Aufruf zum Widerstand der Indigenen: Milo Raus Antigone im Amazonas
Im Amazonas brennen die Wälder, die Ureinwohner kämpfen ums Überleben. Der Regisseur Milo Rau hat daraus eine griechisch-brasilianische Tragödie gemacht – mit der Indigenen Kay Sara in der Titelrolle der Antigone.
Ob der griechische Dichter Sophokles wohl geahnt hat, wie aktuell sein Theaterstück rund 2400 Jahre nach der Uraufführung noch sein würde? “Antigone” ist die Geschichte des Tyrannen Kreon, der um jeden Preis seine Macht erhalten will. Die titelgebende Protagonistin widersetzt sich ich ihm – überzeugt, vor den Göttern das Richtige zu tun. Die Sache geht nicht gut aus: Kreon will sie lebendig begraben lassen, doch Antigone entzieht sich dem Urteil durch Selbstmord.
Theaterautor und Regisseur Milo Rau holte Antigone nun in die Gegenwart. Der Schweizer ist bekannt für sein kritisches und radikales Werk, hat den Völkermord in Ruanda ebenso auf die Bühne gebracht wie die menschenunwürdige Situation im süditalienischen Flüchtlingslager Matera, wo er den Jesus-Film “Das neue Evangelium” ansiedelte. Jetzt also widmet er sich der Zerstörung des Amazonas. Die indigene Schauspielerin und Aktivistin Kay Sara spielt die Hauptrolle in seiner modernen Antigone-Version – flankiert von Mitgliedern des “Movimento dos Trabalhadores Sem Terra”, der größten Landlosenbewegung der Welt. Sie kämpfen um ein Stück Land, das in Brasilien seit Urzeiten den Großgrundbesitzern gehört, und um eine gerechtere Gesellschaft.
Ob der griechische Dichter Sophokles wohl geahnt hat, wie aktuell sein Theaterstück rund 2400 Jahre nach der Uraufführung noch sein würde? “Antigone” ist die Geschichte des Tyrannen Kreon, der um jeden Preis seine Macht erhalten will. Die titelgebende Protagonistin widersetzt sich ich ihm – überzeugt, vor den Göttern das Richtige zu tun. Die Sache geht nicht gut aus: Kreon will sie lebendig begraben lassen, doch Antigone entzieht sich dem Urteil durch Selbstmord.
Es geht also um Profitgier, den Raubbau an der Natur und um Vertreibung in dieser modernen Antigone, für die Rau mit seinem Team 2020 in den brasilianischen Bundesstaat Pará gereist war. Damals war Jair Bolsonaro seit einem Jahr als Präsident im Amt. Er ließ die für den Schutz der Ureinwohner zuständige Regierungsorganisation “Funai” entmachten und setzte einen Klimawandel-Leugner an die Spitze des Umweltministeriums. Der Landlosenbewegung versprach er, sie mit “geladener Waffe” willkommen zu heißen. Rau sah das als Blaupause für eine Neuauflage des Klassikers von Sophokles.
Antigone im 21. Jahrhundert
Eigentlich sollte die Inszenierung im April 2020 Premiere feiern, auf einer Straße im Amazonas, wo Polizisten einst zahlreiche Landlose ermordeten – doch dann kam Corona dazwischen. Anschließend sollte die Produktion in Wien zu sehe sein, doch stattdessen hielt Kay Sara im Netz eine beeindruckende Rede: “Ich hätte Antigone gespielt, die sich gegen den Herrscher Kreon auflehnt … Der Chor hätte aus Überlebenden eines Massakers der brasilianischen Regierung an Landlosen bestanden. Wir hätten diese neue Antigone auf einer besetzten Straße durch den Amazonas aufgeführt – jenen Wäldern, die in Flammen stehen. Es wäre kein Theaterstück gewesen, sondern eine Aktion. Kein Akt der Kunst, sondern ein Akt des Widerstands: gegen jene Staatsmacht, die den Amazonas zerstört.”
Kay Sara stammt aus dem Dorf Lauaretê, aufgewachsen ist sie in der Zwei-Millionen Metropole Manaus, der Hauptstadt des Amazonas. Väterlicherseits gehört sie zum dritten Clan des Volks der Tariano, des Clans des Donners. Mütterlicherseits ist sie eine Tukana, ihr Name Kay Sara bedeutet: “die sich um andere sorgt”.
Und die Indigene ist in großer Sorge um ihre Heimat. “Im Amazonas brennen die Wälder. Das Problem ist nicht, dass ihr nicht wisst, dass unsere Wälder brennen und unsere Völker sterben. Das Problem ist, dass ihr euch an dieses Wissen gewöhnt habt”, lautet ihre Botschaft an die Welt. “Vor einigen Jahren trockneten die Nebenflüsse des Amazonas zum ersten Mal seit Menschengedenken aus. In zehn Jahren wird das Ökosystem des Amazonas kippen, wenn wir nicht sofort handeln. Das Herz dieses Planeten wird aufhören zu schlagen.”
Sara ist Schauspielerin geworden, damit ihre Stimme gehört wird, wenn sie von ihrem Volk erzählt – denn Jahrhunderte lang berichteten andere über die Indigenen, angefangen mit den Kolonialherren. “Nun ist es an der Zeit, dass wir selbst unsere Geschichte erzählen”, fordert sie.
Immer wieder werde sie gefragt, warum sie ihr Dorf, diesen schönen, wundervollen Fleck Erde im Amazonas verlassen habe, erzählt sie der DW und moniert, dass die Leute ein falsches Bild von einer Idylle im Wald vor Augen hätten. “Es ist kein so schöner, wunderbarer Ort. Es ist ein kolonialisierter Ort, der von Gewalt geprägt ist. Ein Ort, an dem indigene Frauen vergewaltigt, indigene Menschen massakriert und ermordet wurden.”
Der Ort, an dem Kay Sara sich jetzt zu Hause fühlt, ist die Kunst. “Dort werde ich gehört, dort werde ich sichtbar”, sagt sie. “Alle sind es gewohnt, dass Ureinwohner in der Politik mitmischen, aber die Kunst versetzt mich in die Lage, Dinge sensibler zu vermitteln. Ich glaube, die Leute hören dann mehr zu.”
So auch, wenn es jetzt nach der Pandemie endlich wieder losgeht mit den Proben zu “Antigone im Amazonas” und ihrem Kampf gegen den Tyrannen Kreon. Aus Kay Saras Sicht war nicht nur Bolsonaro ein Tyrann, sagt sie gegenüber der DW. “Wir wurden immer unterdrückt, standen immer unter all den anderen Völkern. Für uns waren also alle Regierungen Kreon.”
Jetzt hofft die 27-Jährige, dass es unter dem neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva besser wird. Allerdings habe der in seiner früheren Amtszeit (Lula war bereits von 2003 bis 2011 Präsident, Anmerkung d. Red.) nicht viel für die indigenen Völker getan – vor allem, weil er keine unantastbaren Territorien für die Indigenen abstecken ließ und es immer wieder tödliche Auseinandersetzungen um die Ländereien im Amazonas gab.
Trotzdem hat Kay Sara Lula gewählt. Er habe versprochen, sich für die Umwelt und für Minderheiten einzusetzen, sagt sie. Für sie ist es ein gutes Zeichen, dass der neue Präsident die Stammesführerin der Guajajaras und Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Sônia Guajajara als Ministerin für indigene Völker eingesetzt hat – diesen Posten gab es in Brasiliens Geschichte noch nie. “Das ist ein großer Fortschritt, vor vier Jahren hatten wir Indigene niemanden in dieser Machtposition. Jetzt denke ich: ‘Wir können weiterhin Hoffnung haben’.”
Als moderne Antigone will Sara Kay am Prozess der Veränderung teilhaben und die weitere Zerstörung des Regenwaldes durch profitgierige Politiker und Großgrundbesitzer aufhalten. “Dieser Wahnsinn muss aufhören. Hören wir auf, wie Kreon zu sein. Seien wir wie Antigone. Denn wenn Rechtlosigkeit Gesetz wird, wird Widerstand zur Pflicht.” Die Welt könne von den indigenen Völkern lernen, im Einklang mit der Natur zu leben. Sie müsse es nur wollen.
Ob der griechische Dichter Sophokles wohl geahnt hat, wie aktuell sein Theaterstück rund 2400 Jahre nach der Uraufführung noch sein würde? “Antigone” ist die Geschichte des Tyrannen Kreon, der um jeden Preis seine Macht erhalten will. Die titelgebende Protagonistin widersetzt sich ich ihm – überzeugt, vor den Göttern das Richtige zu tun. Die Sache geht nicht gut aus: Kreon will sie lebendig begraben lassen, doch Antigone entzieht sich dem Urteil durch Selbstmord.
Theaterautor und Regisseur Milo Rau holte Antigone nun in die Gegenwart. Der Schweizer ist bekannt für sein kritisches und radikales Werk, hat den Völkermord in Ruanda ebenso auf die Bühne gebracht wie die menschenunwürdige Situation im süditalienischen Flüchtlingslager Matera, wo er den Jesus-Film “Das neue Evangelium” ansiedelte. Jetzt also widmet er sich der Zerstörung des Amazonas. Die indigene Schauspielerin und Aktivistin Kay Sara spielt die Hauptrolle in seiner modernen Antigone-Version – flankiert von Mitgliedern des “Movimento dos Trabalhadores Sem Terra”, der größten Landlosenbewegung der Welt. Sie kämpfen um ein Stück Land, das in Brasilien seit Urzeiten den Großgrundbesitzern gehört, und um eine gerechtere Gesellschaft.
Antigone im 21. Jahrhundert
Es geht also um Profitgier, den Raubbau an der Natur und um Vertreibung in dieser modernen Antigone, für die Rau mit seinem Team 2020 in den brasilianischen Bundesstaat Pará gereist war. Damals war Jair Bolsonaro seit einem Jahr als Präsident im Amt. Er ließ die für den Schutz der Ureinwohner zuständige Regierungsorganisation “Funai” entmachten und setzte einen Klimawandel-Leugner an die Spitze des Umweltministeriums. Der Landlosenbewegung versprach er, sie mit “geladener Waffe” willkommen zu heißen. Rau sah das als Blaupause für eine Neuauflage des Klassikers von Sophokles.
Eigentlich sollte die Inszenierung im April 2020 Premiere feiern, auf einer Straße im Amazonas, wo Polizisten einst zahlreiche Landlose ermordeten – doch dann kam Corona dazwischen. Anschließend sollte die Produktion in Wien zu sehe sein, doch stattdessen hielt Kay Sara im Netz eine beeindruckende Rede: “Ich hätte Antigone gespielt, die sich gegen den Herrscher Kreon auflehnt … Der Chor hätte aus Überlebenden eines Massakers der brasilianischen Regierung an Landlosen bestanden. Wir hätten diese neue Antigone auf einer besetzten Straße durch den Amazonas aufgeführt – jenen Wäldern, die in Flammen stehen. Es wäre kein Theaterstück gewesen, sondern eine Aktion. Kein Akt der Kunst, sondern ein Akt des Widerstands: gegen jene Staatsmacht, die den Amazonas zerstört.”
Kay Sara stammt aus dem Dorf Lauaretê, aufgewachsen ist sie in der Zwei-Millionen Metropole Manaus, der Hauptstadt des Amazonas. Väterlicherseits gehört sie zum dritten Clan des Volks der Tariano, des Clans des Donners. Mütterlicherseits ist sie eine Tukana, ihr Name Kay Sara bedeutet: “die sich um andere sorgt”.
Und die Indigene ist in großer Sorge um ihre Heimat. “Im Amazonas brennen die Wälder. Das Problem ist nicht, dass ihr nicht wisst, dass unsere Wälder brennen und unsere Völker sterben. Das Problem ist, dass ihr euch an dieses Wissen gewöhnt habt”, lautet ihre Botschaft an die Welt. “Vor einigen Jahren trockneten die Nebenflüsse des Amazonas zum ersten Mal seit Menschengedenken aus. In zehn Jahren wird das Ökosystem des Amazonas kippen, wenn wir nicht sofort handeln. Das Herz dieses Planeten wird aufhören zu schlagen.”
Sara ist Schauspielerin geworden, damit ihre Stimme gehört wird, wenn sie von ihrem Volk erzählt – denn Jahrhunderte lang berichteten andere über die Indigenen, angefangen mit den Kolonialherren. “Nun ist es an der Zeit, dass wir selbst unsere Geschichte erzählen”, fordert sie.
Immer wieder werde sie gefragt, warum sie ihr Dorf, diesen schönen, wundervollen Fleck Erde im Amazonas verlassen habe, erzählt sie der DW und moniert, dass die Leute ein falsches Bild von einer Idylle im Wald vor Augen hätten. “Es ist kein so schöner, wunderbarer Ort. Es ist ein kolonialisierter Ort, der von Gewalt geprägt ist. Ein Ort, an dem indigene Frauen vergewaltigt, indigene Menschen massakriert und ermordet wurden.”
Der Ort, an dem Kay Sara sich jetzt zu Hause fühlt, ist die Kunst. “Dort werde ich gehört, dort werde ich sichtbar”, sagt sie. “Alle sind es gewohnt, dass Ureinwohner in der Politik mitmischen, aber die Kunst versetzt mich in die Lage, Dinge sensibler zu vermitteln. Ich glaube, die Leute hören dann mehr zu.”
So auch, wenn es jetzt nach der Pandemie endlich wieder losgeht mit den Proben zu “Antigone im Amazonas” und ihrem Kampf gegen den Tyrannen Kreon. Aus Kay Saras Sicht war nicht nur Bolsonaro ein Tyrann, sagt sie gegenüber der DW. “Wir wurden immer unterdrückt, standen immer unter all den anderen Völkern. Für uns waren also alle Regierungen Kreon.”
Jetzt hofft die 27-Jährige, dass es unter dem neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva besser wird. Allerdings habe der in seiner früheren Amtszeit (Lula war bereits von 2003 bis 2011 Präsident, Anmerkung d. Red.) nicht viel für die indigenen Völker getan – vor allem, weil er keine unantastbaren Territorien für die Indigenen abstecken ließ und es immer wieder tödliche Auseinandersetzungen um die Ländereien im Amazonas gab.
Trotzdem hat Kay Sara Lula gewählt. Er habe versprochen, sich für die Umwelt und für Minderheiten einzusetzen, sagt sie. Für sie ist es ein gutes Zeichen, dass der neue Präsident die Stammesführerin der Guajajaras und Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Sônia Guajajara als Ministerin für indigene Völker eingesetzt hat – diesen Posten gab es in Brasiliens Geschichte noch nie. “Das ist ein großer Fortschritt, vor vier Jahren hatten wir Indigene niemanden in dieser Machtposition. Jetzt denke ich: ‘Wir können weiterhin Hoffnung haben’.”
Als moderne Antigone will Sara Kay am Prozess der Veränderung teilhaben und die weitere Zerstörung des Regenwaldes durch profitgierige Politiker und Großgrundbesitzer aufhalten. “Dieser Wahnsinn muss aufhören. Hören wir auf, wie Kreon zu sein. Seien wir wie Antigone. Denn wenn Rechtlosigkeit Gesetz wird, wird Widerstand zur Pflicht.” Die Welt könne von den indigenen Völkern lernen, im Einklang mit der Natur zu leben. Sie müsse es nur wollen.