Fach-Gremium bemängelt strukturelle Schwächen der documenta fifteen
Experten kritisieren die Verantwortlichen der Documenta. Sie werfen ihnen vor, die Antisemitismusvorwürfe nicht ernst genommen und die Situation sogar verschlimmert zu haben.
Ein Expertenbericht übt massive Kritik an den Verantwortlichen der Kunstschau documenta fifteen. Die künstlerische Leitung und die Geschäftsführung der renommierten zeitgenössischen Kunstausstellung hätten nach Antisemitismus-Vorfällen nicht angemessen reagiert und die Situation sogar verschärft, heißt es darin.
Die künstlerische Leitung habe sich abwehrend verhalten, die Geschäftsführung passiv. Das sei für jüdische Menschen verstörend gewesen. Die Expertinnen und Experten empfehlen deshalb strukturelle Änderungen.
Ein Expertenbericht übt massive Kritik an den Verantwortlichen der Kunstschau documenta fifteen. Die künstlerische Leitung und die Geschäftsführung der renommierten zeitgenössischen Kunstausstellung hätten nach Antisemitismus-Vorfällen nicht angemessen reagiert und die Situation sogar verschärft, heißt es darin.
Die documenta ist eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Großausstellung zeitgenössischer Kunst, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet.
“Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus”
Der 133-seitige Bericht, der am 6. Februar 2023 veröffentlicht wurde, stammt von einer Kommission aus externen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kunst, Antisemitismusforschung, Jura, Politikwissenschaft und Konfliktforschung.
“Der sich lange ankündigende Konflikt um Antisemitismus traf intern auf nur unzureichende Vorbereitungen”, erklärten die Sachverständigen, die von den Gesellschaftern der documenta, der Stadt Kassel und dem Land Hessen, im Zuge der Antisemitismusvorwürfe zur fachwissenschaftlichen Begleitung der Schau berufen worden waren.
“Die documenta fifteen fungierte als Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus, und manchmal auch für Antisemitismus pur,” schreibt die Kommission in ihrem Bericht und fügt hinzu: “Der bagatellisierende Umgang mit Antisemitismus auf der documenta fifteen ist zunehmend selbst als Problem hervorgetreten.”
Die 15. Ausgabe der documenta, die vom 18. Juni bis zum 25. September 2022 in Kassel stattfand, wurde vom indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratiert. Es ist angetreten, um künstlerische Perspektiven aus dem Globalen Süden aufzuzeigen und die Folgen von Kolonialismus, kapitalistischer Ausbeutung und Rassismus zu beleuchten.
Die Ausstellung wurde jedoch von massiven Antisemitismus-Vorwürfen überschattet, die bereits lange vor der Eröffnung der Ausstellung aufkamen.
Die Expertenkommission wurde gut einen Monat nach der Eröffnung der documenta eingesetzt. “Wir sollten auf drei Fragen antworten”, erläutert Nicole Deitelhoff, Vorsitzende der Kommission und Geschäftsführerin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, ihre Aufgabe gegenüber der DW.
“Erstens: Ist die documenta fifteen antisemitisch gewesen bzw. waren einzelne Werke, die dort ausgestellt worden sind, antisemitisch? Zweitens: Wie konnte es dazu kommen, dass solche Werke ausgestellt worden sind? Und drittens: Was lässt sich unternehmen, damit sich so etwas zukünftig nicht wiederholt?”
Noch vor der Eröffnung der documenta wurden Bedenken gegen das Kuratorenkollektiv ruangrupa geäußert. Die Befürchtungen bezogen sich auf mögliche Verbindungen von Mitgliedern zur BDS-Bewegung (“Boycott, Divestment and Sanctions”). Dahinter verbirgt sich eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. Der Deutsche Bundestag bezeichnete 2019 in einem Beschluss den BDS als antisemitisch.
Die Vorwürfe gegen die documenta richteten sich gegen einen Antisemitismus, der in Form von Anti-Israel-Kritik auftreten könnte. Auch wurde kritisiert, dass keine jüdischen oder israelischen Künstlerinnen und Künstler zur Kunstschau eingeladen wurden. Das trug laut Bericht zu einer einseitigen Sicht auf den Nahostkonflikt bei.
Am Eröffnungswochenende der documenta wurden antisemitische Motive in dem großformatigen Wandbild “People’s Justice” entdeckt. Das Werk wurde zunächst abgedeckt und kurz darauf abgebaut.
Drei weitere problematische Werke, die antisemitische Elemente enthielten, wurden im Bericht der Kommission identifiziert und untersucht.
Darunter Zeichnungen der “Archives des luttes des femmes en Algérie” (Archive der Frauenkämpfe in Algerien), die sich mit der Gründung Israels und der damit verbundenen Vertreibung der Palästinenser, der so genannten “Nakba”, beschäftigten.
Kritisch sah die Kommission außerdem die Filmreihe “Tokyo Reels” des in Ramallah und Brüssel ansässigen Kollektivs Subversive Film. Ein Teil der 20 gezeigten Filme bezog sich auf die palästinensische Geschichte. Im Bericht heißt es dazu: “Indem die Filmbeiträge das Land (Israel, Anm. d. Red.) als Quelle allen Übels im Nahen Osten darstellen, delegitimieren sie einerseits Israels Existenz und treten andererseits für Gewalt gegen Israel ein.”
Auch die Bilderreihe “Guernica Gaza” von Mohammed Al-Hawajri wurde als antisemitisch befunden. Der palästinensische Künstler vereinte Fotos aus Israel und den palästinensischen Gebieten mit bekannten Werken der westlichen Kunstgeschichte in einer digitalen Collage. Der Bericht kritisiert “die einseitige Darstellung des israelisch/palästinensischen Konflikts auf der documenta fifteen, in der Israelis die alleinigen Aggressoren und Palästinenser*innen friedliche, unschuldige Opfer sind”. Außerdem heißt es zusammenfassend: “Nicht die documenta fifteen war antisemitisch, aber es gab Antisemitismus auf der documenta. In mindestens vier der ausgestellten Werke haben wir antisemitische visuelle Codes festgestellt. Das heißt: Dass dort eine Bildsprache vorlag, die antisemitische Stereotype reproduziert. Außerdem finden wir innerhalb dieser vier Werke auch eine antizionistische Bildsprache. Das heißt, dass hier das Recht des Staates Israel auf Selbstbestimmung in Frage gezogen wird und teilweise in einer Art, dass es auch antisemitisch ist – etwa wenn der Staat Israel mit dem nationalsozialistischen Regime gleichgesetzt wird.”
Auch wenn der Ansatz der documenta 15 im Bericht der Kommission gelobt wird, so stellt das Gremium fest, dass der Umgang der Documenta-Leitung zu dem Antisemitismus-Eklat beigetragen habe.
“Es werden Themen überwiegend aus Perspektiven betrachtet, die einem Großteil des Museumspublikums in Deutschland vermutlich nicht vertraut oder bekannt sind. Dazu gehören vorrangig Perspektiven des Globalen Südens.”
Die stark dezentralisierte Struktur, bei der ruangrupa andere Kollektive einlud, die wiederum andere Kollektive oder Künstler einluden, führte jedoch dazu, dass niemand einen Überblick über die ausgestellten Werke hatte, sagte Deitelhoff gegenüber der DW. “Wir haben es einerseits mit einem Konzept für die gesamte Ausstellung zu tun, das sehr problematisch war, weil es davon ausging, dass man Verantwortung abgeben wollte. Das zweite Problem war: Es gab überhaupt keine etablierten Verfahren der Konfliktbearbeitung.”
Ein Expertenbericht übt massive Kritik an den Verantwortlichen der Kunstschau documenta fifteen. Die künstlerische Leitung und die Geschäftsführung der renommierten zeitgenössischen Kunstausstellung hätten nach Antisemitismus-Vorfällen nicht angemessen reagiert und die Situation sogar verschärft, heißt es darin.
Die künstlerische Leitung habe sich abwehrend verhalten, die Geschäftsführung passiv. Das sei für jüdische Menschen verstörend gewesen. Die Expertinnen und Experten empfehlen deshalb strukturelle Änderungen.
“Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus”
Die documenta ist eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Großausstellung zeitgenössischer Kunst, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet.
Der 133-seitige Bericht, der am 6. Februar 2023 veröffentlicht wurde, stammt von einer Kommission aus externen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kunst, Antisemitismusforschung, Jura, Politikwissenschaft und Konfliktforschung.
“Der sich lange ankündigende Konflikt um Antisemitismus traf intern auf nur unzureichende Vorbereitungen”, erklärten die Sachverständigen, die von den Gesellschaftern der documenta, der Stadt Kassel und dem Land Hessen, im Zuge der Antisemitismusvorwürfe zur fachwissenschaftlichen Begleitung der Schau berufen worden waren.
“Die documenta fifteen fungierte als Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus, und manchmal auch für Antisemitismus pur,” schreibt die Kommission in ihrem Bericht und fügt hinzu: “Der bagatellisierende Umgang mit Antisemitismus auf der documenta fifteen ist zunehmend selbst als Problem hervorgetreten.”
Vier Werke mit antisemitischen Inhalten
Die 15. Ausgabe der documenta, die vom 18. Juni bis zum 25. September 2022 in Kassel stattfand, wurde vom indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratiert. Es ist angetreten, um künstlerische Perspektiven aus dem Globalen Süden aufzuzeigen und die Folgen von Kolonialismus, kapitalistischer Ausbeutung und Rassismus zu beleuchten.
“Hervorragender, aber auch problematischer Ansatz”
Die Ausstellung wurde jedoch von massiven Antisemitismus-Vorwürfen überschattet, die bereits lange vor der Eröffnung der Ausstellung aufkamen.
Die Expertenkommission wurde gut einen Monat nach der Eröffnung der documenta eingesetzt. “Wir sollten auf drei Fragen antworten”, erläutert Nicole Deitelhoff, Vorsitzende der Kommission und Geschäftsführerin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, ihre Aufgabe gegenüber der DW.
“Erstens: Ist die documenta fifteen antisemitisch gewesen bzw. waren einzelne Werke, die dort ausgestellt worden sind, antisemitisch? Zweitens: Wie konnte es dazu kommen, dass solche Werke ausgestellt worden sind? Und drittens: Was lässt sich unternehmen, damit sich so etwas zukünftig nicht wiederholt?”
Die Untersuchungen der Kommission stießen auch auf Kritik
Noch vor der Eröffnung der documenta wurden Bedenken gegen das Kuratorenkollektiv ruangrupa geäußert. Die Befürchtungen bezogen sich auf mögliche Verbindungen von Mitgliedern zur BDS-Bewegung (“Boycott, Divestment and Sanctions”). Dahinter verbirgt sich eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. Der Deutsche Bundestag bezeichnete 2019 in einem Beschluss den BDS als antisemitisch.
Die Vorwürfe gegen die documenta richteten sich gegen einen Antisemitismus, der in Form von Anti-Israel-Kritik auftreten könnte. Auch wurde kritisiert, dass keine jüdischen oder israelischen Künstlerinnen und Künstler zur Kunstschau eingeladen wurden. Das trug laut Bericht zu einer einseitigen Sicht auf den Nahostkonflikt bei.
Documenta fifteen: eine “systematische” Zurschaustellung von Antisemitismus
Am Eröffnungswochenende der documenta wurden antisemitische Motive in dem großformatigen Wandbild “People’s Justice” entdeckt. Das Werk wurde zunächst abgedeckt und kurz darauf abgebaut.
Drei weitere problematische Werke, die antisemitische Elemente enthielten, wurden im Bericht der Kommission identifiziert und untersucht.
Darunter Zeichnungen der “Archives des luttes des femmes en Algérie” (Archive der Frauenkämpfe in Algerien), die sich mit der Gründung Israels und der damit verbundenen Vertreibung der Palästinenser, der so genannten “Nakba”, beschäftigten.
Kritisch sah die Kommission außerdem die Filmreihe “Tokyo Reels” des in Ramallah und Brüssel ansässigen Kollektivs Subversive Film. Ein Teil der 20 gezeigten Filme bezog sich auf die palästinensische Geschichte. Im Bericht heißt es dazu: “Indem die Filmbeiträge das Land (Israel, Anm. d. Red.) als Quelle allen Übels im Nahen Osten darstellen, delegitimieren sie einerseits Israels Existenz und treten andererseits für Gewalt gegen Israel ein.”
Auch die Bilderreihe “Guernica Gaza” von Mohammed Al-Hawajri wurde als antisemitisch befunden. Der palästinensische Künstler vereinte Fotos aus Israel und den palästinensischen Gebieten mit bekannten Werken der westlichen Kunstgeschichte in einer digitalen Collage. Der Bericht kritisiert “die einseitige Darstellung des israelisch/palästinensischen Konflikts auf der documenta fifteen, in der Israelis die alleinigen Aggressoren und Palästinenser*innen friedliche, unschuldige Opfer sind”. Außerdem heißt es zusammenfassend: “Nicht die documenta fifteen war antisemitisch, aber es gab Antisemitismus auf der documenta. In mindestens vier der ausgestellten Werke haben wir antisemitische visuelle Codes festgestellt. Das heißt: Dass dort eine Bildsprache vorlag, die antisemitische Stereotype reproduziert. Außerdem finden wir innerhalb dieser vier Werke auch eine antizionistische Bildsprache. Das heißt, dass hier das Recht des Staates Israel auf Selbstbestimmung in Frage gezogen wird und teilweise in einer Art, dass es auch antisemitisch ist – etwa wenn der Staat Israel mit dem nationalsozialistischen Regime gleichgesetzt wird.”
Auch wenn der Ansatz der documenta 15 im Bericht der Kommission gelobt wird, so stellt das Gremium fest, dass der Umgang der Documenta-Leitung zu dem Antisemitismus-Eklat beigetragen habe.
“Es werden Themen überwiegend aus Perspektiven betrachtet, die einem Großteil des Museumspublikums in Deutschland vermutlich nicht vertraut oder bekannt sind. Dazu gehören vorrangig Perspektiven des Globalen Südens.”
Die stark dezentralisierte Struktur, bei der ruangrupa andere Kollektive einlud, die wiederum andere Kollektive oder Künstler einluden, führte jedoch dazu, dass niemand einen Überblick über die ausgestellten Werke hatte, sagte Deitelhoff gegenüber der DW. “Wir haben es einerseits mit einem Konzept für die gesamte Ausstellung zu tun, das sehr problematisch war, weil es davon ausging, dass man Verantwortung abgeben wollte. Das zweite Problem war: Es gab überhaupt keine etablierten Verfahren der Konfliktbearbeitung.”
Der Bericht kritisiert die Reaktion der Verantwortlichen auf die Vorwürfe von Antisemitismus als “zögerlich”, “schleppend” und geprägt von “erheblichem Widerstand” sowie als “ignorant” und “verharmlosend”. All das habe dem Vertrauensverhältnis zwischen öffentlichen Einrichtungen und jüdischen Organisationen und vielen jüdischen Menschen, insbesondere in Deutschland, beschädigt.
“Es hat bei vielen Jüdinnen und Juden das Gefühl hinterlassen, dass man kein Interesse daran hat, sich mit dem Problem von Antisemitismus auseinanderzusetzen und auch nicht sie davor zu schützen,” resümiert Deitelhoff.
“Es hat bei vielen Jüdinnen und Juden das Gefühl hinterlassen, dass man kein Interesse daran hat, sich mit dem Problem von Antisemitismus auseinanderzusetzen und auch nicht sie davor zu schützen,” resümiert Deitelhoff.