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Trotz Sanktionen: Deutschland forschte mit Nordkorea

Kim Jong Un will seine Waffen modernisieren. Deshalb verbieten die UN, dass Mitgliedstaaten mit Nordkorea forschen. In Berlin ist es trotzdem passiert.

Die überraschende E-Mail aus Pjöngjang ist nur wenige Sätze lang. Absender: Professor Im Song Jin, Physiker und Experte für Laser-Optik. Dazu muss man wissen: Wer in Nordkorea über eine E-Mail-Adresse verfügt und mit dem Ausland kommuniziert, dem vertraut das Regime. 

Er sei Gastwissenschaftler am Berliner Max-Born-Institut gewesen, bestätigt Professor Im der DW. Zwischen 2008 und 2010. Und danach? “Über diese Mail-Adresse sind wir in Kontakt geblieben und haben weiter zusammen publiziert.”

Die überraschende E-Mail aus Pjöngjang ist nur wenige Sätze lang. Absender: Professor Im Song Jin, Physiker und Experte für Laser-Optik. Dazu muss man wissen: Wer in Nordkorea über eine E-Mail-Adresse verfügt und mit dem Ausland kommuniziert, dem vertraut das Regime. 

Die letzte gemeinsame Publikation erscheint im Sommer 2020 in einem anerkannten Fachmagazin. Zu diesem Zeitpunkt sind alle UN-Mitgliedstaaten bereits seit fast vier Jahren aufgefordert, den wissenschaftliche Austausch mit Nordkorea einzustellen. So will der Weltsicherheitsrat verhindern, dass Nordkorea sensibles Wissen abgreifen und in die Produktion noch modernerer Massenvernichtungswaffen stecken kann.

Verfassungsschutz warnt vergeblich

Deutschland gehört zu den größten Unterstützern der Vereinten Nationen. Warum arbeitet also ausgerechnet das renommierte Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) weiter mit Nordkorea zusammen? 

Die Kooperation läuft über mehrere Jahre, obwohl der Verfassungsschutz, Deutschlands Inlandsgeheimdienst, 2016 ausdrücklich davor warnt, dass trotz aller Sanktionen “anhaltende nordkoreanische Beschaffungsbemühungen um westliche Technologie zu beobachten (sind), unter anderem in Deutschland.”

Die DW hat den Fall recherchiert. Am Ende zeichnet sich ein offenbar vermeidbarer deutscher Verstoß gegen UN-Sanktionen ab. Der Fall wirft grundsätzlich ein Schlaglicht auf den Umgang mit der Forschungsfreiheit in Deutschland.

Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Schlagzeilen aus Nordkorea: Nie zuvor feuerte der ostasiatische Staat, in dem die Bevölkerung hungert, so viele ballistische Raketen ab wie 2022. Seit Wochen wächst zudem die Sorge, dass ein weiterer Atomtest kurz bevorstehen könnte. Sechs gab es bereits, den ersten im Jahr 2006, den bislang letzten 2017.

Dahinter steckt Kalkül: Das abgeschottete Land demonstriert Stärke durch Waffentechnologie. Für das totalitäre Regime ist es überlebenswichtig, militärisch mithalten zu können. Dafür braucht es Forschung und Technik.

Die Vereinten Nationen haben seit 2006 insgesamt neun Sanktionspakete verabschiedet – mit starken Einschränkungen für den Technologietransfer und akademischen Austausch. In Folge des fünften Atomtests beschließt der UN-Sicherheitsrat im November 2016 schließlich, dass alle Mitgliedstaaten ihre wissenschaftlichen Kooperationen mit nordkoreanischen Forschern aussetzen sollen.

Dieser Beschluss, festgehalten in Resolution 2321, gilt fächerübergreifend. Er betrifft die theoretische Grundlagenforschung genauso wie die angewandte Forschung. Ausnahmen gibt es nur für den medizinischen Bereich oder nach einer Einzelfallprüfung. So soll der Transfer von Dual-Use-Wissen verhindert werden, das sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann. 

“Eine mögliche militärische Anwendbarkeit von fortgeschrittener Forschung ist schwer zu belegen und extrem einfach zu leugnen oder zu verbergen”, gibt ein UN-Insider gegenüber der DW an. Aufgrund der sensiblen Thematik möchte er nicht namentlich genannt werden.

Die Gefahr eines solchen Wissenstransfers an Nordkorea bezeichnet die Quelle als “gefährlich real”. Und ergänzt, dass die UN-Sanktionen auch eine Zusammenarbeit aus der Ferne über E-Mails und eine gemeinsame Autorenschaft einschließen. “Es besteht die Sorge, dass eine solche Zusammenarbeit dazu dienen könnte, den immateriellen Technologietransfer für die Waffenprogramme Nordkoreas zu fördern.”

Ohne technologischen Fortschritt ist die rasante militärische Entwicklung des Landes seit dem ersten Atomtest 2006 nicht zu verstehen. Also liegt es nahe, dass riskanter Wissenstransfer stattgefunden haben muss. Das belegt auch eine Studie des James Martin Center for Nonproliferation Studies in den USA. Darin werden Nordkoreas internationale Forschungskooperationen von 1958 bis 2018 unter die Lupe genommen.

Ergebnis: Einsamer Spitzenreiter unter knapp 1150 untersuchten Studien ist Nordkoreas Schutzmacht China mit über 900 gemeinsamen Veröffentlichungen. Dahinter folgt, wenn auch mit großem Abstand, Deutschland mit 139 Publikationen.

Das Max-Born-Institut ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, die zur Hälfte vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und durch Zuschüsse der Bundesländer finanziert wird. “Das MBI betreibt keine Militärforschung, sondern ausschließlich zivile Grundlagenforschung an und mit Lasern”, teilt die MBI-Führung schriftlich auf Anfrage der DW mit.

Der inzwischen pensionierte Physiker Herrmann forscht dort seit der Gründung im Jahr 1992. Die Deutsche Welle hat ihn kontaktiert und telefonisch mit ihm gesprochen. Ein Interview lehnte er ab.

Ende 2008 lernen sich Dr. Joachim Herrmann und der nordkoreanische Physiker Im Song Jin in Berlin kennen. Der Gastwissenschaftler hat ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes erhalten.

Ein paar Monate später kommt noch ein zweiter Nordkoreaner ans MBI, Kim Kwang Hyon – er reist mit einem Stipendium der Daimler und Benz Stiftung an. Kim bleibt bis 2012 und promoviert.

Als Dr. Im 2010 nach Nordkorea zurückkehrt, reißt seine persönliche Verbindung zu Herrmann nicht ab. Im hat einen guten Eindruck hinterlassen, er gilt als kluger Kopf. Die Kommunikation erfolgt jetzt per Mail.

Bild vom Start der Interkontinentalrakete Hwasong 17 aus der Froschperspektive mit dramatisch gefärbtem Himmel
Jim Jong Un von der Seite aufgenommen, im Hintergrund der Start einer Rakete mit sichtbarem Feuerball

Die überraschende E-Mail aus Pjöngjang ist nur wenige Sätze lang. Absender: Professor Im Song Jin, Physiker und Experte für Laser-Optik. Dazu muss man wissen: Wer in Nordkorea über eine E-Mail-Adresse verfügt und mit dem Ausland kommuniziert, dem vertraut das Regime. 

Er sei Gastwissenschaftler am Berliner Max-Born-Institut gewesen, bestätigt Professor Im der DW. Zwischen 2008 und 2010. Und danach? “Über diese Mail-Adresse sind wir in Kontakt geblieben und haben weiter zusammen publiziert.”

Verfassungsschutz warnt vergeblich

Die letzte gemeinsame Publikation erscheint im Sommer 2020 in einem anerkannten Fachmagazin. Zu diesem Zeitpunkt sind alle UN-Mitgliedstaaten bereits seit fast vier Jahren aufgefordert, den wissenschaftliche Austausch mit Nordkorea einzustellen. So will der Weltsicherheitsrat verhindern, dass Nordkorea sensibles Wissen abgreifen und in die Produktion noch modernerer Massenvernichtungswaffen stecken kann.

Deutschland gehört zu den größten Unterstützern der Vereinten Nationen. Warum arbeitet also ausgerechnet das renommierte Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) weiter mit Nordkorea zusammen? 

Die Kooperation läuft über mehrere Jahre, obwohl der Verfassungsschutz, Deutschlands Inlandsgeheimdienst, 2016 ausdrücklich davor warnt, dass trotz aller Sanktionen “anhaltende nordkoreanische Beschaffungsbemühungen um westliche Technologie zu beobachten (sind), unter anderem in Deutschland.”

Die DW hat den Fall recherchiert. Am Ende zeichnet sich ein offenbar vermeidbarer deutscher Verstoß gegen UN-Sanktionen ab. Der Fall wirft grundsätzlich ein Schlaglicht auf den Umgang mit der Forschungsfreiheit in Deutschland.

Raketentests in Serie

Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Schlagzeilen aus Nordkorea: Nie zuvor feuerte der ostasiatische Staat, in dem die Bevölkerung hungert, so viele ballistische Raketen ab wie 2022. Seit Wochen wächst zudem die Sorge, dass ein weiterer Atomtest kurz bevorstehen könnte. Sechs gab es bereits, den ersten im Jahr 2006, den bislang letzten 2017.

UN-Aufforderung zur Einstellung aller Kooperationen 

Dahinter steckt Kalkül: Das abgeschottete Land demonstriert Stärke durch Waffentechnologie. Für das totalitäre Regime ist es überlebenswichtig, militärisch mithalten zu können. Dafür braucht es Forschung und Technik.

Die Vereinten Nationen haben seit 2006 insgesamt neun Sanktionspakete verabschiedet – mit starken Einschränkungen für den Technologietransfer und akademischen Austausch. In Folge des fünften Atomtests beschließt der UN-Sicherheitsrat im November 2016 schließlich, dass alle Mitgliedstaaten ihre wissenschaftlichen Kooperationen mit nordkoreanischen Forschern aussetzen sollen.

Dieser Beschluss, festgehalten in Resolution 2321, gilt fächerübergreifend. Er betrifft die theoretische Grundlagenforschung genauso wie die angewandte Forschung. Ausnahmen gibt es nur für den medizinischen Bereich oder nach einer Einzelfallprüfung. So soll der Transfer von Dual-Use-Wissen verhindert werden, das sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann. 

Deutschland auf Platz 2 hinter China 

“Eine mögliche militärische Anwendbarkeit von fortgeschrittener Forschung ist schwer zu belegen und extrem einfach zu leugnen oder zu verbergen”, gibt ein UN-Insider gegenüber der DW an. Aufgrund der sensiblen Thematik möchte er nicht namentlich genannt werden.

Die Gefahr eines solchen Wissenstransfers an Nordkorea bezeichnet die Quelle als “gefährlich real”. Und ergänzt, dass die UN-Sanktionen auch eine Zusammenarbeit aus der Ferne über E-Mails und eine gemeinsame Autorenschaft einschließen. “Es besteht die Sorge, dass eine solche Zusammenarbeit dazu dienen könnte, den immateriellen Technologietransfer für die Waffenprogramme Nordkoreas zu fördern.”

Zwei Nordkoreaner in Berlin

Ohne technologischen Fortschritt ist die rasante militärische Entwicklung des Landes seit dem ersten Atomtest 2006 nicht zu verstehen. Also liegt es nahe, dass riskanter Wissenstransfer stattgefunden haben muss. Das belegt auch eine Studie des James Martin Center for Nonproliferation Studies in den USA. Darin werden Nordkoreas internationale Forschungskooperationen von 1958 bis 2018 unter die Lupe genommen.

Gemischtes Urteil

Ergebnis: Einsamer Spitzenreiter unter knapp 1150 untersuchten Studien ist Nordkoreas Schutzmacht China mit über 900 gemeinsamen Veröffentlichungen. Dahinter folgt, wenn auch mit großem Abstand, Deutschland mit 139 Publikationen.

Das Max-Born-Institut ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, die zur Hälfte vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und durch Zuschüsse der Bundesländer finanziert wird. “Das MBI betreibt keine Militärforschung, sondern ausschließlich zivile Grundlagenforschung an und mit Lasern”, teilt die MBI-Führung schriftlich auf Anfrage der DW mit.

Der inzwischen pensionierte Physiker Herrmann forscht dort seit der Gründung im Jahr 1992. Die Deutsche Welle hat ihn kontaktiert und telefonisch mit ihm gesprochen. Ein Interview lehnte er ab.

Ende 2008 lernen sich Dr. Joachim Herrmann und der nordkoreanische Physiker Im Song Jin in Berlin kennen. Der Gastwissenschaftler hat ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes erhalten.

Ein paar Monate später kommt noch ein zweiter Nordkoreaner ans MBI, Kim Kwang Hyon – er reist mit einem Stipendium der Daimler und Benz Stiftung an. Kim bleibt bis 2012 und promoviert.

Als Dr. Im 2010 nach Nordkorea zurückkehrt, reißt seine persönliche Verbindung zu Herrmann nicht ab. Im hat einen guten Eindruck hinterlassen, er gilt als kluger Kopf. Die Kommunikation erfolgt jetzt per Mail.

Zwischen 2017 und 2020 erscheinen insgesamt neun MBI-Veröffentlichungen von Herrmann mit nordkoreanischen Wissenschaftlern. An acht davon ist Im beteiligt, an der neunten der ehemalige Doktorand Kim. Dazu tauchen neue nordkoreanische Namen als Co-Autoren auf. Professor Im hat seine Studenten mit ins Boot geholt.

Alle gemeinsamen Artikel sind öffentlich zugänglich. In allen Fällen handelt es sich um Grundlagenforschung im Bereich Lasertechnologie, die nicht auf ein konkretes praktisches Ziel ausgerichtet ist. Das schließt jedoch eine spätere – auch militärische – Weiterentwicklung nicht aus.

Alle gemeinsamen Artikel sind öffentlich zugänglich. In allen Fällen handelt es sich um Grundlagenforschung im Bereich Lasertechnologie, die nicht auf ein konkretes praktisches Ziel ausgerichtet ist. Das schließt jedoch eine spätere – auch militärische – Weiterentwicklung nicht aus.

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