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Früherer Papst Benedikt XVI. gestorben

Er veränderte sein Amt, um es zu bewahren. Benedikt XVI., der erste Papst aus Deutschland nach fast 500 Jahren, war bei den einen beliebt, bei anderen umstritten. Jetzt ist er im Alter von 95 Jahren verstorben.

Er war der große Theologen-Papst. Was immer er tat, was immer er sagte: Stets hatte er dabei die Tradition und Lehre der Kirche durch die Jahrhunderte schützend im Blick. Seine theologische Leistung aber schützte ihn nicht davor, dass im Alter die Sicht auf ihn immer kritischer wurde. Denn in der unheilvollen Missbrauchs-Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland gilt ein Kapitel auch Joseph Ratzinger, dem Münchner Erzbischof (1977-1982), der später Papst wurde. Ein über Jahre aufwendig erarbeitetes Gutachten sah bei ihm Fehlverhalten in vier Fällen. Fehlverhalten, das vermutlich einzelne Täter weiter agieren ließ.

Er war der erste deutsche Papst nach fast 500 Jahren. Ein Papst aus Deutschland, 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem nationalsozialistischen Judenmord, ein Papst zudem aus dem Land Martin Luthers, dem Land der Kirchenspaltung. Benedikts knapp achtjähriges Pontifikat wurde aber auch überschattet von Skandalen und kirchlichen Krisen. Und mit seinem Rücktritt am 28. Februar 2013 schrieb Papst Benedikt Kirchengeschichte.

Er war der große Theologen-Papst. Was immer er tat, was immer er sagte: Stets hatte er dabei die Tradition und Lehre der Kirche durch die Jahrhunderte schützend im Blick. Seine theologische Leistung aber schützte ihn nicht davor, dass im Alter die Sicht auf ihn immer kritischer wurde. Denn in der unheilvollen Missbrauchs-Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland gilt ein Kapitel auch Joseph Ratzinger, dem Münchner Erzbischof (1977-1982), der später Papst wurde. Ein über Jahre aufwendig erarbeitetes Gutachten sah bei ihm Fehlverhalten in vier Fällen. Fehlverhalten, das vermutlich einzelne Täter weiter agieren ließ.

“Die Herren Kardinäle haben mich gewählt. Einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn.” Mit diesen Worten trat Kardinal Joseph Ratzinger am 19. April 2005 auf die Loggia des Petersdoms in Rom und gewann Sympathien. Nach nur zweitägigem Konklave war weißer Rauch über der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen – und der damals 78-Jährige neues Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.

Priester, Professor, Papst

In Papst Benedikt XVI. erlebte die Welt einen konservativen Papst, der gelegentlich alle überraschte. Denn Benedikt vermochte es, die tiefe Frömmigkeit seiner Herkunft mit der Gelehrigkeit des Professors zu verbinden. Als Kirchenoberhaupt warb er für das Gespräch von Vernunft und Glaube. Er setzte nicht einfach die oft strenge Linie des Kurienkardinals Joseph Ratzinger fort. Aber unter der krisenhaften Gesamtstimmung in der katholischen Kirche dürfte der um Seelsorge bemühte Papst auch persönlich gelitten haben. Letztlich ging erst mit den knapp acht Jahren von Benedikt XVI. das große Pontifikat von Johannes Paul II. (1978-2005) zu Ende, auch dessen schwierigere Aspekte. Als Papst des Übergangs machte er schließlich 2013 den Weg frei für die Wahl eines menschennahen Hirten und konservativen Reformers.

Die Wahl zum Papst bedeutete für Ratzinger die Krönung eines Lebens, das am 16. April 1927 in dem Ort Marktl am Inn in der bayerischen Provinz begann. Josephs Vater war Gendarm, seine Familie tief gläubig. Als 17-Jähriger wurde der spätere Papst Ende 1944 in die Wehrmacht eingezogen. Bald nach Kriegsende studierte er, wie auch sein drei Jahre älterer Bruder Georg, Theologie und wurde mit ihm zum Priester geweiht; die einzige Schwester blieb unverheiratet.

Ende der 1950er Jahre wurde Ratzinger Theologieprofessor und gewann rasch an Ansehen. Im Umfeld des Kölner Erzbischofs Kardinal Joseph Frings nahm er ab 1963 am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) teil, das der Erneuerung von Lehre und Leben der katholischen Kirche den Weg ebnen sollte. Aber die Studentenproteste 1968 veränderten ihn.

Beschritt der Professor aus Bayern zunächst auch neue Gedankenpfade, so ging er in der Folge zurück in die vertraute Tradition. 1977 wurde Ratzinger Erzbischof von München-Freising und bald Kardinal. Gut vier Jahre später holte ihn Papst Johannes Paul II. nach Rom. Als Präfekt der Glaubenskongregation war er nun oberster Glaubenswächter seiner Kirche. Beim Streit um lehramtliche Fragen, um Reformthemen wie die Rolle der Frau oder um die Ökumene, stand Ratzinger für einen strikt konservativen Kurs. Manche nannten ihn “Panzer-Kardinal”.

Benedikts Wahl zum Papst 2005 erzeugte Jubel und Stolz bei Deutschlands Katholiken. “Wir sind Papst” titelte damals das größte Boulevardblatt. Doch es gab auch Vorbehalte und Befürchtungen: Der 265. Papst der Kirchengeschichte sei mit 78 Jahren zu alt, hieß es, er werde wegen seiner konservativen Prägung unfähig zu Reformen sein.

Kirchenpolitisch blieb die knapp achtjährige Amtszeit Benedikts eine Phase des Übergangs. Doch trat Benedikt XVI. auch aus der Rolle eines Übergangspapstes heraus. Er setzte eigene Akzente. Und er ernannte mehr als die Hälfte jener Kardinäle, die im März 2013 seinen Nachfolger Franziskus wählten.

Benedikt betonte die Führungsrolle seiner katholischen Kirche und ihren Anspruch darauf, die einzig wahre Kirche zu sein. Protestanten verärgerte es, als Kirche minderer Klasse abgestempelt zu werden. Wichtige Schritte ökumenischer Annäherung blieben aus.

Sein Zugehen auf die Traditionalisten der Pius-Bruderschaft und seine Geduld mit diesen “Freischärlern” am äußersten kirchlichen Rand rief zahlreiche Kritiker auf den Plan. Ratzinger bemühte sich aus Angst vor bleibender Spaltung, die Traditionalisten wieder einzubinden. Das scheiterte. Zugleich gab er jenen Anglikanern eine neue geistliche Heimat, denen in ihrer Kirche Reformen wie die Priesterweihe der Frau zu weit gingen. Überdies pflegte Benedikt XVI. sehr bewusst Kontakte zur Orthodoxie.

Das Verhältnis des nun verstorbenen emeritierten Papstes zu anderen Religionen war nicht spannungsfrei. Die Empörung in der arabischen Welt nach seiner Regensburger Rede 2006 mit einem missverständlichen Zitat über Mohammed bleibt in Erinnerung. In der Folge gewann der christlich-islamische Fachdialog allerdings eine vorher kaum gekannte Qualität.

Der Skandal um den jahrzehntelang verschleierten massenhaften Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche überschattete Benedikts Amtszeit. In vielen Ländern, so in Irland, den USA, Australien und Belgien, ab 2010 auch in Deutschland kamen immer mehr Fälle sexueller Gewalt ans Licht der Öffentlichkeit. Kritiker monierten, die Kirche reagiere nicht entschlossen genug, sondern habe Täter nur versetzt und Verbrechen vertuschen wollen. Es fehle der Wille zu zivilrechtlichen Verfahren.

Benedikt bemühte sich anders als sein Vorgänger um eine Aufarbeitung. Und er verurteilte jede Tat deutlich und rief stets dazu auf, die Kirche in ihrer Heiligkeit zu schützen. Auf Reisen traf er Missbrauchsopfer – immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Seine Erschütterung über deren Schicksal war spürbar, die Vorgänge insgesamt brandmarkte er als “Geißel” und “großes Leid”. In der Folge verschärfte er Vorgaben für die Ausbildung von Priestern. Unter seinem Nachfolger wurde das Ausmaß von Missbrauch in Kirche in vielen Teilen der Welt noch deutlicher. Erst Franziskus lud 2019 zum weltweiten kirchlichen Krisengipfel in den Vatikan. Und erst Franziskus ermunterte Diözesen und Bischofskonferenzen weltweit, Verbrechen aufzuarbeiten und sich Opfern zuzuwenden. Denn der Papst, der aus dem fernen Argentinien kam und anders als sein Vorgänger Distanz zum vatikanischen Apparat und zu dessen Schutzmechanismen hatte, war erschüttert von den Dimensionen des Missbrauchs.

2012 schließlich erschütterte die sogenannte Vatileaks-Affäre die Machtzentrale im Vatikan. Dokumente und Interna aus dem Umfeld des Papstes waren an die Öffentlichkeit gelangt. Als Verräter entpuppte sich der päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele. Dieser wurde nach kurzer Haftstrafe vom Papst begnadigt.

Die Entscheidung zum Amtsverzicht bewegte und erschütterte viele Katholiken; über kirchliche Milieus hinaus sorgte sie für Erstaunen in aller Welt. Sicher – dem 85-Jährigen sah man in den letzten Amtsmonaten die körperliche Anstrengung an. Sein Rücktritt war schließlich der Verantwortung des Amtes geschuldet, aber auch seiner eigenen Würde. Der Rücktritt nach Prüfung seines Gewissens war mutig und zeugte von Selbstbewusstsein. Manche Katholiken, die das schier ewige Bild eines bis zum Tode dienenden Papstes vor Augen hatten, zeigten sich jedoch irritiert.

Dass der Papst aus dem Lande der Reformation das Amt an der Spitze der katholischen Kirche auf diese Weise vermenschlicht und auch reformiert hat, erschloss sich Teilen des Kirchenvolks nicht. An seinem letzten Arbeitstag entschwebte Benedikt XVI. im weißen Hubschrauber aus dem Vatikan in die Papstresidenz Castelgandolfo. Das wirkte wie ein spektakuläres “Auf-nimmer-Wiedersehen”. Aber zwei Monate später kehrte Benedikt in den Vatikan zurück und bezog ein Quartier in einem kleinen Kloster in den Vatikanischen Gärten.

2014 nahm er an mehreren großen Gottesdiensten im Petersdom oder auf dem Petersplatz teil. Immer mal wieder verbreiteten Wegbegleiter früherer Jahre Fotos, wenn sie bei ihm zu Gast waren. Gelegentlich besuchte ihn sein Nachfolger. Spektakulär waren einige Wortmeldungen: mal ein Interview, mal eine Rede. Und 2018, 2019 und 2020 sorgten Veröffentlichungen aktuellerer Texte für Aufsehen und Irritationen. Da schaltete er sich pointiert in aktuelle kirchliche Debatten ein und sprach zum Beispiel von einem Zusammenhang zwischen der “Lockerung der Moral” im Zuge der 68er-Bewegung und dem Skandal um sexualisierte Gewalt in der Kirche. Wie er da die Schuld entgegen verbreiteter Erkenntnisse bei anderen suchte, das irritierte viele.

Offiziell war er emeritierter Papst und einfacher Geistlicher. Aber er trug stets eine Soutane in weiß, der allein päpstlichen Farbe. Sein Umfeld betonte die Anrede “Heiliger Vater”. Neben Papst Franziskus also ein “Papst im Ruhestand” – für Fachleute ein großes Thema, für die Kirche eine spannungsgeladene Frage. Auch für die Medien: 2019 nahm die Netflix-Komödie “Die zwei Päpste” das komödiantisch und tiefgründig aufs Korn. 2019 veröffentlichte der Bayerische Rundfunk Bewegtbilder Ratzingers. Sie zeigten ihn vom Alter gezeichnet. Das Gehen fiel ihm zusehends schwerer und er nutzte einen Rollator. Die Stimme schwach. Auch die Augen machten ihm zu schaffen.

Ein einziges Mal kehrte er nach Deutschland zurück. Im Juni 2020 kam er überraschend mit wenigen Begleitern nach Regensburg, um von seinem sterbenskranken Bruder Georg Abschied zu nehmen. Und auch, um am Grab der Eltern zu beten. Benedikt im Rollstuhl, aber er zeigte in der alten Heimat strahlende Augen. Georg (96) starb zehn Tage später. Zu dessen Beisetzung reiste der damals 93-Jährige dann nicht mehr erneut an. 

Porträtaufnahme von Benedikt XVI. mit erhobenen Armen
Bild der Familie Ratzinger mit Bruder Georg und Joseph in der Mitte, außerdem Schwester Maria, Mutter Maria und Vater Joseph
Titelseite der Bild-Zeitung mit dem Aufmacher Wir sind Papst!

Er war der große Theologen-Papst. Was immer er tat, was immer er sagte: Stets hatte er dabei die Tradition und Lehre der Kirche durch die Jahrhunderte schützend im Blick. Seine theologische Leistung aber schützte ihn nicht davor, dass im Alter die Sicht auf ihn immer kritischer wurde. Denn in der unheilvollen Missbrauchs-Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland gilt ein Kapitel auch Joseph Ratzinger, dem Münchner Erzbischof (1977-1982), der später Papst wurde. Ein über Jahre aufwendig erarbeitetes Gutachten sah bei ihm Fehlverhalten in vier Fällen. Fehlverhalten, das vermutlich einzelne Täter weiter agieren ließ.

Er war der erste deutsche Papst nach fast 500 Jahren. Ein Papst aus Deutschland, 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem nationalsozialistischen Judenmord, ein Papst zudem aus dem Land Martin Luthers, dem Land der Kirchenspaltung. Benedikts knapp achtjähriges Pontifikat wurde aber auch überschattet von Skandalen und kirchlichen Krisen. Und mit seinem Rücktritt am 28. Februar 2013 schrieb Papst Benedikt Kirchengeschichte.

Priester, Professor, Papst

“Die Herren Kardinäle haben mich gewählt. Einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn.” Mit diesen Worten trat Kardinal Joseph Ratzinger am 19. April 2005 auf die Loggia des Petersdoms in Rom und gewann Sympathien. Nach nur zweitägigem Konklave war weißer Rauch über der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen – und der damals 78-Jährige neues Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.

In Papst Benedikt XVI. erlebte die Welt einen konservativen Papst, der gelegentlich alle überraschte. Denn Benedikt vermochte es, die tiefe Frömmigkeit seiner Herkunft mit der Gelehrigkeit des Professors zu verbinden. Als Kirchenoberhaupt warb er für das Gespräch von Vernunft und Glaube. Er setzte nicht einfach die oft strenge Linie des Kurienkardinals Joseph Ratzinger fort. Aber unter der krisenhaften Gesamtstimmung in der katholischen Kirche dürfte der um Seelsorge bemühte Papst auch persönlich gelitten haben. Letztlich ging erst mit den knapp acht Jahren von Benedikt XVI. das große Pontifikat von Johannes Paul II. (1978-2005) zu Ende, auch dessen schwierigere Aspekte. Als Papst des Übergangs machte er schließlich 2013 den Weg frei für die Wahl eines menschennahen Hirten und konservativen Reformers.

Die Wahl zum Papst bedeutete für Ratzinger die Krönung eines Lebens, das am 16. April 1927 in dem Ort Marktl am Inn in der bayerischen Provinz begann. Josephs Vater war Gendarm, seine Familie tief gläubig. Als 17-Jähriger wurde der spätere Papst Ende 1944 in die Wehrmacht eingezogen. Bald nach Kriegsende studierte er, wie auch sein drei Jahre älterer Bruder Georg, Theologie und wurde mit ihm zum Priester geweiht; die einzige Schwester blieb unverheiratet.

Ende der 1950er Jahre wurde Ratzinger Theologieprofessor und gewann rasch an Ansehen. Im Umfeld des Kölner Erzbischofs Kardinal Joseph Frings nahm er ab 1963 am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) teil, das der Erneuerung von Lehre und Leben der katholischen Kirche den Weg ebnen sollte. Aber die Studentenproteste 1968 veränderten ihn.

“Wir sind Papst”

Beschritt der Professor aus Bayern zunächst auch neue Gedankenpfade, so ging er in der Folge zurück in die vertraute Tradition. 1977 wurde Ratzinger Erzbischof von München-Freising und bald Kardinal. Gut vier Jahre später holte ihn Papst Johannes Paul II. nach Rom. Als Präfekt der Glaubenskongregation war er nun oberster Glaubenswächter seiner Kirche. Beim Streit um lehramtliche Fragen, um Reformthemen wie die Rolle der Frau oder um die Ökumene, stand Ratzinger für einen strikt konservativen Kurs. Manche nannten ihn “Panzer-Kardinal”.

Die “Geißel” der sexuellen Gewalt

Benedikts Wahl zum Papst 2005 erzeugte Jubel und Stolz bei Deutschlands Katholiken. “Wir sind Papst” titelte damals das größte Boulevardblatt. Doch es gab auch Vorbehalte und Befürchtungen: Der 265. Papst der Kirchengeschichte sei mit 78 Jahren zu alt, hieß es, er werde wegen seiner konservativen Prägung unfähig zu Reformen sein.

Kirchenpolitisch blieb die knapp achtjährige Amtszeit Benedikts eine Phase des Übergangs. Doch trat Benedikt XVI. auch aus der Rolle eines Übergangspapstes heraus. Er setzte eigene Akzente. Und er ernannte mehr als die Hälfte jener Kardinäle, die im März 2013 seinen Nachfolger Franziskus wählten.

Benedikt betonte die Führungsrolle seiner katholischen Kirche und ihren Anspruch darauf, die einzig wahre Kirche zu sein. Protestanten verärgerte es, als Kirche minderer Klasse abgestempelt zu werden. Wichtige Schritte ökumenischer Annäherung blieben aus.

Verrat und Reformstau in der Kurie

Sein Zugehen auf die Traditionalisten der Pius-Bruderschaft und seine Geduld mit diesen “Freischärlern” am äußersten kirchlichen Rand rief zahlreiche Kritiker auf den Plan. Ratzinger bemühte sich aus Angst vor bleibender Spaltung, die Traditionalisten wieder einzubinden. Das scheiterte. Zugleich gab er jenen Anglikanern eine neue geistliche Heimat, denen in ihrer Kirche Reformen wie die Priesterweihe der Frau zu weit gingen. Überdies pflegte Benedikt XVI. sehr bewusst Kontakte zur Orthodoxie.

Das Verhältnis des nun verstorbenen emeritierten Papstes zu anderen Religionen war nicht spannungsfrei. Die Empörung in der arabischen Welt nach seiner Regensburger Rede 2006 mit einem missverständlichen Zitat über Mohammed bleibt in Erinnerung. In der Folge gewann der christlich-islamische Fachdialog allerdings eine vorher kaum gekannte Qualität.

Reform durch Verzicht

Der Skandal um den jahrzehntelang verschleierten massenhaften Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche überschattete Benedikts Amtszeit. In vielen Ländern, so in Irland, den USA, Australien und Belgien, ab 2010 auch in Deutschland kamen immer mehr Fälle sexueller Gewalt ans Licht der Öffentlichkeit. Kritiker monierten, die Kirche reagiere nicht entschlossen genug, sondern habe Täter nur versetzt und Verbrechen vertuschen wollen. Es fehle der Wille zu zivilrechtlichen Verfahren.

Der Glanz verblasst

Benedikt bemühte sich anders als sein Vorgänger um eine Aufarbeitung. Und er verurteilte jede Tat deutlich und rief stets dazu auf, die Kirche in ihrer Heiligkeit zu schützen. Auf Reisen traf er Missbrauchsopfer – immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Seine Erschütterung über deren Schicksal war spürbar, die Vorgänge insgesamt brandmarkte er als “Geißel” und “großes Leid”. In der Folge verschärfte er Vorgaben für die Ausbildung von Priestern. Unter seinem Nachfolger wurde das Ausmaß von Missbrauch in Kirche in vielen Teilen der Welt noch deutlicher. Erst Franziskus lud 2019 zum weltweiten kirchlichen Krisengipfel in den Vatikan. Und erst Franziskus ermunterte Diözesen und Bischofskonferenzen weltweit, Verbrechen aufzuarbeiten und sich Opfern zuzuwenden. Denn der Papst, der aus dem fernen Argentinien kam und anders als sein Vorgänger Distanz zum vatikanischen Apparat und zu dessen Schutzmechanismen hatte, war erschüttert von den Dimensionen des Missbrauchs.

Nahaufnahme von Missbrauchsopfer Bernie McDaid im Gespräch mit Papst Benedikt XVI. in Washington, April 2008

2012 schließlich erschütterte die sogenannte Vatileaks-Affäre die Machtzentrale im Vatikan. Dokumente und Interna aus dem Umfeld des Papstes waren an die Öffentlichkeit gelangt. Als Verräter entpuppte sich der päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele. Dieser wurde nach kurzer Haftstrafe vom Papst begnadigt.

Die Entscheidung zum Amtsverzicht bewegte und erschütterte viele Katholiken; über kirchliche Milieus hinaus sorgte sie für Erstaunen in aller Welt. Sicher – dem 85-Jährigen sah man in den letzten Amtsmonaten die körperliche Anstrengung an. Sein Rücktritt war schließlich der Verantwortung des Amtes geschuldet, aber auch seiner eigenen Würde. Der Rücktritt nach Prüfung seines Gewissens war mutig und zeugte von Selbstbewusstsein. Manche Katholiken, die das schier ewige Bild eines bis zum Tode dienenden Papstes vor Augen hatten, zeigten sich jedoch irritiert.

Dass der Papst aus dem Lande der Reformation das Amt an der Spitze der katholischen Kirche auf diese Weise vermenschlicht und auch reformiert hat, erschloss sich Teilen des Kirchenvolks nicht. An seinem letzten Arbeitstag entschwebte Benedikt XVI. im weißen Hubschrauber aus dem Vatikan in die Papstresidenz Castelgandolfo. Das wirkte wie ein spektakuläres “Auf-nimmer-Wiedersehen”. Aber zwei Monate später kehrte Benedikt in den Vatikan zurück und bezog ein Quartier in einem kleinen Kloster in den Vatikanischen Gärten.

2014 nahm er an mehreren großen Gottesdiensten im Petersdom oder auf dem Petersplatz teil. Immer mal wieder verbreiteten Wegbegleiter früherer Jahre Fotos, wenn sie bei ihm zu Gast waren. Gelegentlich besuchte ihn sein Nachfolger. Spektakulär waren einige Wortmeldungen: mal ein Interview, mal eine Rede. Und 2018, 2019 und 2020 sorgten Veröffentlichungen aktuellerer Texte für Aufsehen und Irritationen. Da schaltete er sich pointiert in aktuelle kirchliche Debatten ein und sprach zum Beispiel von einem Zusammenhang zwischen der “Lockerung der Moral” im Zuge der 68er-Bewegung und dem Skandal um sexualisierte Gewalt in der Kirche. Wie er da die Schuld entgegen verbreiteter Erkenntnisse bei anderen suchte, das irritierte viele.

Offiziell war er emeritierter Papst und einfacher Geistlicher. Aber er trug stets eine Soutane in weiß, der allein päpstlichen Farbe. Sein Umfeld betonte die Anrede “Heiliger Vater”. Neben Papst Franziskus also ein “Papst im Ruhestand” – für Fachleute ein großes Thema, für die Kirche eine spannungsgeladene Frage. Auch für die Medien: 2019 nahm die Netflix-Komödie “Die zwei Päpste” das komödiantisch und tiefgründig aufs Korn. 2019 veröffentlichte der Bayerische Rundfunk Bewegtbilder Ratzingers. Sie zeigten ihn vom Alter gezeichnet. Das Gehen fiel ihm zusehends schwerer und er nutzte einen Rollator. Die Stimme schwach. Auch die Augen machten ihm zu schaffen.

Ein einziges Mal kehrte er nach Deutschland zurück. Im Juni 2020 kam er überraschend mit wenigen Begleitern nach Regensburg, um von seinem sterbenskranken Bruder Georg Abschied zu nehmen. Und auch, um am Grab der Eltern zu beten. Benedikt im Rollstuhl, aber er zeigte in der alten Heimat strahlende Augen. Georg (96) starb zehn Tage später. Zu dessen Beisetzung reiste der damals 93-Jährige dann nicht mehr erneut an. 

Einige Monate vor seinem 95. Geburtstag sorgte ein Gutachten von Juristen zum Umgang des Erzbistums München-Freising mit Fällen sexuellen Missbrauchs für weltweites Aufsehen. Und der oft beschworene Glanz der Gestalt Ratzingers verblasste weiter. Schon lange war spekuliert worden, dass während der Jahre von Joseph Ratzinger an der Isar das Erzbistum München-Freising einen Priester aus dem Bistum Essen aufgenommen hatte, der sich dort an Kinder vergangen hatte. In Ratzingers Erzbistum kam der Priester in die Gemeindearbeit – und wieder wurden Kinder seine Opfer. Und das Gutachten sah drei weitere Fälle von “Fehlverhalten” des damaligen Kardinals.

Dabei hatte sich Ratzinger, sicher umfassend von Juristen beraten, im Vorfeld auf 82 Seiten umfassend gegen Vorwürfe verteidigt. Doch die Gutachter bezweifelten einen wesentlichen Punkt seiner Darstellung. Als Ratzinger sich dann vier Tage später korrigierte und einräumen musste, bei einer wichtigen Sitzung zum Umgang mit einem Priester-Täter zugegen gewesen zu sein, wurde er von Kritikern mit dem Vorwurf der “Lüge” konfrontiert. Die Gutachter betonten kritisch, dass Ratzinger stets nur bestätige, was man ihm zweifelsfrei nachweisen könne. Und viele, die die Ausführungen Ratzingers lasen, waren irritiert von seiner kalten und auch schon zum Tatzeitraum um 1980 überholten Sicht auf priesterliches Fehlverhalten zu Lasten von Minderjährigen. All das passte ins Bild einer Kirche, die zusehends Schwierigkeiten hatte, sich der Dimension der Verbrechen durch Kleriker zu stellen.

Dabei hatte sich Ratzinger, sicher umfassend von Juristen beraten, im Vorfeld auf 82 Seiten umfassend gegen Vorwürfe verteidigt. Doch die Gutachter bezweifelten einen wesentlichen Punkt seiner Darstellung. Als Ratzinger sich dann vier Tage später korrigierte und einräumen musste, bei einer wichtigen Sitzung zum Umgang mit einem Priester-Täter zugegen gewesen zu sein, wurde er von Kritikern mit dem Vorwurf der “Lüge” konfrontiert. Die Gutachter betonten kritisch, dass Ratzinger stets nur bestätige, was man ihm zweifelsfrei nachweisen könne. Und viele, die die Ausführungen Ratzingers lasen, waren irritiert von seiner kalten und auch schon zum Tatzeitraum um 1980 überholten Sicht auf priesterliches Fehlverhalten zu Lasten von Minderjährigen. All das passte ins Bild einer Kirche, die zusehends Schwierigkeiten hatte, sich der Dimension der Verbrechen durch Kleriker zu stellen.

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