Wladimir Putin: Bilder eines Tyrannen
Der russische Präsident inszeniert sich als starker Mann. Aber wer ist Wladimir Putin wirklich? Anlässlich seines 70. Geburtstags blickt die DW zurück auf dessen Zeit in Dresden und das Ende der DDR-Diktatur.
In Friedenszeiten hätte Wladimir Putin seinen 70. Geburtstag am 7. Oktober 2022 wahrscheinlich mit viel Pomp und mehr oder weniger guten Freunden aus aller Welt gefeiert. Diesmal will der russische Präsident laut seines Sprechers auf Feierlichkeiten verzichten und arbeiten.
Seit Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist es international sehr still um den russischen Präsidenten geworden. Von den Mächtigen auf der politischen Weltbühne hält nur noch Chinas Staatschef Xi Jingping seine schützende Hand über den Kollegen im Moskauer Kreml.
In Friedenszeiten hätte Wladimir Putin seinen 70. Geburtstag am 7. Oktober 2022 wahrscheinlich mit viel Pomp und mehr oder weniger guten Freunden aus aller Welt gefeiert. Diesmal will der russische Präsident laut seines Sprechers auf Feierlichkeiten verzichten und arbeiten.
Vom sorgsam gepflegten Image des starken Mannes, den nichts und niemand erschüttern kann, ist acht Monate nach Kriegsbeginn nur wenig übriggeblieben. Erst recht, seitdem die ukrainischen Truppen immer mehr von Russland besetzte Gebiete zurückerobern.
Putin erlebte das Ende der DDR hautnah mit
Vielleicht erinnert sich Putin zurzeit öfter an die letzten dramatischen Monate seiner Zeit in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Putin erlebte das Ende der DDR als Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Dresden, der heutigen Landeshauptstadt Sachsens. Im Jahr darauf, 1991, zerfiel die Sowjetunion, deren mit Abstand größter Teil Russland gewesen war.
Der Historiker Hubertus Knabe schreibt in einer Analyse für die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ, dass Putin als junger KGB-Agent vom Zerfall der DDR völlig überrascht worden sei. In den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi, fände sich nirgendwo ein Hinweis, dass den Offizieren von KGB und MfS die drohende Gefahr bewusst gewesen wäre. Im Gegenteil: “Der Sozialismus ist in der Offensive”, habe der Dresdner Stasi-Chef Horst Böhm noch im November 1987, zwei Jahre vor dem Mauerfall in Berlin, verkündet.
Knabe war bis 2018 Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem früheren Stasi-Gefängnis in Berlin. Der Zusammenbruch des DDR-Regimes sei für Putin und Böhm “einschneidend” gewesen, mutmaßt der Geheimdienst-Experte. “Das tiefe Misstrauen des russischen Präsidenten gegenüber der Zivilgesellschaft hat viel mit diesen Erfahrungen zu tun”, schlussfolgert Knabe.
Wladimir Putin hatte nach Hubertus Knabes Erkenntnissen in seinen DDR-Jahren als KGB-Offizier freie Hand bei dem Versuch, beim Klassenfeind im kapitalistischen Westen des geteilten Deutschlands Spione anzuwerben. Um dabei Erfolg zu haben, seien Fertigkeiten erforderlich gewesen, die man bei Putin bis heute beobachten könne: “ein langer Atem, der Wille zur Täuschung und die Fähigkeit zu taktischen Winkelzügen”.
Diesen Eindruck hatte auch der deutsche Geschäftsmann Wolfgang Rosenbauer gewonnen, als er Anfang der 1990er Jahre mit dem späteren Präsidenten Russlands in Hamburg mehrmals geschäftlich zu tun hatte. Bei einem Abendessen habe Putin so getan, “als würde er überhaupt kein Deutsch verstehen” und das Gespräch von einem Mitarbeiter übersetzen lassen, erinnerte sich Rosenbauer viele Jahre später gegenüber der DW.
Tatsächlich aber beherrscht Putin seit seiner Zeit in Dresden die Sprache des Landes, in dem seine Tochter Katerina geboren wurde, fließend. Das erfuhr der deutsche Geschäftsmann aber erst beim Abschied: “Am Ende guckte er mich an und sagte: Prima, geben Sie mir die Papiere. Auf Deutsch.”
Wolfgang Rosenbauer beschreibt den russischen Präsidenten aufgrund seiner persönlichen Eindrücke ähnlich wie der Historiker Hubertus Knabe auf der Basis von Stasi-Akten: Demnach sei Putin ein Mensch mit “naturgegebenem Misstrauen” und “KGB-Prägung”.
Kurz vor der völkerrechtswidrigen Annexion der zur Ukraine gehörenden Krim im März 2014 sagte Russland-Experte Stefan Meister der DW: “Putin ist ein kluger Machtpolitiker.” Wenn er jedoch unter Druck gerate, reagiere er manchmal unüberlegt. Für ihn sei es immer das Wichtigste, Stärke zu zeigen.
Entsprechend inszeniert sich der Kreml-Chef seit seiner ersten Präsidentschaft zur Jahrtausendwende: Putin als furchtloser Judo-Kämpfer und Eishockey-Spieler oder als Reiter und Angler mit nacktem Oberkörper.
In der Wochenzeitung DIE ZEIT erschien im Mai 2014 ein vierseitiges Portrait über den Mann, der zwei Monate zuvor die Krim annektiert hatte. In dem Artikel wird viel spekuliert über Putins langen Weg vom KGB-Agenten in Deutschland zum mächtigsten Mann Russlands.
Eine Schlüsselszene in seinen Dresdner Jahren spielte sich angeblich Anfang Dezember 1989 ab, wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer: DDR-Oppositionelle besetzten die Stasi-Zentrale der Stadt und zogen dann weiter zur KGB-Dependance, um auch dort Einlass zu verlangen.
In der ZEIT liest sich die Geschichte so: “Putin soll einen Moment lang überlegt haben, sich mit Waffengewalt zu wehren, dann wählte er eine andere Verteidigungstaktik: die Tarnung. Er sei nur der Dolmetscher, log er. Bald zogen die Demonstranten ab. Putin blieb zurück, mit der Erfahrung, in der Not allein zu sein.”
Kaum zurück in der Sowjetunion, erlebte Putin im März 1991 den Zerfall der Sowjetunion. Ein Verlust, so heißt es immer wieder, mit dem sich der spätere russische Präsident nie abfinden wollte. Spätestens seit der Krim-Annexion 2014 bestehen daran keine ernsthaften Zweifel mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung in Russland hat den damaligen Bruch des Völkerrechts offenbar mit Putins Augen gesehen: als Zeichen der Stärke.
Beim ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 scheint das anfangs auch so gewesen zu sein. Aber je länger der Krieg dauert, je mehr russische Soldaten sterben, und je mehr besetzte Gebiete wieder verlorengehen, desto stärker schwindet der Rückhalt für Wladimir Putin. Das Image vom starken Mann Russlands bekommt immer mehr Kratzer.
Als die DDR 1990 endgültig unterging, war der damals in Dresden lebende KGB-Offizier knapp 38 Jahre jung und die lange Ära als Präsident Russlands war noch weit entfernt. Nun ist Putin 70 Jahre alt und seine, aus seiner Sicht, beste Zeit liegt womöglich hinter ihm. Gut möglich, dass er eines Tages als Kriegsverbrecher angeklagt wird.
In Friedenszeiten hätte Wladimir Putin seinen 70. Geburtstag am 7. Oktober 2022 wahrscheinlich mit viel Pomp und mehr oder weniger guten Freunden aus aller Welt gefeiert. Diesmal will der russische Präsident laut seines Sprechers auf Feierlichkeiten verzichten und arbeiten.
Seit Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist es international sehr still um den russischen Präsidenten geworden. Von den Mächtigen auf der politischen Weltbühne hält nur noch Chinas Staatschef Xi Jingping seine schützende Hand über den Kollegen im Moskauer Kreml.
Putin erlebte das Ende der DDR hautnah mit
Vom sorgsam gepflegten Image des starken Mannes, den nichts und niemand erschüttern kann, ist acht Monate nach Kriegsbeginn nur wenig übriggeblieben. Erst recht, seitdem die ukrainischen Truppen immer mehr von Russland besetzte Gebiete zurückerobern.
Vielleicht erinnert sich Putin zurzeit öfter an die letzten dramatischen Monate seiner Zeit in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
Putin erlebte das Ende der DDR als Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Dresden, der heutigen Landeshauptstadt Sachsens. Im Jahr darauf, 1991, zerfiel die Sowjetunion, deren mit Abstand größter Teil Russland gewesen war.
Stasi und KGB wurden anscheinend überrascht
Der Historiker Hubertus Knabe schreibt in einer Analyse für die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ, dass Putin als junger KGB-Agent vom Zerfall der DDR völlig überrascht worden sei. In den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi, fände sich nirgendwo ein Hinweis, dass den Offizieren von KGB und MfS die drohende Gefahr bewusst gewesen wäre. Im Gegenteil: “Der Sozialismus ist in der Offensive”, habe der Dresdner Stasi-Chef Horst Böhm noch im November 1987, zwei Jahre vor dem Mauerfall in Berlin, verkündet.
Russlands Präsident und sein “Wille zur Täuschung”
Knabe war bis 2018 Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem früheren Stasi-Gefängnis in Berlin. Der Zusammenbruch des DDR-Regimes sei für Putin und Böhm “einschneidend” gewesen, mutmaßt der Geheimdienst-Experte. “Das tiefe Misstrauen des russischen Präsidenten gegenüber der Zivilgesellschaft hat viel mit diesen Erfahrungen zu tun”, schlussfolgert Knabe.
Wladimir Putin hatte nach Hubertus Knabes Erkenntnissen in seinen DDR-Jahren als KGB-Offizier freie Hand bei dem Versuch, beim Klassenfeind im kapitalistischen Westen des geteilten Deutschlands Spione anzuwerben. Um dabei Erfolg zu haben, seien Fertigkeiten erforderlich gewesen, die man bei Putin bis heute beobachten könne: “ein langer Atem, der Wille zur Täuschung und die Fähigkeit zu taktischen Winkelzügen”.
Diesen Eindruck hatte auch der deutsche Geschäftsmann Wolfgang Rosenbauer gewonnen, als er Anfang der 1990er Jahre mit dem späteren Präsidenten Russlands in Hamburg mehrmals geschäftlich zu tun hatte. Bei einem Abendessen habe Putin so getan, “als würde er überhaupt kein Deutsch verstehen” und das Gespräch von einem Mitarbeiter übersetzen lassen, erinnerte sich Rosenbauer viele Jahre später gegenüber der DW.
Plötzlich sprach Putin Deutsch
Tatsächlich aber beherrscht Putin seit seiner Zeit in Dresden die Sprache des Landes, in dem seine Tochter Katerina geboren wurde, fließend. Das erfuhr der deutsche Geschäftsmann aber erst beim Abschied: “Am Ende guckte er mich an und sagte: Prima, geben Sie mir die Papiere. Auf Deutsch.”
Wolfgang Rosenbauer beschreibt den russischen Präsidenten aufgrund seiner persönlichen Eindrücke ähnlich wie der Historiker Hubertus Knabe auf der Basis von Stasi-Akten: Demnach sei Putin ein Mensch mit “naturgegebenem Misstrauen” und “KGB-Prägung”.
Begegnung mit DDR-Oppositionellen
Kurz vor der völkerrechtswidrigen Annexion der zur Ukraine gehörenden Krim im März 2014 sagte Russland-Experte Stefan Meister der DW: “Putin ist ein kluger Machtpolitiker.” Wenn er jedoch unter Druck gerate, reagiere er manchmal unüberlegt. Für ihn sei es immer das Wichtigste, Stärke zu zeigen.
Das Image vom starken Mann bekommt Kratzer
Entsprechend inszeniert sich der Kreml-Chef seit seiner ersten Präsidentschaft zur Jahrtausendwende: Putin als furchtloser Judo-Kämpfer und Eishockey-Spieler oder als Reiter und Angler mit nacktem Oberkörper.
In der Wochenzeitung DIE ZEIT erschien im Mai 2014 ein vierseitiges Portrait über den Mann, der zwei Monate zuvor die Krim annektiert hatte. In dem Artikel wird viel spekuliert über Putins langen Weg vom KGB-Agenten in Deutschland zum mächtigsten Mann Russlands.
Eine Schlüsselszene in seinen Dresdner Jahren spielte sich angeblich Anfang Dezember 1989 ab, wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer: DDR-Oppositionelle besetzten die Stasi-Zentrale der Stadt und zogen dann weiter zur KGB-Dependance, um auch dort Einlass zu verlangen.
In der ZEIT liest sich die Geschichte so: “Putin soll einen Moment lang überlegt haben, sich mit Waffengewalt zu wehren, dann wählte er eine andere Verteidigungstaktik: die Tarnung. Er sei nur der Dolmetscher, log er. Bald zogen die Demonstranten ab. Putin blieb zurück, mit der Erfahrung, in der Not allein zu sein.”
Kaum zurück in der Sowjetunion, erlebte Putin im März 1991 den Zerfall der Sowjetunion. Ein Verlust, so heißt es immer wieder, mit dem sich der spätere russische Präsident nie abfinden wollte. Spätestens seit der Krim-Annexion 2014 bestehen daran keine ernsthaften Zweifel mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung in Russland hat den damaligen Bruch des Völkerrechts offenbar mit Putins Augen gesehen: als Zeichen der Stärke.
Beim ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 scheint das anfangs auch so gewesen zu sein. Aber je länger der Krieg dauert, je mehr russische Soldaten sterben, und je mehr besetzte Gebiete wieder verlorengehen, desto stärker schwindet der Rückhalt für Wladimir Putin. Das Image vom starken Mann Russlands bekommt immer mehr Kratzer.
Als die DDR 1990 endgültig unterging, war der damals in Dresden lebende KGB-Offizier knapp 38 Jahre jung und die lange Ära als Präsident Russlands war noch weit entfernt. Nun ist Putin 70 Jahre alt und seine, aus seiner Sicht, beste Zeit liegt womöglich hinter ihm. Gut möglich, dass er eines Tages als Kriegsverbrecher angeklagt wird.
Ironie der Geschichte: Wladimir Putin wurde am 7.Oktober 1952 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren. Auf den Tag genau drei Jahre nach der Gründung der DDR. Jenem untergegangenen ostdeutschen Teilstaat, in dem er nach weit verbreiteter Lesart prägende Verlustängste durchlitten hat. Die Süddeutsche Zeitung hält es deshalb für möglich, dass Putins “Ressentiment gegen Schwäche” seinen Ursprung in Dresden hat. Da könnte was dran sein.