Iran: “Aufstand gegen systematische Demütigung”
Bei den Protesten im Iran sind Frauen die treibende Kraft. Sie träumen von einem selbstbestimmten Leben und kämpfen um ihre Würde.
Donya Rad saß elf Tage lang im Gefängnis. Sie hatte etwas zu tun gewagt, von dem viele iranische Frauen jeden Tag träumen: In Alltagskleidung ausgehen, unbeschwert in einem Café sitzen und ein Spiegelei bestellen. Vor einem Monat postete Donya Rad ein Foto (unten) von sich und ihrer Schwester in einem Café im traditionell religiöser geprägten und ärmeren Stadtteil Javadieh im Süden Teherans. Mit dem angefügten Text: “Während der Arbeit haben wir eine kurze Pause eingelegt, um zu frühstücken.”
Einen Tag später schrieb ihre Schwerster auf Twitter, dass Donya Rad verhaftet worden sei.
Donya Rad saß elf Tage lang im Gefängnis. Sie hatte etwas zu tun gewagt, von dem viele iranische Frauen jeden Tag träumen: In Alltagskleidung ausgehen, unbeschwert in einem Café sitzen und ein Spiegelei bestellen. Vor einem Monat postete Donya Rad ein Foto (unten) von sich und ihrer Schwester in einem Café im traditionell religiöser geprägten und ärmeren Stadtteil Javadieh im Süden Teherans. Mit dem angefügten Text: “Während der Arbeit haben wir eine kurze Pause eingelegt, um zu frühstücken.”
“Es mag für euch lächerlich klingen, aber alles, was wir wollen, ist ein einfaches normales Leben”, sagt die 21-jährige Studentin Maryam (Name geändert) aus Teheran im Gespräch mit der DW. “Mein Traum ist es, mit Alltagskleidung in die Uni gehen zu können, mit meinen Freunden und Freundinnen ausgehen, lachen und fröhlich sein zu dürfen, ohne permanent Angst vor einer Verhaftung haben zu müssen.”
Kampf für minimale und grundlegende Rechte
Bei den Protesten seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam gelten Frauen als die treibende Kraft. Die systematische Demütigung der Frauen und die daraus resultierende Wut spielen bei ihrer Mobilisierung eine wichtige Rolle. “Diese Wut eint iranische Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft”, bestätigt die iranische Schriftstellerin und Aktivistin Shadi Amin gegenüber der DW.
Shadi Amin lebt in Deutschland und setzt sich für die Rechte von LGBTQ und anderen Minderheiten im Iran ein. “Iranische Frauen kämpfen für minimale und grundlegende Rechte. Die Staatsmacht bestimmt nicht nur, wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Sie entrechtet die weiblichen Bürger seit mehr 40 Jahren systematisch. Sie werden aufgrund der Scharia, dem islamischen Gesetz, entrechtet und müssen sich unterordnen. Aber selbst, wenn sie sich allen Vorschriften und Gesetzen anpassen, zum Beispiel jeden Tag überall Kopftuch zu tragen, leben sie in der Gefahr, so wie Jina Mahsa Amini verhaftet und zu Tode geprügelt zu werden.”
Die Polizei bestreitet, für den Tod der 22-Jährigen verantwortlich zu sein. Wer das nicht glaubt und sich den friedlichen Protesten auf den Straßen anschließt, läuft Gefahr, von den Sicherheitskräften erschossen zu werden. So wie die 32-jährige Ghazaleh Chalabi. Vor einer Woche tauchte ein Video im Netz auf, das Ghazaleh am 21. September mit ihrem Handy bei einer Demonstration in ihrer Heimatstadt Amol im Nordiran aufgenommen hatte. Bei der 20. Sekunde des Videos hört man sie noch rufen: “Habt keine Angst, wir sind alle zusammen”, dann wird sie erschossen. Ihr Handy fällt zu Boden und nimmt weiter Bilder von schockierten Demonstranten auf, die schreien und sie fragen, ob sie noch lebt.
“Die Brutalität der Sicherheitskräfte ist den Frauen bewusst”, sagt Shadi Amin. “Trotzdem gehen sie auf die Straße und protestieren. Sie wissen, dass sie keine gute Zukunft haben werden, wenn das politische System so fortbesteht. Sie sind gebildet, gut informiert. Sie nehmen die Ungleichheit nicht als selbstverständlich hin.” Laut offiziellen Angaben sind 60 Prozent der Studierenden im Iran weiblich. Der Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt beträgt aber nur 15 Prozent.
Die Frauen sind wütend, weil sie trotz aller Anstrengungen kaum eine Chance auf ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben haben. So wie die auf der Scharia fußenden Gesetze jede Frau zu einem unmündigen Staatsbürger und alle wichtigen Entscheidungen in ihrem Leben von der Gnade der Väter oder Ehemänner abhängig macht, wird sie systematisch aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt.
Das zeigt auch eine aktuelle Studie der Stiftung Weltwirtschaftsforum (WEF). Im “Gender-Gap-Report 2022” steht das Land im internationalen Vergleich auf Platz 143 von146.
Das WEF betrachtet die Bereiche Wirtschaft, Bildung, Gesundheit sowie Politik und analysiert dort die Gleichstellung der Geschlechter. Vor allem die politische Teilhabe von Frauen spielt eine wichtige Rolle bei der Platzierung. So wurde etwa Deutschland wegen der wachsenden Teilhabe von Frauen in der Politik einen Rang hochgestuft auf Platz zehn.
In der Islamischen Republik Iran aber gibt es für Frauen keinen Platz in den Machtstrukturen. Religiöse Führer können sie nicht werden. Für das Präsidentenamt dürfen sie nicht kandidieren. Aus der Judikative sind sie ausgeschlossen. Den wichtigen Gremien wie dem Experten-, dem Wächter- oder dem Schlichterrat dürfen Frauen nicht angehören.
“Meine Eltern wünschen sich, dass ich auswandere wie meine Cousinen”, sagt die Studentin Maryam. “Das wäre nicht leicht für sie. Aber sie wissen, dass ich hier kein einfaches Leben haben werde. Viele ausgewanderte Iranerinnen haben Erfolg im Ausland und ein gutes Leben. Ich möchte aber bleiben. Wer weiß: Vielleicht verändert sich das Land ja dieses mal.”
Mitarbeit: Shora Azarnoush
Donya Rad saß elf Tage lang im Gefängnis. Sie hatte etwas zu tun gewagt, von dem viele iranische Frauen jeden Tag träumen: In Alltagskleidung ausgehen, unbeschwert in einem Café sitzen und ein Spiegelei bestellen. Vor einem Monat postete Donya Rad ein Foto (unten) von sich und ihrer Schwester in einem Café im traditionell religiöser geprägten und ärmeren Stadtteil Javadieh im Süden Teherans. Mit dem angefügten Text: “Während der Arbeit haben wir eine kurze Pause eingelegt, um zu frühstücken.”
Einen Tag später schrieb ihre Schwerster auf Twitter, dass Donya Rad verhaftet worden sei.
Kampf für minimale und grundlegende Rechte
“Es mag für euch lächerlich klingen, aber alles, was wir wollen, ist ein einfaches normales Leben”, sagt die 21-jährige Studentin Maryam (Name geändert) aus Teheran im Gespräch mit der DW. “Mein Traum ist es, mit Alltagskleidung in die Uni gehen zu können, mit meinen Freunden und Freundinnen ausgehen, lachen und fröhlich sein zu dürfen, ohne permanent Angst vor einer Verhaftung haben zu müssen.”
Bei den Protesten seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam gelten Frauen als die treibende Kraft. Die systematische Demütigung der Frauen und die daraus resultierende Wut spielen bei ihrer Mobilisierung eine wichtige Rolle. “Diese Wut eint iranische Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft”, bestätigt die iranische Schriftstellerin und Aktivistin Shadi Amin gegenüber der DW.
Shadi Amin lebt in Deutschland und setzt sich für die Rechte von LGBTQ und anderen Minderheiten im Iran ein. “Iranische Frauen kämpfen für minimale und grundlegende Rechte. Die Staatsmacht bestimmt nicht nur, wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Sie entrechtet die weiblichen Bürger seit mehr 40 Jahren systematisch. Sie werden aufgrund der Scharia, dem islamischen Gesetz, entrechtet und müssen sich unterordnen. Aber selbst, wenn sie sich allen Vorschriften und Gesetzen anpassen, zum Beispiel jeden Tag überall Kopftuch zu tragen, leben sie in der Gefahr, so wie Jina Mahsa Amini verhaftet und zu Tode geprügelt zu werden.”
Die Polizei bestreitet, für den Tod der 22-Jährigen verantwortlich zu sein. Wer das nicht glaubt und sich den friedlichen Protesten auf den Straßen anschließt, läuft Gefahr, von den Sicherheitskräften erschossen zu werden. So wie die 32-jährige Ghazaleh Chalabi. Vor einer Woche tauchte ein Video im Netz auf, das Ghazaleh am 21. September mit ihrem Handy bei einer Demonstration in ihrer Heimatstadt Amol im Nordiran aufgenommen hatte. Bei der 20. Sekunde des Videos hört man sie noch rufen: “Habt keine Angst, wir sind alle zusammen”, dann wird sie erschossen. Ihr Handy fällt zu Boden und nimmt weiter Bilder von schockierten Demonstranten auf, die schreien und sie fragen, ob sie noch lebt.
Traum vom eigenständigen Leben
“Die Brutalität der Sicherheitskräfte ist den Frauen bewusst”, sagt Shadi Amin. “Trotzdem gehen sie auf die Straße und protestieren. Sie wissen, dass sie keine gute Zukunft haben werden, wenn das politische System so fortbesteht. Sie sind gebildet, gut informiert. Sie nehmen die Ungleichheit nicht als selbstverständlich hin.” Laut offiziellen Angaben sind 60 Prozent der Studierenden im Iran weiblich. Der Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt beträgt aber nur 15 Prozent.
Die Frauen sind wütend, weil sie trotz aller Anstrengungen kaum eine Chance auf ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben haben. So wie die auf der Scharia fußenden Gesetze jede Frau zu einem unmündigen Staatsbürger und alle wichtigen Entscheidungen in ihrem Leben von der Gnade der Väter oder Ehemänner abhängig macht, wird sie systematisch aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt.
Das zeigt auch eine aktuelle Studie der Stiftung Weltwirtschaftsforum (WEF). Im “Gender-Gap-Report 2022” steht das Land im internationalen Vergleich auf Platz 143 von146.
Das WEF betrachtet die Bereiche Wirtschaft, Bildung, Gesundheit sowie Politik und analysiert dort die Gleichstellung der Geschlechter. Vor allem die politische Teilhabe von Frauen spielt eine wichtige Rolle bei der Platzierung. So wurde etwa Deutschland wegen der wachsenden Teilhabe von Frauen in der Politik einen Rang hochgestuft auf Platz zehn.
In der Islamischen Republik Iran aber gibt es für Frauen keinen Platz in den Machtstrukturen. Religiöse Führer können sie nicht werden. Für das Präsidentenamt dürfen sie nicht kandidieren. Aus der Judikative sind sie ausgeschlossen. Den wichtigen Gremien wie dem Experten-, dem Wächter- oder dem Schlichterrat dürfen Frauen nicht angehören.
“Meine Eltern wünschen sich, dass ich auswandere wie meine Cousinen”, sagt die Studentin Maryam. “Das wäre nicht leicht für sie. Aber sie wissen, dass ich hier kein einfaches Leben haben werde. Viele ausgewanderte Iranerinnen haben Erfolg im Ausland und ein gutes Leben. Ich möchte aber bleiben. Wer weiß: Vielleicht verändert sich das Land ja dieses mal.”
Mitarbeit: Shora Azarnoush