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Mehr als ein Zeichen der Solidarität? Scholz besucht Bukarest

Bundeskanzler Olaf Scholz fliegt am Montag nach Bukarest. Bisher stand Rumänien auf der außenpolitischen Agenda Berlins nicht ganz oben – nun könnte es zu einem Schlüsselpartner werden.

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchte fünf Jahre ihres Mandats, um Bukarest 2010 einen bilateralen Besuch abzustatten. Allerdings war sie als deutsche Regierungschefin bereits 2008 in der rumänischen Hauptstadt gewesen, auf jenem NATO-Gipfel, der die schnelle Annäherung der Ukraine und Georgiens an die Nordatlantische Allianz blockierte. Merkel war eine der westlichen Führungspersönlichkeiten, die es damals für klüger hielten, Moskau nicht mit der NATO-Osterweiterung zu irritieren. Die Kosten dieses Boykotts sind heute in ganz Europa zu spüren. 

Vor Angela Merkel war Gerhard Schröder 1999 in Bukarest, im ersten Jahr seiner Amtszeit als Bundeskanzler. Damals rechtfertigte er in einer Rede im rumänischen Parlament den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg. Schröder war der erste Bundeskanzler, der nach 21 Jahren Rumänien besuchte. 1978 hatte Helmut Schmidt dem national-stalinistischen Diktator Nicolae Ceausescu einen zweitägigen Besuch abgestattet.

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchte fünf Jahre ihres Mandats, um Bukarest 2010 einen bilateralen Besuch abzustatten. Allerdings war sie als deutsche Regierungschefin bereits 2008 in der rumänischen Hauptstadt gewesen, auf jenem NATO-Gipfel, der die schnelle Annäherung der Ukraine und Georgiens an die Nordatlantische Allianz blockierte. Merkel war eine der westlichen Führungspersönlichkeiten, die es damals für klüger hielten, Moskau nicht mit der NATO-Osterweiterung zu irritieren. Die Kosten dieses Boykotts sind heute in ganz Europa zu spüren. 

In gewisser Weise wird die Agenda von Olaf Scholz im Jahr 2023 von Angela Merkels Entscheidung in Bukarest 2008 beeinflusst: Der Berliner Regierungschef besucht Rumänien im Kontext der russischen Aggression gegen die Ukraine, einem Nachbarland Rumäniens mit einer 650 Kilometer langen gemeinsamen Grenze. Der Angriffskrieg, den Russlands Präsident Wladimir Putin an der Ostflanke der EU und der NATO entfacht hat, verändert sowohl die Prioritäten als auch die Architektur der europäischen und transatlantischen Beziehungen.

Europa im Sog zentrifugaler Bestrebungen 

Einerseits braucht die EU umfassende Reformen, um nicht in einer Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, die sowohl für die Gemeinschaft als auch für jeden einzelnen Mitgliedsstaat fatal sein könnte. Auf der anderen Seite erlebt die EU, zermürbt von Einzelinteressen, regionale Umgestaltungen, die dem Ganzen schaden könnten. Ein solcher Ansatz ist das sogenannte Bukarest 9-Format, in dem die ehemaligen osteuropäischen Satellitenstaaten Moskaus, müde von der geopolitischen Kurzsichtigkeit der alten westeuropäischen Demokratien, versuchen, mit einer Stimme für Solidarität in der EU und für die Sicherung der NATO-Ostflanke zu plädieren.

Zudem schlug der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor einer Woche (am 28.03.23) bei seinem Besuch in Bukarest vor, “im Dreieck Ukraine, Rumänien und Polen so bald wie möglich – nach dem Sieg der Ukraine und dem Erreichen des Friedens – wesentliche strategische Pläne im Hinblick auf die Schaffung einer neuen Wirtschaftsgemeinschaft mit über 100 Millionen Menschen umzusetzen”.

Diese Anzeichen zentrifugaler Bestrebungen sollen während des Scholz-Besuchs diskutiert werden – wenige Wochen vor einem erneuten Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Bukarest. Doch um die vielen Differenzen zu überwinden, braucht es vor allem Vertrauen, gemeinsame Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität.

Rumänien hat sich in den vergangenen Jahren als stabiler Standort für deutsche Unternehmen erwiesen: Über 20.000 Firmen sind hier ansässig, darunter etliche Wirtschaftsriesen, meist aber kleine und mittelständische Betriebe. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Rumäniens und größter ausländischer Direktinvestor.

Deutsche Unternehmen haben über 300.000 Arbeitsplätze geschaffen. Auch deshalb tendiert die Arbeitslosigkeit in Städten wie Timișoara (Temeswar), Sibiu (Hermannstadt) oder Arad gegen Null. Das von Rumänien eingeführte duale Ausbildungssystem nach deutschem Modell sichert immer mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte. Darüber hinaus verfügen Zentral- und Westrumänien über eine gute Infrastruktur, die eine direkte Verbindung nach Westeuropa ermöglicht.

Durch die jahrelange Verzögerung und längst fällig gewordene Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum bleibt der freie Waren- und Personenverkehr jedoch weiterhin erschwert, was sowohl von der deutschen Wirtschaft als auch der Bundesregierung mehrfach moniert wurde.

Auch wenn bisher vor allem der Kfz-Bereich und Dutzende Zulieferer-Betriebe an der Spitze der deutschen Investitionen in Rumänien standen, spielt die militärische und energetische Sicherheit im Schatten des Krieges in der Ukraine eine immer größere Rolle. Die Bundesregierung in Berlin erwägt eine beachtliche Erhöhung der Ausgaben für die Unterstützung der Ukraine. Partner wie Rumänien könnten in diesem Prozess an Attraktivität gewinnen. Es gab bereits mehrere Gespräche zwischen der deutschen Militärindustrie und Bukarester Entscheidungsträgern aus den Ressorts Verteidigung und Wirtschaft. Anfang 2023 wurde bekannt, dass eine deutsche Munitionsfabrik eine Produktionsstätte in Rumänien modernisieren wolle, um Munition für die Ukraine zu produzieren.

Auch Europas Energieunabhängigkeit ist eine wesentliche Dimension gemeinsamer Sicherheit. Viele EU-Partner erwarten von Rumänien, dass es die Förderung von Erdgas im Schwarzen Meer weitaus schneller vorantreibt. Ökologische Alternativen – Windparks und Solaranlagen – geraten zunehmend ins Blickfeld deutscher Unternehmen.

Auf eine stärkere wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung aus der EU – und somit aus Deutschland und Rumänien – hofft die Republik Moldau. Putins Krieg gegen die Ukraine hat das kleine Land an der Ostflanke der EU und der NATO in eine tiefe Krise gestürzt. Allein der heroische Widerstand der ukrainischen Armee gegen den russischen Aggressor, so heißt es immer wieder in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, habe die Moldau davor bewahrt, Putins Imperialismus zum Opfer zu fallen.

Inzwischen hat man in Europa und den USA erkannt, wie verletzlich die Republik Moldau ist. Vor allem das beherzte Auftreten der pro-europäischen Präsidentin Maia Sandu hat die Partner in der EU und in der NATO überzeugt, mehr zu tun, um dem Land zu helfen. Dafür will Sandu am Montag in Bukarest bei einem trilateralen Treffen mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis und Bundeskanzler Olaf Scholz noch einmal werben.

Wie Rumänien hat auch Deutschland der Republik Moldau direkt geholfen, die Energiekrise des vergangenen Winters zu überstehen. Zusätzlich haben Rumänien, Deutschland und Frankreich im vergangenen Jahr eine internationale Geberkonferenz initiiert, bei der dem Land insgesamt 1,3 Milliarden Euro versprochen wurden. Doch davon kam erst ein Bruchteil in Chisinau an. Das wirtschaftlich schwer geplagte Land braucht jedoch dringend finanzielle Unterstützung. Ansonsten könnte es korrupten und kremlnahen Politikern gelingen, die pro-europäische Stimmung im Land bis zu den Wahlen 2025 zu kippen. Auch Rumänien steht vor einem ähnlichen Problem: Dort ist 2024 ein Super-Wahljahr; bereits jetzt erleben anti-westliche und pro-russische Nationalisten einen Aufwind. In Bukarest wird der Besuch des deutschen Bundeskanzlers als Zeichen gewertet, dass Deutschland die Rolle Rumäniens als Schlüsselpartner in der neuen Sicherheitsarchitektur Europas erkannt hat.

Adaptiert aus dem Rumänischen von Robert Schwartz

Olaf Scholz I Emmanuel Macron I Mario Draghi I Klaus Iohannis und Wolodymyr Selenskyj
Warschau NATO-Treffen Bukarest 9

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchte fünf Jahre ihres Mandats, um Bukarest 2010 einen bilateralen Besuch abzustatten. Allerdings war sie als deutsche Regierungschefin bereits 2008 in der rumänischen Hauptstadt gewesen, auf jenem NATO-Gipfel, der die schnelle Annäherung der Ukraine und Georgiens an die Nordatlantische Allianz blockierte. Merkel war eine der westlichen Führungspersönlichkeiten, die es damals für klüger hielten, Moskau nicht mit der NATO-Osterweiterung zu irritieren. Die Kosten dieses Boykotts sind heute in ganz Europa zu spüren. 

Vor Angela Merkel war Gerhard Schröder 1999 in Bukarest, im ersten Jahr seiner Amtszeit als Bundeskanzler. Damals rechtfertigte er in einer Rede im rumänischen Parlament den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg. Schröder war der erste Bundeskanzler, der nach 21 Jahren Rumänien besuchte. 1978 hatte Helmut Schmidt dem national-stalinistischen Diktator Nicolae Ceausescu einen zweitägigen Besuch abgestattet.

Europa im Sog zentrifugaler Bestrebungen 

In gewisser Weise wird die Agenda von Olaf Scholz im Jahr 2023 von Angela Merkels Entscheidung in Bukarest 2008 beeinflusst: Der Berliner Regierungschef besucht Rumänien im Kontext der russischen Aggression gegen die Ukraine, einem Nachbarland Rumäniens mit einer 650 Kilometer langen gemeinsamen Grenze. Der Angriffskrieg, den Russlands Präsident Wladimir Putin an der Ostflanke der EU und der NATO entfacht hat, verändert sowohl die Prioritäten als auch die Architektur der europäischen und transatlantischen Beziehungen.

Einerseits braucht die EU umfassende Reformen, um nicht in einer Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, die sowohl für die Gemeinschaft als auch für jeden einzelnen Mitgliedsstaat fatal sein könnte. Auf der anderen Seite erlebt die EU, zermürbt von Einzelinteressen, regionale Umgestaltungen, die dem Ganzen schaden könnten. Ein solcher Ansatz ist das sogenannte Bukarest 9-Format, in dem die ehemaligen osteuropäischen Satellitenstaaten Moskaus, müde von der geopolitischen Kurzsichtigkeit der alten westeuropäischen Demokratien, versuchen, mit einer Stimme für Solidarität in der EU und für die Sicherung der NATO-Ostflanke zu plädieren.

Zudem schlug der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor einer Woche (am 28.03.23) bei seinem Besuch in Bukarest vor, “im Dreieck Ukraine, Rumänien und Polen so bald wie möglich – nach dem Sieg der Ukraine und dem Erreichen des Friedens – wesentliche strategische Pläne im Hinblick auf die Schaffung einer neuen Wirtschaftsgemeinschaft mit über 100 Millionen Menschen umzusetzen”.

Diese Anzeichen zentrifugaler Bestrebungen sollen während des Scholz-Besuchs diskutiert werden – wenige Wochen vor einem erneuten Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Bukarest. Doch um die vielen Differenzen zu überwinden, braucht es vor allem Vertrauen, gemeinsame Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität.

Profitabel für deutsche Unternehmen 

Rumänien hat sich in den vergangenen Jahren als stabiler Standort für deutsche Unternehmen erwiesen: Über 20.000 Firmen sind hier ansässig, darunter etliche Wirtschaftsriesen, meist aber kleine und mittelständische Betriebe. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Rumäniens und größter ausländischer Direktinvestor.

Investitionen in Rüstung und Energiesicherheit 

Deutsche Unternehmen haben über 300.000 Arbeitsplätze geschaffen. Auch deshalb tendiert die Arbeitslosigkeit in Städten wie Timișoara (Temeswar), Sibiu (Hermannstadt) oder Arad gegen Null. Das von Rumänien eingeführte duale Ausbildungssystem nach deutschem Modell sichert immer mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte. Darüber hinaus verfügen Zentral- und Westrumänien über eine gute Infrastruktur, die eine direkte Verbindung nach Westeuropa ermöglicht.

Durch die jahrelange Verzögerung und längst fällig gewordene Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum bleibt der freie Waren- und Personenverkehr jedoch weiterhin erschwert, was sowohl von der deutschen Wirtschaft als auch der Bundesregierung mehrfach moniert wurde.

Auch wenn bisher vor allem der Kfz-Bereich und Dutzende Zulieferer-Betriebe an der Spitze der deutschen Investitionen in Rumänien standen, spielt die militärische und energetische Sicherheit im Schatten des Krieges in der Ukraine eine immer größere Rolle. Die Bundesregierung in Berlin erwägt eine beachtliche Erhöhung der Ausgaben für die Unterstützung der Ukraine. Partner wie Rumänien könnten in diesem Prozess an Attraktivität gewinnen. Es gab bereits mehrere Gespräche zwischen der deutschen Militärindustrie und Bukarester Entscheidungsträgern aus den Ressorts Verteidigung und Wirtschaft. Anfang 2023 wurde bekannt, dass eine deutsche Munitionsfabrik eine Produktionsstätte in Rumänien modernisieren wolle, um Munition für die Ukraine zu produzieren.

Maia Sandu mit dabei

Auch Europas Energieunabhängigkeit ist eine wesentliche Dimension gemeinsamer Sicherheit. Viele EU-Partner erwarten von Rumänien, dass es die Förderung von Erdgas im Schwarzen Meer weitaus schneller vorantreibt. Ökologische Alternativen – Windparks und Solaranlagen – geraten zunehmend ins Blickfeld deutscher Unternehmen.

Auf eine stärkere wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung aus der EU – und somit aus Deutschland und Rumänien – hofft die Republik Moldau. Putins Krieg gegen die Ukraine hat das kleine Land an der Ostflanke der EU und der NATO in eine tiefe Krise gestürzt. Allein der heroische Widerstand der ukrainischen Armee gegen den russischen Aggressor, so heißt es immer wieder in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, habe die Moldau davor bewahrt, Putins Imperialismus zum Opfer zu fallen.

Inzwischen hat man in Europa und den USA erkannt, wie verletzlich die Republik Moldau ist. Vor allem das beherzte Auftreten der pro-europäischen Präsidentin Maia Sandu hat die Partner in der EU und in der NATO überzeugt, mehr zu tun, um dem Land zu helfen. Dafür will Sandu am Montag in Bukarest bei einem trilateralen Treffen mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis und Bundeskanzler Olaf Scholz noch einmal werben.

Wie Rumänien hat auch Deutschland der Republik Moldau direkt geholfen, die Energiekrise des vergangenen Winters zu überstehen. Zusätzlich haben Rumänien, Deutschland und Frankreich im vergangenen Jahr eine internationale Geberkonferenz initiiert, bei der dem Land insgesamt 1,3 Milliarden Euro versprochen wurden. Doch davon kam erst ein Bruchteil in Chisinau an. Das wirtschaftlich schwer geplagte Land braucht jedoch dringend finanzielle Unterstützung. Ansonsten könnte es korrupten und kremlnahen Politikern gelingen, die pro-europäische Stimmung im Land bis zu den Wahlen 2025 zu kippen. Auch Rumänien steht vor einem ähnlichen Problem: Dort ist 2024 ein Super-Wahljahr; bereits jetzt erleben anti-westliche und pro-russische Nationalisten einen Aufwind. In Bukarest wird der Besuch des deutschen Bundeskanzlers als Zeichen gewertet, dass Deutschland die Rolle Rumäniens als Schlüsselpartner in der neuen Sicherheitsarchitektur Europas erkannt hat.

Moldau Chisinau | Charles Michel, Präsident des EU-Rates und Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau

Adaptiert aus dem Rumänischen von Robert Schwartz

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