Schiedsrichter-Misere – der schwierige Umgang mit den sozialen Medien
Deutschlands Fußball fehlen Unparteiische. Einer der Hauptgründe: Anfeindungen gegen Schiris in den sozialen Medien. Andere Länder sind bei der Bekämpfung des Problems weiter.
Felix Zwayer hat ihn erlebt, den Hass in den sozialen Medien. Ihn traf es in der vergangenen Saison, nachdem er den Bundesliga-Hit zwischen Borussia Dortmund und Bayern München als Schiedsrichter geleitet hatte. Eine umstrittene Elfmeter-Entscheidung hatten für Diskussionen gesorgt, zudem hatte der Dortmunder Profi Jude Bellingham mit einer Anspielung auf den deutschen Fußball-Wettskandal von 2005 Zwayer indirekt Bestechlichkeit vorgeworfen. Der 41 Jahre alte Unparteiische ist zwar selbst nicht in den sozialen Medien aktiv. Doch Zwayer erhielt anonyme Hass-Mails, im Internet kursierte nach Polizeiangaben sogar eine Morddrohung.
Das ist kein Einzelfall. Schiedsrichter werden im Internet immer häufiger zur Zielscheibe von Anfeindungen. Die Möglichkeit, dort offen zu diskutieren, wird von oft anonymen “Trollen” missbraucht, um hemmungslos verbal anzugreifen und oftmals auch zu beleidigen. Folge: Das deutsche Schiedsrichterwesen hat mit einem spürbaren Rückgang von Nachwuchs-Referees zu kämpfen.
Felix Zwayer hat ihn erlebt, den Hass in den sozialen Medien. Ihn traf es in der vergangenen Saison, nachdem er den Bundesliga-Hit zwischen Borussia Dortmund und Bayern München als Schiedsrichter geleitet hatte. Eine umstrittene Elfmeter-Entscheidung hatten für Diskussionen gesorgt, zudem hatte der Dortmunder Profi Jude Bellingham mit einer Anspielung auf den deutschen Fußball-Wettskandal von 2005 Zwayer indirekt Bestechlichkeit vorgeworfen. Der 41 Jahre alte Unparteiische ist zwar selbst nicht in den sozialen Medien aktiv. Doch Zwayer erhielt anonyme Hass-Mails, im Internet kursierte nach Polizeiangaben sogar eine Morddrohung.
“Als ich 1994 begann, hatten wir rund 80.000 Schiedsrichter in Deutschland. Heute sind es noch etwa die Hälfte”, sagt Zwayer. “Wie sollen wir junge Leute gewinnen, wenn in sozialen Medien Wochenende für Wochenende ohne Objektivität volles Brett über Schiedsrichter hergezogen wird? Das ist wenig sexy. Darauf haben die jungen Leute keinen Bock.” Die Hemmschwelle, Schiedsrichter zu werden, sei durch die Diskussionen im Netz “enorm hoch” geworden, so Zwayer.
Amateurspiele bald ohne Unparteiische?
Für Lutz-Michael Fröhlich, ehemals Bundesliga-Schiedsrichter und heute Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH, hat seine Branche ein massives Image-Problem: “Im Zweifel sind die Schiedsrichter schuld”, sagt Fröhlich der DW. “Der Schiedsrichter als Spielverderber – das ist die allgemeine Wahrnehmung. Es fehlen Rückendeckung und Wertschätzung für den Einsatz und die Leistung.”
Fröhlich fordert Spieler und Trainer auf, öffentlich auch einmal positive Kommentare über die Referees abzugeben. Was im Profifußball vorgelebt werde, finde Nachahmer: “Was wir sonntags in der Kreisliga oder bei der Jugend sehen, ist oft ein Spiegelbild dessen, was in der Bundesliga passiert.” Die Lage an der Basis sei dramatisch. “Wenn die Spirale bei den Schiedsrichterzahlen immer weiter abwärts geht, werden bald viele Spiele im Amateur- und Jugendbereich ohne Unparteiische stattfinden müssen.”
Das Problem macht nicht vor Ländergrenzen halt. “Der Schiedsrichter-Rückgang ist kein exklusives deutsches Problem”, sagt Bibiana Steinhaus-Webb der DW. Die ehemalige Unparteiische, die 2017 als erste Frau Spiele in der deutschen Männer-Bundesliga leitete, sieht einen mindestens europaweiten Trend: “Wir haben überall mit Nachwuchsproblemen bei Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen zu kämpfen. Es wird eine große Aufgabe für die Verbände, die Schiedsrichtertätigkeit auch zukünftig attraktiv zu gestalten.”
Als Hauptproblem sieht auch die 43-Jährige das schlechte Image der Referees, das durch die Anfeindungen in den sozialen Medien angefacht wird. “In England gibt es seit 2020 einen Fachbereich im Fußballverband, der sich mit ‘online abuse’ [Online-Missbrauch – Anm. d. Red.] beschäftigt und die Einführung neuer Gesetze forciert. Dieses Engagement ist durchaus erfolgreich und sollte als Vorbild für andere Verbände gelten”, findet Steinhaus-Webb, die seit mehr als einem Jahr bei der englischen Schiedsrichtervereinigung “Professional Game Match Official Limited” (PGMOL) als Direktorin für die Frauen-Abteilung arbeitet.
Im Rahmen der “Online abuse”-Initiative wird versucht, die Täter hinter anonymen Accounts in den Sozialen Medien zu ermitteln und für ihre diffamierenden Beiträge verantwortlich zu machen. “Diese Beleidigungen müssen verfolgt und bestraft werden können. Niemand würde derlei Beleidigungen auf der Straße akzeptieren, warum sollen also identische Aussagen im Netz akzeptabel sein?”, fragt Steinhaus-Webb.
Gerade mit Blick auf den Nachwuchs sei das Vorgehen gegen Übeltäter im Netz unabdingbar, insbesondere im Mädchenfußball. “Wir haben in England mit der Frauen-EM 2022 eine riesige Entwicklung im Frauenfußball. Die EM wurde gut genutzt, um weiblichen Schiri-Nachwuchs anzuwerben. Am Rande der Spiele fanden Werbeaktionen statt, über die eine erhebliche Anzahl an neuen Bewerberinnen gefunden wurden”, berichtet die frühere Bundesliga-Schiedsrichterin.
Dass man Beleidigungen im Netz nicht tatenlos hinnehmen muss, hat der australische Fußball bewiesen. Die Profiligen der Frauen und Männer sowie die Spielergewerkschaft setzen seit Anfang des Jahres eine neue Software für künstliche Intelligenz ein, um rassistische, homophobe, sexistische und andere schädliche Kommentare automatisch herauszufiltern und zu entfernen.
Wie wichtig die Beschäftigung mit Regelverstößen in den sozialen Medien auch in Deutschland ist, zeigen Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2021. Danach nutzen 78 Prozent in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren soziale Medien. Zunehmend suchen sie in Instagram, Tik Tok und Co. nach für sie persönlich relevanten Informationen.
Das gilt auch für junge Menschen, die eine Karriere als Schiedsrichterin oder Schiedsrichter in Erwägung ziehen. Für Lutz-Michael Fröhlich ist klar: “Solange Unparteiische – egal ob auf Amateurebene oder in den Spitzenligen – andauernd online kritisiert und teils sogar beschimpft werden, bleibt es schwierig, junge Menschen für dieses Ehrenamt zu begeistern und sie zu motivieren.”
Felix Zwayer hat ihn erlebt, den Hass in den sozialen Medien. Ihn traf es in der vergangenen Saison, nachdem er den Bundesliga-Hit zwischen Borussia Dortmund und Bayern München als Schiedsrichter geleitet hatte. Eine umstrittene Elfmeter-Entscheidung hatten für Diskussionen gesorgt, zudem hatte der Dortmunder Profi Jude Bellingham mit einer Anspielung auf den deutschen Fußball-Wettskandal von 2005 Zwayer indirekt Bestechlichkeit vorgeworfen. Der 41 Jahre alte Unparteiische ist zwar selbst nicht in den sozialen Medien aktiv. Doch Zwayer erhielt anonyme Hass-Mails, im Internet kursierte nach Polizeiangaben sogar eine Morddrohung.
Das ist kein Einzelfall. Schiedsrichter werden im Internet immer häufiger zur Zielscheibe von Anfeindungen. Die Möglichkeit, dort offen zu diskutieren, wird von oft anonymen “Trollen” missbraucht, um hemmungslos verbal anzugreifen und oftmals auch zu beleidigen. Folge: Das deutsche Schiedsrichterwesen hat mit einem spürbaren Rückgang von Nachwuchs-Referees zu kämpfen.
Amateurspiele bald ohne Unparteiische?
“Als ich 1994 begann, hatten wir rund 80.000 Schiedsrichter in Deutschland. Heute sind es noch etwa die Hälfte”, sagt Zwayer. “Wie sollen wir junge Leute gewinnen, wenn in sozialen Medien Wochenende für Wochenende ohne Objektivität volles Brett über Schiedsrichter hergezogen wird? Das ist wenig sexy. Darauf haben die jungen Leute keinen Bock.” Die Hemmschwelle, Schiedsrichter zu werden, sei durch die Diskussionen im Netz “enorm hoch” geworden, so Zwayer.
Für Lutz-Michael Fröhlich, ehemals Bundesliga-Schiedsrichter und heute Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH, hat seine Branche ein massives Image-Problem: “Im Zweifel sind die Schiedsrichter schuld”, sagt Fröhlich der DW. “Der Schiedsrichter als Spielverderber – das ist die allgemeine Wahrnehmung. Es fehlen Rückendeckung und Wertschätzung für den Einsatz und die Leistung.”
Fröhlich fordert Spieler und Trainer auf, öffentlich auch einmal positive Kommentare über die Referees abzugeben. Was im Profifußball vorgelebt werde, finde Nachahmer: “Was wir sonntags in der Kreisliga oder bei der Jugend sehen, ist oft ein Spiegelbild dessen, was in der Bundesliga passiert.” Die Lage an der Basis sei dramatisch. “Wenn die Spirale bei den Schiedsrichterzahlen immer weiter abwärts geht, werden bald viele Spiele im Amateur- und Jugendbereich ohne Unparteiische stattfinden müssen.”
Das Problem macht nicht vor Ländergrenzen halt. “Der Schiedsrichter-Rückgang ist kein exklusives deutsches Problem”, sagt Bibiana Steinhaus-Webb der DW. Die ehemalige Unparteiische, die 2017 als erste Frau Spiele in der deutschen Männer-Bundesliga leitete, sieht einen mindestens europaweiten Trend: “Wir haben überall mit Nachwuchsproblemen bei Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen zu kämpfen. Es wird eine große Aufgabe für die Verbände, die Schiedsrichtertätigkeit auch zukünftig attraktiv zu gestalten.”
Steinhaus: “Beleidigungen müssen verfolgt werden können”
Als Hauptproblem sieht auch die 43-Jährige das schlechte Image der Referees, das durch die Anfeindungen in den sozialen Medien angefacht wird. “In England gibt es seit 2020 einen Fachbereich im Fußballverband, der sich mit ‘online abuse’ [Online-Missbrauch – Anm. d. Red.] beschäftigt und die Einführung neuer Gesetze forciert. Dieses Engagement ist durchaus erfolgreich und sollte als Vorbild für andere Verbände gelten”, findet Steinhaus-Webb, die seit mehr als einem Jahr bei der englischen Schiedsrichtervereinigung “Professional Game Match Official Limited” (PGMOL) als Direktorin für die Frauen-Abteilung arbeitet.
Australien: Künstliche Intelligenz hilft
Im Rahmen der “Online abuse”-Initiative wird versucht, die Täter hinter anonymen Accounts in den Sozialen Medien zu ermitteln und für ihre diffamierenden Beiträge verantwortlich zu machen. “Diese Beleidigungen müssen verfolgt und bestraft werden können. Niemand würde derlei Beleidigungen auf der Straße akzeptieren, warum sollen also identische Aussagen im Netz akzeptabel sein?”, fragt Steinhaus-Webb.
Gerade mit Blick auf den Nachwuchs sei das Vorgehen gegen Übeltäter im Netz unabdingbar, insbesondere im Mädchenfußball. “Wir haben in England mit der Frauen-EM 2022 eine riesige Entwicklung im Frauenfußball. Die EM wurde gut genutzt, um weiblichen Schiri-Nachwuchs anzuwerben. Am Rande der Spiele fanden Werbeaktionen statt, über die eine erhebliche Anzahl an neuen Bewerberinnen gefunden wurden”, berichtet die frühere Bundesliga-Schiedsrichterin.
Dass man Beleidigungen im Netz nicht tatenlos hinnehmen muss, hat der australische Fußball bewiesen. Die Profiligen der Frauen und Männer sowie die Spielergewerkschaft setzen seit Anfang des Jahres eine neue Software für künstliche Intelligenz ein, um rassistische, homophobe, sexistische und andere schädliche Kommentare automatisch herauszufiltern und zu entfernen.
Wie wichtig die Beschäftigung mit Regelverstößen in den sozialen Medien auch in Deutschland ist, zeigen Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2021. Danach nutzen 78 Prozent in der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren soziale Medien. Zunehmend suchen sie in Instagram, Tik Tok und Co. nach für sie persönlich relevanten Informationen.
Das gilt auch für junge Menschen, die eine Karriere als Schiedsrichterin oder Schiedsrichter in Erwägung ziehen. Für Lutz-Michael Fröhlich ist klar: “Solange Unparteiische – egal ob auf Amateurebene oder in den Spitzenligen – andauernd online kritisiert und teils sogar beschimpft werden, bleibt es schwierig, junge Menschen für dieses Ehrenamt zu begeistern und sie zu motivieren.”