Marcel Proust: Wie das Judentum den Autor prägte
Die ganze Welt kennt seinen Namen, aber nur wenige wissen, dass der Autor von “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” jüdischer Herkunft war. Ein neues Buch zeigt, welchen Einfluss das auf Prousts berühmtes Werk hatte.
Berühmt ist Marcel Proust vor allen Dingen für einen wahrhaftigen Wälzer: Mit seinem 4000-seitigen Werk über das Erinnern, “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (1913-1927), sicherte der französische Autor sich seinen Platz im Kanon der Weltliteratur. Zwar mag nicht jeder alle sieben Bände des Mammutwerks gelesen haben, aber sein Name ist auch rund hundert Jahre nach seinem Tod am 18. November 1922 noch weltbekannt.
Nun hat der Literaturkritiker Andreas Isenschmid in einem neuen Buch darauf hingewiesen, dass in der Erinnerung an Marcel Proust eines lange übersehen wurde: Der Autor war jüdischer Herkunft. Er kam 1871 als Sohn eines katholischen Arztes und einer jüdischen Mutter zur Welt. Zwar wurde er katholisch getauft, seine Mutter Jeanne Weill konvertierte aber nie zum Katholizismus. Sie heiratete Prousts Vater nur standesamtlich und blieb ihr Leben lang dem jüdischen Glauben treu.
Berühmt ist Marcel Proust vor allen Dingen für einen wahrhaftigen Wälzer: Mit seinem 4000-seitigen Werk über das Erinnern, “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (1913-1927), sicherte der französische Autor sich seinen Platz im Kanon der Weltliteratur. Zwar mag nicht jeder alle sieben Bände des Mammutwerks gelesen haben, aber sein Name ist auch rund hundert Jahre nach seinem Tod am 18. November 1922 noch weltbekannt.
Wie Isenschmid in seinem Buch “Der Elefant im Raum – Proust und das Jüdische” aufzeigt, war das Jüdischsein auch für Proust nicht nur Nebensache oder biografischer Zufall, sondern es prägte sein Leben und sein Schreiben – und zwar gerade sein berühmtestes Werk.
Judenhass in Frankreich: Die Dreyfus-Affäre
Anstoß zur Erkundung seiner jüdischen Identität gab Proust die Dreyfus-Affäre, die er im Alter von 23 Jahren hautnah in Paris miterlebte. Im Jahr 1894 wurde der französisch-jüdische Offizier Alfred Dreyfus des Landesverrats angeklagt. Obwohl er unschuldig war, verurteilte man ihn zu lebenslanger Haft und verbannte ihn auf die im Atlantik vor der südamerikanischen Küste gelegene Teufelsinsel.
Es war ein ausgemachter Justizskandal, der sich schnell zu einer politischen und kulturellen Krise entwickelte. Ein hasserfüllter, hochgradig rassistischer Antisemitismus habe die Presse und weite Teile der Öffentlichkeit ergriffen, schreibt Isenschmid dazu. Die Affäre betraf beide politischen Lager – das rechte wie das linke.
“Dreyfus sei wie Judas und alle Juden ein Verräter, der Frankreich an den Erbfeind Deutschland verraten habe”, fasst Isenschmid die damalige Stimmung zusammen. “Überhaupt seien alle Juden Fremde, die nicht nach Frankreich passten, die Franzosen ausbeuteten und die man am besten nach Jerusalem zurückschicken sollte”.
In dieser aufgeheizten Stimmung setzte sich Proust als “Dreyfusard” (jemand, der an Dreyfus Unschuld glaubt, Anmerkung d. Red.) an der Seite des Zionisten Theodor Herzl und des Autors und Journalisten Émile Zola für die Rehabilitierung von Alfred Dreyfus ein.
1898 verfasste Zola einen offenen Brief an Frankreichs Präsidenten Félix Faure mit dem Titel “J’Accuse…!” (deutsch: “Ich klage an!”), in dem er die französische Justiz, die Presse und das Militär der Judenfeindlichkeit bezichtigte. Einer der rund 3000 Unterzeichner war Marcel Proust. Bis heute ist der Ausdruck “J’accuse” auch im Deutschen für einen Akt der Zivilcourage oder des wachen politischen Engagements geläufig.
Der von Proust mitgezeichnete Brief führte zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft in ein progressives und ein rechtsnationales Lager. Zola wurde verklagt und entkam einer Gefängnisstrafe nur durch die Flucht nach London. Proust wohnte seinem Prozess bei und setzte sich immer wieder für den Freund ein. Während dieser Zeit schrieb er außerdem einen Roman, der sich mit der Dreyfus-Affäre und dem assimilierten Judentum befasste. Er sollte nie fertiggestellt oder veröffentlicht werden, aber Isenschmid ist überzeugt, dass er Proust auf sein Meisterwerk “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” vorbereitete.
Das Engagement Prousts, Zolas und der vielen “Dreyfusards” führte nach der Machtübernahme der Linken im Jahr 1902 zur späteren Rehabilitierung von Dreyfus. Begnadigt wurde der Offizier schon im Jahr 1899, der Schuldspruch aber erst im Jahr 1906 von einem Zivilgericht wieder aufgehoben.
Zwar nahm Proust bei öffentlichen Äußerungen über Dreyfus lieber Bezug auf den Justizskandal, nicht auf das Jüdischsein des Offiziers. Er selbst wurde aber auf einmal als Jude angegriffen, berichtet Andreas Isenschmid gegenüber dem Radiosender Deutschlandfunk. “Das hat seine Aufmerksamkeit und seine Solidarität sehr stark angestachelt.”
Vielleicht hat “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” auch deshalb zwei jüdische Helden. Isenschmid zeigt in seinem Essay, dass in ersten Entwürfen der jüdische Charles Swann sogar die Hauptrolle des Buches einnehmen sollte, bevor er später zur wichtigen Nebenfigur wurde, die den Erzähler durch alle Bände hindurch begleitet. Er sieht “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” als die Geschichte der niemals ganz gelingenden Assimilation jüdischer Menschen im modernen Europa, die den Antisemitismus ihrer Epoche “perfekt dokumentiert”: Proust stelle “ihn kristallklar” dar. Auch der Fokus aufs Erinnern sei dem Einfluss des Judentums geschuldet, komme der Erinnerung in der jüdischen Kultur doch eine so große Bedeutung zu.
Ob Marcel Proust das auch so gesehen hätte? 100 Jahre nach seinem Tod stellt Isenschmid in “Der Elefant im Raum” genau diese Frage – und schließt seinen Essay mit dem Hinweis auf einen Brief, der der Literaturgeschichte leider verlorengegangen ist. Darin soll Marcel Proust einmal an seinen Freund Emmanuel Berl geschrieben haben: “Alle haben vergessen, dass ich jüdisch bin. Ich nicht.”
Andreas Isenschmidt: Der Elefant im Raum. Proust und das Jüdische. Carl Hanser Verlag, München, 2022.
Berühmt ist Marcel Proust vor allen Dingen für einen wahrhaftigen Wälzer: Mit seinem 4000-seitigen Werk über das Erinnern, “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (1913-1927), sicherte der französische Autor sich seinen Platz im Kanon der Weltliteratur. Zwar mag nicht jeder alle sieben Bände des Mammutwerks gelesen haben, aber sein Name ist auch rund hundert Jahre nach seinem Tod am 18. November 1922 noch weltbekannt.
Nun hat der Literaturkritiker Andreas Isenschmid in einem neuen Buch darauf hingewiesen, dass in der Erinnerung an Marcel Proust eines lange übersehen wurde: Der Autor war jüdischer Herkunft. Er kam 1871 als Sohn eines katholischen Arztes und einer jüdischen Mutter zur Welt. Zwar wurde er katholisch getauft, seine Mutter Jeanne Weill konvertierte aber nie zum Katholizismus. Sie heiratete Prousts Vater nur standesamtlich und blieb ihr Leben lang dem jüdischen Glauben treu.
Judenhass in Frankreich: Die Dreyfus-Affäre
Wie Isenschmid in seinem Buch “Der Elefant im Raum – Proust und das Jüdische” aufzeigt, war das Jüdischsein auch für Proust nicht nur Nebensache oder biografischer Zufall, sondern es prägte sein Leben und sein Schreiben – und zwar gerade sein berühmtestes Werk.
Anstoß zur Erkundung seiner jüdischen Identität gab Proust die Dreyfus-Affäre, die er im Alter von 23 Jahren hautnah in Paris miterlebte. Im Jahr 1894 wurde der französisch-jüdische Offizier Alfred Dreyfus des Landesverrats angeklagt. Obwohl er unschuldig war, verurteilte man ihn zu lebenslanger Haft und verbannte ihn auf die im Atlantik vor der südamerikanischen Küste gelegene Teufelsinsel.
Es war ein ausgemachter Justizskandal, der sich schnell zu einer politischen und kulturellen Krise entwickelte. Ein hasserfüllter, hochgradig rassistischer Antisemitismus habe die Presse und weite Teile der Öffentlichkeit ergriffen, schreibt Isenschmid dazu. Die Affäre betraf beide politischen Lager – das rechte wie das linke.
“Dreyfus sei wie Judas und alle Juden ein Verräter, der Frankreich an den Erbfeind Deutschland verraten habe”, fasst Isenschmid die damalige Stimmung zusammen. “Überhaupt seien alle Juden Fremde, die nicht nach Frankreich passten, die Franzosen ausbeuteten und die man am besten nach Jerusalem zurückschicken sollte”.
Marcel Proust im Einsatz für Alfred Dreyfus
In dieser aufgeheizten Stimmung setzte sich Proust als “Dreyfusard” (jemand, der an Dreyfus Unschuld glaubt, Anmerkung d. Red.) an der Seite des Zionisten Theodor Herzl und des Autors und Journalisten Émile Zola für die Rehabilitierung von Alfred Dreyfus ein.
Ein Porträt der Assimilation
1898 verfasste Zola einen offenen Brief an Frankreichs Präsidenten Félix Faure mit dem Titel “J’Accuse…!” (deutsch: “Ich klage an!”), in dem er die französische Justiz, die Presse und das Militär der Judenfeindlichkeit bezichtigte. Einer der rund 3000 Unterzeichner war Marcel Proust. Bis heute ist der Ausdruck “J’accuse” auch im Deutschen für einen Akt der Zivilcourage oder des wachen politischen Engagements geläufig.
Der von Proust mitgezeichnete Brief führte zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft in ein progressives und ein rechtsnationales Lager. Zola wurde verklagt und entkam einer Gefängnisstrafe nur durch die Flucht nach London. Proust wohnte seinem Prozess bei und setzte sich immer wieder für den Freund ein. Während dieser Zeit schrieb er außerdem einen Roman, der sich mit der Dreyfus-Affäre und dem assimilierten Judentum befasste. Er sollte nie fertiggestellt oder veröffentlicht werden, aber Isenschmid ist überzeugt, dass er Proust auf sein Meisterwerk “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” vorbereitete.
Das Engagement Prousts, Zolas und der vielen “Dreyfusards” führte nach der Machtübernahme der Linken im Jahr 1902 zur späteren Rehabilitierung von Dreyfus. Begnadigt wurde der Offizier schon im Jahr 1899, der Schuldspruch aber erst im Jahr 1906 von einem Zivilgericht wieder aufgehoben.
Zwar nahm Proust bei öffentlichen Äußerungen über Dreyfus lieber Bezug auf den Justizskandal, nicht auf das Jüdischsein des Offiziers. Er selbst wurde aber auf einmal als Jude angegriffen, berichtet Andreas Isenschmid gegenüber dem Radiosender Deutschlandfunk. “Das hat seine Aufmerksamkeit und seine Solidarität sehr stark angestachelt.”
Vielleicht hat “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” auch deshalb zwei jüdische Helden. Isenschmid zeigt in seinem Essay, dass in ersten Entwürfen der jüdische Charles Swann sogar die Hauptrolle des Buches einnehmen sollte, bevor er später zur wichtigen Nebenfigur wurde, die den Erzähler durch alle Bände hindurch begleitet. Er sieht “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” als die Geschichte der niemals ganz gelingenden Assimilation jüdischer Menschen im modernen Europa, die den Antisemitismus ihrer Epoche “perfekt dokumentiert”: Proust stelle “ihn kristallklar” dar. Auch der Fokus aufs Erinnern sei dem Einfluss des Judentums geschuldet, komme der Erinnerung in der jüdischen Kultur doch eine so große Bedeutung zu.
Ob Marcel Proust das auch so gesehen hätte? 100 Jahre nach seinem Tod stellt Isenschmid in “Der Elefant im Raum” genau diese Frage – und schließt seinen Essay mit dem Hinweis auf einen Brief, der der Literaturgeschichte leider verlorengegangen ist. Darin soll Marcel Proust einmal an seinen Freund Emmanuel Berl geschrieben haben: “Alle haben vergessen, dass ich jüdisch bin. Ich nicht.”
Andreas Isenschmidt: Der Elefant im Raum. Proust und das Jüdische. Carl Hanser Verlag, München, 2022.