Wirtschaft

Noch mehr Medikamente fehlen in Deutschland

Gesundheitsminister Lauterbach will per Gesetz den Mangel an Medikamenten beheben. Doch auch der Minister kann nicht zaubern. Währenddessen werden die Lieferengpässe immer größer.

Wenn der Berliner Apotheker Fatih Kaynak seine Vorräte auffüllt, dann kauft er neuerdings auch Himbeer-Aroma ein. “Wir stellen Paracetamol-Saft jetzt selbst her”, berichtet er. Die Idee hatte Kaynak schon länger, nachdem fiebersenkende Säfte nicht mehr lieferbar waren. Säuglinge und kleine Kinder können aber keine Tabletten schlucken.

Paracetamol-Tabletten hatte er, doch das Problem sei der Geschmack des Safts gewesen. “Ich hatte noch eine angebrochene Flasche von Ratiopharm zu Hause, eine Mitarbeiterin eine von Benuron. Die haben wir als Geschmacksmuster mitgebracht und dann mit verschiedenen Aromen experimentiert.” Das Ergebnis wurde beim benachbarten Kinderarzt vom medizinischen Personal verkostet und für gut befunden. “Ich meine, unserer schmeckt noch besser als der von Ratiopharm”, freut sich Kaynak.

Wenn der Berliner Apotheker Fatih Kaynak seine Vorräte auffüllt, dann kauft er neuerdings auch Himbeer-Aroma ein. “Wir stellen Paracetamol-Saft jetzt selbst her”, berichtet er. Die Idee hatte Kaynak schon länger, nachdem fiebersenkende Säfte nicht mehr lieferbar waren. Säuglinge und kleine Kinder können aber keine Tabletten schlucken.

Darüber hinaus ist von dem Apotheker, mit dem die DW zuletzt im Dezember 2022 sprach, nur wenig Positives zu erfahren. Der Medikamentenmangel sei noch größer geworden. “Uns fehlen nach wie vor Penicillin, verschiedene Antibiotika, aber auch Blutdrucksenker, Krebs-, Magen, und Herzmedikamente”, listet Kaynak auf. Eine Aussage, die exemplarisch für ganz Deutschland steht. In der offiziellen, zentralen Datenbank PharmNet.Bund, das die Engpässe dokumentiert, werden 425 Arzneimittel als nicht lieferbar angegeben.

425 Medikamente fehlen bundesweit

Als der Apothekerverband Nordrhein kürzlich seine Mitglieder zu ihrer Situation befragte, meldeten sich innerhalb von 48 Stunden rund 400 Apotheken zurück. Ihr Fazit: Fast jedes zweite Rezept, das ihnen von Kunden vorgelegt wird, sei inzwischen betroffen; durch den Mehraufwand entstünden pro Apotheke monatlich Kosten von etwa 3000 Euro.

“In über 130 Kommentaren wurden vor allem das unerträgliche Maß an Belastung und der bisher nicht honorierte, extreme Zeitaufwand und die damit verbundenen Umsatz- und Ertragseinbußen angeprangert”, so der Verbandsvorsitzende Thomas Preis in einer Stellungnahme.

Apotheker Kaynak sieht es etwas gelassener. “Es ist sehr schwierig, aber wir schaffen es ganz gut, damit umzugehen, weil wir ständig hinterher sind, etwas zu bekommen.” Stündlich checkt er Verfügbarkeiten bei den Großhändlern und bestellt, sobald etwas als lieferbar angezeigt wird. “Aber wenn ich 100 Packungen bestelle, bekomme ich vielleicht fünf.”

Hilfreich sei, dass das Bundesgesundheitsministerium die Festpreisregelung teilweise ausgesetzt hat. “Die Krankenkasse schlägt zwar immer noch vor, dass wir das billigste Medikament an die Kunden ausgeben sollen, aber wir können jetzt auch alle anderen Hersteller nehmen, also alles, was wir vorrätig haben.”

Die Aussetzung der Festpreise gilt zunächst bis Mai 2023. Bis dahin will das Gesundheitsministerium eine Gesetzesreform auf den Weg bringen, mit der die Preisgestaltung für Medikamente grundlegend neu geregelt werden soll. Für die Krankenkassen könnte das mehrere Millionen Euro Mehrkosten mit sich bringen.

In der Regierungskoalition ist das nicht unumstritten. Widerstand kommt vor allem aus der FDP. Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will sich nicht bremsen lassen. Es sei “inakzeptabel”, dass Fiebersäfte für Kinder im Ausland, aber nicht in Deutschland zu bekommen seien, gab er sich Ende letzten Jahres kämpferisch.

Rabattverträge und Festpreisregelungen mit ihren Sparauflagen gelten als Hauptursachen für die Versorgungsprobleme. Krankenkassen bezahlen bei patentfreien Arzneimitteln in der Regel nur den Preis des billigsten Anbieters, mit dem sie einen Vertrag geschlossen haben.

Für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft beispielsweise waren das zuletzt 1,36 Euro. Ein Betrag, der zehn Jahre lang nicht erhöht wurde. Der Preis für den Wirkstoff Paracetamol ging 2022 aber um 70 Prozent nach oben. 2012 gab es noch elf Anbieter von Paracetamol-Saft in Deutschland. Im Juni 2022 war es nur noch einer.

Produziert wird inzwischen überwiegend in Asien. Europa ist abhängig von wenigen billigen Anbietern. “Das Problem ist, dass wir alles outgesourct haben”, sagt Apotheker Kaynak. “Wenn China und Indien die Medikamente oder Rohstoffe nicht liefern können oder sagen, die brauchen wir selbst, dann haben wir halt Pech.”

Von Herstellern höre er aber auch, dass inzwischen viele andere Dinge fehlen würden. “Mal ist es Papier, dann der Verschluss, weil wieder eine Lieferkette gerissen ist und es heißt, da stand mein Schiff irgendwie im Suezkanal oder die Fabrik ist ausgefallen, weil es Corona gab.”

Höhere Preise sieht der Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsministerium lediglich für patentfreie Medikamente, also sogenannte Generika vor, die knapp sind. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Arzneien zur Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres. Für diese könnten die Preise bis zu 50 Prozent höher ausfallen als bisher.

Handeln die Krankenkassen mit den Herstellern Rabattverträge aus, dann soll in Zukunft auch berücksichtigt werden, ob Wirkstoffe “versorgungsnah innerhalb der EU oder in den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes” hergestellt werden. So soll sichergestellt werden, dass auch in Krisenzeiten die Versorgung gesichert bleibt.

Den Pharmaunternehmen reicht das alles nicht. “Punktuelle Korrekturen und zusätzliche Belastungen für die Hersteller sind keine Lösung für die großen Herausforderungen”, so Hubertus Cranz vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. “Dass das Thema Versorgungssicherheit bei Generika Beachtung bekommt, finden wir gut. Aber ein umfassender Ansatz zur Verbesserung der Situation sieht anders aus.”

Der Berliner Apotheker Kaynak glaubt nicht, dass sich die Lage schnell verbessert. “Wenn irgendwas jahrelang schiefgelaufen ist, kann man das nicht innerhalb von kürzester Zeit wieder reparieren”, sagt er und stimmt darin mit dem Gesundheitsminister überein. “Die Ökonomisierung und die Discounter-Politik hat die Arzneimittelversorgung kontinuierlich über Jahrzehnte verschlechtert”, hatte Karl Lauterbach im Dezember festgestellt. “Das zurückzudrehen, geht nicht über Nacht.”

Kranich-Apotheke in Berlin-Charlottenburg. Fatih Kaynak steht vor seiner Apotheke und hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Kranich-Apotheke in Berlin-Charlottenburg. Auf einem Monitor ist eine Liste mit nicht lieferbaren Medikamenten zu sehen
 Ein Kleinkind hat eine orangefarbene Spritze im Mund, wie sie Packungen mit Fiebersäften beiliegt

Wenn der Berliner Apotheker Fatih Kaynak seine Vorräte auffüllt, dann kauft er neuerdings auch Himbeer-Aroma ein. “Wir stellen Paracetamol-Saft jetzt selbst her”, berichtet er. Die Idee hatte Kaynak schon länger, nachdem fiebersenkende Säfte nicht mehr lieferbar waren. Säuglinge und kleine Kinder können aber keine Tabletten schlucken.

Paracetamol-Tabletten hatte er, doch das Problem sei der Geschmack des Safts gewesen. “Ich hatte noch eine angebrochene Flasche von Ratiopharm zu Hause, eine Mitarbeiterin eine von Benuron. Die haben wir als Geschmacksmuster mitgebracht und dann mit verschiedenen Aromen experimentiert.” Das Ergebnis wurde beim benachbarten Kinderarzt vom medizinischen Personal verkostet und für gut befunden. “Ich meine, unserer schmeckt noch besser als der von Ratiopharm”, freut sich Kaynak.

425 Medikamente fehlen bundesweit

Darüber hinaus ist von dem Apotheker, mit dem die DW zuletzt im Dezember 2022 sprach, nur wenig Positives zu erfahren. Der Medikamentenmangel sei noch größer geworden. “Uns fehlen nach wie vor Penicillin, verschiedene Antibiotika, aber auch Blutdrucksenker, Krebs-, Magen, und Herzmedikamente”, listet Kaynak auf. Eine Aussage, die exemplarisch für ganz Deutschland steht. In der offiziellen, zentralen Datenbank PharmNet.Bund, das die Engpässe dokumentiert, werden 425 Arzneimittel als nicht lieferbar angegeben.

Als der Apothekerverband Nordrhein kürzlich seine Mitglieder zu ihrer Situation befragte, meldeten sich innerhalb von 48 Stunden rund 400 Apotheken zurück. Ihr Fazit: Fast jedes zweite Rezept, das ihnen von Kunden vorgelegt wird, sei inzwischen betroffen; durch den Mehraufwand entstünden pro Apotheke monatlich Kosten von etwa 3000 Euro.

“In über 130 Kommentaren wurden vor allem das unerträgliche Maß an Belastung und der bisher nicht honorierte, extreme Zeitaufwand und die damit verbundenen Umsatz- und Ertragseinbußen angeprangert”, so der Verbandsvorsitzende Thomas Preis in einer Stellungnahme.

Apotheker Kaynak sieht es etwas gelassener. “Es ist sehr schwierig, aber wir schaffen es ganz gut, damit umzugehen, weil wir ständig hinterher sind, etwas zu bekommen.” Stündlich checkt er Verfügbarkeiten bei den Großhändlern und bestellt, sobald etwas als lieferbar angezeigt wird. “Aber wenn ich 100 Packungen bestelle, bekomme ich vielleicht fünf.”

Auf der Jagd nach verfügbaren Medikamenten 

Hilfreich sei, dass das Bundesgesundheitsministerium die Festpreisregelung teilweise ausgesetzt hat. “Die Krankenkasse schlägt zwar immer noch vor, dass wir das billigste Medikament an die Kunden ausgeben sollen, aber wir können jetzt auch alle anderen Hersteller nehmen, also alles, was wir vorrätig haben.”

Preisgestaltung für Medikamente soll reformiert werden

Die Aussetzung der Festpreise gilt zunächst bis Mai 2023. Bis dahin will das Gesundheitsministerium eine Gesetzesreform auf den Weg bringen, mit der die Preisgestaltung für Medikamente grundlegend neu geregelt werden soll. Für die Krankenkassen könnte das mehrere Millionen Euro Mehrkosten mit sich bringen.

In der Regierungskoalition ist das nicht unumstritten. Widerstand kommt vor allem aus der FDP. Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will sich nicht bremsen lassen. Es sei “inakzeptabel”, dass Fiebersäfte für Kinder im Ausland, aber nicht in Deutschland zu bekommen seien, gab er sich Ende letzten Jahres kämpferisch.

Rabattverträge und Festpreisregelungen mit ihren Sparauflagen gelten als Hauptursachen für die Versorgungsprobleme. Krankenkassen bezahlen bei patentfreien Arzneimitteln in der Regel nur den Preis des billigsten Anbieters, mit dem sie einen Vertrag geschlossen haben.

Preisregelungen verantwortlich für Medizinmagel

Für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft beispielsweise waren das zuletzt 1,36 Euro. Ein Betrag, der zehn Jahre lang nicht erhöht wurde. Der Preis für den Wirkstoff Paracetamol ging 2022 aber um 70 Prozent nach oben. 2012 gab es noch elf Anbieter von Paracetamol-Saft in Deutschland. Im Juni 2022 war es nur noch einer.

Produziert wird inzwischen überwiegend in Asien. Europa ist abhängig von wenigen billigen Anbietern. “Das Problem ist, dass wir alles outgesourct haben”, sagt Apotheker Kaynak. “Wenn China und Indien die Medikamente oder Rohstoffe nicht liefern können oder sagen, die brauchen wir selbst, dann haben wir halt Pech.”

Lieferketten funktionieren nicht mehr

Von Herstellern höre er aber auch, dass inzwischen viele andere Dinge fehlen würden. “Mal ist es Papier, dann der Verschluss, weil wieder eine Lieferkette gerissen ist und es heißt, da stand mein Schiff irgendwie im Suezkanal oder die Fabrik ist ausgefallen, weil es Corona gab.”

Mehr Geld nur für Mangelware

Höhere Preise sieht der Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsministerium lediglich für patentfreie Medikamente, also sogenannte Generika vor, die knapp sind. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Arzneien zur Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres. Für diese könnten die Preise bis zu 50 Prozent höher ausfallen als bisher.

Apotheker Fatih Kaynak steht vor einer geöffneten Schublade mit Medikamenten, ihm gegenüber sucht eine Mitarbeiterin ein Medikament heraus, sie hält ein Rezept in der Hand

Handeln die Krankenkassen mit den Herstellern Rabattverträge aus, dann soll in Zukunft auch berücksichtigt werden, ob Wirkstoffe “versorgungsnah innerhalb der EU oder in den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes” hergestellt werden. So soll sichergestellt werden, dass auch in Krisenzeiten die Versorgung gesichert bleibt.

Den Pharmaunternehmen reicht das alles nicht. “Punktuelle Korrekturen und zusätzliche Belastungen für die Hersteller sind keine Lösung für die großen Herausforderungen”, so Hubertus Cranz vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. “Dass das Thema Versorgungssicherheit bei Generika Beachtung bekommt, finden wir gut. Aber ein umfassender Ansatz zur Verbesserung der Situation sieht anders aus.”

Der Berliner Apotheker Kaynak glaubt nicht, dass sich die Lage schnell verbessert. “Wenn irgendwas jahrelang schiefgelaufen ist, kann man das nicht innerhalb von kürzester Zeit wieder reparieren”, sagt er und stimmt darin mit dem Gesundheitsminister überein. “Die Ökonomisierung und die Discounter-Politik hat die Arzneimittelversorgung kontinuierlich über Jahrzehnte verschlechtert”, hatte Karl Lauterbach im Dezember festgestellt. “Das zurückzudrehen, geht nicht über Nacht.”

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