Tunesien: Hetze gegen Migranten aus Subsahara-Afrika
In einer Rede schlug Präsident Saied einen polemischen Ton gegenüber dunkelhäutigen Migranten an – die AU sprach von Rassismus. Viele Migranten stehen nun massiv unter Druck, teilweise verlassen sie das Land.
Vor seiner Ankunft in Tunesien war Cédéric Tumb voller Hoffnung: In Tunesien würde er Betriebswirtschaft studieren und in einer sicheren und freundlichen Umgebung leben. Doch rund vier Monate nachdem er sein Heimatland, die Republik Kongo verlies, sieht er sich einer ganz anderen Situation gegenüber.
Die Veränderung dem nordafrikanischen Land geht wesentlich auf den immer autoritärer regierenden tunesischen Präsidenten Kais Saied zurück. Vergangene Woche hatte er die angeblich zu hohe Anzahl von Migranten aus Subsahara-Afrika im Lande beklagt. Er sprach von kriminellen Bestrebungen nicht näher genannter Gruppen, die Geld dafür erhielten, “die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern”. Durch eine Welle irregulärer Migration solle das Land rein afrikanisch werden und seine muslimisch-arabische Identität verlieren. In der Folge forderte er die Sicherheitskräfte auf, die seiner Meinung nach illegale Migration zu stoppen und Migranten ohne Papiere auszuweisen.
Vor seiner Ankunft in Tunesien war Cédéric Tumb voller Hoffnung: In Tunesien würde er Betriebswirtschaft studieren und in einer sicheren und freundlichen Umgebung leben. Doch rund vier Monate nachdem er sein Heimatland, die Republik Kongo verlies, sieht er sich einer ganz anderen Situation gegenüber.
Die Folgen bekamen die Migranten unmittelbar zu spüren: In ganz Tunesien wurden afrikanische Familien aus ihren Häusern vertrieben, aus ihren Arbeitsstellen entlassen, schikaniert und willkürlich verhaftet.
“Die Polizei hat keinen Finger gerührt”
Nur einen Tag nach Saieds Rede sah sich auch Tumb heftigen Anfeindungen ausgesetzt – zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Tunesien vor vier Monaten. Er habe sich auf dem Weg zu seiner Universität befunden, sagt er im Gespräch mit der DW. “Als ich an der Metrostation ankam, machten etwa 30 Leute Affengeräusche und schubsten mich herum.” In der Nähe des Ausgangs habe eine Gruppe von Polizisten gestanden. “Aber die haben den rassistischen Angriff nur beobachtet und keinen Finger gerührt, um mir zu helfen.”
Jetzt fürchtet er um seine Sicherheit und denkt darüber nach, zu seiner Familie in den Kongo zurückzukehren. Andere haben diesen Schritt bereits vollzogen. Guinea beispielsweise hat erklärt, hunderte eigene Bürger aus Tunesien auszufliegen. Die Elfenbeinküste hat Ähnliches angekündigt.
“Die Reaktionen der Menschen auf die Rede des Präsidenten sind schrecklich”, sagt Walid bin Khaled, Mitarbeiter der “Time University” in Tunis und Leiter einer neu eingerichteten Krisenhotline, gegenüber DW. “In den sozialen Medien wird die aggressive Atmosphäre durch entsprechende Kampagnen weiter angeheizt”, so bin Khaled.
So seien in den vergangenen sieben Tagen viele Studenten nicht zum Unterricht erschienen, sagt bin Khaled. Aus Angst vor Schikanen hätten einige ihre Unterkunft nicht verlassen. Andere seien von der Polizei ohne Anklage festgenommen worden.
Wie viele Studierende aus Subsahara-Afrika verhaftet und inzwischen womöglich wieder freigelassen wurden, sei nicht bekannt, so bin Khaled weiter. Doch hätten Dutzende die Universität um Unterstützung gebeten, um aus dem Polizeigewahrsam entlassen zu werden.
In vielen Fällen stünde die offizielle Genehmigung des Studiums noch aus, sagt Suleiman Kali vom Team der universitären Krisenhotline der DW. Er selbst stammt aus Mali und zeigt sich schockiert angesichts des plötzlichen Meinungswandels. “Seit ich vor sechs Jahren von Mali nach Tunesien gezogen bin, um Finanzbuchhaltung zu studieren, bin ich nie beleidigt oder diskriminiert worden. Diese aggressive Situation ist völlig neu.”
Die Nähe zur EU-Außengrenze hat Tunesien zu einer wichtigen Drehscheibe für Migration gemacht. Die italienischen Küste liegt nur etwa 150 Kilometer entfernt.
Im Jahr 2015 hatte Tunesien die Visumspflicht gelockert. In der Folge reisten viele Migranten aus überwiegend Subsahara-Afrika in das Land, um dort zu arbeiten oder auch zu studieren. Allerdings haben auch andere Faktoren zu einem Anstieg der Zuwanderung aus Ländern südlich der Sahara beigetragen. So schätzen viele Afrikaner Tunesien für seine aufgeschlossene Haltung und den demokratischen Wandel, den es in Folge der Aufstände des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 durchlaufen hatte – auch wenn der gegenwärtige Präsident demokratische Rechte immer weiter aushebelt und zurückfährt.
Das Land selbst wiederum ist wirtschaftlich auf “billige” Arbeitskräfte angewiesen. Außerdem drückten die Behörden in der Vergangenheit auch häufig ein Auge zu, wenn Menschen aus Subsahara-Afrika ohne Genehmigung arbeiteten, um Geld für die Weiterreise nach Europa zu sparen.
Runde eine Million Migranten aus dem Subsahara-Raum hielten sich in Tunesien auf, hatte Präsident Saied in seiner Rede behauptet. Tatsächlich dürfte die Zahl wohl viel niedriger liegen. So leben laut Angaben der Nichtregierungsorganisation “Tunisian Forum for Economic and Social Rights” (FTDES) etwa 21.000 Migranten im Land, einschließlich Studenten und Arbeitern aus Ländern südlich der Sahara mit offiziellem Aufenthaltsstatus.
Saieds Aufforderung, gegen Migranten vorzugehen, könnte auch auf zunehmenden Druck europäischen Länder zurückgehen, die Einwanderung zu begrenzen, sagt Romdhane bin Amor, Sprecher des FTDES, gegenüber der DW.
Die derzeitige Wirtschaftskrise und das politische Vorgehen des Präsidenten könnten die Unsicherheit und den Unmut der Tunesier noch verstärken, meint der Politologe Anthony Dworkin vom Thinktank “European Council on Foreign Relations” (EFCR). “Die Menschen in Tunesien sind seit Langem mit ihrer desolaten wirtschaftlichen Situation beschäftigt”, so Dworkin. “Doch gegen diese unternimmt der Präsident nur wenig.”
Die aktuelle Inflationsrate in Tunesien liegt offiziell bei rund zehn Prozent. Zugleich werden die dringend benötigten Finanzmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgrund des Widerstands der einflussreichen tunesischen Gewerkschaft UGGT weiterhin zurückgehalten. Grundnahrungsmittel wie Zucker und Reis sind inzwischen knapp.
Zudem steigt der politische Druck: Seit Anfang Februar wurden mindestens 50 Oppositionspolitiker, Aktivisten und führende Vertreter der UGTT verhaftet.
Gegen die Hetze seitens der Staatsspitze formiert sich allerdings Widerstand: Am vergangenen Wochenende gingen zwischen 600 und 1000 Demonstranten in Tunis auf die Straße, um Migranten aus Subsahara zu unterstützen. Sie forderten den Präsidenten auf, sich für seine rassistischen Behauptungen zu entschuldigen. “Nieder mit dem Faschismus, Tunesien ist ein afrikanisches Land”, skandierten sie. Die Politik Saieds steht seit Längerem in der Kritik. Die Hoffnungslosigkeit vieler seiner Landsleute fand ihren Niederschlag auch bei den Parlamentswahlen Anfang Februar, an der sich äußerst wenige Bürgerinnen und Bürger beteiligten.
Auch die Afrikanische Union (AU), ein Zusammenschluss von 55 afrikanischen Ländern, forderte Tunesien auf, “rassistische Hassreden” zu vermeiden. In einem offenen Brief, der über Twitter geteilt wurde, erklärten die AU-Staaten, sie seien “zutiefst schockiert und besorgt”. Tunesiens Außenminister Nabil Ammar wies die Kritik allerdings als “unbegründet” zurück. Die AU habe die Position der Regierung missverstanden, erklärte er und schloss eine Entschuldigung seines Landes aus: “Wir haben niemanden angegriffen.”
Anders als andere, die das Land bereits verlassen haben oder dies planen, hat Suleiman Kali seine Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die Haltung der Menschen in Tunesien gegenüber Zuwanderern aus Subsahara-Afrika werde sich insgesamt bestimmt wieder bessern, ist er überzeugt. “Ich habe nicht vor, Tunesien zu verlassen, und wenn ich nach meinem Abschluss Arbeit finde, könnte ich mir vorstellen, mich für immer hier niederzulassen”, sagt er im Gespräch mit der DW.
Vor seiner Ankunft in Tunesien war Cédéric Tumb voller Hoffnung: In Tunesien würde er Betriebswirtschaft studieren und in einer sicheren und freundlichen Umgebung leben. Doch rund vier Monate nachdem er sein Heimatland, die Republik Kongo verlies, sieht er sich einer ganz anderen Situation gegenüber.
Die Veränderung dem nordafrikanischen Land geht wesentlich auf den immer autoritärer regierenden tunesischen Präsidenten Kais Saied zurück. Vergangene Woche hatte er die angeblich zu hohe Anzahl von Migranten aus Subsahara-Afrika im Lande beklagt. Er sprach von kriminellen Bestrebungen nicht näher genannter Gruppen, die Geld dafür erhielten, “die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern”. Durch eine Welle irregulärer Migration solle das Land rein afrikanisch werden und seine muslimisch-arabische Identität verlieren. In der Folge forderte er die Sicherheitskräfte auf, die seiner Meinung nach illegale Migration zu stoppen und Migranten ohne Papiere auszuweisen.
“Die Polizei hat keinen Finger gerührt”
Die Folgen bekamen die Migranten unmittelbar zu spüren: In ganz Tunesien wurden afrikanische Familien aus ihren Häusern vertrieben, aus ihren Arbeitsstellen entlassen, schikaniert und willkürlich verhaftet.
Nur einen Tag nach Saieds Rede sah sich auch Tumb heftigen Anfeindungen ausgesetzt – zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Tunesien vor vier Monaten. Er habe sich auf dem Weg zu seiner Universität befunden, sagt er im Gespräch mit der DW. “Als ich an der Metrostation ankam, machten etwa 30 Leute Affengeräusche und schubsten mich herum.” In der Nähe des Ausgangs habe eine Gruppe von Polizisten gestanden. “Aber die haben den rassistischen Angriff nur beobachtet und keinen Finger gerührt, um mir zu helfen.”
Jetzt fürchtet er um seine Sicherheit und denkt darüber nach, zu seiner Familie in den Kongo zurückzukehren. Andere haben diesen Schritt bereits vollzogen. Guinea beispielsweise hat erklärt, hunderte eigene Bürger aus Tunesien auszufliegen. Die Elfenbeinküste hat Ähnliches angekündigt.
“Die Reaktionen der Menschen auf die Rede des Präsidenten sind schrecklich”, sagt Walid bin Khaled, Mitarbeiter der “Time University” in Tunis und Leiter einer neu eingerichteten Krisenhotline, gegenüber DW. “In den sozialen Medien wird die aggressive Atmosphäre durch entsprechende Kampagnen weiter angeheizt”, so bin Khaled.
Angst vor willkürlicher Verhaftung
So seien in den vergangenen sieben Tagen viele Studenten nicht zum Unterricht erschienen, sagt bin Khaled. Aus Angst vor Schikanen hätten einige ihre Unterkunft nicht verlassen. Andere seien von der Polizei ohne Anklage festgenommen worden.
Drehscheibe für Migration
Wie viele Studierende aus Subsahara-Afrika verhaftet und inzwischen womöglich wieder freigelassen wurden, sei nicht bekannt, so bin Khaled weiter. Doch hätten Dutzende die Universität um Unterstützung gebeten, um aus dem Polizeigewahrsam entlassen zu werden.
In vielen Fällen stünde die offizielle Genehmigung des Studiums noch aus, sagt Suleiman Kali vom Team der universitären Krisenhotline der DW. Er selbst stammt aus Mali und zeigt sich schockiert angesichts des plötzlichen Meinungswandels. “Seit ich vor sechs Jahren von Mali nach Tunesien gezogen bin, um Finanzbuchhaltung zu studieren, bin ich nie beleidigt oder diskriminiert worden. Diese aggressive Situation ist völlig neu.”
Die Nähe zur EU-Außengrenze hat Tunesien zu einer wichtigen Drehscheibe für Migration gemacht. Die italienischen Küste liegt nur etwa 150 Kilometer entfernt.
Spiel mit Ängsten inmitten einer Wirtschaftskrise
Im Jahr 2015 hatte Tunesien die Visumspflicht gelockert. In der Folge reisten viele Migranten aus überwiegend Subsahara-Afrika in das Land, um dort zu arbeiten oder auch zu studieren. Allerdings haben auch andere Faktoren zu einem Anstieg der Zuwanderung aus Ländern südlich der Sahara beigetragen. So schätzen viele Afrikaner Tunesien für seine aufgeschlossene Haltung und den demokratischen Wandel, den es in Folge der Aufstände des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 durchlaufen hatte – auch wenn der gegenwärtige Präsident demokratische Rechte immer weiter aushebelt und zurückfährt.
Das Land selbst wiederum ist wirtschaftlich auf “billige” Arbeitskräfte angewiesen. Außerdem drückten die Behörden in der Vergangenheit auch häufig ein Auge zu, wenn Menschen aus Subsahara-Afrika ohne Genehmigung arbeiteten, um Geld für die Weiterreise nach Europa zu sparen.
Entschuldigung gefordert
Runde eine Million Migranten aus dem Subsahara-Raum hielten sich in Tunesien auf, hatte Präsident Saied in seiner Rede behauptet. Tatsächlich dürfte die Zahl wohl viel niedriger liegen. So leben laut Angaben der Nichtregierungsorganisation “Tunisian Forum for Economic and Social Rights” (FTDES) etwa 21.000 Migranten im Land, einschließlich Studenten und Arbeitern aus Ländern südlich der Sahara mit offiziellem Aufenthaltsstatus.
Saieds Aufforderung, gegen Migranten vorzugehen, könnte auch auf zunehmenden Druck europäischen Länder zurückgehen, die Einwanderung zu begrenzen, sagt Romdhane bin Amor, Sprecher des FTDES, gegenüber der DW.
Die derzeitige Wirtschaftskrise und das politische Vorgehen des Präsidenten könnten die Unsicherheit und den Unmut der Tunesier noch verstärken, meint der Politologe Anthony Dworkin vom Thinktank “European Council on Foreign Relations” (EFCR). “Die Menschen in Tunesien sind seit Langem mit ihrer desolaten wirtschaftlichen Situation beschäftigt”, so Dworkin. “Doch gegen diese unternimmt der Präsident nur wenig.”
Die aktuelle Inflationsrate in Tunesien liegt offiziell bei rund zehn Prozent. Zugleich werden die dringend benötigten Finanzmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgrund des Widerstands der einflussreichen tunesischen Gewerkschaft UGGT weiterhin zurückgehalten. Grundnahrungsmittel wie Zucker und Reis sind inzwischen knapp.
Zudem steigt der politische Druck: Seit Anfang Februar wurden mindestens 50 Oppositionspolitiker, Aktivisten und führende Vertreter der UGTT verhaftet.
Gegen die Hetze seitens der Staatsspitze formiert sich allerdings Widerstand: Am vergangenen Wochenende gingen zwischen 600 und 1000 Demonstranten in Tunis auf die Straße, um Migranten aus Subsahara zu unterstützen. Sie forderten den Präsidenten auf, sich für seine rassistischen Behauptungen zu entschuldigen. “Nieder mit dem Faschismus, Tunesien ist ein afrikanisches Land”, skandierten sie. Die Politik Saieds steht seit Längerem in der Kritik. Die Hoffnungslosigkeit vieler seiner Landsleute fand ihren Niederschlag auch bei den Parlamentswahlen Anfang Februar, an der sich äußerst wenige Bürgerinnen und Bürger beteiligten.
Auch die Afrikanische Union (AU), ein Zusammenschluss von 55 afrikanischen Ländern, forderte Tunesien auf, “rassistische Hassreden” zu vermeiden. In einem offenen Brief, der über Twitter geteilt wurde, erklärten die AU-Staaten, sie seien “zutiefst schockiert und besorgt”. Tunesiens Außenminister Nabil Ammar wies die Kritik allerdings als “unbegründet” zurück. Die AU habe die Position der Regierung missverstanden, erklärte er und schloss eine Entschuldigung seines Landes aus: “Wir haben niemanden angegriffen.”
Anders als andere, die das Land bereits verlassen haben oder dies planen, hat Suleiman Kali seine Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die Haltung der Menschen in Tunesien gegenüber Zuwanderern aus Subsahara-Afrika werde sich insgesamt bestimmt wieder bessern, ist er überzeugt. “Ich habe nicht vor, Tunesien zu verlassen, und wenn ich nach meinem Abschluss Arbeit finde, könnte ich mir vorstellen, mich für immer hier niederzulassen”, sagt er im Gespräch mit der DW.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.