Französischer Jahrhundertkünstler Pierre Soulages ist tot
Der “Maler des Schwarz und des Lichts” wurde 102 Jahre alt. Mit ihm stirbt nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein Zeitzeuge französischer Geschichte. Bis zuletzt arbeitete er noch in seinem Atelier.
Dieser Maler war ein Stück wandelnde Zeitgeschichte. Pierre Soulages, 1919 im südfranzösischen Rodez geboren, kannte alle Staatspräsidenten der französischen Republik – von Charles de Gaulle über François Mitterrand bis hin zu Emmanuel Macron. Georges Pompidou ernannte ihn zum Ritter; François Hollande verlieh ihm das Kreuz der Ehrenlegion. General de Gaulle, der von 1944 bis 1946 Präsident der provisorischen Regierung Frankreichs war, soll ihm bei einer Begegnung kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben, die französische Malerei sei “krank”. Pierre Soulages antwortete ihm im Jargon des Militärs, nein, sie sei nicht “krank”, sie würde nur gerade “attackiert”. Und einer der Verteidiger sei er selbst, Pierre Soulages.
Pierre Soulages gehörte zu einer Generation von Künstlern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die abstrakte Malerei neu erfunden hat. Anfangs versuchte er – genauso wie die Künstler des Informel in Deutschland -, einen Weg zu finden, wieder zu malen und an die Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzuknüpfen.
Dieser Maler war ein Stück wandelnde Zeitgeschichte. Pierre Soulages, 1919 im südfranzösischen Rodez geboren, kannte alle Staatspräsidenten der französischen Republik – von Charles de Gaulle über François Mitterrand bis hin zu Emmanuel Macron. Georges Pompidou ernannte ihn zum Ritter; François Hollande verlieh ihm das Kreuz der Ehrenlegion. General de Gaulle, der von 1944 bis 1946 Präsident der provisorischen Regierung Frankreichs war, soll ihm bei einer Begegnung kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben, die französische Malerei sei “krank”. Pierre Soulages antwortete ihm im Jargon des Militärs, nein, sie sei nicht “krank”, sie würde nur gerade “attackiert”. Und einer der Verteidiger sei er selbst, Pierre Soulages.
Dazu gehörte ein radikaler Bruch mit der gegenständlichen Malerei. Seit seiner ersten Ausstellung im Jahr 1947, damals ist er 27 Jahre alt, verwendete Soulages die Farbe Schwarz. Eine Farbe, die streng genommen gar keine Farbe ist. Die figurative Malerei ist von Nationalsozialisten in großen Teilen vereinnahmt worden. Die neuen Maler wollten eine Tabula Rasa, einen radikalen Neuanfang. Soulages verabschiedete sich vom Gegenstand. Er legte die Leinwand auf den Boden, um stehend, mit großer Geste, Farbe aufzutragen. So entstanden abstrakte Figuren. Schichten, die sich überlagerten, wurden wieder abgeschabt. 1955 nahm er an der ersten documenta in Kassel teil, seine ersten Retrospektiven in internationalen Museen fanden bereits in den 1960er-Jahren statt.
Erneuerer der Malerei
Soulages wählte seinen eigenen Weg in die Abstraktion, was sich auch in der Wahl der Materialien, die er verwendete, zeigte: Walnussbeize – nach dem Krieg leichter zu bekommen und auch billiger als Ölfarbe – sowie Teer. Aber auch in seinen Werkzeugen, wie Rakeln und Schabern, mit denen er seine Werke bearbeitete, zeigte sich, dass er sich vom klassischen Tafelbild verabschiedet hatte. Die Gemälde tragen keine Titel.
Soulages benannte sie nach der verwendeten Technik, Abmessungen und Ausführungsdatum. Nichts sollte die unschuldige Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen. Bereits 1948 schrieb er: “Ein Gemälde ist ein organisiertes Ganzes, ein Ensemble von Formen (Linien, farbige Flächen), auf denen unsere Interpretationen entstehen und auseinander fallen.”
Pierre Soulages’ düstere Leinwände wurden schnell von New York über London bis Paris gefeiert. 1979, als er bereits seit mehr als 30 Jahre malt, begann über Nacht eine neue Phase: eine ganz andere Art von Malerei, die er “Outrenoir” taufte – “jenseits von Schwarz” oder “Überschwarz”. Der Zufall half ihm dabei, sich noch einmal komplett neu zu orientieren. Als er eines Tages an einem Gemälde arbeitete, stimmte etwas nicht. Soulages trug die Farbe dicker und dicker auf, bis die gesamte Leinwand von Schwarz bedeckt war.
Das Scheitern entwickelte sich für Soulages zu einem Glücksmoment. Ihm fiel auf, dass das Schwarz auf der Leinwand nicht einfach nur schwarz ist, es reflektiert das Licht auf so vielfältige Weise, dass er beschloss, nicht mehr zu seiner alten Technik zurückzukehren. Seitdem arbeitete er am “Outrenoir”. Im Gegensatz zu einem monochromen Werk sind es “die Unterschiede der Texturen, glatt, faserig, ruhig, angespannt oder aufgeregt, die beim Einfangen oder Blockieren des Lichts die grauen Schwarztöne und tiefen Schwarztöne hervorheben”, sagte er im Interview mit dem Louvre anlässlich einer großen Retrospektive zu seinem 100. Geburtstag.
Warum schwarz? Soulages musste in den langen Jahren seines Schaffens schon häufig diese Frage beantworten. “Ich male nicht mit Schwarz, sondern mit dem Licht”, sagt er in einem Interview mit dem deutsch-französischen Fernsehkanal ARTE. Damals, 1979, sei ihm schlagartig die Bedeutung des Betrachters klar geworden, in dessen Blick sich das Bild erst vollendet.
Doch einen gewissen “Schwarz-Tick” scheint Soulages schon von klein auf gehabt zu haben. Als Kind malte er ein Bild mit schwarzer Tinte und nannte es eine Schneelandschaft. Als seine Schwester ihn auslachte, antwortet er, dass er das Schwarz nur verwendet habe, um das Weiß besser zum Vorschein zu bringen. Und: Schwarz spielte auch eine Rolle bei seiner Hochzeit. Als er 1942 seine Frau Colette heiratete, trugen Braut und Bräutigam bei der Zeremonie, die um Mitternacht in der Kirche Saint Louis in Sète stattfand, schwarz.
1992 erhielt Soulages den Praemium Imperiale für sein Lebenswerk, an dem er bis zuletzt weiterarbeitete. Über den Tod mache er sich keine Gedanken, sagte er mal im Interview mit einer französischen Tageszeitung. “Je me fous de ma mort, tant que mes toiles vivent”, mit anderen Worten: Ihm sei sein Tod scheißegal, solange seine Gemälde weiterlebten. Nun ist Pierre Soulages im Alter von 102 Jahren verstorben.
Bei dem Nachruf handelt es sich um ein aktualisiertes Porträt aus dem Jahre 2020.
Dieser Maler war ein Stück wandelnde Zeitgeschichte. Pierre Soulages, 1919 im südfranzösischen Rodez geboren, kannte alle Staatspräsidenten der französischen Republik – von Charles de Gaulle über François Mitterrand bis hin zu Emmanuel Macron. Georges Pompidou ernannte ihn zum Ritter; François Hollande verlieh ihm das Kreuz der Ehrenlegion. General de Gaulle, der von 1944 bis 1946 Präsident der provisorischen Regierung Frankreichs war, soll ihm bei einer Begegnung kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben, die französische Malerei sei “krank”. Pierre Soulages antwortete ihm im Jargon des Militärs, nein, sie sei nicht “krank”, sie würde nur gerade “attackiert”. Und einer der Verteidiger sei er selbst, Pierre Soulages.
Pierre Soulages gehörte zu einer Generation von Künstlern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die abstrakte Malerei neu erfunden hat. Anfangs versuchte er – genauso wie die Künstler des Informel in Deutschland -, einen Weg zu finden, wieder zu malen und an die Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzuknüpfen.
Erneuerer der Malerei
Dazu gehörte ein radikaler Bruch mit der gegenständlichen Malerei. Seit seiner ersten Ausstellung im Jahr 1947, damals ist er 27 Jahre alt, verwendete Soulages die Farbe Schwarz. Eine Farbe, die streng genommen gar keine Farbe ist. Die figurative Malerei ist von Nationalsozialisten in großen Teilen vereinnahmt worden. Die neuen Maler wollten eine Tabula Rasa, einen radikalen Neuanfang. Soulages verabschiedete sich vom Gegenstand. Er legte die Leinwand auf den Boden, um stehend, mit großer Geste, Farbe aufzutragen. So entstanden abstrakte Figuren. Schichten, die sich überlagerten, wurden wieder abgeschabt. 1955 nahm er an der ersten documenta in Kassel teil, seine ersten Retrospektiven in internationalen Museen fanden bereits in den 1960er-Jahren statt.
Soulages wählte seinen eigenen Weg in die Abstraktion, was sich auch in der Wahl der Materialien, die er verwendete, zeigte: Walnussbeize – nach dem Krieg leichter zu bekommen und auch billiger als Ölfarbe – sowie Teer. Aber auch in seinen Werkzeugen, wie Rakeln und Schabern, mit denen er seine Werke bearbeitete, zeigte sich, dass er sich vom klassischen Tafelbild verabschiedet hatte. Die Gemälde tragen keine Titel.
Soulages benannte sie nach der verwendeten Technik, Abmessungen und Ausführungsdatum. Nichts sollte die unschuldige Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen. Bereits 1948 schrieb er: “Ein Gemälde ist ein organisiertes Ganzes, ein Ensemble von Formen (Linien, farbige Flächen), auf denen unsere Interpretationen entstehen und auseinander fallen.”
Pierre Soulages’ düstere Leinwände wurden schnell von New York über London bis Paris gefeiert. 1979, als er bereits seit mehr als 30 Jahre malt, begann über Nacht eine neue Phase: eine ganz andere Art von Malerei, die er “Outrenoir” taufte – “jenseits von Schwarz” oder “Überschwarz”. Der Zufall half ihm dabei, sich noch einmal komplett neu zu orientieren. Als er eines Tages an einem Gemälde arbeitete, stimmte etwas nicht. Soulages trug die Farbe dicker und dicker auf, bis die gesamte Leinwand von Schwarz bedeckt war.
Eigener Weg in die Abstraktion
Das Scheitern entwickelte sich für Soulages zu einem Glücksmoment. Ihm fiel auf, dass das Schwarz auf der Leinwand nicht einfach nur schwarz ist, es reflektiert das Licht auf so vielfältige Weise, dass er beschloss, nicht mehr zu seiner alten Technik zurückzukehren. Seitdem arbeitete er am “Outrenoir”. Im Gegensatz zu einem monochromen Werk sind es “die Unterschiede der Texturen, glatt, faserig, ruhig, angespannt oder aufgeregt, die beim Einfangen oder Blockieren des Lichts die grauen Schwarztöne und tiefen Schwarztöne hervorheben”, sagte er im Interview mit dem Louvre anlässlich einer großen Retrospektive zu seinem 100. Geburtstag.
Pierre Soulages hatte eine Vorliebe für Schwarz
Warum schwarz? Soulages musste in den langen Jahren seines Schaffens schon häufig diese Frage beantworten. “Ich male nicht mit Schwarz, sondern mit dem Licht”, sagt er in einem Interview mit dem deutsch-französischen Fernsehkanal ARTE. Damals, 1979, sei ihm schlagartig die Bedeutung des Betrachters klar geworden, in dessen Blick sich das Bild erst vollendet.
Doch einen gewissen “Schwarz-Tick” scheint Soulages schon von klein auf gehabt zu haben. Als Kind malte er ein Bild mit schwarzer Tinte und nannte es eine Schneelandschaft. Als seine Schwester ihn auslachte, antwortet er, dass er das Schwarz nur verwendet habe, um das Weiß besser zum Vorschein zu bringen. Und: Schwarz spielte auch eine Rolle bei seiner Hochzeit. Als er 1942 seine Frau Colette heiratete, trugen Braut und Bräutigam bei der Zeremonie, die um Mitternacht in der Kirche Saint Louis in Sète stattfand, schwarz.
1992 erhielt Soulages den Praemium Imperiale für sein Lebenswerk, an dem er bis zuletzt weiterarbeitete. Über den Tod mache er sich keine Gedanken, sagte er mal im Interview mit einer französischen Tageszeitung. “Je me fous de ma mort, tant que mes toiles vivent”, mit anderen Worten: Ihm sei sein Tod scheißegal, solange seine Gemälde weiterlebten. Nun ist Pierre Soulages im Alter von 102 Jahren verstorben.
Malen mit dem Licht
Bei dem Nachruf handelt es sich um ein aktualisiertes Porträt aus dem Jahre 2020.