Erdbeben in der Türkei: Instabile Bauweise ein Grund für die große Zerstörung
Die Beben in der Türkei und Syrien führten auch deshalb zu so viel Zerstörung, weil viele Gebäude alt und instabil waren. Außerdem waren die Erschütterungen ungewöhnlich stark spürbar.
Das Erdbeben der Stärke 7,8 und seine Nachbeben, die die Türkei und Syrien seit Montag erschüttern, haben immensen Schaden in der Region angerichtet. Die Anzahl der Toten liegt mittlerweile bei mehr als 20.000, unzählige Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Andere Erdbeben dieser oder sogar noch größerer Stärke haben in der Vergangenheit weitaus weniger Opfer gefordert. In Chile beispielsweise bebte die Erde 2014 und 2015 mit einer Stärke von 8,2 beziehungsweise 8,3 – und beide Male kamen nicht mehr als 15 Menschen ums Leben.
Das Erdbeben der Stärke 7,8 und seine Nachbeben, die die Türkei und Syrien seit Montag erschüttern, haben immensen Schaden in der Region angerichtet. Die Anzahl der Toten liegt mittlerweile bei mehr als 20.000, unzählige Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Warum also zogen die Beben dieses Mal so verheerende Folgen nach sich?
Alte Gebäude hielten den Erdbeben nicht stand
Auf Videos aus den Städten nahe des Epizentrums ist zu sehen, wie mehrstöckige Apartmentgebäude wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen, wie die oberen Stockwerke auf die darunterliegenden stürzen. Die Chancen, in den Trümmern dieser Gebäude noch Überlebende zu finden, sind gering.
Mehrstöckige Gebäude, die so einstürzen, sind in den meisten Fällen alt und haben eine “weiche Stockwerk-Struktur”, sagt Mehdi Kashani, außerordentlicher Professor für Bau- und Erdbebeningenieurwesen an der University of Southampton in Großbritannien.
Ein Gebäude mit dieser weichen Struktur hat viele Fenster, weite Türen und andere Öffnungen dort, wo Wände einem Erdbeben weit besser standhalten würden. Wenn ein solches Stockwerk das Erdgeschoss bildet, kann es das ganze Gebäude ins Verderben reißen.
Es gibt zwar einige Gebäude in der erdbebengefährdeten Zone entlang der türkisch-syrischen Grenze, die bereits so stabil konstruiert sind, dass sie Beben standhalten können. Aber viele wurden gebaut, bevor es Vorschriften zu erdbebensicherem Bauen überhaupt gab.
“Die Grundprinzipien wurden in den 1960ern und 70ern entwickelt, das ist noch nicht so lange her”, sagt Kashani der DW. “Das Kobe Erdbeben [in Japan] 1995 war ein sehr, sehr, sehr wichtiger Wendepunkt, danach wurde viel von dem geändert, was bei diesem Erdbeben zu schlimmen Folgen geführt hatte. Außerdem war es der Auslöser für weitere Forschung. In den späten 1990ern und frühen 2000ern begannen sich die Vorschriften [für erdbebensicheres Bauen] also zu ändern.”
Diese Vorschriften legen fest, wie Gebäude konstruiert sein müssen, die in Gegenden rund um Verwerfungslinien stehen, also dort, wo tektonische Platten aufeinander treffen – so wie im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Häuser, die diesen Vorschriften nicht genügten, sind bei Erdbeben wie dem am Montag besonders einsturzgefährdet.
Kashani sagt, dass auch ältere Häuser so umgebaut werden können, dass sie Erdbeben besser standhalten, so geschehen beispielsweise in Japan und Chile, wo häufig die Erde bebt. Doch das erfordere Geld und politischen Willen, und geschehe deshalb nicht überall dort, wo es sollte.
Erdbebensicheres Bauen sieht bei jedem Gebäude anders aus, sagt Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Dafür müssen aber zunächst einige generelle Dinge geklärt werden.
Als erstes schauen Ingenieure und Ingenieurinnen auf den Untergrund und beantworten Fragen wie: Wie hoch ist das Risiko für Erdbeben an dieser Stelle? Ist es sinnvoll, hier zu bauen? Wie ist der Boden hier beschaffen? Was sind geeignete Fundamente?
Eine Möglichkeit, für mehr Stabilität in einer Erdbeben-Risikozone zu sorgen, ist ein Gebäude auf Stelzenkonstruktionen zu stellen. So übertragen sich die Vibrationen, die bei einem Beben den Erdboden erschüttern, weniger stark auf das Gebäude.
Hochhäuser mit Gewichten auszustatten kann auch helfen, sagt Messari-Becker der DW. Auch verbindende Elemente seien sehr wichtig. “Es ist möglich, Balken und Träger so zu verbinden, dass es im Falle von Erschütterungen zwar Schäden gibt, aber die Bauteile nur deformiert werden”, so die Bauingenieurin. “Sie dehnen sich, stürzen aber nicht ein.”
Die weitreichenden Schäden sind nicht nur auf das Gebäudedesign zurückzuführen. Die Macht des Erdbebens selbst war einfach zu groß. Laut Mehdi Kashani liegt das daran, dass das Erdbeben direkt unter der Erdoberfläche stattfand. Die Erschütterung durch das Zusammenstoßen der tektonischen Platten war deswegen viel stärker zu spüren, als wenn das Beben weiter unten stattgefunden und eine längere Zeit gebraucht hätte, um an die Oberfläche zu gelangen.
Das ganze könnte man sich wie eine Welle im Ozean vorstellen, sagt Kashani. Riesige Wellen können mit ihrer Kraft auch den erfahrensten Surfer vom Brett holen. Aber wenn die Wellen erst einmal weit genug durch den Ozean gerollt sind, stellen sie selbst für Surf-Anfänger keine Gefahr mehr dar.
Ob ein Erdbeben direkt unter der Erdoberfläche oder tiefer stattfindet, erklärt, warum einige Beben mit einer relativ niedrigen Stärke große Schäden anrichten konnten.
Als Beispiel erwähnt Kashani das Bam Erdbeben im Iran 2003. Trotz einer Stärke von nur 6,3, mit der andere Beben keine größere Zerstörung angerichtet haben, starben bei dem Erdbeben dicht unter der Oberfläche mehr als 25.000 Menschen.
Die Materialien sind nicht die wichtigste Komponente, wenn es darum geht, ein Gebäude erdbebensicher zu machen, sagt Kashani. Entscheidend sei die Bauweise. Mit dem richtigen Design könne Beton beispielsweise eine gute Grundlage für ein erdbebensicheres Gebäude sein. Aber wenn die Gebäude nicht richtig konstruiert sind, kann auch ein Haus aus Beton in sich zusammenfallen, wie man in den Videos aus der Türkei und Syrien sieht.
Aktuelle Vorschriften sorgen dafür, dass Gebäude selbst bei starken Erdbeben nicht einstürzen, was viele Menschenleben rettet. Trotzdem tragen sie immer noch Schäden davon. Kashani ist zuversichtlich, dass sich das in den kommenden Jahren noch verbessern wird.
Das Erdbeben der Stärke 7,8 und seine Nachbeben, die die Türkei und Syrien seit Montag erschüttern, haben immensen Schaden in der Region angerichtet. Die Anzahl der Toten liegt mittlerweile bei mehr als 20.000, unzählige Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Andere Erdbeben dieser oder sogar noch größerer Stärke haben in der Vergangenheit weitaus weniger Opfer gefordert. In Chile beispielsweise bebte die Erde 2014 und 2015 mit einer Stärke von 8,2 beziehungsweise 8,3 – und beide Male kamen nicht mehr als 15 Menschen ums Leben.
Alte Gebäude hielten den Erdbeben nicht stand
Warum also zogen die Beben dieses Mal so verheerende Folgen nach sich?
Auf Videos aus den Städten nahe des Epizentrums ist zu sehen, wie mehrstöckige Apartmentgebäude wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen, wie die oberen Stockwerke auf die darunterliegenden stürzen. Die Chancen, in den Trümmern dieser Gebäude noch Überlebende zu finden, sind gering.
Mehrstöckige Gebäude, die so einstürzen, sind in den meisten Fällen alt und haben eine “weiche Stockwerk-Struktur”, sagt Mehdi Kashani, außerordentlicher Professor für Bau- und Erdbebeningenieurwesen an der University of Southampton in Großbritannien.
Ein Gebäude mit dieser weichen Struktur hat viele Fenster, weite Türen und andere Öffnungen dort, wo Wände einem Erdbeben weit besser standhalten würden. Wenn ein solches Stockwerk das Erdgeschoss bildet, kann es das ganze Gebäude ins Verderben reißen.
So werden Gebäude stabiler
Es gibt zwar einige Gebäude in der erdbebengefährdeten Zone entlang der türkisch-syrischen Grenze, die bereits so stabil konstruiert sind, dass sie Beben standhalten können. Aber viele wurden gebaut, bevor es Vorschriften zu erdbebensicherem Bauen überhaupt gab.
Ein Beben direkt unter der Erdoberfläche
“Die Grundprinzipien wurden in den 1960ern und 70ern entwickelt, das ist noch nicht so lange her”, sagt Kashani der DW. “Das Kobe Erdbeben [in Japan] 1995 war ein sehr, sehr, sehr wichtiger Wendepunkt, danach wurde viel von dem geändert, was bei diesem Erdbeben zu schlimmen Folgen geführt hatte. Außerdem war es der Auslöser für weitere Forschung. In den späten 1990ern und frühen 2000ern begannen sich die Vorschriften [für erdbebensicheres Bauen] also zu ändern.”
Diese Vorschriften legen fest, wie Gebäude konstruiert sein müssen, die in Gegenden rund um Verwerfungslinien stehen, also dort, wo tektonische Platten aufeinander treffen – so wie im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Häuser, die diesen Vorschriften nicht genügten, sind bei Erdbeben wie dem am Montag besonders einsturzgefährdet.
Kashani sagt, dass auch ältere Häuser so umgebaut werden können, dass sie Erdbeben besser standhalten, so geschehen beispielsweise in Japan und Chile, wo häufig die Erde bebt. Doch das erfordere Geld und politischen Willen, und geschehe deshalb nicht überall dort, wo es sollte.
Bauweise wichtiger als Materialien
Erdbebensicheres Bauen sieht bei jedem Gebäude anders aus, sagt Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Dafür müssen aber zunächst einige generelle Dinge geklärt werden.
Als erstes schauen Ingenieure und Ingenieurinnen auf den Untergrund und beantworten Fragen wie: Wie hoch ist das Risiko für Erdbeben an dieser Stelle? Ist es sinnvoll, hier zu bauen? Wie ist der Boden hier beschaffen? Was sind geeignete Fundamente?
Eine Möglichkeit, für mehr Stabilität in einer Erdbeben-Risikozone zu sorgen, ist ein Gebäude auf Stelzenkonstruktionen zu stellen. So übertragen sich die Vibrationen, die bei einem Beben den Erdboden erschüttern, weniger stark auf das Gebäude.
Hochhäuser mit Gewichten auszustatten kann auch helfen, sagt Messari-Becker der DW. Auch verbindende Elemente seien sehr wichtig. “Es ist möglich, Balken und Träger so zu verbinden, dass es im Falle von Erschütterungen zwar Schäden gibt, aber die Bauteile nur deformiert werden”, so die Bauingenieurin. “Sie dehnen sich, stürzen aber nicht ein.”
Die weitreichenden Schäden sind nicht nur auf das Gebäudedesign zurückzuführen. Die Macht des Erdbebens selbst war einfach zu groß. Laut Mehdi Kashani liegt das daran, dass das Erdbeben direkt unter der Erdoberfläche stattfand. Die Erschütterung durch das Zusammenstoßen der tektonischen Platten war deswegen viel stärker zu spüren, als wenn das Beben weiter unten stattgefunden und eine längere Zeit gebraucht hätte, um an die Oberfläche zu gelangen.
Das ganze könnte man sich wie eine Welle im Ozean vorstellen, sagt Kashani. Riesige Wellen können mit ihrer Kraft auch den erfahrensten Surfer vom Brett holen. Aber wenn die Wellen erst einmal weit genug durch den Ozean gerollt sind, stellen sie selbst für Surf-Anfänger keine Gefahr mehr dar.
Ob ein Erdbeben direkt unter der Erdoberfläche oder tiefer stattfindet, erklärt, warum einige Beben mit einer relativ niedrigen Stärke große Schäden anrichten konnten.
Als Beispiel erwähnt Kashani das Bam Erdbeben im Iran 2003. Trotz einer Stärke von nur 6,3, mit der andere Beben keine größere Zerstörung angerichtet haben, starben bei dem Erdbeben dicht unter der Oberfläche mehr als 25.000 Menschen.
Die Materialien sind nicht die wichtigste Komponente, wenn es darum geht, ein Gebäude erdbebensicher zu machen, sagt Kashani. Entscheidend sei die Bauweise. Mit dem richtigen Design könne Beton beispielsweise eine gute Grundlage für ein erdbebensicheres Gebäude sein. Aber wenn die Gebäude nicht richtig konstruiert sind, kann auch ein Haus aus Beton in sich zusammenfallen, wie man in den Videos aus der Türkei und Syrien sieht.
Aktuelle Vorschriften sorgen dafür, dass Gebäude selbst bei starken Erdbeben nicht einstürzen, was viele Menschenleben rettet. Trotzdem tragen sie immer noch Schäden davon. Kashani ist zuversichtlich, dass sich das in den kommenden Jahren noch verbessern wird.
In den folgenden Monaten werden Forschende ins Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien reisen, um die Gebäude vor Ort zu untersuchen. Sie wollen versuchen herauszufinden, was die Häuser auszeichnet, die nicht eingestürzt sind.
Mitarbeit: Ismail Azzam
Mitarbeit: Ismail Azzam