Wie “neutral” können Russlands Sportler sein?
Geht es nach dem IOC, sollen Sportler aus Russland als “neutrale” Athleten die Chance haben, bei Olympia dabei zu sein. Doch der russische Spitzensport ist eng mit der Regierung verknüpft, eine Trennung kaum möglich.
Die Diskussion spaltet die Welt des Sports: Dürfen Aktive aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ihnen die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ein Start solle nur ohne Flagge, Hymne oder andere Erkennungszeichen möglich sein. Und, der wichtigste Punkt: Politisch “neutral” sollen die Athletinnen und Athleten sein. Wie das feststellbar wäre, darüber schweigt das IOC.
“Meiner Meinung nach macht es wenig Sinn, von ‘neutralen’ Athleten zu sprechen, nur weil sie ohne nationale Embleme oder Symbole antreten. Wohlgemerkt in einem Umfeld, in dem alle anderen für ihr Land starten”, erklärt Norwegens Sportministerin Anette Trettebergstuen gegenüber der DW. Sie verweist auf die Erklärung, die sie gemeinsam mit 34 weiteren Ländern, darunter die USA, Japan und Deutschland, unterzeichnet hat. “Wir stellen in Frage, dass russische und belarussische Athleten als ‘Neutrale’ antreten können, da Sport und Politik in beiden Ländern eng miteinander verflochten sind.”
Die Diskussion spaltet die Welt des Sports: Dürfen Aktive aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ihnen die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ein Start solle nur ohne Flagge, Hymne oder andere Erkennungszeichen möglich sein. Und, der wichtigste Punkt: Politisch “neutral” sollen die Athletinnen und Athleten sein. Wie das feststellbar wäre, darüber schweigt das IOC.
Eine Olympiamannschaft, in der fast jeder Zweite bei Militär oder Polizei angestellt ist – wer da zuallererst an Staaten wie Russland denkt, liegt nicht ganz richtig. Im deutschen Team für Tokio 2021 standen knapp 40 Prozent der Aktiven im Dienst von Bundeswehr und Bundespolizei. “Hervorragende Botschafter Deutschlands und dessen, was die Bundeswehr ausmacht”, lobte die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch hierzulande war und ist der Staat der größte Sportförderer. Rund 300 Millionen Euro gibt die Bundesregierung pro Jahr dafür aus. An diesem Punkt beginnt allerdings der große Unterschied zu autoritär geführten Ländern: In Deutschland sorgen vom Staat unabhängige Gremien für Zielsetzung und Verteilung der Mittel.
Geld vom Staat
Das ist in Russland anders, dort hat der Spitzensport einen Mann an der Spitze: Wladimir Putin. Als Vorsitzender des Rates “für die Entwicklung von Körperkultur und Sport beim russischen Präsidenten” hält er auch in diesem Bereich die Fäden in der Hand. Sportminister Oleg Matyzin ist mit der Umsetzung betraut. Umgerechnet 870 Millionen Euro sind nach offiziellen Angaben in diesem Jahr im Kreml-Haushalt dafür veranschlagt, weitere Mittel werden von Staatskonzernen wie Gazprom in den Sport gepumpt. Dessen Organisation hat sich seit den Zeiten der Sowjetunion nicht nennenswert verändert.
Das Fundament sind die staatlichen Sportschulen im Land, in deren mehrstufigem System die jungen Talente gefördert werden. So gut wie alle russischen Medaillengewinner kommen aus diesen Kaderschmieden. Viele wechseln danach in eine vom Staat geförderte Position. Wer bei Olympia dabei sein darf, entscheidet letztlich das Russische Olympische Komitee (ROC). Dessen Vizepräsident ist der Oligarch Gennadij Timtschenko, der zum engsten Kreis um Präsident Putin zählt.
“Russische Wachen und Armeen gewinnen 61 Medaillen in Tokio”, titelte die Moskauer Zeitung “Moskowski Komsomolez” nach den jüngsten Sommerspielen. Sportler aus der besonders regierungstreuen Nationalgarde und vom Zentralen Armeesportverein (ZSKA) holten demzufolge den Löwenanteil von insgesamt 71 russischen Medaillen. “Die Statistik sagt, dass rund 85 Prozent der russischen Sportler Angehörige von Militär, Polizei oder anderen staatlichen Strukturen sind”, erklärte der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych kürzlich in einem Rundfunkinterview. Er plädiert deswegen für einen Boykott seines Landes, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass russische Sportler wieder bei Olympia starten dürften.
Sport und sportliche Erfolge nutzt Putin für seine Zwecke. Für Dutzende Milliarden holte er Großereignisse wie die Fußball WM 2018 oder die Winterspiele in Sotschi 2014 ins Land. Um in der Heimat besser dazustehen, schreckten die Olympia-Gastgeber auch nicht vor flächendeckendem Staatsdoping zurück, infolgedessen russische Aktive schon bei den vergangenen Winter- und Sommerspielen nur unter neutraler Flagge starten durften. Ihre Erfolge werden auch während des Ukraine-Krieges für Propaganda ausgeschlachtet. Zahlreiche Medaillengewinner zeigten sich mit Putin auf der Bühne des Luschniki-Stadions, einige trugen das russische Kriegssymbol “Z” auf ihrer Kleidung und signalisierten damit ihre Unterstützung für den Angriffskrieg.
Vor diesem Hintergrund lässt Norwegens Sportministerin Trettebergstuen das gewichtigste Argument des IOC für eine Rückkehr russischer und belarussischer Sportler, nämlich deren Diskriminierung allein aufgrund ihrer Herkunft, nicht zählen. “Es geht nicht um Diskriminierung aufgrund der Nationalität, sondern um Fairness und Solidarität gegenüber ukrainischen Athleten, von denen viele nicht am internationalen Sport teilnehmen können, weil ihre Anlagen durch den Krieg zerstört wurden oder sie selbst für die Verteidigung ihres Landes kämpfen müssen.”
Diesem Gedanken scheint die Sportwelt nicht folgen zu wollen. Der Internationale Fechtverband hat Aktive aus Belarus und Russland gerade wieder zu Qualifikationswettkämpfen für Paris 2024 eingeladen, Verbände anderer Sportarten könnten folgen. “Wir werden bei Olympia unsere Motivation und Stärke zeigen wie nie zuvor”, wird die russische Säbel-Olympiasiegerin Sofia Welikaja zitiert. Bis vor kurzem war sie Vorsitzende der Athletenkommission des ROC – und ist Majorin der russischen Armee.
Die Diskussion spaltet die Welt des Sports: Dürfen Aktive aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ihnen die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ein Start solle nur ohne Flagge, Hymne oder andere Erkennungszeichen möglich sein. Und, der wichtigste Punkt: Politisch “neutral” sollen die Athletinnen und Athleten sein. Wie das feststellbar wäre, darüber schweigt das IOC.
“Meiner Meinung nach macht es wenig Sinn, von ‘neutralen’ Athleten zu sprechen, nur weil sie ohne nationale Embleme oder Symbole antreten. Wohlgemerkt in einem Umfeld, in dem alle anderen für ihr Land starten”, erklärt Norwegens Sportministerin Anette Trettebergstuen gegenüber der DW. Sie verweist auf die Erklärung, die sie gemeinsam mit 34 weiteren Ländern, darunter die USA, Japan und Deutschland, unterzeichnet hat. “Wir stellen in Frage, dass russische und belarussische Athleten als ‘Neutrale’ antreten können, da Sport und Politik in beiden Ländern eng miteinander verflochten sind.”
Geld vom Staat
Eine Olympiamannschaft, in der fast jeder Zweite bei Militär oder Polizei angestellt ist – wer da zuallererst an Staaten wie Russland denkt, liegt nicht ganz richtig. Im deutschen Team für Tokio 2021 standen knapp 40 Prozent der Aktiven im Dienst von Bundeswehr und Bundespolizei. “Hervorragende Botschafter Deutschlands und dessen, was die Bundeswehr ausmacht”, lobte die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch hierzulande war und ist der Staat der größte Sportförderer. Rund 300 Millionen Euro gibt die Bundesregierung pro Jahr dafür aus. An diesem Punkt beginnt allerdings der große Unterschied zu autoritär geführten Ländern: In Deutschland sorgen vom Staat unabhängige Gremien für Zielsetzung und Verteilung der Mittel.
Das ist in Russland anders, dort hat der Spitzensport einen Mann an der Spitze: Wladimir Putin. Als Vorsitzender des Rates “für die Entwicklung von Körperkultur und Sport beim russischen Präsidenten” hält er auch in diesem Bereich die Fäden in der Hand. Sportminister Oleg Matyzin ist mit der Umsetzung betraut. Umgerechnet 870 Millionen Euro sind nach offiziellen Angaben in diesem Jahr im Kreml-Haushalt dafür veranschlagt, weitere Mittel werden von Staatskonzernen wie Gazprom in den Sport gepumpt. Dessen Organisation hat sich seit den Zeiten der Sowjetunion nicht nennenswert verändert.
Das Fundament sind die staatlichen Sportschulen im Land, in deren mehrstufigem System die jungen Talente gefördert werden. So gut wie alle russischen Medaillengewinner kommen aus diesen Kaderschmieden. Viele wechseln danach in eine vom Staat geförderte Position. Wer bei Olympia dabei sein darf, entscheidet letztlich das Russische Olympische Komitee (ROC). Dessen Vizepräsident ist der Oligarch Gennadij Timtschenko, der zum engsten Kreis um Präsident Putin zählt.
“Russische Wachen und Armeen gewinnen 61 Medaillen in Tokio”, titelte die Moskauer Zeitung “Moskowski Komsomolez” nach den jüngsten Sommerspielen. Sportler aus der besonders regierungstreuen Nationalgarde und vom Zentralen Armeesportverein (ZSKA) holten demzufolge den Löwenanteil von insgesamt 71 russischen Medaillen. “Die Statistik sagt, dass rund 85 Prozent der russischen Sportler Angehörige von Militär, Polizei oder anderen staatlichen Strukturen sind”, erklärte der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych kürzlich in einem Rundfunkinterview. Er plädiert deswegen für einen Boykott seines Landes, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass russische Sportler wieder bei Olympia starten dürften.
Russland: Sport ist Politik
Sport und sportliche Erfolge nutzt Putin für seine Zwecke. Für Dutzende Milliarden holte er Großereignisse wie die Fußball WM 2018 oder die Winterspiele in Sotschi 2014 ins Land. Um in der Heimat besser dazustehen, schreckten die Olympia-Gastgeber auch nicht vor flächendeckendem Staatsdoping zurück, infolgedessen russische Aktive schon bei den vergangenen Winter- und Sommerspielen nur unter neutraler Flagge starten durften. Ihre Erfolge werden auch während des Ukraine-Krieges für Propaganda ausgeschlachtet. Zahlreiche Medaillengewinner zeigten sich mit Putin auf der Bühne des Luschniki-Stadions, einige trugen das russische Kriegssymbol “Z” auf ihrer Kleidung und signalisierten damit ihre Unterstützung für den Angriffskrieg.
Sport und Propaganda
Vor diesem Hintergrund lässt Norwegens Sportministerin Trettebergstuen das gewichtigste Argument des IOC für eine Rückkehr russischer und belarussischer Sportler, nämlich deren Diskriminierung allein aufgrund ihrer Herkunft, nicht zählen. “Es geht nicht um Diskriminierung aufgrund der Nationalität, sondern um Fairness und Solidarität gegenüber ukrainischen Athleten, von denen viele nicht am internationalen Sport teilnehmen können, weil ihre Anlagen durch den Krieg zerstört wurden oder sie selbst für die Verteidigung ihres Landes kämpfen müssen.”
Diesem Gedanken scheint die Sportwelt nicht folgen zu wollen. Der Internationale Fechtverband hat Aktive aus Belarus und Russland gerade wieder zu Qualifikationswettkämpfen für Paris 2024 eingeladen, Verbände anderer Sportarten könnten folgen. “Wir werden bei Olympia unsere Motivation und Stärke zeigen wie nie zuvor”, wird die russische Säbel-Olympiasiegerin Sofia Welikaja zitiert. Bis vor kurzem war sie Vorsitzende der Athletenkommission des ROC – und ist Majorin der russischen Armee.