Hannover Messe: Eine ganze Halle voller Luft
Im Schatten von Metaverse und KI geht manches auf der weltgrößten Industriemesse fast unter. Etwa die Druckluft, die angeblich die Welt verändert. Ist das Größenwahn? DW-Reporterin Franziska Wüst hat sich umgesehen.
Die zwei parallel nebeneinander liegenden Schrauben im Innern der transparenten Plexiglasbox drehen sich immer schneller, je stärker ich den außen angebrachten Metallzylinder bewege. Ihre spiralförmigen Gewinde verflechten sich in der Bewegung. “Das ist wirklich das Herzstück eines Kompressors. Da kommts drauf an”, sagt Mario Schnieders vom Kompressoren-Hersteller Kaeser, während er seine Hand auf das schuhkartongroße Schraubenkompressor-Modell legt. Bei einem echten Kompressor würde die Luft von oben in die Schraubenpresse gesaugt und käme auf der anderen Seite als Druckluft wieder heraus. Komprimiert eben.
Wir befinden uns auf dem Messestand von Schnieders Unternehmen in Halle 4 der Hannover Messe, der größten Industriemesse weltweit.
Die zwei parallel nebeneinander liegenden Schrauben im Innern der transparenten Plexiglasbox drehen sich immer schneller, je stärker ich den außen angebrachten Metallzylinder bewege. Ihre spiralförmigen Gewinde verflechten sich in der Bewegung. “Das ist wirklich das Herzstück eines Kompressors. Da kommts drauf an”, sagt Mario Schnieders vom Kompressoren-Hersteller Kaeser, während er seine Hand auf das schuhkartongroße Schraubenkompressor-Modell legt. Bei einem echten Kompressor würde die Luft von oben in die Schraubenpresse gesaugt und käme auf der anderen Seite als Druckluft wieder heraus. Komprimiert eben.
Die unzähligen Anzugträger, die über die grauen Teppichböden zwischen den Ständen fegen, gehen hier fast unter. In der Halle für Druckluft- und Vakuumtechnik reihen sich Ausstellungsflächen mit Metallkesseln und Rohren in unzähligen Farben und Größen aneinander. Die Wand eines Standes hängt voller kleiner Geräte. Eine Mischung aus Luftpumpe und Siphon, Rohren, Metall, Werkzeug. Ein dezentes “Pssssss” pfeift an einigen Stellen durch die Luft.
Energiesparen durch Abwärme
Vor meinem ersten Besuch auf einer Industriemesse habe ich das Wort “Kompressor” höchstens von meinem Opa gehört, wenn er die Arbeitsflächen seiner Werkstatt gereinigt hat. Einmal drüber pusten, fertig. Doch die Geräte hier, diese “Querschnittstechnologie”, wie es auf der Webseite der Messe heißt, hat in diesem Jahr eine eigene Halle auf dem riesigen Gelände, wo es insgesamt 26 Ausstellungshallen gibt. Denn ohne die Druckluft in der Industrie gäbe es, wie ich an diesem Tag lerne, wenig bis nichts.
Schnieders führt mich zu einer der kastenartigen Maschinen, die auf dem Messestand drapiert sind, als handele es sich um rare Jugendstilmöbel aus dem 20. Jahrhundert. Der gelbe Block, den man sonst eher in schwer zugänglichen Kellerräumen finden würde, ragt knapp über mich hinaus.
Als Schnieders die Tür zum Innenraum öffnet, fühle ich mich wie beim Anblick der offenen Motorhaube eines Autos: ahnungslos. Schwarze Kabel führen zu etwas, was ein Motor sein könnte, darüber ein verdeckter Kasten, Schläuche. Schnieders zeigt auf zwei Kabel, die zu einem weiteren Kasten führen: “Hier fließt das warme Öl in den Wärmetauscher, wo es seine Wärme an das kalte Wasser abgibt.”
Dass die Wärmeenergie, die ein Kompressor bei seiner Arbeit erzeugt, in andere Prozesse eingebunden wird, ist keine neue Idee, sagt er. In der Branche werde schon länger an effizienten Abwärmenutzungen getüftelt.
Das Gerät vor uns kann beispielsweise an ein Heizsystem angeschlossen werden und so Wasser für den alltäglichen Gebrauch erwärmen. Bisher habe sich das nur nicht gelohnt, “weil das Gas zu billig war”, erklärt Schnieders mit einem Lächeln. Hört sich nach einem guten Geschäft an.
“Weißt du, was für Luft in einer Chips-Verpackung drin ist?”, fragt mich Musa Kurtulmus. Wir nehmen Platz in einer der Sofaecken neben den Maschinen. Eine kleine Wand mit Blumentöpfen trennt uns von den wuseligen Fluren. “Das ist Stickstoff. Sonst würden die Lebensmittel ja gar nicht so lange halten.” Sein Unternehmen Mikropor “macht alles, was nach dem Kompressor kommt”. Mit ihren Geräten wandeln sie die produzierte Druckluft in Stickstoff oder Sauerstoff um, der wiederum für Atemmasken gebraucht wird.
Warum sollten sich Menschen für Kompressoren interessieren, frage ich ihn: “Wegen ihrer Gesundheit, ihrem Essen. Nichts könnte ohne sie produziert werden”, antwortet mir Kurtulmus. Diesen Satz höre ich heute nicht zum ersten Mal.
Das Einsatzgebiet von Druckluft und was man daraus machen kann, scheint grenzenlos. Es fängt mit den Roboter-Greifarmen in Fabriken an, die mit der verdichteten Luft betrieben werden; geht über das Aussortieren von faulen Himbeeren auf Fließbändern, die durch den Druck weggepustet werden bis hin zu dem Sand, der auf die Schienen geblasen werden muss, wenn ein Zug zur Vollbremsung gezwungen wird.
“Dieses Gerät ist speziell auf die Melkindustrie angepasst worden”, erklärt mir Michael Reinhardt von der japanischen Firma Anest Iwata. Die Druckluft würde nach der Reinigung der Saugnäpfe die übrige Flüssigkeit entfernen. Die Branche würde sich immer mehr spezifizieren. Je angepasster ein Gerät auf eine spezielle Nutzung sei, desto mehr Geld ließe sich sparen. “In einer Firma gibt es ein Herz und eine Lunge. Das Herz ist die Elektronik und der Kompressor die Lunge.”
Mein Streifzug durch Halle 4 bringt mich vorbei an Firmenlogos aus der ganzen Welt – aus der Türkei, China und Katar – bis ich vor einem großen Banner stoppe: Compressed Air Since 1919. Direkt darüber: Mattei. Wüsste ich nicht, dass ich mich auf der weltweit größten Industriemesse befinde, würde ich denken, ich stehe vor einem italienischen Designer-Shop. Die Retro-Schrift signalisiert mehr Style als Industrie.
“Die Kompressoren sind schön, weil wir Italiener sind”, sagt Vorstandschef Giulio Contaldi. Sein Lachen verrät eine gewisse Genugtuung. Das Familienunternehmen wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg in Mailand gegründet, als viel Industrie für den Wiederaufbau gebraucht wurde.
Mit seinen mindestens 1,90 Metern steht der Firmenchef direkt vor mir und hebt die Arme, ein bisschen so als würde er zum Dirigieren ansetzen: “Wenn jeder Hersteller hocheffiziente Kompressoren installieren würde, könnte der CO2-Ausstoß der Industrie erheblich verbessert werden.” Ist das nicht etwas hoch gegriffen? Immerhin sprechen wir hier “nur” von Kompressoren, frage ich vorsichtig.
Er sieht mich überzeugt an: “Mit unserem Produkt können wir die Welt verändern.”
Die zwei parallel nebeneinander liegenden Schrauben im Innern der transparenten Plexiglasbox drehen sich immer schneller, je stärker ich den außen angebrachten Metallzylinder bewege. Ihre spiralförmigen Gewinde verflechten sich in der Bewegung. “Das ist wirklich das Herzstück eines Kompressors. Da kommts drauf an”, sagt Mario Schnieders vom Kompressoren-Hersteller Kaeser, während er seine Hand auf das schuhkartongroße Schraubenkompressor-Modell legt. Bei einem echten Kompressor würde die Luft von oben in die Schraubenpresse gesaugt und käme auf der anderen Seite als Druckluft wieder heraus. Komprimiert eben.
Wir befinden uns auf dem Messestand von Schnieders Unternehmen in Halle 4 der Hannover Messe, der größten Industriemesse weltweit.
Energiesparen durch Abwärme
Die unzähligen Anzugträger, die über die grauen Teppichböden zwischen den Ständen fegen, gehen hier fast unter. In der Halle für Druckluft- und Vakuumtechnik reihen sich Ausstellungsflächen mit Metallkesseln und Rohren in unzähligen Farben und Größen aneinander. Die Wand eines Standes hängt voller kleiner Geräte. Eine Mischung aus Luftpumpe und Siphon, Rohren, Metall, Werkzeug. Ein dezentes “Pssssss” pfeift an einigen Stellen durch die Luft.
Vor meinem ersten Besuch auf einer Industriemesse habe ich das Wort “Kompressor” höchstens von meinem Opa gehört, wenn er die Arbeitsflächen seiner Werkstatt gereinigt hat. Einmal drüber pusten, fertig. Doch die Geräte hier, diese “Querschnittstechnologie”, wie es auf der Webseite der Messe heißt, hat in diesem Jahr eine eigene Halle auf dem riesigen Gelände, wo es insgesamt 26 Ausstellungshallen gibt. Denn ohne die Druckluft in der Industrie gäbe es, wie ich an diesem Tag lerne, wenig bis nichts.
Schnieders führt mich zu einer der kastenartigen Maschinen, die auf dem Messestand drapiert sind, als handele es sich um rare Jugendstilmöbel aus dem 20. Jahrhundert. Der gelbe Block, den man sonst eher in schwer zugänglichen Kellerräumen finden würde, ragt knapp über mich hinaus.
Als Schnieders die Tür zum Innenraum öffnet, fühle ich mich wie beim Anblick der offenen Motorhaube eines Autos: ahnungslos. Schwarze Kabel führen zu etwas, was ein Motor sein könnte, darüber ein verdeckter Kasten, Schläuche. Schnieders zeigt auf zwei Kabel, die zu einem weiteren Kasten führen: “Hier fließt das warme Öl in den Wärmetauscher, wo es seine Wärme an das kalte Wasser abgibt.”
Von Herz und Lunge
Dass die Wärmeenergie, die ein Kompressor bei seiner Arbeit erzeugt, in andere Prozesse eingebunden wird, ist keine neue Idee, sagt er. In der Branche werde schon länger an effizienten Abwärmenutzungen getüftelt.
Massive Maschinen im Retro-Design
Das Gerät vor uns kann beispielsweise an ein Heizsystem angeschlossen werden und so Wasser für den alltäglichen Gebrauch erwärmen. Bisher habe sich das nur nicht gelohnt, “weil das Gas zu billig war”, erklärt Schnieders mit einem Lächeln. Hört sich nach einem guten Geschäft an.
“Weißt du, was für Luft in einer Chips-Verpackung drin ist?”, fragt mich Musa Kurtulmus. Wir nehmen Platz in einer der Sofaecken neben den Maschinen. Eine kleine Wand mit Blumentöpfen trennt uns von den wuseligen Fluren. “Das ist Stickstoff. Sonst würden die Lebensmittel ja gar nicht so lange halten.” Sein Unternehmen Mikropor “macht alles, was nach dem Kompressor kommt”. Mit ihren Geräten wandeln sie die produzierte Druckluft in Stickstoff oder Sauerstoff um, der wiederum für Atemmasken gebraucht wird.
Warum sollten sich Menschen für Kompressoren interessieren, frage ich ihn: “Wegen ihrer Gesundheit, ihrem Essen. Nichts könnte ohne sie produziert werden”, antwortet mir Kurtulmus. Diesen Satz höre ich heute nicht zum ersten Mal.
Das Einsatzgebiet von Druckluft und was man daraus machen kann, scheint grenzenlos. Es fängt mit den Roboter-Greifarmen in Fabriken an, die mit der verdichteten Luft betrieben werden; geht über das Aussortieren von faulen Himbeeren auf Fließbändern, die durch den Druck weggepustet werden bis hin zu dem Sand, der auf die Schienen geblasen werden muss, wenn ein Zug zur Vollbremsung gezwungen wird.
“Dieses Gerät ist speziell auf die Melkindustrie angepasst worden”, erklärt mir Michael Reinhardt von der japanischen Firma Anest Iwata. Die Druckluft würde nach der Reinigung der Saugnäpfe die übrige Flüssigkeit entfernen. Die Branche würde sich immer mehr spezifizieren. Je angepasster ein Gerät auf eine spezielle Nutzung sei, desto mehr Geld ließe sich sparen. “In einer Firma gibt es ein Herz und eine Lunge. Das Herz ist die Elektronik und der Kompressor die Lunge.”
Mein Streifzug durch Halle 4 bringt mich vorbei an Firmenlogos aus der ganzen Welt – aus der Türkei, China und Katar – bis ich vor einem großen Banner stoppe: Compressed Air Since 1919. Direkt darüber: Mattei. Wüsste ich nicht, dass ich mich auf der weltweit größten Industriemesse befinde, würde ich denken, ich stehe vor einem italienischen Designer-Shop. Die Retro-Schrift signalisiert mehr Style als Industrie.
“Die Kompressoren sind schön, weil wir Italiener sind”, sagt Vorstandschef Giulio Contaldi. Sein Lachen verrät eine gewisse Genugtuung. Das Familienunternehmen wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg in Mailand gegründet, als viel Industrie für den Wiederaufbau gebraucht wurde.
Mit seinen mindestens 1,90 Metern steht der Firmenchef direkt vor mir und hebt die Arme, ein bisschen so als würde er zum Dirigieren ansetzen: “Wenn jeder Hersteller hocheffiziente Kompressoren installieren würde, könnte der CO2-Ausstoß der Industrie erheblich verbessert werden.” Ist das nicht etwas hoch gegriffen? Immerhin sprechen wir hier “nur” von Kompressoren, frage ich vorsichtig.
Er sieht mich überzeugt an: “Mit unserem Produkt können wir die Welt verändern.”