Kultur

Hilft gendersensible Sprache bei der Gleichstellung?

Gendern oder nicht? Das Thema erhitzt die Gemüter. Für die einen ist das Sprachverhunzung, für die anderen ein Zeichen von Höflichkeit und Respekt.

Kollegen und Kolleginnen, KollegInnen oder Kolleg*innen? Der Diskurs um die richtige Ausdrucksform spaltet aktuell die Geister, dabei ist die Diskussion über eine inklusive Sprache schon viel älter: Bereits in den 1970ern und 1980ern haben sich führende feministische Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch oder Senta Trömel-Plötz für eine geschlechtergerechte Sprache eingesetzt und die Verwendung eines generischen Femininums gefordert. Die Debatte ist also keine neue Erscheinung, doch mit der Zeit sind neue Aspekte dazugekommen: Es betrifft nicht nur die Inklusion von Frauen, sondern von immer mehr Minderheiten, die ebenfalls in der Sprache berücksichtigt werden möchten; so fühlen sich non-binäre Menschen weder mit der männlichen noch mit der weiblichen Form angesprochen und fordern die Verwendung des Gendersternchens. Was tun?

Als die Nachrichtenmoderatorin Petra Gerster angefangen hat, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelegentlich zu gendern und das Gendersternchen in der Aussprache zu benutzen, haben die Reaktionen nicht lange auf sich warten lassen: “In den Zuschauerbriefen standen rüde Beschimpfungen, was mir einfiele, die Menschen belehren, ihnen etwas aufzuzwingen zu wollen. Von ‘Sprachpolizei’ und ‘Genderwahn’ war die Rede, und ich war plötzlich eine ‘Genderterroristin'”, erinnert sich Petra Gerster im DW-Interview.

Kollegen und Kolleginnen, KollegInnen oder Kolleg*innen? Der Diskurs um die richtige Ausdrucksform spaltet aktuell die Geister, dabei ist die Diskussion über eine inklusive Sprache schon viel älter: Bereits in den 1970ern und 1980ern haben sich führende feministische Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch oder Senta Trömel-Plötz für eine geschlechtergerechte Sprache eingesetzt und die Verwendung eines generischen Femininums gefordert. Die Debatte ist also keine neue Erscheinung, doch mit der Zeit sind neue Aspekte dazugekommen: Es betrifft nicht nur die Inklusion von Frauen, sondern von immer mehr Minderheiten, die ebenfalls in der Sprache berücksichtigt werden möchten; so fühlen sich non-binäre Menschen weder mit der männlichen noch mit der weiblichen Form angesprochen und fordern die Verwendung des Gendersternchens. Was tun?

Im vergangenen Jahr hat sich die “heute”-Moderatorin in den Ruhestand verabschiedet; der Shitstorm so kurz vor ihrem Ausscheiden aus der aktiven Zeit beim ZDF hat sie zwar getroffen, doch eine diskriminierungsfreie Sprache ist mehr denn je ein Anliegen von ihr: “Sensibles Sprechen sorgt für ein anderes Klima in der Gesellschaft. So wie wir einen Menschen mit Behinderung nicht mehr “Krüppel” und ein Kind mit Down-Syndrom nicht mehr “mongoloid” nennen, verzichten wir auch auf beleidigende Namen für Schwarze oder Sinti und Roma. Oder versuchen eben mit dem Gendersternchen (oder Doppelpunkt) auch Frauen und non-binäre Menschen mit anzusprechen. Es ist ein Zivilisationsprozess. Wir verlieren nichts, wenn wir bestimmte Wörter nicht mehr benutzen, sondern gewinnen etwas, nämlich einen zivilen und freundlicheren Umgang miteinander”, sagt Petra Gerster. 

Ein Zeichen der Höflichkeit

Zusammen mit dem Publizisten Christian Nürnberger veröffentlichte sie im vergangenen Jahr das Buch “Vermintes Gelände: Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert. Die Folgen der Identitätspolitik”. Darin appelliert sie, dass man Menschen und vor allem eben Minderheiten den Respekt zukommen lässt, der ihnen zustehe. “Es ist einfach eine Form der Höflichkeit für uns. Mit Zwang hat es nichts zu tun. Wer unbedingt unhöflich sein will – bitte schön.”

“Nein, Sprache ist nicht Magie, das Gendersternchen kein Zaubersternchen”, so Gerster, dennoch gebe es einen Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit. “Natürlich sorgt Gendern nicht dafür, dass alle Benachteiligungen aufhören; so simpel funktioniert es nicht. Man muss schon auch weiterhin gegen reale Missstände wie den Gender Pay Gap kämpfen – selbstverständlich. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man dem Prozess der Gleichberechtigung Fahrt verleiht, wenn man Frauen, non-binären Menschen und anderen diskriminierten Gruppen zu mehr Sichtbarkeit verhilft.”

Einige, die dem Gendern ablehnend gegenüber stehen, kommentieren mit zynischen Bemerkungen und kokettieren mit Begriffen wie Störche und Störchinnen, Bürger- und Bürgerinnensteig oder Körbe und Körbinnen. Dadurch wird die Debatte um eine gendergerechte Sprache ins Lächerliche gezogen, was einem konstruktiven und ausgewogenen Diskurs im Wege steht.

Andere wiederum sehen das generische Maskulinum als eine neutrale Form des Sprechens und geben oft als Beispiel den Umgang damit in den östlichen Ländern vor 1989. So will Nele Pollatschek ausdrücklich als Schriftsteller und nicht als Schriftstellerin bezeichnet werden. Das Argument: In der DDR und im sozialistischen Osten wollten Frauen mit den männlichen Berufsbezeichnungen angesprochen werden, um sich so gleichgestellt zu fühlen. 

“Das sozialistische Verständnis von Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen war von Beginn an eng an die weibliche Berufstätigkeit geknüpft. Die daraus resultierende ökonomische Unabhängigkeit der Frauen war natürlich ein zentraler Baustein für die Gleichberechtigung”, sagt Jessica Boch, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv. “Mit der Berufstätigkeit der Frau sah auch die SED-Führung die Gleichberechtigung quasi als verwirklicht an. Doch dann erübrigten sich weitere Diskussionen. Die Probleme, die es jedoch weiterhin gab, also Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen, dass Frauen es schwer hatten, in Führungspositionen zu kommen, dass es häusliche Gewalt gab, das alles wurde nicht öffentlich thematisiert, was genau diesem Anspruch widersprochen hätte.”

Diese patriarchalen Strukturen seien individualisiert und tabuisiert worden, so Jessica Bock. “Die Frauen haben es als ein individuelles Problem empfunden: Das liegt nur an mir, dass ich das nicht schaffe oder dass ich beruflich nicht weiterkomme oder dass ich überfordert bin mit Kind und Beruf”, sagt Bock, die sich mit den Frauenbewegungen in Ost und West beschäftigt. Der Emanzipationsprozess als solcher sei viel mehr als nur die Berufstätigkeit.

Und auch in der DDR habe sich eine nichtstaatliche Frauenbewegung gegründet, die mehr Sichtbarkeit für die Frauen forderte. “Es haben sich Gruppen formiert, die – sofern das möglich war – auch westliche feministische Literatur gelesen haben und ähnliche Beobachtungen gemacht haben wie auch die Feministinnen in Westdeutschland. In den 1950er-Jahren wurde auch in Fachzeitschriften kritisiert, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen die Verwendung von männlichen Berufsbezeichnungen als eine unbewusste Minderbewertung von Frauen angesehen werden kann. Aber das waren Diskussionen, die von der breiten Bevölkerung im Osten nicht wahrgenommen wurden.”

Die verbale Geringschätzung von Frauen und Minderheiten sei nach wie vor da und dürfe nicht unterschätzt werden. Sprache, so Jessica Bock, sei ein zentrales Mittel, um Bewusstsein, Sensibilisierung und Sichtbarkeit zu schaffen.

Mehr noch: “Man darf nicht vergessen, dass jeder Krieg mit Worten beginnt”, sagt Petra Gerster und gibt als Beispiel den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine. “Putin hat diesen Krieg mit der Verunglimpfung von Ukrainern und Ukrainerinnen als ‘Nazis’ begonnen. Den Westen beschimpft er kollektiv als ‘Gayropa’ und nennt ihn inzwischen sogar ‘satanisch’. Hätte man Putin von Anfang an zugehört und kritisch auf seine Sprache geachtet, wäre man besser auf die Gewalt vorbereitet gewesen, mit der er dieses Jahr die Ukraine überfallen hat. Man sieht daran, wie eng der Bezug zwischen Sprache und Handeln ist”, warnt Petra Gerster.

Am 20. November begeht die Trans Community den Transgender Day of Remembrance – den internationalen Gedenktag für die im letzten Jahr weltweit aus transfeindlichen Gründen ermordeten Menschen. In zwölf Monaten (vom 1. Oktober 2021 bis 30.09.2022) wurden weltweit 327 Morde an Transpersonen registriert.

Portraitbild Petra Gerster und Christian Nürnberger
Schriftzug Mensch mit Gendersternchen, daneben ein Wörterbuch Die deutsche Rechtschreibung
Arbeiterinnen in der DDR (1979) in einem Chemiefaserwerk.

Kollegen und Kolleginnen, KollegInnen oder Kolleg*innen? Der Diskurs um die richtige Ausdrucksform spaltet aktuell die Geister, dabei ist die Diskussion über eine inklusive Sprache schon viel älter: Bereits in den 1970ern und 1980ern haben sich führende feministische Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch oder Senta Trömel-Plötz für eine geschlechtergerechte Sprache eingesetzt und die Verwendung eines generischen Femininums gefordert. Die Debatte ist also keine neue Erscheinung, doch mit der Zeit sind neue Aspekte dazugekommen: Es betrifft nicht nur die Inklusion von Frauen, sondern von immer mehr Minderheiten, die ebenfalls in der Sprache berücksichtigt werden möchten; so fühlen sich non-binäre Menschen weder mit der männlichen noch mit der weiblichen Form angesprochen und fordern die Verwendung des Gendersternchens. Was tun?

Als die Nachrichtenmoderatorin Petra Gerster angefangen hat, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelegentlich zu gendern und das Gendersternchen in der Aussprache zu benutzen, haben die Reaktionen nicht lange auf sich warten lassen: “In den Zuschauerbriefen standen rüde Beschimpfungen, was mir einfiele, die Menschen belehren, ihnen etwas aufzuzwingen zu wollen. Von ‘Sprachpolizei’ und ‘Genderwahn’ war die Rede, und ich war plötzlich eine ‘Genderterroristin'”, erinnert sich Petra Gerster im DW-Interview.

Ein Zeichen der Höflichkeit

Im vergangenen Jahr hat sich die “heute”-Moderatorin in den Ruhestand verabschiedet; der Shitstorm so kurz vor ihrem Ausscheiden aus der aktiven Zeit beim ZDF hat sie zwar getroffen, doch eine diskriminierungsfreie Sprache ist mehr denn je ein Anliegen von ihr: “Sensibles Sprechen sorgt für ein anderes Klima in der Gesellschaft. So wie wir einen Menschen mit Behinderung nicht mehr “Krüppel” und ein Kind mit Down-Syndrom nicht mehr “mongoloid” nennen, verzichten wir auch auf beleidigende Namen für Schwarze oder Sinti und Roma. Oder versuchen eben mit dem Gendersternchen (oder Doppelpunkt) auch Frauen und non-binäre Menschen mit anzusprechen. Es ist ein Zivilisationsprozess. Wir verlieren nichts, wenn wir bestimmte Wörter nicht mehr benutzen, sondern gewinnen etwas, nämlich einen zivilen und freundlicheren Umgang miteinander”, sagt Petra Gerster. 

Zusammen mit dem Publizisten Christian Nürnberger veröffentlichte sie im vergangenen Jahr das Buch “Vermintes Gelände: Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert. Die Folgen der Identitätspolitik”. Darin appelliert sie, dass man Menschen und vor allem eben Minderheiten den Respekt zukommen lässt, der ihnen zustehe. “Es ist einfach eine Form der Höflichkeit für uns. Mit Zwang hat es nichts zu tun. Wer unbedingt unhöflich sein will – bitte schön.”

“Nein, Sprache ist nicht Magie, das Gendersternchen kein Zaubersternchen”, so Gerster, dennoch gebe es einen Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit. “Natürlich sorgt Gendern nicht dafür, dass alle Benachteiligungen aufhören; so simpel funktioniert es nicht. Man muss schon auch weiterhin gegen reale Missstände wie den Gender Pay Gap kämpfen – selbstverständlich. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man dem Prozess der Gleichberechtigung Fahrt verleiht, wenn man Frauen, non-binären Menschen und anderen diskriminierten Gruppen zu mehr Sichtbarkeit verhilft.”

Einige, die dem Gendern ablehnend gegenüber stehen, kommentieren mit zynischen Bemerkungen und kokettieren mit Begriffen wie Störche und Störchinnen, Bürger- und Bürgerinnensteig oder Körbe und Körbinnen. Dadurch wird die Debatte um eine gendergerechte Sprache ins Lächerliche gezogen, was einem konstruktiven und ausgewogenen Diskurs im Wege steht.

Kann die Sprache allein zu mehr Gleichberechtigung führen?

Andere wiederum sehen das generische Maskulinum als eine neutrale Form des Sprechens und geben oft als Beispiel den Umgang damit in den östlichen Ländern vor 1989. So will Nele Pollatschek ausdrücklich als Schriftsteller und nicht als Schriftstellerin bezeichnet werden. Das Argument: In der DDR und im sozialistischen Osten wollten Frauen mit den männlichen Berufsbezeichnungen angesprochen werden, um sich so gleichgestellt zu fühlen. 

Gleichstellung in der DDR

“Das sozialistische Verständnis von Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen war von Beginn an eng an die weibliche Berufstätigkeit geknüpft. Die daraus resultierende ökonomische Unabhängigkeit der Frauen war natürlich ein zentraler Baustein für die Gleichberechtigung”, sagt Jessica Boch, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv. “Mit der Berufstätigkeit der Frau sah auch die SED-Führung die Gleichberechtigung quasi als verwirklicht an. Doch dann erübrigten sich weitere Diskussionen. Die Probleme, die es jedoch weiterhin gab, also Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen, dass Frauen es schwer hatten, in Führungspositionen zu kommen, dass es häusliche Gewalt gab, das alles wurde nicht öffentlich thematisiert, was genau diesem Anspruch widersprochen hätte.”

Diese patriarchalen Strukturen seien individualisiert und tabuisiert worden, so Jessica Bock. “Die Frauen haben es als ein individuelles Problem empfunden: Das liegt nur an mir, dass ich das nicht schaffe oder dass ich beruflich nicht weiterkomme oder dass ich überfordert bin mit Kind und Beruf”, sagt Bock, die sich mit den Frauenbewegungen in Ost und West beschäftigt. Der Emanzipationsprozess als solcher sei viel mehr als nur die Berufstätigkeit.

Und auch in der DDR habe sich eine nichtstaatliche Frauenbewegung gegründet, die mehr Sichtbarkeit für die Frauen forderte. “Es haben sich Gruppen formiert, die – sofern das möglich war – auch westliche feministische Literatur gelesen haben und ähnliche Beobachtungen gemacht haben wie auch die Feministinnen in Westdeutschland. In den 1950er-Jahren wurde auch in Fachzeitschriften kritisiert, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen die Verwendung von männlichen Berufsbezeichnungen als eine unbewusste Minderbewertung von Frauen angesehen werden kann. Aber das waren Diskussionen, die von der breiten Bevölkerung im Osten nicht wahrgenommen wurden.”

Wenn Worten Taten folgen

Die verbale Geringschätzung von Frauen und Minderheiten sei nach wie vor da und dürfe nicht unterschätzt werden. Sprache, so Jessica Bock, sei ein zentrales Mittel, um Bewusstsein, Sensibilisierung und Sichtbarkeit zu schaffen.

Mehr noch: “Man darf nicht vergessen, dass jeder Krieg mit Worten beginnt”, sagt Petra Gerster und gibt als Beispiel den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine. “Putin hat diesen Krieg mit der Verunglimpfung von Ukrainern und Ukrainerinnen als ‘Nazis’ begonnen. Den Westen beschimpft er kollektiv als ‘Gayropa’ und nennt ihn inzwischen sogar ‘satanisch’. Hätte man Putin von Anfang an zugehört und kritisch auf seine Sprache geachtet, wäre man besser auf die Gewalt vorbereitet gewesen, mit der er dieses Jahr die Ukraine überfallen hat. Man sieht daran, wie eng der Bezug zwischen Sprache und Handeln ist”, warnt Petra Gerster.

Am 20. November begeht die Trans Community den Transgender Day of Remembrance – den internationalen Gedenktag für die im letzten Jahr weltweit aus transfeindlichen Gründen ermordeten Menschen. In zwölf Monaten (vom 1. Oktober 2021 bis 30.09.2022) wurden weltweit 327 Morde an Transpersonen registriert.

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