Fall Graichen: Filz-Verdacht im Wirtschaftsministerium
Hat Robert Habecks Staatssekretär einem Freund zu einem lukrativen Job verholfen? Die Standards bei der Postenvergabe in Deutschland seien zu lax, sagen Korruptionsbekämpfer.
Vetternwirtschaft, Filz, gar Korruption? Rund um das Ministerium des deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck von den Grünen überschlagen sich zurzeit die Meldungen. Grund ist sein Staatssekretär Patrick Graichen, oder besser: Hat Graichen bei der Vergabe lukrativer Jobs Freunde begünstigt?
Der Reihe nach: Die Geschäftsführung der staatlichen Agentur für Erneuerbare Energien (DENA) wurde für Mitte dieses Jahres neu ausgeschrieben, ein Posten, der gut bezahlt ist und viel Renommee verspricht. Die DENA, im Jahr 2000 gegründet, soll die deutsche Energiewende, also den Weg raus aus den fossilen Energieträgern, weltweit vermarkten. Nach einem umfangreichen Bewerbungsverfahren erhielt Michael Schäfer den Zuschlag.
Vetternwirtschaft, Filz, gar Korruption? Rund um das Ministerium des deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck von den Grünen überschlagen sich zurzeit die Meldungen. Grund ist sein Staatssekretär Patrick Graichen, oder besser: Hat Graichen bei der Vergabe lukrativer Jobs Freunde begünstigt?
Schäfer ist wie Graichen schon lange im Klima- und Umweltschutz engagiert. Von Dezember 2016 bis 2017 war er Projektleiter für Industriepolitik bei der Denkfabrik “Agora Energiewende”, der auch Graichen zeitweilig angehörte. Von 2017 bis 2020 leitete er den Fachbereich Klimaschutz und Energiepolitik bei der Umweltorganisation WWF und kehrte danach zur Agora Energiewende zurück. Und, wie Graichen erst nach Abschluss des Auswahlverfahrens sagte: Schäfer ist mit Graichen eng befreundet und war sogar dessen Trauzeuge. Das gestand Graichen Habeck vor gut einer Woche.
Der Trauzeuge als Bewerber
Das Problem: Im Wirtschaftsministerium war Graichen eine von drei Personen, die mit dem Auswahlverfahren befasst waren. Jetzt wird das komplette Verfahren wohl neu durchgeführt, die endgültige Entscheidung trifft aber der Aufsichtsrat der DENA. Eigentlich sollte Schäfer sein neues Amt am 15. Juni antreten, ob es noch dazu kommt, ist zweifelhaft.
Heftige Kritik kam sofort von der Opposition: Habeck habe in seinem Apparat ein Küchenkabinett aufgebaut, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Habecks Umfeld sei im Grunde “nur ein kleiner Familienclan, wo alle miteinander verwandt oder verschwägert sind.” Und er forderte den Rücktritt von Graichen.
Habeck selbst nannte Graichens Verhalten einen Fehler, stärkte seinem umstrittenen Staatssekretär aber den Rücken: “Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat”, sagte der Grünen-Politiker. In der Tat hatte Graichen etwa maßgeblich Anteil am Bau neuer Flüssiggasterminals, um die Abhängigkeit von russischem Gas nach Beginn des Ukraine-Krieges zu reduzieren.
Aber: Graichens Schwester, verheiratet mit einem weiteren von Habecks Staatssekretären, mit Michael Kellner, ist in gehobener Funktion beim anerkannten Öko-Institut in Freiburg angestellt. Das Institut erstellt schon lange, auch vor Habecks Zeit als Minister und Vizekanzler, Studien für die Bundesregierung. Gibt es also einen Habeck-Clan?
Die Anti-Korruptions-Organisation “Transparency International” sieht den Fall Graichen durchaus kritisch: “Das Ministerium hätte den Auswahlprozesses für den Vorsitz von vornherein anders handhaben müssen”, kritisiert die Geschäftsführerin von Transparency, Anna-Maija Mertens. “Wenn ein Kandidat der Trauzeuge des Staatssekretärs ist, dann gehört es zum kleinen Einmaleins, dass der Staatssekretär dies offenlegt und nicht an der Auswahl beteiligt ist.” Das hat Graichen in der Tat erst sehr spät getan. Und Mertens sagt weiter: “Schon wenn der Verdacht von Interessenkonflikten besteht, kann dies einen Schaden für das Vertrauen in die Institutionen bedeuten.”
Auch aus der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP kam Kritik: Torsten Herbst, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundesvorstand der FDP, erklärte gegenüber der “Neuen Züricher Zeitung”: “Robert Habeck sollte eingehend prüfen, wie sich das Verhalten von Staatssekretär Graichen auf das Ansehen seines Ministeriums und das Vertrauen in die Politik auswirkt.”
Deutschlands Regierung aus SPD, Grünen und FDP, seit Dezember 2021 im Amt, hat eigentlich zugesagt, die Transparenz zu erhöhen und stärker gegen Vorteilsnahme vorzugehen. “Der Koalitionsvertrag verpflichtet uns, den Straftatbestand der Bestechung und Korruption bei Mandatsträgern stärker auszuarbeiten. Wir werden in der Koalition diskutieren, wie wir diese Vereinbarung umsetzen werden”, sagte am Beginn der Amtszeit die Sprecherin des Justizministeriums, Rabea Bönninghausen, der DW.
Alles nur ein Einzelfall also? Bereits das vierte Jahr in Folge belegt der öffentliche Sektor Deutschlands im jährlichen Korruptions-Wahrnehmungs-Index von Transparency International den 10. Platz. Im Index für das Jahr 2021 erreicht Deutschland dabei 80 von 100 Punkten. Dänemark, Neuseeland und Finnland halten mit jeweils 88 Punkten erneut die Spitzenplätze. Für das Jahr 2021 standen 180 Staaten auf der Liste.
Deutschlands Punktezahl gibt an, dass der öffentliche Sektor hier als weitgehend frei von Korruption wahrgenommen wird. Deutschland gilt also als ein Land, in dem Vetternwirtschaft seltener vorkommt als anderswo. Betrachtet werden Beamte und gewählte Amtsträger und wie effektiv korrupte Handlungen wie Machtmissbrauch, Bestechung und Unterschlagung öffentlicher Mittel durch Gesetze und entsprechende Maßnahmen bekämpft werden.
Bei der konkreten Problematik der Stellenbesetzungen tut aber die Regierung zu wenig, findet etwa die Organisation “Lobby-Control”. Deren Kampagnenleiter Timo Lange sagte der “Zeit” über die Praxis der Stellenvergaben in öffentlichen Verwaltungen: “Bisher gilt dort bei Stellenbesetzungen das Prinzip Vertrauen: Die Leitungsebenen werden mögliche Interessenskonflikte schon richtig einschätzen. Das funktioniert aber nicht, wie man am Fall Graichen wieder sieht.” Lobby-Control setzt sich deshalb für standardisierte Verfahren ein, etwa Fragebögen, die die mit der Stellenvergabe befassten Personen zu Beginn der Verfahren ausfüllen müssen, und in denen sie ihr Verhältnis zu den Bewerbern offenlegen. So es etwas gibt es tatsächlich noch nicht in Deutschland.
Vetternwirtschaft, Filz, gar Korruption? Rund um das Ministerium des deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck von den Grünen überschlagen sich zurzeit die Meldungen. Grund ist sein Staatssekretär Patrick Graichen, oder besser: Hat Graichen bei der Vergabe lukrativer Jobs Freunde begünstigt?
Der Reihe nach: Die Geschäftsführung der staatlichen Agentur für Erneuerbare Energien (DENA) wurde für Mitte dieses Jahres neu ausgeschrieben, ein Posten, der gut bezahlt ist und viel Renommee verspricht. Die DENA, im Jahr 2000 gegründet, soll die deutsche Energiewende, also den Weg raus aus den fossilen Energieträgern, weltweit vermarkten. Nach einem umfangreichen Bewerbungsverfahren erhielt Michael Schäfer den Zuschlag.
Der Trauzeuge als Bewerber
Schäfer ist wie Graichen schon lange im Klima- und Umweltschutz engagiert. Von Dezember 2016 bis 2017 war er Projektleiter für Industriepolitik bei der Denkfabrik “Agora Energiewende”, der auch Graichen zeitweilig angehörte. Von 2017 bis 2020 leitete er den Fachbereich Klimaschutz und Energiepolitik bei der Umweltorganisation WWF und kehrte danach zur Agora Energiewende zurück. Und, wie Graichen erst nach Abschluss des Auswahlverfahrens sagte: Schäfer ist mit Graichen eng befreundet und war sogar dessen Trauzeuge. Das gestand Graichen Habeck vor gut einer Woche.
Das Problem: Im Wirtschaftsministerium war Graichen eine von drei Personen, die mit dem Auswahlverfahren befasst waren. Jetzt wird das komplette Verfahren wohl neu durchgeführt, die endgültige Entscheidung trifft aber der Aufsichtsrat der DENA. Eigentlich sollte Schäfer sein neues Amt am 15. Juni antreten, ob es noch dazu kommt, ist zweifelhaft.
Heftige Kritik kam sofort von der Opposition: Habeck habe in seinem Apparat ein Küchenkabinett aufgebaut, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Habecks Umfeld sei im Grunde “nur ein kleiner Familienclan, wo alle miteinander verwandt oder verschwägert sind.” Und er forderte den Rücktritt von Graichen.
Habeck selbst nannte Graichens Verhalten einen Fehler, stärkte seinem umstrittenen Staatssekretär aber den Rücken: “Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat”, sagte der Grünen-Politiker. In der Tat hatte Graichen etwa maßgeblich Anteil am Bau neuer Flüssiggasterminals, um die Abhängigkeit von russischem Gas nach Beginn des Ukraine-Krieges zu reduzieren.
Verfahren wird neu aufgerollt
Aber: Graichens Schwester, verheiratet mit einem weiteren von Habecks Staatssekretären, mit Michael Kellner, ist in gehobener Funktion beim anerkannten Öko-Institut in Freiburg angestellt. Das Institut erstellt schon lange, auch vor Habecks Zeit als Minister und Vizekanzler, Studien für die Bundesregierung. Gibt es also einen Habeck-Clan?
CDU: “Nur ein kleiner Familienclan”
Die Anti-Korruptions-Organisation “Transparency International” sieht den Fall Graichen durchaus kritisch: “Das Ministerium hätte den Auswahlprozesses für den Vorsitz von vornherein anders handhaben müssen”, kritisiert die Geschäftsführerin von Transparency, Anna-Maija Mertens. “Wenn ein Kandidat der Trauzeuge des Staatssekretärs ist, dann gehört es zum kleinen Einmaleins, dass der Staatssekretär dies offenlegt und nicht an der Auswahl beteiligt ist.” Das hat Graichen in der Tat erst sehr spät getan. Und Mertens sagt weiter: “Schon wenn der Verdacht von Interessenkonflikten besteht, kann dies einen Schaden für das Vertrauen in die Institutionen bedeuten.”
Auch aus der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP kam Kritik: Torsten Herbst, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundesvorstand der FDP, erklärte gegenüber der “Neuen Züricher Zeitung”: “Robert Habeck sollte eingehend prüfen, wie sich das Verhalten von Staatssekretär Graichen auf das Ansehen seines Ministeriums und das Vertrauen in die Politik auswirkt.”
Deutschlands Regierung aus SPD, Grünen und FDP, seit Dezember 2021 im Amt, hat eigentlich zugesagt, die Transparenz zu erhöhen und stärker gegen Vorteilsnahme vorzugehen. “Der Koalitionsvertrag verpflichtet uns, den Straftatbestand der Bestechung und Korruption bei Mandatsträgern stärker auszuarbeiten. Wir werden in der Koalition diskutieren, wie wir diese Vereinbarung umsetzen werden”, sagte am Beginn der Amtszeit die Sprecherin des Justizministeriums, Rabea Bönninghausen, der DW.
Weitere familiäre Verbindungen
Alles nur ein Einzelfall also? Bereits das vierte Jahr in Folge belegt der öffentliche Sektor Deutschlands im jährlichen Korruptions-Wahrnehmungs-Index von Transparency International den 10. Platz. Im Index für das Jahr 2021 erreicht Deutschland dabei 80 von 100 Punkten. Dänemark, Neuseeland und Finnland halten mit jeweils 88 Punkten erneut die Spitzenplätze. Für das Jahr 2021 standen 180 Staaten auf der Liste.
Deutschlands Punktezahl gibt an, dass der öffentliche Sektor hier als weitgehend frei von Korruption wahrgenommen wird. Deutschland gilt also als ein Land, in dem Vetternwirtschaft seltener vorkommt als anderswo. Betrachtet werden Beamte und gewählte Amtsträger und wie effektiv korrupte Handlungen wie Machtmissbrauch, Bestechung und Unterschlagung öffentlicher Mittel durch Gesetze und entsprechende Maßnahmen bekämpft werden.
Kritik aus den eigenen Reihen
Bei der konkreten Problematik der Stellenbesetzungen tut aber die Regierung zu wenig, findet etwa die Organisation “Lobby-Control”. Deren Kampagnenleiter Timo Lange sagte der “Zeit” über die Praxis der Stellenvergaben in öffentlichen Verwaltungen: “Bisher gilt dort bei Stellenbesetzungen das Prinzip Vertrauen: Die Leitungsebenen werden mögliche Interessenskonflikte schon richtig einschätzen. Das funktioniert aber nicht, wie man am Fall Graichen wieder sieht.” Lobby-Control setzt sich deshalb für standardisierte Verfahren ein, etwa Fragebögen, die die mit der Stellenvergabe befassten Personen zu Beginn der Verfahren ausfüllen müssen, und in denen sie ihr Verhältnis zu den Bewerbern offenlegen. So es etwas gibt es tatsächlich noch nicht in Deutschland.