Depressionen im Spitzensport: Wenn Sport selbst zum Problem wird
Depressionen gehören zu den tabuisierten Themen im Spitzensport. Während Mediziner bei depressiven Phasen ihren Patienten als Therapie Sport empfehlen, kann genau der im Leistungsbereich Depressionen auslösen.
Es gibt Tage, die vergisst man nie. Der 10. November ist so ein Tag. Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke nahm sich das Leben. Es war mein Geburtstag. Ich habe gefeiert, als die Nachricht kam. Danach war mir nicht mehr zum Feiern zumute. Robert Enke war tot. Selbstmord. Er litt an Depressionen. Ich auch. Er war ein Leistungssportler. Ich eine Freizeitsportlerin. Mir hilft Sport bis heute, durch die “graue Zeit” zu kommen. Für Robert Enke war der Sport – verbunden mit dem Druck, der Beste zwischen den Pfosten sein zu müssen – womöglich mit ausschlaggebend, sein Leben selbst zu beenden.
Robert Enke ist nur einer von vielen Sportlerinnen und Sportlern, die an der Krankheit “Depression” gelitten haben und leiden. Öffentlich dazu bekannt haben sich lange Zeit nur wenige. Erst in jüngster Vergangenheit erheben Athletinnen und Athleten ihre Stimmen und bringen das Tabu zum Bröckeln.
Es gibt Tage, die vergisst man nie. Der 10. November ist so ein Tag. Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke nahm sich das Leben. Es war mein Geburtstag. Ich habe gefeiert, als die Nachricht kam. Danach war mir nicht mehr zum Feiern zumute. Robert Enke war tot. Selbstmord. Er litt an Depressionen. Ich auch. Er war ein Leistungssportler. Ich eine Freizeitsportlerin. Mir hilft Sport bis heute, durch die “graue Zeit” zu kommen. Für Robert Enke war der Sport – verbunden mit dem Druck, der Beste zwischen den Pfosten sein zu müssen – womöglich mit ausschlaggebend, sein Leben selbst zu beenden.
Die US-amerikanische Ausnahmeturnerin Simone Biles beispielsweise. Mit 25 WM-Medaillen ist sie die bislang erfolgreichste Teilnehmerin bei Turn-Weltmeisterschaften. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio verzichtete die damals 24-Jährige auf mehrere Wettkämpfe und erklärte ihren Rückzug mit psychischen Problemen, verbunden mit dem sexuellen Missbrauch durch den US-Teamarzt Larry Nassar.
Dunkelzone des kranken Spitzensports
Im selben Jahr stieg Tennisspielerin Naomi Osaka nach ihrem Erstrundensieg bei den French Open aus. Die Japanerin – damals die Nummer zwei der Weltrangliste – äußerte sich danach öffentlich zu ihren Depressionen und dem medialen Druck.
“Man spricht darüber nicht” – so wurde der französische Fußballweltmeister Paul Pogba im vergangenen Jahr in der Zeitung “Le Figaro” zitiert. Mit “darüber” meinte Pogba Depressionen. Auch er leidet darunter. Angefangen habe es unter Startrainer José Mourinho bei Manchester United, als Druck und Selbstzweifel immer stärker wurden, so der Fußballstar.
Tatsächlich erkranken Athletinnen und Athleten im Spitzensport genauso häufig an Depressionen wie die Allgemeinbevölkerung. “Es trifft etwa fünf Prozent”, erklärt Professor Jens Kleinert vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Mit seinen Kollegen hat er zahlreiche Studien zusammengetragen und ausgewertet. “Darin finden sich Zahlen von vier bis neun Prozent. Das sind dieselben Zahlen wie im Normalbereich, also bei Nicht-Leistungsportlerinnen und -sportlern.”
Nach Verletzungen seien es sogar zehn bis 15 Prozent. Während Sport im Freizeitbereich vor depressiven Störungen schützen kann, sorgt er im Leistungsbereich für zusätzliche Belastungen. Der Erwartungsdruck ist hoch, müssen die Aktiven doch immer Bestleistungen abliefern. So misst der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beispielsweise seine Verbände danach, wie viele Aktive zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen fahren dürfen, sprich: ob die Normen dafür erfüllt sind.
Ein Ringen um Sekunden, Minuten, Weiten, Höhen, die meisten Treffer, die akkuratesten Sprünge. Ein Hinarbeiten auf große sportliche Ereignisse über Jahre hinweg, Konzentration auf den Punkt. Es schaffen zu müssen, und alle Welt guckt zu. Wenn dann eine Niederlagenserie einsetzt, Verletzungen die Athletin oder den Athleten aus dem Training reißen und lang verfolgte Ziele wie Seifenblasen zerplatzen, kommen Selbstzweifel auf. “Es nagt am Selbstbild eines jeden Sportlers, nicht mehr funktionieren zu können. Der Leidensdruck ist dann immens. Und das wiederum kann depressive Stimmungen auslösen”, sagt der Sport- und Gesundheitspsychologe Kleinert der DW. Erst recht, wenn die Aktiven glauben, das Bild der starken Athletin oder des starken Helden in der Öffentlichkeit aufrechterhalten zu müssen.
Die Betroffenen berichten dann, sie empfänden Gefühllosigkeit, seien traurig und könnten wenig bis keine Freude mehr empfinden. Das berichtet die Schweizer Sportpsychologin Cristina Baldasarre. Sie betreut nationale und internationale Spitzensportlerinnen und Topsportler verschiedenster Sportarten. “Wenn sie zu mir kommen, weinen sie viel. Oft wissen sie nicht mehr, wie sie mit dem Druck im Training und im Wettkampf umgehen sollen”, sagt Baldasarre der DW. “Ihre Trainingsleistungen werden schlechter oder schwanken extrem. Einige sagen dann ihre Wettkämpfe ab oder gehen nicht mehr zum Training. Sie sind antriebslos, müde und trauen sich nichts mehr zu. Manche fühlen sich von ihren Trainern auch nicht gut behandelt. Und nicht wenige entwickeln Ängste und Zwänge.”
Baldasarre plädiert für eine differenzierte (Leistungs)-Förderung der Topsportlerinnen und -sportler. Zentral müssten dabei Selbstvertrauen und Freude sein, so die Psychotherapeutin vom Schweizer Kompetenzzentrum “mind2win”. “Wenn ich die Athletinnen und Athleten frage, was sie in einer bestimmten Übung beispielsweise gut gemacht haben, erzählen sie mir zuerst, was falsch und nicht okay war. Von selbst kommt da fast nie ein ‘Das war gut.'”
Natürlich sei es die Aufgabe eines Trainers, das Beste herauszuholen. Aber immer nur auf die Fehler hinzuweisen, stärke das Selbstvertrauen wenig. Da bräuchte es einen Paradigmenwechsel, so Baldasarre. Die Aktiven sollten nicht nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, sondern sich mit Freude weiterentwickeln dürfen. Mit anderen Worten: Der Mensch muss im Fokus stehen, nicht die abgelieferte Zeit, Höhe, Weite. Baldasarre wünscht sich, dass Sportpsychologen wie an den Colleges in den USA ein fester Bestandteil des Trainings sind.
Ähnlich argumentiert auch Jens Kleinert. Die persönliche Entwicklung eines jeden Sportlers müsse gesehen werden, sagt er. Beispiel: Wenn die Leistung eines Triathleten noch nicht ausreicht, um bei den deutschen oder Weltmeisterschaften oben dabei zu sein, sollten Trainer, Physiotherapeuten und Eltern auf die persönliche sportliche Entwicklung des Aktiven schauen: Was ist gut gelaufen, was hat sich verbessert? Daraus lassen sich realistische Ziele abstecken. Dann kann auch ein zehnter Platz subjektiv ein Erfolg sein.
“Wir können das Leistungssystem nicht ändern. Jedenfalls nicht so schnell. Aber wir Sportpsychologen können den Aktiven helfen, mit diesem System umzugehen”, sagt Kleinert. Deshalb sei es wichtig, dass Sportpsychologen in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligen eingesetzt werden, wie es seit der Saison 2018/2019 Vorschrift ist. Im System seien sie allerdings noch nicht flächendeckend verankert.
Es gibt Tage, die vergisst man nie. Der 10. November ist so ein Tag. Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke nahm sich das Leben. Es war mein Geburtstag. Ich habe gefeiert, als die Nachricht kam. Danach war mir nicht mehr zum Feiern zumute. Robert Enke war tot. Selbstmord. Er litt an Depressionen. Ich auch. Er war ein Leistungssportler. Ich eine Freizeitsportlerin. Mir hilft Sport bis heute, durch die “graue Zeit” zu kommen. Für Robert Enke war der Sport – verbunden mit dem Druck, der Beste zwischen den Pfosten sein zu müssen – womöglich mit ausschlaggebend, sein Leben selbst zu beenden.
Robert Enke ist nur einer von vielen Sportlerinnen und Sportlern, die an der Krankheit “Depression” gelitten haben und leiden. Öffentlich dazu bekannt haben sich lange Zeit nur wenige. Erst in jüngster Vergangenheit erheben Athletinnen und Athleten ihre Stimmen und bringen das Tabu zum Bröckeln.
Dunkelzone des kranken Spitzensports
Die US-amerikanische Ausnahmeturnerin Simone Biles beispielsweise. Mit 25 WM-Medaillen ist sie die bislang erfolgreichste Teilnehmerin bei Turn-Weltmeisterschaften. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio verzichtete die damals 24-Jährige auf mehrere Wettkämpfe und erklärte ihren Rückzug mit psychischen Problemen, verbunden mit dem sexuellen Missbrauch durch den US-Teamarzt Larry Nassar.
Im selben Jahr stieg Tennisspielerin Naomi Osaka nach ihrem Erstrundensieg bei den French Open aus. Die Japanerin – damals die Nummer zwei der Weltrangliste – äußerte sich danach öffentlich zu ihren Depressionen und dem medialen Druck.
“Man spricht darüber nicht” – so wurde der französische Fußballweltmeister Paul Pogba im vergangenen Jahr in der Zeitung “Le Figaro” zitiert. Mit “darüber” meinte Pogba Depressionen. Auch er leidet darunter. Angefangen habe es unter Startrainer José Mourinho bei Manchester United, als Druck und Selbstzweifel immer stärker wurden, so der Fußballstar.
Tatsächlich erkranken Athletinnen und Athleten im Spitzensport genauso häufig an Depressionen wie die Allgemeinbevölkerung. “Es trifft etwa fünf Prozent”, erklärt Professor Jens Kleinert vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Mit seinen Kollegen hat er zahlreiche Studien zusammengetragen und ausgewertet. “Darin finden sich Zahlen von vier bis neun Prozent. Das sind dieselben Zahlen wie im Normalbereich, also bei Nicht-Leistungsportlerinnen und -sportlern.”
Es kann jeden treffen
Nach Verletzungen seien es sogar zehn bis 15 Prozent. Während Sport im Freizeitbereich vor depressiven Störungen schützen kann, sorgt er im Leistungsbereich für zusätzliche Belastungen. Der Erwartungsdruck ist hoch, müssen die Aktiven doch immer Bestleistungen abliefern. So misst der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beispielsweise seine Verbände danach, wie viele Aktive zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen fahren dürfen, sprich: ob die Normen dafür erfüllt sind.
Wenn der Druck zu hoch wird
Ein Ringen um Sekunden, Minuten, Weiten, Höhen, die meisten Treffer, die akkuratesten Sprünge. Ein Hinarbeiten auf große sportliche Ereignisse über Jahre hinweg, Konzentration auf den Punkt. Es schaffen zu müssen, und alle Welt guckt zu. Wenn dann eine Niederlagenserie einsetzt, Verletzungen die Athletin oder den Athleten aus dem Training reißen und lang verfolgte Ziele wie Seifenblasen zerplatzen, kommen Selbstzweifel auf. “Es nagt am Selbstbild eines jeden Sportlers, nicht mehr funktionieren zu können. Der Leidensdruck ist dann immens. Und das wiederum kann depressive Stimmungen auslösen”, sagt der Sport- und Gesundheitspsychologe Kleinert der DW. Erst recht, wenn die Aktiven glauben, das Bild der starken Athletin oder des starken Helden in der Öffentlichkeit aufrechterhalten zu müssen.
Die Betroffenen berichten dann, sie empfänden Gefühllosigkeit, seien traurig und könnten wenig bis keine Freude mehr empfinden. Das berichtet die Schweizer Sportpsychologin Cristina Baldasarre. Sie betreut nationale und internationale Spitzensportlerinnen und Topsportler verschiedenster Sportarten. “Wenn sie zu mir kommen, weinen sie viel. Oft wissen sie nicht mehr, wie sie mit dem Druck im Training und im Wettkampf umgehen sollen”, sagt Baldasarre der DW. “Ihre Trainingsleistungen werden schlechter oder schwanken extrem. Einige sagen dann ihre Wettkämpfe ab oder gehen nicht mehr zum Training. Sie sind antriebslos, müde und trauen sich nichts mehr zu. Manche fühlen sich von ihren Trainern auch nicht gut behandelt. Und nicht wenige entwickeln Ängste und Zwänge.”
Baldasarre plädiert für eine differenzierte (Leistungs)-Förderung der Topsportlerinnen und -sportler. Zentral müssten dabei Selbstvertrauen und Freude sein, so die Psychotherapeutin vom Schweizer Kompetenzzentrum “mind2win”. “Wenn ich die Athletinnen und Athleten frage, was sie in einer bestimmten Übung beispielsweise gut gemacht haben, erzählen sie mir zuerst, was falsch und nicht okay war. Von selbst kommt da fast nie ein ‘Das war gut.'”
Anzeichen von Depressionen
Natürlich sei es die Aufgabe eines Trainers, das Beste herauszuholen. Aber immer nur auf die Fehler hinzuweisen, stärke das Selbstvertrauen wenig. Da bräuchte es einen Paradigmenwechsel, so Baldasarre. Die Aktiven sollten nicht nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, sondern sich mit Freude weiterentwickeln dürfen. Mit anderen Worten: Der Mensch muss im Fokus stehen, nicht die abgelieferte Zeit, Höhe, Weite. Baldasarre wünscht sich, dass Sportpsychologen wie an den Colleges in den USA ein fester Bestandteil des Trainings sind.
Ähnlich argumentiert auch Jens Kleinert. Die persönliche Entwicklung eines jeden Sportlers müsse gesehen werden, sagt er. Beispiel: Wenn die Leistung eines Triathleten noch nicht ausreicht, um bei den deutschen oder Weltmeisterschaften oben dabei zu sein, sollten Trainer, Physiotherapeuten und Eltern auf die persönliche sportliche Entwicklung des Aktiven schauen: Was ist gut gelaufen, was hat sich verbessert? Daraus lassen sich realistische Ziele abstecken. Dann kann auch ein zehnter Platz subjektiv ein Erfolg sein.
Paradigmenwechsel Leistung vs. Freude
“Wir können das Leistungssystem nicht ändern. Jedenfalls nicht so schnell. Aber wir Sportpsychologen können den Aktiven helfen, mit diesem System umzugehen”, sagt Kleinert. Deshalb sei es wichtig, dass Sportpsychologen in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligen eingesetzt werden, wie es seit der Saison 2018/2019 Vorschrift ist. Im System seien sie allerdings noch nicht flächendeckend verankert.