Grubenunglück in der Türkei: Kismet statt Arbeitsschutz
Während die Menschen in der Türkei den Opfern eines Grubenunglücks in Bartın gedenken, spricht die Regierung von “Schicksal”. Weder ein solches Unglück noch der Umgang der Regierung damit kommt wirklich überraschend.
“Manche mögen sich zwar darüber amüsieren, aber wir sind Menschen, die an den Plan des Schicksals glauben. Solche Dinge werden immer passieren, das müssen wir auch im Hinterkopf behalten.” Mit diesen Worten reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf das Grubenunglück in der nordtürkischen Stadt Bartın, bei dem am 14.10.2022 41 Bergarbeiter ums Leben gekommen sind. Fünf Verletzte befinden sich noch immer in Lebensgefahr. Die Regierung hat die Verstorbenen als “Minen-Märtyrer” bezeichnet. “Märtyrertum” ist eine oft in Anspruch genommene Begrifflichkeit aus dem kommunikativen Werkzeugkasten der türkischen Regierung, um dem Tod eine Art übersinnliche Bedeutung zukommen zu lassen.
Die Herangehensweise der Regierung ruft in der türkischen Gesellschaft sowie bei der Opposition Kritik hervor. Dem Staat wird vor allem vorgeworfen, nicht genug präventive Maßnahmen gegen solche Unfälle ergriffen zu haben. Der ehemalige Vertraute und jetzige Gegner Erdoğans, der frühere Außen- und Finanzminister Ali Babacan, hat die Regierung mit den folgenden Worten kritisiert: “Wir glauben auch ans Schicksal. Aber zuerst kommt, was für Maßnahmen Sie ergriffen haben, und erst danach kommt Gottes Urteil.”
“Manche mögen sich zwar darüber amüsieren, aber wir sind Menschen, die an den Plan des Schicksals glauben. Solche Dinge werden immer passieren, das müssen wir auch im Hinterkopf behalten.” Mit diesen Worten reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf das Grubenunglück in der nordtürkischen Stadt Bartın, bei dem am 14.10.2022 41 Bergarbeiter ums Leben gekommen sind. Fünf Verletzte befinden sich noch immer in Lebensgefahr. Die Regierung hat die Verstorbenen als “Minen-Märtyrer” bezeichnet. “Märtyrertum” ist eine oft in Anspruch genommene Begrifflichkeit aus dem kommunikativen Werkzeugkasten der türkischen Regierung, um dem Tod eine Art übersinnliche Bedeutung zukommen zu lassen.
Weder ein solches Unglück noch eine derartige Reaktion seitens der AKP-Regierung sind zum ersten Mal zu beobachten. Ähnlich hatte sich Erdoğan auch vor acht Jahren geäußert, als in Soma 301 Menschen bei einem Grubenunglück ums Leben gekommen waren: “Solche Dinge passieren immer wieder, es gehört einfach zur Natur dieses Berufs.” Er wies auf die Regelmäßigkeit solcher Unfälle im Bergbaubereich seit dem 19. Jahrhundert hin. Schon damals wurden ihm die Verharmlosung des Unglückes und schwere Versäumnisse auf Entscheidungsträgerebene vorgeworfen.
Altbekannte Beschwichtigungen
Experten zufolge ist das Unglück in Bartın tatsächlich kein Einzelfall, sondern deutet auf ein allgemeines Problem im türkischen Bergbau hin. Laut den Daten der Türkischen Kohlegesellschaft (TTK) gab es alleine im vergangenen Jahr 208 Arbeitsunfälle. Das Netzwerk für Arbeitergesundheit und Arbeitssicherheit (ISIG) berichtet, dass seit 2002 mindestens 1989 Bergbauarbeiter am Arbeitsplatz ums Leben gekommen seien.
Ein wichtiger Grund für die wiederkehrenden Unfälle sei bei diesen Fällen die Straflosigkeit für die Mitarbeiter im Dienst des Staates, so die Istanbuler Rechtsanwältin Berrin Demir. Demir ist spezialisiert auf die juristische Aufklärung tödlicher Unfälle am Arbeitsplatz. Im Gespräch mit der DW sagt sie, dass in der Türkei ein “Klima der Straflosigkeit” herrsche und es keine effiziente Belangung derjenigen Beamten gebe, die für die Arbeitssicherheit zuständig seien. “Ansonsten wären Dinge wie der Vorfall in Bartın oder andere tödliche Unfälle am Arbeitsplatz nicht vorgekommen”, so Demir. “In 99 Prozent der Fälle werden die Beamten nicht belangt. Es kommt einfach nie vor, dass diejenigen, die für die Unfälle verantwortlich sind, auch zur Rechenschaft gezogen werden.”
Eigentlich ist die TTK die zuständige Stelle, um notwendige Maßnahmen für die Arbeitssicherheit zu ergreifen. Der Bergbaubetrieb in Bartın, in dem das Unglück vorkam, ist ebenfalls der TTK untergeordnet.
Der Gewerkschafter Kemal Kartal weist darauf hin, dass die Anzahl der Arbeiter im Bartın-Betrieb mittlerweile von über 5.000 auf 400 reduziert wurde. Die Arbeiter sind mittlerweile völlig überlastet. Man zwinge die reduzierte Anzahl der Mitarbeiter zur Erledigung viel zu vieler Aufgaben. Der Personalmangel wirke nicht nur auf die Qualität der Leistung aus, sondern auch auf die Arbeitssicherheit. Außerdem spare man an den Maßnahmen, die ergriffen werden müssten. “Der TTK-Geschäftsführer und seine Mitmanager wissen ganz genau, was für Probleme Bergbaubetriebe haben und was diese Arbeitsplatzreduzierung bedeutet. Sie wissen ganz genau, wie sich das dann auf die Gesundheit der Arbeiter und Arbeitssicherheit auswirkt.”
Das Problem läge aber darin, dass die Kohlegesellschaft der Regierung gehorche, so der Gründer und Vorsitzender der Gewerkschaft Enerji-Sen: “Die TTK-Geschäftsführung verhält sich in Übereinstimmung mit den Anweisungen der Regierung. Dass die Gesundheit der Arbeiter und die Arbeitssicherheit mit Kosten verbunden sind, spielt leider auch eine Rolle.”
Kartal macht auf die große Zahl an Unfällen aufmerksam, über die sich die türkische Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren empören musste: “Solange dieses System aufrechterhalten bleibt, solange keine Maßnahmen ergriffen werden, solange die Arbeitssicherheit von den von der Regierung ernannten Bürokraten nur als Kostenfaktor gesehen wird, solange die Hauptstrategie bleibt, den Privatsektor zu füttern – so lange werden diese tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz weiterhin passieren.”
Mitarbeit: Pelin Ünker
“Manche mögen sich zwar darüber amüsieren, aber wir sind Menschen, die an den Plan des Schicksals glauben. Solche Dinge werden immer passieren, das müssen wir auch im Hinterkopf behalten.” Mit diesen Worten reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf das Grubenunglück in der nordtürkischen Stadt Bartın, bei dem am 14.10.2022 41 Bergarbeiter ums Leben gekommen sind. Fünf Verletzte befinden sich noch immer in Lebensgefahr. Die Regierung hat die Verstorbenen als “Minen-Märtyrer” bezeichnet. “Märtyrertum” ist eine oft in Anspruch genommene Begrifflichkeit aus dem kommunikativen Werkzeugkasten der türkischen Regierung, um dem Tod eine Art übersinnliche Bedeutung zukommen zu lassen.
Die Herangehensweise der Regierung ruft in der türkischen Gesellschaft sowie bei der Opposition Kritik hervor. Dem Staat wird vor allem vorgeworfen, nicht genug präventive Maßnahmen gegen solche Unfälle ergriffen zu haben. Der ehemalige Vertraute und jetzige Gegner Erdoğans, der frühere Außen- und Finanzminister Ali Babacan, hat die Regierung mit den folgenden Worten kritisiert: “Wir glauben auch ans Schicksal. Aber zuerst kommt, was für Maßnahmen Sie ergriffen haben, und erst danach kommt Gottes Urteil.”
Altbekannte Beschwichtigungen
Weder ein solches Unglück noch eine derartige Reaktion seitens der AKP-Regierung sind zum ersten Mal zu beobachten. Ähnlich hatte sich Erdoğan auch vor acht Jahren geäußert, als in Soma 301 Menschen bei einem Grubenunglück ums Leben gekommen waren: “Solche Dinge passieren immer wieder, es gehört einfach zur Natur dieses Berufs.” Er wies auf die Regelmäßigkeit solcher Unfälle im Bergbaubereich seit dem 19. Jahrhundert hin. Schon damals wurden ihm die Verharmlosung des Unglückes und schwere Versäumnisse auf Entscheidungsträgerebene vorgeworfen.
Experten zufolge ist das Unglück in Bartın tatsächlich kein Einzelfall, sondern deutet auf ein allgemeines Problem im türkischen Bergbau hin. Laut den Daten der Türkischen Kohlegesellschaft (TTK) gab es alleine im vergangenen Jahr 208 Arbeitsunfälle. Das Netzwerk für Arbeitergesundheit und Arbeitssicherheit (ISIG) berichtet, dass seit 2002 mindestens 1989 Bergbauarbeiter am Arbeitsplatz ums Leben gekommen seien.
Ein wichtiger Grund für die wiederkehrenden Unfälle sei bei diesen Fällen die Straflosigkeit für die Mitarbeiter im Dienst des Staates, so die Istanbuler Rechtsanwältin Berrin Demir. Demir ist spezialisiert auf die juristische Aufklärung tödlicher Unfälle am Arbeitsplatz. Im Gespräch mit der DW sagt sie, dass in der Türkei ein “Klima der Straflosigkeit” herrsche und es keine effiziente Belangung derjenigen Beamten gebe, die für die Arbeitssicherheit zuständig seien. “Ansonsten wären Dinge wie der Vorfall in Bartın oder andere tödliche Unfälle am Arbeitsplatz nicht vorgekommen”, so Demir. “In 99 Prozent der Fälle werden die Beamten nicht belangt. Es kommt einfach nie vor, dass diejenigen, die für die Unfälle verantwortlich sind, auch zur Rechenschaft gezogen werden.”
Eigentlich ist die TTK die zuständige Stelle, um notwendige Maßnahmen für die Arbeitssicherheit zu ergreifen. Der Bergbaubetrieb in Bartın, in dem das Unglück vorkam, ist ebenfalls der TTK untergeordnet.
In der Türkei herrscht ein “Klima der Straflosigkeit”
Der Gewerkschafter Kemal Kartal weist darauf hin, dass die Anzahl der Arbeiter im Bartın-Betrieb mittlerweile von über 5.000 auf 400 reduziert wurde. Die Arbeiter sind mittlerweile völlig überlastet. Man zwinge die reduzierte Anzahl der Mitarbeiter zur Erledigung viel zu vieler Aufgaben. Der Personalmangel wirke nicht nur auf die Qualität der Leistung aus, sondern auch auf die Arbeitssicherheit. Außerdem spare man an den Maßnahmen, die ergriffen werden müssten. “Der TTK-Geschäftsführer und seine Mitmanager wissen ganz genau, was für Probleme Bergbaubetriebe haben und was diese Arbeitsplatzreduzierung bedeutet. Sie wissen ganz genau, wie sich das dann auf die Gesundheit der Arbeiter und Arbeitssicherheit auswirkt.”
Arbeitssicherheit als Kostenfaktor
Das Problem läge aber darin, dass die Kohlegesellschaft der Regierung gehorche, so der Gründer und Vorsitzender der Gewerkschaft Enerji-Sen: “Die TTK-Geschäftsführung verhält sich in Übereinstimmung mit den Anweisungen der Regierung. Dass die Gesundheit der Arbeiter und die Arbeitssicherheit mit Kosten verbunden sind, spielt leider auch eine Rolle.”
Kartal macht auf die große Zahl an Unfällen aufmerksam, über die sich die türkische Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren empören musste: “Solange dieses System aufrechterhalten bleibt, solange keine Maßnahmen ergriffen werden, solange die Arbeitssicherheit von den von der Regierung ernannten Bürokraten nur als Kostenfaktor gesehen wird, solange die Hauptstrategie bleibt, den Privatsektor zu füttern – so lange werden diese tödlichen Unfälle am Arbeitsplatz weiterhin passieren.”
Mitarbeit: Pelin Ünker