Wasserkrise in Tunesien: Wenn der Regen nicht fällt
Tunesien gilt traditionell als regenreiches Land – so fruchtbar, dass es in antiken Zeiten den Beinamen “Kornspeicher Roms” trug. Doch derzeit leidet das krisengeschüttelte Land unter dramatischem Wassermangel.
Gut zehn Jahre ist es her, dass Ali al-Saidi seinen Job in der Privatwirtschaft verlor. Damals entschloss sich der 56-jährige Ingenieur, fortan im Agrarsektor zu arbeiten. Nun aber könnte er seinen Beruf ein weiteres Mal verlieren: Der Klimawandel macht auch vor Tunesien nicht Halt. Nach monatelanger Dürre sind die Wasserressourcen des Landes weitgehend erschöpft.
Das Ausmaß der Krise zeigt sich etwa am Pro-Kopf-Verbrauch. Derzeit verbrauchen die Tunesier im Durchschnitt weniger als 400 Kubikmeter pro Jahr. Das ist etwa die Hälfte des von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) definierten globalen Durchschnitts. Dieser liegt zwischen 700 und 900 Kubikmeter jährlich.
Gut zehn Jahre ist es her, dass Ali al-Saidi seinen Job in der Privatwirtschaft verlor. Damals entschloss sich der 56-jährige Ingenieur, fortan im Agrarsektor zu arbeiten. Nun aber könnte er seinen Beruf ein weiteres Mal verlieren: Der Klimawandel macht auch vor Tunesien nicht Halt. Nach monatelanger Dürre sind die Wasserressourcen des Landes weitgehend erschöpft.
Angesichts dieses Notstands beschloss die tunesische Regierung, das Trinkwasser nachts sieben Stunden lang abzustellen und ein Quotensystem für dessen Verteilung und Nutzung einzuführen.
“Wir haben es nicht geschafft”
Seitdem sieht sich al-Saidi gezwungen, den Bedarf seines Hofes mit Hilfe von Wasserkanistern zu decken. Allerdings sei die Wasserversorgung auch tagsüber oft mehrere Stunden unterbrochen, sagt er im Gespräch mit der DW.
“Alle landwirtschaftlichen und industriellen Experimente, die in Tunesien geplant waren, sind gescheitert”, sagt al-Saidi im DW-Interview. “Singapur und Südkorea waren bei der Lösung ihrer Wasserprobleme erfolgreich, wir aber haben es nicht geschafft. Außerdem sehen wir uns jetzt auch noch einer politischen Krise gegenüber. Die Situation müsste auf vielerlei Weise angegangen werden.”
Burj al-Tawil ist eine ländliche Region nördlich der Hauptstadt Tunis und leidet besonders unter dem akuten Wassermangel. Die Bauern können ihre weitflächigen Felder nicht hinreichend bewässern. Zwar hatten die Behörden dort bereits in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Projekt zur Filterung des Abwassers ins Leben gerufen. Doch es wurde kaum gepflegt. Nach und nach sammelte sich Schmutz in den Wasserleitungsnetzen an, so dass sie in der Folge verstopften.
Den Landwirten bleibt daher dieser Tage nichts, als auf Regen zu hoffen. Tatsächlich gab es Anfang April einige Niederschläge. Ohne sie wären die Ähren nach mehrwöchiger Trockenheit abgestorben. Doch für eine erfolgreiche Ernte reicht das Wasser bei weitem nicht.
“Uns geht es jetzt immer schlechter. Wenn die Landwirtschaftssaison nicht gelingt, muss ich wieder in der Privatwirtschaft arbeiten”, sagt al-Saidi. Wie er leiden nach Angaben des tunesischen Bauernverbandes rund eine halbe Million Landwirte unter der Trockenheit. Sie haben allergrößte Mühe, ihre Gemüse- und Getreidefelder zu bewässern. Auch die Viehzüchter haben mit dem Wassermangel zu kämpfen, ein Umstand, der die Fleischproduktion bereits hat schrumpfen lassen. Entsprechend stiegen die Preise.
Bereits vor Monaten hatte der Verband vor einem massiven Rückgang der Getreideernte gewarnt. Tatsächlich schrumpfte die tunesische Produktion um rund zwei Drittel. Für das Land hat dies massive Folgen: Jetzt schon deckt Tunesien rund 70 Prozent seines Bedarfs durch Importe ab. Angesichts der jüngsten Preissteigerungen stellt dies das Land vor erhebliche Herausforderungen.
Umso schwerer wiegt der Wassermangel: Die Dürre hat die nationalen Wasserreserven bis März auf weniger als 30 Prozent sinken lassen. Das Wassern im größten Staudamm des Landes, dem Sidi-Salem-Damm, ist auf 17 Prozent seiner Kapazität geschrumpft. Experten zufolge müsste es in Tunesien längere Zeit ohne Unterlass regnen, um die Stauseen wieder zu füllen.
Brunnen immerhin können helfen: Anders als Ali al-Saidi hat sein Kollege Kamal al-Shabo die Dürreperiode bislang gut überstanden. Er bewässert seine 15 Hektar große Fläche mit Hilfe eines Brunnens. Keinen seiner 40 Angestellten musste er bislang entlassen. “Dem Preisanstieg kann man nur mit Produktionssteigerungen begegnen”, sagt der 60-Jährige im DW-Interview. Allerdings leide die Landwirtschaft nicht nur unter Trockenheit, sondern im Norden auch unter Zersiedelung. Der Bau neuer Wohnungen und Straßen verschlinge in großem Stil landwirtschaftlichen Flächen. Der Staat müsse dagegen unbedingt aktiv werden, fordert er.
Bislang hielt die Regierung sich mit Maßnahmen zurück. Sie untersagte Landwirten jedoch, Land in unmittelbarer Nachbarschaft von Wasserspeichern zu bewirtschaften. Ohne Hilfe von außen sahen tausende Bauern insbesondere im Süden des Landes sich vor diesem Hintergrund gezwungen, wie Kamal al-Shabo Wasser aus selbst angelegten Brunnen zu schöpfen.
Das aber sei gefährlich, sagt Wasserbau-Experte Hussein Rahili. Bereits jetzt gebe es über 21.000 solcher Brunnen, in ihrer Mehrzahl angelegt nach der Revolution des Jahres 2011, als die Autorität des Staates eine Weile geschwächt war. Nun gefährdeten diese Brunnen den Grundwasserspiegel, warnt Rahili. Rund 580 Millionen Kubikmeter flössen jährlich über sie ab. Das entspreche gut 20 Prozent der unterirdischen Wasserressourcen des Landes.
Welche Auswirkungen die derzeitige Wasserkrise noch haben könnte, wissen vor allem ältere Tunesier. Sie erinnern sich an das Jahr 1969, in dem Tunesien ebenfalls unter einer starken Dürre litt – auf die dann heftige Überschwemmungen folgten. Teile der Wirtschaft kollabierten damals, viele Menschen zogen vom Land in die Stadt.
“Dies veränderte die demographische Struktur des Landes”, sagt der tunesische Ökonom Al-Saghir al-Salihi. “Tunesien wurde immer abhängiger von internationaler Hilfe. Zunehmend fiel es dem Land schwer, den Lebensmittelbedarf der eigenen Bürger zu decken.”
Wie Tunesien dem Wassermangel begegnen will, scheint derzeit noch völlig unklar. Der Bau neuer Staudämme lohne sich nicht, sagt al-Salihi. Dies sei zu teuer, außerdem würden sie sich aufgrund der schwachen Niederschläge ohnehin kaum füllen.
Den Bauern bleibt so vorerst nichts als die Hoffnung. “Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und arbeiten”, sagt al-Saidi. “Wir dürfen nicht verzweifeln. Armut gehört nicht nach Tunesien.”
Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.
Gut zehn Jahre ist es her, dass Ali al-Saidi seinen Job in der Privatwirtschaft verlor. Damals entschloss sich der 56-jährige Ingenieur, fortan im Agrarsektor zu arbeiten. Nun aber könnte er seinen Beruf ein weiteres Mal verlieren: Der Klimawandel macht auch vor Tunesien nicht Halt. Nach monatelanger Dürre sind die Wasserressourcen des Landes weitgehend erschöpft.
Das Ausmaß der Krise zeigt sich etwa am Pro-Kopf-Verbrauch. Derzeit verbrauchen die Tunesier im Durchschnitt weniger als 400 Kubikmeter pro Jahr. Das ist etwa die Hälfte des von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) definierten globalen Durchschnitts. Dieser liegt zwischen 700 und 900 Kubikmeter jährlich.
“Wir haben es nicht geschafft”
Angesichts dieses Notstands beschloss die tunesische Regierung, das Trinkwasser nachts sieben Stunden lang abzustellen und ein Quotensystem für dessen Verteilung und Nutzung einzuführen.
Seitdem sieht sich al-Saidi gezwungen, den Bedarf seines Hofes mit Hilfe von Wasserkanistern zu decken. Allerdings sei die Wasserversorgung auch tagsüber oft mehrere Stunden unterbrochen, sagt er im Gespräch mit der DW.
“Alle landwirtschaftlichen und industriellen Experimente, die in Tunesien geplant waren, sind gescheitert”, sagt al-Saidi im DW-Interview. “Singapur und Südkorea waren bei der Lösung ihrer Wasserprobleme erfolgreich, wir aber haben es nicht geschafft. Außerdem sehen wir uns jetzt auch noch einer politischen Krise gegenüber. Die Situation müsste auf vielerlei Weise angegangen werden.”
Burj al-Tawil ist eine ländliche Region nördlich der Hauptstadt Tunis und leidet besonders unter dem akuten Wassermangel. Die Bauern können ihre weitflächigen Felder nicht hinreichend bewässern. Zwar hatten die Behörden dort bereits in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Projekt zur Filterung des Abwassers ins Leben gerufen. Doch es wurde kaum gepflegt. Nach und nach sammelte sich Schmutz in den Wasserleitungsnetzen an, so dass sie in der Folge verstopften.
Ernährungssicherheit gefährdet
Den Landwirten bleibt daher dieser Tage nichts, als auf Regen zu hoffen. Tatsächlich gab es Anfang April einige Niederschläge. Ohne sie wären die Ähren nach mehrwöchiger Trockenheit abgestorben. Doch für eine erfolgreiche Ernte reicht das Wasser bei weitem nicht.
Wachsender Importdruck
“Uns geht es jetzt immer schlechter. Wenn die Landwirtschaftssaison nicht gelingt, muss ich wieder in der Privatwirtschaft arbeiten”, sagt al-Saidi. Wie er leiden nach Angaben des tunesischen Bauernverbandes rund eine halbe Million Landwirte unter der Trockenheit. Sie haben allergrößte Mühe, ihre Gemüse- und Getreidefelder zu bewässern. Auch die Viehzüchter haben mit dem Wassermangel zu kämpfen, ein Umstand, der die Fleischproduktion bereits hat schrumpfen lassen. Entsprechend stiegen die Preise.
Bereits vor Monaten hatte der Verband vor einem massiven Rückgang der Getreideernte gewarnt. Tatsächlich schrumpfte die tunesische Produktion um rund zwei Drittel. Für das Land hat dies massive Folgen: Jetzt schon deckt Tunesien rund 70 Prozent seines Bedarfs durch Importe ab. Angesichts der jüngsten Preissteigerungen stellt dies das Land vor erhebliche Herausforderungen.
Umso schwerer wiegt der Wassermangel: Die Dürre hat die nationalen Wasserreserven bis März auf weniger als 30 Prozent sinken lassen. Das Wassern im größten Staudamm des Landes, dem Sidi-Salem-Damm, ist auf 17 Prozent seiner Kapazität geschrumpft. Experten zufolge müsste es in Tunesien längere Zeit ohne Unterlass regnen, um die Stauseen wieder zu füllen.
Selbstgebaute Brunnen
Brunnen immerhin können helfen: Anders als Ali al-Saidi hat sein Kollege Kamal al-Shabo die Dürreperiode bislang gut überstanden. Er bewässert seine 15 Hektar große Fläche mit Hilfe eines Brunnens. Keinen seiner 40 Angestellten musste er bislang entlassen. “Dem Preisanstieg kann man nur mit Produktionssteigerungen begegnen”, sagt der 60-Jährige im DW-Interview. Allerdings leide die Landwirtschaft nicht nur unter Trockenheit, sondern im Norden auch unter Zersiedelung. Der Bau neuer Wohnungen und Straßen verschlinge in großem Stil landwirtschaftlichen Flächen. Der Staat müsse dagegen unbedingt aktiv werden, fordert er.
Bislang hielt die Regierung sich mit Maßnahmen zurück. Sie untersagte Landwirten jedoch, Land in unmittelbarer Nachbarschaft von Wasserspeichern zu bewirtschaften. Ohne Hilfe von außen sahen tausende Bauern insbesondere im Süden des Landes sich vor diesem Hintergrund gezwungen, wie Kamal al-Shabo Wasser aus selbst angelegten Brunnen zu schöpfen.
Erinnerungen an 1969
Das aber sei gefährlich, sagt Wasserbau-Experte Hussein Rahili. Bereits jetzt gebe es über 21.000 solcher Brunnen, in ihrer Mehrzahl angelegt nach der Revolution des Jahres 2011, als die Autorität des Staates eine Weile geschwächt war. Nun gefährdeten diese Brunnen den Grundwasserspiegel, warnt Rahili. Rund 580 Millionen Kubikmeter flössen jährlich über sie ab. Das entspreche gut 20 Prozent der unterirdischen Wasserressourcen des Landes.
Welche Auswirkungen die derzeitige Wasserkrise noch haben könnte, wissen vor allem ältere Tunesier. Sie erinnern sich an das Jahr 1969, in dem Tunesien ebenfalls unter einer starken Dürre litt – auf die dann heftige Überschwemmungen folgten. Teile der Wirtschaft kollabierten damals, viele Menschen zogen vom Land in die Stadt.
“Dies veränderte die demographische Struktur des Landes”, sagt der tunesische Ökonom Al-Saghir al-Salihi. “Tunesien wurde immer abhängiger von internationaler Hilfe. Zunehmend fiel es dem Land schwer, den Lebensmittelbedarf der eigenen Bürger zu decken.”
Wie Tunesien dem Wassermangel begegnen will, scheint derzeit noch völlig unklar. Der Bau neuer Staudämme lohne sich nicht, sagt al-Salihi. Dies sei zu teuer, außerdem würden sie sich aufgrund der schwachen Niederschläge ohnehin kaum füllen.
Den Bauern bleibt so vorerst nichts als die Hoffnung. “Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und arbeiten”, sagt al-Saidi. “Wir dürfen nicht verzweifeln. Armut gehört nicht nach Tunesien.”
Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.