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Indien: Steigende Migration durch Klimawandel

Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und der steigende Meeresspiegel führen in Indien zu einem Anstieg der Migration. Das Problem dürfte sich noch verschärfen. Aus Neu Delhi: Murali Krishnan.

Noch gut erinnert sich Protima Rai an die Folgen des tropischen Wirbelsturms Bulbul, der 2019 in den Sundarbans, den Mangrovenwäldern im Bundesstaat Westbengalen, eine Schneise der Verwüstung zog. Viele Menschen kamen dabei ums Leben.

Der Zyklon zwang die 27-jährige Rai und Hunderte anderer Familien, ihr Dorf zu verlassen und in sicherere Gebiete zu ziehen.

Noch gut erinnert sich Protima Rai an die Folgen des tropischen Wirbelsturms Bulbul, der 2019 in den Sundarbans, den Mangrovenwäldern im Bundesstaat Westbengalen, eine Schneise der Verwüstung zog. Viele Menschen kamen dabei ums Leben.

“Die Felder waren danach für den Anbau nicht mehr geeignet. Der steigende Meeresspiegel und der zunehmende Salzgehalt haben die Menschen in den Kerngebieten der Sundarbans ihrer wichtigsten Lebensgrundlagen beraubt – der Landwirtschaft und der Fischerei”, erinnert sich Rai im Gespräch mit der DW.

Kein politischer Plan zur Hilfe

Die Abwanderung aus den Sundarbans ist nach wie vor erheblich. Einer offiziellen Statistik zufolge verließ rund ein Viertel der Hauptverdiener einzelner Familien auf der Suche nach Arbeit die Region zumindest vorübergehend.

Die sich über Indien und Bangladesch erstreckenden Sundarbans umfassen ein ganzes Mosaik niedrig gelegener Inseln im Golf von Bengalen. Zu den indischen Sundarbans gehören insgesamt 104 Inseln. 54 davon sind bewohnt.

Küstenerosion und der steigende Meeresspiegel beginnen das Land in den Sundarbans allmählich aufzuzehren, berichten Umweltschützer. Aufgrund der durch Stürme und Überschwemmungen bedingten Versalzung sehen sich viele Menschen der Region gezwungen, in Städte wie Kolkata abzuwandern.

Die Behörden sind gerade erst dabei, Maßnahmen gegen die Verwerfungen in die Tat umzusetzen. Aber: “Es gibt keine strukturierte Politik oder einen Aktionsplan der Verwaltung, um sozialen Schutz bei der Bekämpfung des Klimawandels und der damit verbundenen Migration zu bieten”, sagte der in Kalkota ansässige Umwelt- und Klimaexperte Jayanta Basu im DW-Gespräch.

Auch der östlichen Bundesstaat Odisha ist Heimat vieler Wanderarbeiter. Auch sie sehen sich vor allem durch den Klimawandel gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Ein Teil dieser Menschen stammt von den Ufern des Chilika-Sees, der größten Brackwasserlagune des Bundesstaates und zugleich ein wichtiges Reservat für viele Vogelarten. Doch auch dieses Gebiet sieht sich veränderten Umweltbedingungen ausgesetzt. Deren Folgen wirken sich nun auf die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort aus.

“Nachdem die Stadt Mangalajodi am Nordufer des Sees von extremen Wetterereignissen heimgesucht wurde, schwand dort ein guter Teil der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeiten. Viele Menschen haben sich entschlossen, ihre Heimat auf Dauer zu verlassen”, sagt Sugyan Behera, der in der lokalen Tourismusbranche beschäftigt ist. In der Stadt leben 10.000 Menschen. Die meisten arbeiten in den Feuchtgebieten rund um den Ort.

Dass die Lage sich ändert, ist wenig wahrscheinlich. Ein im Dezember 2020 von der NGO ActionAid und dem Climate Action Network South Asia veröffentlichter Bericht zeichnet ein düsteres Szenario: Selbst wenn die Weltgemeinschaft ihre Zusagen und Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen einhält, werden in fünf Staaten der Region – Bangladesch, Indien, Nepal, Pakistan und Sri Lanka – bis 2030 voraussichtlich rund 37,5 Millionen, bis 2050 sogar 62,9 Millionen Menschen, ihre Heimat verlassen.

Allein in Indien werden bis 2050 rund 45 Millionen Menschen aufgrund von Klimakatastrophen gezwungen sein, ihr Leben an einem anderen Ort zu führen – dreimal so viel wie derzeit.

Dem Bericht “State of India’s Environment – 2022” zufolge ist Indien mit Blick auf klimawandelbedingte Migration das am viertstärksten betroffene Land der Welt. Demnach dürften sich zu Beginn der 2020er Jahre rund über drei Millionen Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen.

Angesichts der Auswirkungen der Klimakrise seien Investitionen in den Aufbau lokaler Klimaresilienz und den Schutz der Wirtschaft unerlässlich, sagt Sunita Narain, Direktorin des Centre for Science and Environment (CSE). Überall dort, wo solche Investitionen getätigt wurden, habe die Abwanderung eingedämmt werden können, heißt es in einer auf Daten aus 15 indischen Bundesstaaten beruhenden Studie des CSE. Und nicht nur das: In Dörfern, in denen die Wassernutzung besser organisiert und ökologische Ressourcen besser zum Nutzen der Einheimischen eingesetzt wurden, setzte demnach sogar eine umgekehrte Migration ein – die Menschen kehrten in ihre Heimat zurück.

Für derartige Erfolge sorgen Narain zufolge Programme wie das Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA), eine Sozialversicherungsmaßnahme, die der Landbevölkerung das Recht auf Arbeit sichern soll. “Die Klimakatastrophe führt nicht zwangsläufig zur Migration”, so Narain gegenüber der DW.

MGNREGA und ähnliche Initiativen leisteten große Dienste bei der Aufgabe, in eine ökologische Infrastruktur zu investieren, sagt Narain. “Dies stärkt die lokalen Lebensgrundlagen und die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft. Das ist in Zeiten des Klimawandels von entscheidender Bedeutung.”

“Die Begrenzung der Migration erfordert förderliche politische Maßnahmen und Aktionspläne, insbesondere solche, die klimasensible Sektoren wie die Landwirtschaft und den Tourismus klimasicher machen können”, sagt Abinash Mohanty, Leiter des Bereichs Klimawandel und Nachhaltigkeit bei IPE Global, einer internationalen Entwicklungsorganisation. Indien verfüge zwar über einen soliden Klimaaktionsplan auf nationaler wie bundesstaatlicher Ebene. Doch die klimabedingte Migration werde darin kaum berücksichtigt”, so Mohanty gegenüber DW.

Blick auf die Sundarbans im Grenzgebiet zwischen Indien und Bangladesh
Menschen in einem Park in Uttar Prasdesh liegen wegen hoher Hitze in einem schattigen Park, April 2023
Blick auf den völlig ausgetrockneten Ganges nahe der Stadt Prayagraj, Uttar Pradesh, November 2022

Noch gut erinnert sich Protima Rai an die Folgen des tropischen Wirbelsturms Bulbul, der 2019 in den Sundarbans, den Mangrovenwäldern im Bundesstaat Westbengalen, eine Schneise der Verwüstung zog. Viele Menschen kamen dabei ums Leben.

Der Zyklon zwang die 27-jährige Rai und Hunderte anderer Familien, ihr Dorf zu verlassen und in sicherere Gebiete zu ziehen.

Kein politischer Plan zur Hilfe

“Die Felder waren danach für den Anbau nicht mehr geeignet. Der steigende Meeresspiegel und der zunehmende Salzgehalt haben die Menschen in den Kerngebieten der Sundarbans ihrer wichtigsten Lebensgrundlagen beraubt – der Landwirtschaft und der Fischerei”, erinnert sich Rai im Gespräch mit der DW.

Die Abwanderung aus den Sundarbans ist nach wie vor erheblich. Einer offiziellen Statistik zufolge verließ rund ein Viertel der Hauptverdiener einzelner Familien auf der Suche nach Arbeit die Region zumindest vorübergehend.

Die sich über Indien und Bangladesch erstreckenden Sundarbans umfassen ein ganzes Mosaik niedrig gelegener Inseln im Golf von Bengalen. Zu den indischen Sundarbans gehören insgesamt 104 Inseln. 54 davon sind bewohnt.

Küstenerosion und der steigende Meeresspiegel beginnen das Land in den Sundarbans allmählich aufzuzehren, berichten Umweltschützer. Aufgrund der durch Stürme und Überschwemmungen bedingten Versalzung sehen sich viele Menschen der Region gezwungen, in Städte wie Kolkata abzuwandern.

Flucht vor Klimafolgen auf Rekordniveau

Die Behörden sind gerade erst dabei, Maßnahmen gegen die Verwerfungen in die Tat umzusetzen. Aber: “Es gibt keine strukturierte Politik oder einen Aktionsplan der Verwaltung, um sozialen Schutz bei der Bekämpfung des Klimawandels und der damit verbundenen Migration zu bieten”, sagte der in Kalkota ansässige Umwelt- und Klimaexperte Jayanta Basu im DW-Gespräch.

“Klimakatastrophe führt nicht zwangsläufig zur Migration”

Auch der östlichen Bundesstaat Odisha ist Heimat vieler Wanderarbeiter. Auch sie sehen sich vor allem durch den Klimawandel gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Ein Teil dieser Menschen stammt von den Ufern des Chilika-Sees, der größten Brackwasserlagune des Bundesstaates und zugleich ein wichtiges Reservat für viele Vogelarten. Doch auch dieses Gebiet sieht sich veränderten Umweltbedingungen ausgesetzt. Deren Folgen wirken sich nun auf die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort aus.

“Nachdem die Stadt Mangalajodi am Nordufer des Sees von extremen Wetterereignissen heimgesucht wurde, schwand dort ein guter Teil der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeiten. Viele Menschen haben sich entschlossen, ihre Heimat auf Dauer zu verlassen”, sagt Sugyan Behera, der in der lokalen Tourismusbranche beschäftigt ist. In der Stadt leben 10.000 Menschen. Die meisten arbeiten in den Feuchtgebieten rund um den Ort.

Dass die Lage sich ändert, ist wenig wahrscheinlich. Ein im Dezember 2020 von der NGO ActionAid und dem Climate Action Network South Asia veröffentlichter Bericht zeichnet ein düsteres Szenario: Selbst wenn die Weltgemeinschaft ihre Zusagen und Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen einhält, werden in fünf Staaten der Region – Bangladesch, Indien, Nepal, Pakistan und Sri Lanka – bis 2030 voraussichtlich rund 37,5 Millionen, bis 2050 sogar 62,9 Millionen Menschen, ihre Heimat verlassen.

Allein in Indien werden bis 2050 rund 45 Millionen Menschen aufgrund von Klimakatastrophen gezwungen sein, ihr Leben an einem anderen Ort zu führen – dreimal so viel wie derzeit.

Dem Bericht “State of India’s Environment – 2022” zufolge ist Indien mit Blick auf klimawandelbedingte Migration das am viertstärksten betroffene Land der Welt. Demnach dürften sich zu Beginn der 2020er Jahre rund über drei Millionen Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen.

Angesichts der Auswirkungen der Klimakrise seien Investitionen in den Aufbau lokaler Klimaresilienz und den Schutz der Wirtschaft unerlässlich, sagt Sunita Narain, Direktorin des Centre for Science and Environment (CSE). Überall dort, wo solche Investitionen getätigt wurden, habe die Abwanderung eingedämmt werden können, heißt es in einer auf Daten aus 15 indischen Bundesstaaten beruhenden Studie des CSE. Und nicht nur das: In Dörfern, in denen die Wassernutzung besser organisiert und ökologische Ressourcen besser zum Nutzen der Einheimischen eingesetzt wurden, setzte demnach sogar eine umgekehrte Migration ein – die Menschen kehrten in ihre Heimat zurück.

Für derartige Erfolge sorgen Narain zufolge Programme wie das Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA), eine Sozialversicherungsmaßnahme, die der Landbevölkerung das Recht auf Arbeit sichern soll. “Die Klimakatastrophe führt nicht zwangsläufig zur Migration”, so Narain gegenüber der DW.

MGNREGA und ähnliche Initiativen leisteten große Dienste bei der Aufgabe, in eine ökologische Infrastruktur zu investieren, sagt Narain. “Dies stärkt die lokalen Lebensgrundlagen und die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft. Das ist in Zeiten des Klimawandels von entscheidender Bedeutung.”

“Die Begrenzung der Migration erfordert förderliche politische Maßnahmen und Aktionspläne, insbesondere solche, die klimasensible Sektoren wie die Landwirtschaft und den Tourismus klimasicher machen können”, sagt Abinash Mohanty, Leiter des Bereichs Klimawandel und Nachhaltigkeit bei IPE Global, einer internationalen Entwicklungsorganisation. Indien verfüge zwar über einen soliden Klimaaktionsplan auf nationaler wie bundesstaatlicher Ebene. Doch die klimabedingte Migration werde darin kaum berücksichtigt”, so Mohanty gegenüber DW.

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