem die rund 1,1 Milliarden Euro pro Jahr aus den TV-Erlösen unter den Bundesligisten verteilt werden. Von Chancengleichheit könne keine Rede sein, sagt Harald Lange.
DW: Was halten Sie von der jetzt beschlossenen Neuverteilung der TV-Gelder durch die DFL?
Harald Lange: Es ist eine Riesenchance vergeben worden. Die DFL hätte jetzt einen Richtungswechsel hin zu mehr Chancengleichheit, mehr Gerechtigkeit und schlussendlich auch mehr Spannung einleiten können. Die letzten Jahre haben ja eindrücklich gezeigt, dass es im Titelrennen um die deutsche Meisterschaft extrem langweilig geworden ist. Mit der jetzt verabschiedeten Regelung hat man genau diesen Zustand für die nächsten vier Jahre in Zement gegossen.
DW: Was halten Sie von der jetzt beschlossenen Neuverteilung der TV-Gelder durch die DFL?
Die DFL spricht aber von “zukunftsgerichteten Impulsen unter Berücksichtigung des Solidaritätsgedankens”.
Diese Impulse sind sehr marginal. Der Abstand zwischen dem Ersten und dem Letzten ist vielleicht etwas geringer geworden. Man hat ein bisschen nivelliert, ein bisschen geändert, aber keinen neuen Entwurf gemacht. Ein solcher Entwurf wäre in die Richtung gegangen, die einige kleinere Vereine im Sommer mit ihrem Positionspapier vorgeschlagen hatten: nämlich dieses sogenannte Leistungsprinzip außer Kraft zu setzen.
Wäre es also aus Ihrer Sicht sinnvoll gewesen, den kompletten Betrag mit der Gießkanne gleichmäßig auf alle zu verteilen?
Die Metapher Gießkanne klingt abschätzig. Mein Modell sieht so aus: Es gibt eine Liga, die spannend ist, mit 18 Mannschaften, die sich qualifiziert haben, dort zu spielen. Diese Teams repräsentieren den deutschen Fußball und spielen alljährlich die Meisterschaft aus. Diese Grundkonstante mit Blick auf einen Verband mit sieben Millionen Mitgliedern und zig Tausend Vereinen ist das Fundament, dass das, was in der Bundesliga passiert, wichtig, relevant und spannend ist. Dieser Wettbewerb darf nicht brachliegen, sondern muss so spannend wie möglich gehalten werden.
Deshalb greift für mich nicht die Metapher Gießkanne, sondern Chancengleichheit. Jeder, der in der Liga spielt, sollte in gleichem Maße von den Fernsehgeldern profitieren, sodass jeder die gleiche Chance hat, Spieler einzukaufen, Gehälter zu zahlen oder Infrastruktur-Maßnahmen durchzuführen. Diejenigen, die vorne stehen, haben darüber hinaus ja noch ganz andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen: durch internationale Fernsehgelder, etwa der Champions League oder auch durch Sponsorenverträge.
Haben Sie das Gefühl, dass die DFL gegenüber den großen Vereinen eingeknickt ist?
Ja, ganz deutlich. Die ganze Diskussion der vergangenen Monate war von Machtkämpfen und Interessen durchzogen, sodass niemand in der Lage war, das Ganze objektiv zu ordnen und gerechte Lösungen auf den Weg zu bringen. Es fehlt eine unabhängige Instanz. In diesem Machtspiel haben die großen Vereine das meiste Machtpotential und werfen es natürlich auch in die Waagschale. Das wirkt auch in die Gremien der DFL hinein. Und es traut sich kaum jemand, dagegen vorzugehen, weil er dann von Herrn Rummenigge [Vorstandschef des FC Bayern München – Anm. d. Red.] oder anderen Mächtigen mächtig ins Abseits gestellt wird.
Wie weit her ist es aus Ihrer Sicht denn mit der Solidarität in der Liga?
Solidarität gehört eigentlich ganz untrennbar zum Sport dazu, auch zum Fußball, aber nur bedingt zur Wirtschaft und zum Kommerz. Da geht es in allererster Linie darum, für sein Unternehmen, für seinen Klub den Profit zu maximieren und die Aktionäre und andere Stakeholder im Verein zufriedenzustellen. Solidarität ist in diesem System nicht geplant. Das ist bedauerlich, denn es widerstrebt all den romantisch verklärten Vorstellungen von Sport und jenem Fußball, den wir in anderen Bereichen ja noch erleben – im Jugend- und Amateurfußball oder auch im Frauenfußball. Deshalb finden wir den Fußball ja eigentlich so toll und sind als Fans irritiert, wenn wir in diesem großen Bundesliga-Fußball merken, dass sich dort andere, nämlich kommerzielle Maßstäbe, durchsetzen. Das hat zwar in den letzten Jahren zu großen Fanprotesten geführt, aber ganz selten zu tiefgreifenden Veränderungen.
Haben Sie denn noch Hoffnung, dass sich im deutschen Profifußball etwas grundsätzlich ändern wird?
Die Hoffnung habe ich noch, es wird aber nicht schnell gehen. Immerhin traut sich inzwischen der eine oder andere, gegen die Mächtigen zu opponieren. Die einzige Stellschraube, die zum Umdenken zwingt, ist der Geldhahn. Wenn Sponsoren und TV-Anstalten Zweifel haben, dass das Produkt noch spannend ist und deshalb weniger oder gar nichts mehr zahlen, dann entsteht auch im System Profifußball Handlungsbedarf.
Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Lange gründete Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur. Seit dem Frühjahr 2020 läuft dort das Projekt “Welchen Fußball wollen wir?” (vierzunull.de), das ein Forum für alle Protagonisten des Fußballs bieten soll.
Das Interview führte Stefan Nestler.
DW: Was halten Sie von der jetzt beschlossenen Neuverteilung der TV-Gelder durch die DFL?
Harald Lange: Es ist eine Riesenchance vergeben worden. Die DFL hätte jetzt einen Richtungswechsel hin zu mehr Chancengleichheit, mehr Gerechtigkeit und schlussendlich auch mehr Spannung einleiten können. Die letzten Jahre haben ja eindrücklich gezeigt, dass es im Titelrennen um die deutsche Meisterschaft extrem langweilig geworden ist. Mit der jetzt verabschiedeten Regelung hat man genau diesen Zustand für die nächsten vier Jahre in Zement gegossen.
Die DFL spricht aber von “zukunftsgerichteten Impulsen unter Berücksichtigung des Solidaritätsgedankens”.
Diese Impulse sind sehr marginal. Der Abstand zwischen dem Ersten und dem Letzten ist vielleicht etwas geringer geworden. Man hat ein bisschen nivelliert, ein bisschen geändert, aber keinen neuen Entwurf gemacht. Ein solcher Entwurf wäre in die Richtung gegangen, die einige kleinere Vereine im Sommer mit ihrem Positionspapier vorgeschlagen hatten: nämlich dieses sogenannte Leistungsprinzip außer Kraft zu setzen.
Wäre es also aus Ihrer Sicht sinnvoll gewesen, den kompletten Betrag mit der Gießkanne gleichmäßig auf alle zu verteilen?
Die Metapher Gießkanne klingt abschätzig. Mein Modell sieht so aus: Es gibt eine Liga, die spannend ist, mit 18 Mannschaften, die sich qualifiziert haben, dort zu spielen. Diese Teams repräsentieren den deutschen Fußball und spielen alljährlich die Meisterschaft aus. Diese Grundkonstante mit Blick auf einen Verband mit sieben Millionen Mitgliedern und zig Tausend Vereinen ist das Fundament, dass das, was in der Bundesliga passiert, wichtig, relevant und spannend ist. Dieser Wettbewerb darf nicht brachliegen, sondern muss so spannend wie möglich gehalten werden.
Deshalb greift für mich nicht die Metapher Gießkanne, sondern Chancengleichheit. Jeder, der in der Liga spielt, sollte in gleichem Maße von den Fernsehgeldern profitieren, sodass jeder die gleiche Chance hat, Spieler einzukaufen, Gehälter zu zahlen oder Infrastruktur-Maßnahmen durchzuführen. Diejenigen, die vorne stehen, haben darüber hinaus ja noch ganz andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen: durch internationale Fernsehgelder, etwa der Champions League oder auch durch Sponsorenverträge.
Haben Sie das Gefühl, dass die DFL gegenüber den großen Vereinen eingeknickt ist?
Ja, ganz deutlich. Die ganze Diskussion der vergangenen Monate war von Machtkämpfen und Interessen durchzogen, sodass niemand in der Lage war, das Ganze objektiv zu ordnen und gerechte Lösungen auf den Weg zu bringen. Es fehlt eine unabhängige Instanz. In diesem Machtspiel haben die großen Vereine das meiste Machtpotential und werfen es natürlich auch in die Waagschale. Das wirkt auch in die Gremien der DFL hinein. Und es traut sich kaum jemand, dagegen vorzugehen, weil er dann von Herrn Rummenigge [Vorstandschef des FC Bayern München – Anm. d. Red.] oder anderen Mächtigen mächtig ins Abseits gestellt wird.
Wie weit her ist es aus Ihrer Sicht denn mit der Solidarität in der Liga?
Solidarität gehört eigentlich ganz untrennbar zum Sport dazu, auch zum Fußball, aber nur bedingt zur Wirtschaft und zum Kommerz. Da geht es in allererster Linie darum, für sein Unternehmen, für seinen Klub den Profit zu maximieren und die Aktionäre und andere Stakeholder im Verein zufriedenzustellen. Solidarität ist in diesem System nicht geplant. Das ist bedauerlich, denn es widerstrebt all den romantisch verklärten Vorstellungen von Sport und jenem Fußball, den wir in anderen Bereichen ja noch erleben – im Jugend- und Amateurfußball oder auch im Frauenfußball. Deshalb finden wir den Fußball ja eigentlich so toll und sind als Fans irritiert, wenn wir in diesem großen Bundesliga-Fußball merken, dass sich dort andere, nämlich kommerzielle Maßstäbe, durchsetzen. Das hat zwar in den letzten Jahren zu großen Fanprotesten geführt, aber ganz selten zu tiefgreifenden Veränderungen.
Haben Sie denn noch Hoffnung, dass sich im deutschen Profifußball etwas grundsätzlich ändern wird?
Die Hoffnung habe ich noch, es wird aber nicht schnell gehen. Immerhin traut sich inzwischen der eine oder andere, gegen die Mächtigen zu opponieren. Die einzige Stellschraube, die zum Umdenken zwingt, ist der Geldhahn. Wenn Sponsoren und TV-Anstalten Zweifel haben, dass das Produkt noch spannend ist und deshalb weniger oder gar nichts mehr zahlen, dann entsteht auch im System Profifußball Handlungsbedarf.
Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Lange gründete Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur. Seit dem Frühjahr 2020 läuft dort das Projekt “Welchen Fußball wollen wir?” (vierzunull.de), das ein Forum für alle Protagonisten des Fußballs bieten soll.
Das Interview führte Stefan Nestler.