“Flashes of Memory”: Fotografie im Holocaust
Im Nationalsozialismus dienten Fotos sowohl der Dokumentation als auch der Manipulation. Zum ersten Mal gastiert die Ausstellung “Flashes of Memory” aus Yad Vashem im Ausland – im Museum für Fotografie in Berlin.
Es ist eine der großen Menschheitsaufgaben, das Gedenken an die Schrecken des Holocaust aufrecht zu erhalten. Sie wird dadurch erschwert, dass die Zahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen abnimmt, die aus eigener Erfahrung eindrücklich über den Horror berichten können.
Umso mehr stehen Museen vor der Aufgabe, das Publikum in Zeiten des wiedererstarkten Antisemitismus weiter für die historische Aufarbeitung zu interessieren. Der Ausstellung “Flashes of Memory – Fotografie im Holocaust” im Museum für Fotografie in Berlin gelingt ein Brückenschlag in die Gegenwart.
Es ist eine der großen Menschheitsaufgaben, das Gedenken an die Schrecken des Holocaust aufrecht zu erhalten. Sie wird dadurch erschwert, dass die Zahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen abnimmt, die aus eigener Erfahrung eindrücklich über den Horror berichten können.
Die Schau, die seit 2018 in der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu sehen ist, hat zum ersten Mal Israel verlassen und lässt das Publikum hinter die Geschichte der Abbildungen blicken. In einer Gegenwart, die durch Selbstoptimierung und perfekte Inszenierung mit Hilfe von Filtern auf Plattformen wie Instagram bestimmt wird, führt die Ausstellung vor Augen, wie Fotografie schon vor fast 100 Jahren nicht nur als Mittel der Dokumentation, sondern auch als Werkzeug zur Manipulation des öffentlichen Meinungsbilds diente.
Manipulative Kraft der Kamera
Von der “manipulativen Kraft der Kamera” sprach auch Vivian Uria, Museumsdirektorin in Yad Vashem, im Vorfeld der Ausstellung: “Fotografie erweckt den Anschein, sie gäbe die Wirklichkeit getreu wieder, doch im Wesentlichen ist sie eine Interpretation der Realität.” Die Ausstellung besteht aus drei Teilen, gibt drei verschiedene Perspektiven wieder: Sie zeigt Fotografien der Nationalsozialisten, Aufnahmen von jüdischen Fotografen sowie Bilder, die von den Soldaten der Streitmächte gemacht wurden, die Deutschland von den Nazis befreiten.
Das antisemitische Kampfblatt “Der Stürmer”, das die Vorbereitung des Holocaust publizistisch begleitete und schon seit den 1920er-Jahren Ressentiments schürte, druckte Bilder von jüdischen Männern, die einfach nur in einer Gaststätte zusammensaßen, und bezichtigte sie, etwas auszuhecken. Selbst mit Porträts von Kindern sollten deren angeblich niedere Instinkte belegt werden.
Das Propagandablatt trug ab 1932 den Untertitel “Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit”. Zuschriften kamen später auch ungefragt von Soldaten der Wehrmacht, die in den seit Ende 1939 eingerichteten Ghettos im besetzten Polen privat fotografierten und ihre Aufnahmen mit antisemitischer Hetze zum Abdruck einschickten.
Bildmaterial aus diesen Ghettos gibt es auch von jüdischen Fotografen, die im Auftrag der sogenannten Judenräte dokumentieren sollten, wie effizient die Ghettos geführt wurden. Die von den Besatzern ernannten Räte – häufig Rabbiner – waren gezwungen, die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner für Zwangsarbeit oder die Deportation in die Konzentrationslager auszuliefern. Um Deportationen zu verhindern, sollten umfangreiche Fotodokumentationen den Nazis belegen, dass die Arbeitskraft der Juden unentbehrlich war.
Obwohl es der Judenrat ausdrücklich verboten hatte, nutzten einige der beauftragten Fotografen ihre Kameras unter Lebensgefahr, um Leid und Horror in den Ghettos für die Nachwelt zu dokumentieren. “Es handelt sich um ein außergewöhnliches Beispiel des menschlichen Willens”, sagte Vivian Uria.
“Mir war bewusst, dass meine Familienangehörigen gefoltert und getötet würden, wenn sie mich dabei erwischten”, wird Henryk Ross zitiert, der im Ghetto von Lodz fotografierte. Die Nationalsozialisten stellten die Ghettos ihrerseits mit antisemitischen Stereotypen als Produktionsstätten dar, in denen “faule Juden” lernen würden, zu arbeiten.
Neben dem abgebildeten Leid wirkt besonders dieses ungleiche Verhältnis bedrückend in der Ausstellung: Hier die übermächtige Propaganda-Industrie der Nazis, die ihre Hetze über Massenmedien verbreiteten und von Leni Riefenstahl aufwendige Filme inszenieren ließen, dort eine Handvoll Menschen, die versuchten, dem unter Einsatz ihres Lebens ein Korrektiv gegenüber zu stellen. Zum Schutz vor Vernichtung vergruben sie ihre Aufnahmen, die später in NS-Kriegsverbrecher-Prozessen als Beweismittel dienten.
Welche Interessen verbergen sich hinter einem Foto, der Auswahl des Motivs, dem Blickwinkel? Die Ausstellung hinterfragt das Material auch dort kritisch und ungeschönt, wo man es lieber nicht wahr haben möchte. Ein spannendes Kapitel erzählen die Aufnahmen der alliierten Soldaten, die als Befreier kamen. Sie belegen das Grauen des Holocaust, der durchgeplanten Vernichtung von Menschen. Die Fotos zeigen Leichen und Überlebende, die sich optisch kaum voneinander unterscheiden: ausgemergelte Körper, deren Haut an Knochen hängt.
So erschütternd real die Fotos den körperlichen Zustand der Opfer dokumentieren und man die Alliierten im Betrachten wie selbstverständlich als “die Guten” sieht – auch ihre Aufnahmen dienten mitunter eigenen Interessen. Zahlreiche Bilder von Menschen, die hinter Stacheldrahtzäunen des NS-Konzentrationslagers Auschwitz auf ihre Befreier warten, sind für die Fotografen nachgestellt worden.
Das ikonische Bild eines sowjetischen Soldaten, der am 2. Mai 1945, dem Tag der militärischen Kapitulation Berlins, auf dem Dach des Reichstagsgebäudes die sowjetische Flagge schwenkt, ist wahrscheinlich das berühmteste Beispiel dafür, wie die dokumentarische Kraft einer historischen Aufnahme durch mehrfache Nachbearbeitung entwertet wurde.
Der Militärfotograf Yevgeny Khaldei retuschierte eine Armbanduhr vom Handgelenk des Soldaten, die Beute der massenweisen Plünderungen war. Gute Befreier durften nicht der Beutezüge verdächtigt werden. Die sowjetische Nachrichtenagentur fügte der Aufnahme später noch Rauchwolken hinzu, verdunkelte sie und vergrößerte die Flagge, um dem Bild mehr Dramatik zu verleihen.
Es ist eine große Stärke der Schau, die manipulative Kraft der Bilder von allen Seiten zu beleuchten. “Flashes of Memory” ist noch bis zum 20. August 2023 im Berliner Museum für Fotografie zu sehen. Der Zugang ist barrierefrei.
Es ist eine der großen Menschheitsaufgaben, das Gedenken an die Schrecken des Holocaust aufrecht zu erhalten. Sie wird dadurch erschwert, dass die Zahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen abnimmt, die aus eigener Erfahrung eindrücklich über den Horror berichten können.
Umso mehr stehen Museen vor der Aufgabe, das Publikum in Zeiten des wiedererstarkten Antisemitismus weiter für die historische Aufarbeitung zu interessieren. Der Ausstellung “Flashes of Memory – Fotografie im Holocaust” im Museum für Fotografie in Berlin gelingt ein Brückenschlag in die Gegenwart.
Manipulative Kraft der Kamera
Die Schau, die seit 2018 in der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu sehen ist, hat zum ersten Mal Israel verlassen und lässt das Publikum hinter die Geschichte der Abbildungen blicken. In einer Gegenwart, die durch Selbstoptimierung und perfekte Inszenierung mit Hilfe von Filtern auf Plattformen wie Instagram bestimmt wird, führt die Ausstellung vor Augen, wie Fotografie schon vor fast 100 Jahren nicht nur als Mittel der Dokumentation, sondern auch als Werkzeug zur Manipulation des öffentlichen Meinungsbilds diente.
Von der “manipulativen Kraft der Kamera” sprach auch Vivian Uria, Museumsdirektorin in Yad Vashem, im Vorfeld der Ausstellung: “Fotografie erweckt den Anschein, sie gäbe die Wirklichkeit getreu wieder, doch im Wesentlichen ist sie eine Interpretation der Realität.” Die Ausstellung besteht aus drei Teilen, gibt drei verschiedene Perspektiven wieder: Sie zeigt Fotografien der Nationalsozialisten, Aufnahmen von jüdischen Fotografen sowie Bilder, die von den Soldaten der Streitmächte gemacht wurden, die Deutschland von den Nazis befreiten.
Das antisemitische Kampfblatt “Der Stürmer”, das die Vorbereitung des Holocaust publizistisch begleitete und schon seit den 1920er-Jahren Ressentiments schürte, druckte Bilder von jüdischen Männern, die einfach nur in einer Gaststätte zusammensaßen, und bezichtigte sie, etwas auszuhecken. Selbst mit Porträts von Kindern sollten deren angeblich niedere Instinkte belegt werden.
Das Propagandablatt trug ab 1932 den Untertitel “Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit”. Zuschriften kamen später auch ungefragt von Soldaten der Wehrmacht, die in den seit Ende 1939 eingerichteten Ghettos im besetzten Polen privat fotografierten und ihre Aufnahmen mit antisemitischer Hetze zum Abdruck einschickten.
“Der Stürmer” hetzte sogar gegen Kinder
Bildmaterial aus diesen Ghettos gibt es auch von jüdischen Fotografen, die im Auftrag der sogenannten Judenräte dokumentieren sollten, wie effizient die Ghettos geführt wurden. Die von den Besatzern ernannten Räte – häufig Rabbiner – waren gezwungen, die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner für Zwangsarbeit oder die Deportation in die Konzentrationslager auszuliefern. Um Deportationen zu verhindern, sollten umfangreiche Fotodokumentationen den Nazis belegen, dass die Arbeitskraft der Juden unentbehrlich war.
Auch “die Guten” manipulieren
Obwohl es der Judenrat ausdrücklich verboten hatte, nutzten einige der beauftragten Fotografen ihre Kameras unter Lebensgefahr, um Leid und Horror in den Ghettos für die Nachwelt zu dokumentieren. “Es handelt sich um ein außergewöhnliches Beispiel des menschlichen Willens”, sagte Vivian Uria.
“Mir war bewusst, dass meine Familienangehörigen gefoltert und getötet würden, wenn sie mich dabei erwischten”, wird Henryk Ross zitiert, der im Ghetto von Lodz fotografierte. Die Nationalsozialisten stellten die Ghettos ihrerseits mit antisemitischen Stereotypen als Produktionsstätten dar, in denen “faule Juden” lernen würden, zu arbeiten.
Neben dem abgebildeten Leid wirkt besonders dieses ungleiche Verhältnis bedrückend in der Ausstellung: Hier die übermächtige Propaganda-Industrie der Nazis, die ihre Hetze über Massenmedien verbreiteten und von Leni Riefenstahl aufwendige Filme inszenieren ließen, dort eine Handvoll Menschen, die versuchten, dem unter Einsatz ihres Lebens ein Korrektiv gegenüber zu stellen. Zum Schutz vor Vernichtung vergruben sie ihre Aufnahmen, die später in NS-Kriegsverbrecher-Prozessen als Beweismittel dienten.
Welche Interessen verbergen sich hinter einem Foto, der Auswahl des Motivs, dem Blickwinkel? Die Ausstellung hinterfragt das Material auch dort kritisch und ungeschönt, wo man es lieber nicht wahr haben möchte. Ein spannendes Kapitel erzählen die Aufnahmen der alliierten Soldaten, die als Befreier kamen. Sie belegen das Grauen des Holocaust, der durchgeplanten Vernichtung von Menschen. Die Fotos zeigen Leichen und Überlebende, die sich optisch kaum voneinander unterscheiden: ausgemergelte Körper, deren Haut an Knochen hängt.
So erschütternd real die Fotos den körperlichen Zustand der Opfer dokumentieren und man die Alliierten im Betrachten wie selbstverständlich als “die Guten” sieht – auch ihre Aufnahmen dienten mitunter eigenen Interessen. Zahlreiche Bilder von Menschen, die hinter Stacheldrahtzäunen des NS-Konzentrationslagers Auschwitz auf ihre Befreier warten, sind für die Fotografen nachgestellt worden.
Das ikonische Bild eines sowjetischen Soldaten, der am 2. Mai 1945, dem Tag der militärischen Kapitulation Berlins, auf dem Dach des Reichstagsgebäudes die sowjetische Flagge schwenkt, ist wahrscheinlich das berühmteste Beispiel dafür, wie die dokumentarische Kraft einer historischen Aufnahme durch mehrfache Nachbearbeitung entwertet wurde.
Der Militärfotograf Yevgeny Khaldei retuschierte eine Armbanduhr vom Handgelenk des Soldaten, die Beute der massenweisen Plünderungen war. Gute Befreier durften nicht der Beutezüge verdächtigt werden. Die sowjetische Nachrichtenagentur fügte der Aufnahme später noch Rauchwolken hinzu, verdunkelte sie und vergrößerte die Flagge, um dem Bild mehr Dramatik zu verleihen.
Es ist eine große Stärke der Schau, die manipulative Kraft der Bilder von allen Seiten zu beleuchten. “Flashes of Memory” ist noch bis zum 20. August 2023 im Berliner Museum für Fotografie zu sehen. Der Zugang ist barrierefrei.