Serbien unter Schock nach Amoklauf in einer Grundschule
Nach dem Amoklauf in einer Grundschule in der serbischen Hauptstadt Belgrad mehren sich Spekulationen darüber, was einen 13-Jährigen dazu bewogen hat, auf seine Altersgenossen zu schießen und neun Menschen zu töten.
Vracar ist ein beschaulicher und ruhiger Mittelklasse-Stadtteil im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad. Ausgerechnet diese Gegend war am Mittwoch Schauplatz eines blutigen Amoklaufs, wie ihn Serbien bisher noch nicht erlebt hat: Ein 13-jähriger Schüler tötete in der Vladislav-Ribnikar-Grundschule neun Menschen und verletzte sechs weitere zum Teil schwer. Seitdem ist in Vracar nichts mehr wie es einmal war.
Am Mittwoch Abend am Ort des Verbrechens: Vor der Schule, die als eine der besten der serbischen Hauptstadt gilt, brennen Dutzende Kerzen, Menschen haben weiße Lilien und Rosen gebracht. Eltern kommen mit ihren Kindern, in kleinen Grüppchen stehen einige Schülerinnen und Schüler vor der Schule und trösten sich gegenseitig. Acht ihrer Mitschüler – sieben Jungen und ein Mädchen – und ein Wachmann aus ihrer Schule wurden ermordet.
Vracar ist ein beschaulicher und ruhiger Mittelklasse-Stadtteil im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad. Ausgerechnet diese Gegend war am Mittwoch Schauplatz eines blutigen Amoklaufs, wie ihn Serbien bisher noch nicht erlebt hat: Ein 13-jähriger Schüler tötete in der Vladislav-Ribnikar-Grundschule neun Menschen und verletzte sechs weitere zum Teil schwer. Seitdem ist in Vracar nichts mehr wie es einmal war.
“Einige dieser Kinder kamen früher zu mir nach Hause und verbrachten Zeit mit meinem Sohn”, erzählt ein Vater der DW. “Erst als ich mein Kind von der Schule abholte und wir nach Hause kamen, fing ich an zu zittern. Dann habe ich meinem Sohn ein Beruhigungsmittel gegeben und ihn schlafen lassen.”
Tat offenbar sorgfältig geplant
Tatsächlich sind die Details und Umstände des Tathergangs schockierend: Der Täter, Kosta K., hatte die Mordaktion trotz seines Alters von erst 13 Jahren offenbar sorgfältig geplant, besagen Polizeiangaben. Ihnen zufolge habe er eine Skizze der Räumlichkeiten angefertigt und hatte eine Todesliste bei sich. Er kam am Mittwochmorgen mit einem Rucksack voller Waffen, Munition und Molotow-Cocktails in die Schule, verübte das Massaker, rief dann die Polizei an und wartete auf sie. Am Tatort fanden Ermittler insgesamt 56 Patronenhülsen. Unter den Verletzten ist auch ein Mädchen mit Schusswunden im Kopf, das noch immer in Lebensgefahr schwebt.
Im Balkanland Serbien, das mit Kriegen und Waffengewalt viel Erfahrung gemacht hat, sind Amokläufe äußerst selten. Einen wie diesen, in einer Schule, gab es noch nie. K. wurde nach der Tat in die Neuropsychiatrie verlegt und dann an das Zentrum für Soziale Arbeit übergeben. Laut verschiedenen Quellen war er bei einer ersten Vernehmung völlig unaufgeregt.
K. galt als ruhiger, guter Schüler. Die Eltern mehrerer Kinder aus der Schule erzählten serbischen Medien, dass er selbst zuvor Opfer von Mobbing gewesen sein soll, weswegen er auch die Klasse gewechselt hatte.
Serbiens autokratisch regierender Staatspräsident Aleksandar Vucic schaltete sich kurz nach der Tat auf eine für ihn typische Weise in die Berichterstattung über den Fall ein: Nur wenige Stunden nach der Bluttat berief er, der medial ohnehin omnipräsent ist, eine Pressekonferenz ein, legte Details aus der Krankenakte des jugendlichen Angreifers vor und sprach über das Einkommen von dessen Eltern. Einige Medien weigerten sich, diese Details wiederzugeben.
Vucic hatte auch eine bizarre Erklärung für die Tat parat: “Am Schema der Tat sieht man, dass der Junge irgendein Spiel gespielt hat”, sagte Serbiens Staatschef. “In solchen Spielen hat man mehrere Leben.”
Die Worte des Präsidenten erweckten den Eindruck, als stamme K. aus wohlhabendem Hause, sei ein zurückhaltender Junge, ein wenig anders als die anderen, ein sehr guter Schüler, aber ohne viele Freunde. Mit seinem Vater, dessen zugelassene Waffe er bei dem Angriff benutzte und der festgenommen wurde, soll er das Schießen auf einem Schießstand geübt haben.
Laut Angaben des Belgrader Polizeichefs Veselin Milic sagte der Junge bei der Vernehmung, dass er sich ignoriert gefühlt habe, dass er während der Ferien oder bei Ausflügen von der Kommunikation oder dem Spielen mit seinen Mitschülern ausgeschlossen gewesen sei und dass dies ihn zu dem Verbrechen veranlasst habe.
Einige Medien versuchten, die ethischen Grenzen der Berichterstattung einzuhalten. Der Großteil der serbischen Presse jedoch überschlug sich am Mittwoch in aufgeregt-boulevardesker Berichterstattung und übertraf das ohnehin übliche Maß dabei noch einmal. Im Minutentakt wurden Informationen veröffentlicht, die aus den Ermittlungen und Krankenhäusern durchgesickert waren. Betroffene Eltern wurden vor laufenden Kameras gefragt, wie sie sich fühlten. Aus der Tragödie wurde ein würdeloses Medienspektakel.
Am Mittwochnachmittag vor dem Bildungsministerium: Dort steht der Belgrader Vojislav Ostojic mit einer Trillerpfeife und pfeift aus Protest unablässig. Er sagt der DW, er sei als Bürger gekommen. “Bei mir ist alles übergekocht mit dieser Tat heute. In jedem zivilisierten Land wäre der Bildungsminister schon heute Morgen zurückgetreten”, sagt Ostojic empört.
“So etwas passiert auf der ganzen Welt, aber hier werden wir mit vielen Inhalten überschwemmt, die diese Art von Verhalten fördern können – Reality-Shows mit Gewalt, all die Propaganda”, findet Ostojic.
Bildungsminister Branko Ruzic macht jedoch in einer ersten Stellungnahme den “krebserregenden” Einfluss von Videospielen und “sogenannte westliche Werte” verantwortlich für die Tat, ohne zu erklären, was er damit meint.
In sozialen Netzwerken wird derweil heftig über die Motive des Massakers und über “die Schuldigen” spekuliert. Manche machen den Einfluss der von der Regierung produzierten “Gewaltatmosphäre” verantwortlich, andere die Programme verschiedener TV-Sender, TikTok, die westliche Popkultur oder die Verherrlichung von Kriegsverbrechern wie Ratko Mladic, der in Belgrad öffentlich auf Wandbildern zu sehen ist.
“Die Tragödie ist groß”, sagt der Belgrader Soziologe Jovo Bakic der DW. “Die Menschen sind verstört von Trauer und Entsetzen, denn wir alle könnten uns in dieser Situation wiederfinden, Opfer oder Zeugen zu sein. Man versucht, sich die Gründe zu erklären, um sich zumindest ein wenig zu beruhigen, und dann sucht man nach den Schuldigen. Dabei sprechen die Leute oft mehr über sich selbst, wenn sie den Schuldigen ‘finden’ wollen”, so Bakic. Beispielsweise würden die antiwestlichen Nationalisten den Westen beschuldigen, die Opposition die Herrschenden und einige Eltern die Lehrer.
Auch Staatspräsident Vucic trägt auf seine Weise zur Atmosphäre der übereilten Suche nach Schuldigen bei. So schlug er beispielsweise vor, die Altersgrenze für die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken. Ob das nun kommt, ist unklar. Sicher ist aber, dass Kosta K. vor Gericht nicht zur Rechenschaft gezogen werden wird – weil er als Dreizehnjähriger dafür zu jung ist.
Ab Freitag gilt in Serbien eine dreitägige Staatstrauer.
Vracar ist ein beschaulicher und ruhiger Mittelklasse-Stadtteil im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad. Ausgerechnet diese Gegend war am Mittwoch Schauplatz eines blutigen Amoklaufs, wie ihn Serbien bisher noch nicht erlebt hat: Ein 13-jähriger Schüler tötete in der Vladislav-Ribnikar-Grundschule neun Menschen und verletzte sechs weitere zum Teil schwer. Seitdem ist in Vracar nichts mehr wie es einmal war.
Am Mittwoch Abend am Ort des Verbrechens: Vor der Schule, die als eine der besten der serbischen Hauptstadt gilt, brennen Dutzende Kerzen, Menschen haben weiße Lilien und Rosen gebracht. Eltern kommen mit ihren Kindern, in kleinen Grüppchen stehen einige Schülerinnen und Schüler vor der Schule und trösten sich gegenseitig. Acht ihrer Mitschüler – sieben Jungen und ein Mädchen – und ein Wachmann aus ihrer Schule wurden ermordet.
Tat offenbar sorgfältig geplant
“Einige dieser Kinder kamen früher zu mir nach Hause und verbrachten Zeit mit meinem Sohn”, erzählt ein Vater der DW. “Erst als ich mein Kind von der Schule abholte und wir nach Hause kamen, fing ich an zu zittern. Dann habe ich meinem Sohn ein Beruhigungsmittel gegeben und ihn schlafen lassen.”
Tatsächlich sind die Details und Umstände des Tathergangs schockierend: Der Täter, Kosta K., hatte die Mordaktion trotz seines Alters von erst 13 Jahren offenbar sorgfältig geplant, besagen Polizeiangaben. Ihnen zufolge habe er eine Skizze der Räumlichkeiten angefertigt und hatte eine Todesliste bei sich. Er kam am Mittwochmorgen mit einem Rucksack voller Waffen, Munition und Molotow-Cocktails in die Schule, verübte das Massaker, rief dann die Polizei an und wartete auf sie. Am Tatort fanden Ermittler insgesamt 56 Patronenhülsen. Unter den Verletzten ist auch ein Mädchen mit Schusswunden im Kopf, das noch immer in Lebensgefahr schwebt.
Im Balkanland Serbien, das mit Kriegen und Waffengewalt viel Erfahrung gemacht hat, sind Amokläufe äußerst selten. Einen wie diesen, in einer Schule, gab es noch nie. K. wurde nach der Tat in die Neuropsychiatrie verlegt und dann an das Zentrum für Soziale Arbeit übergeben. Laut verschiedenen Quellen war er bei einer ersten Vernehmung völlig unaufgeregt.
K. galt als ruhiger, guter Schüler. Die Eltern mehrerer Kinder aus der Schule erzählten serbischen Medien, dass er selbst zuvor Opfer von Mobbing gewesen sein soll, weswegen er auch die Klasse gewechselt hatte.
Staatspräsident schaltet sich ein
Serbiens autokratisch regierender Staatspräsident Aleksandar Vucic schaltete sich kurz nach der Tat auf eine für ihn typische Weise in die Berichterstattung über den Fall ein: Nur wenige Stunden nach der Bluttat berief er, der medial ohnehin omnipräsent ist, eine Pressekonferenz ein, legte Details aus der Krankenakte des jugendlichen Angreifers vor und sprach über das Einkommen von dessen Eltern. Einige Medien weigerten sich, diese Details wiederzugeben.
Tragödie als Medienspektakel
Vucic hatte auch eine bizarre Erklärung für die Tat parat: “Am Schema der Tat sieht man, dass der Junge irgendein Spiel gespielt hat”, sagte Serbiens Staatschef. “In solchen Spielen hat man mehrere Leben.”
Die Worte des Präsidenten erweckten den Eindruck, als stamme K. aus wohlhabendem Hause, sei ein zurückhaltender Junge, ein wenig anders als die anderen, ein sehr guter Schüler, aber ohne viele Freunde. Mit seinem Vater, dessen zugelassene Waffe er bei dem Angriff benutzte und der festgenommen wurde, soll er das Schießen auf einem Schießstand geübt haben.
Laut Angaben des Belgrader Polizeichefs Veselin Milic sagte der Junge bei der Vernehmung, dass er sich ignoriert gefühlt habe, dass er während der Ferien oder bei Ausflügen von der Kommunikation oder dem Spielen mit seinen Mitschülern ausgeschlossen gewesen sei und dass dies ihn zu dem Verbrechen veranlasst habe.
“Sogenannte westliche Werte”
Einige Medien versuchten, die ethischen Grenzen der Berichterstattung einzuhalten. Der Großteil der serbischen Presse jedoch überschlug sich am Mittwoch in aufgeregt-boulevardesker Berichterstattung und übertraf das ohnehin übliche Maß dabei noch einmal. Im Minutentakt wurden Informationen veröffentlicht, die aus den Ermittlungen und Krankenhäusern durchgesickert waren. Betroffene Eltern wurden vor laufenden Kameras gefragt, wie sie sich fühlten. Aus der Tragödie wurde ein würdeloses Medienspektakel.
Am Mittwochnachmittag vor dem Bildungsministerium: Dort steht der Belgrader Vojislav Ostojic mit einer Trillerpfeife und pfeift aus Protest unablässig. Er sagt der DW, er sei als Bürger gekommen. “Bei mir ist alles übergekocht mit dieser Tat heute. In jedem zivilisierten Land wäre der Bildungsminister schon heute Morgen zurückgetreten”, sagt Ostojic empört.
Schuldsuche
“So etwas passiert auf der ganzen Welt, aber hier werden wir mit vielen Inhalten überschwemmt, die diese Art von Verhalten fördern können – Reality-Shows mit Gewalt, all die Propaganda”, findet Ostojic.
Bildungsminister Branko Ruzic macht jedoch in einer ersten Stellungnahme den “krebserregenden” Einfluss von Videospielen und “sogenannte westliche Werte” verantwortlich für die Tat, ohne zu erklären, was er damit meint.
In sozialen Netzwerken wird derweil heftig über die Motive des Massakers und über “die Schuldigen” spekuliert. Manche machen den Einfluss der von der Regierung produzierten “Gewaltatmosphäre” verantwortlich, andere die Programme verschiedener TV-Sender, TikTok, die westliche Popkultur oder die Verherrlichung von Kriegsverbrechern wie Ratko Mladic, der in Belgrad öffentlich auf Wandbildern zu sehen ist.
“Die Tragödie ist groß”, sagt der Belgrader Soziologe Jovo Bakic der DW. “Die Menschen sind verstört von Trauer und Entsetzen, denn wir alle könnten uns in dieser Situation wiederfinden, Opfer oder Zeugen zu sein. Man versucht, sich die Gründe zu erklären, um sich zumindest ein wenig zu beruhigen, und dann sucht man nach den Schuldigen. Dabei sprechen die Leute oft mehr über sich selbst, wenn sie den Schuldigen ‘finden’ wollen”, so Bakic. Beispielsweise würden die antiwestlichen Nationalisten den Westen beschuldigen, die Opposition die Herrschenden und einige Eltern die Lehrer.
Auch Staatspräsident Vucic trägt auf seine Weise zur Atmosphäre der übereilten Suche nach Schuldigen bei. So schlug er beispielsweise vor, die Altersgrenze für die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken. Ob das nun kommt, ist unklar. Sicher ist aber, dass Kosta K. vor Gericht nicht zur Rechenschaft gezogen werden wird – weil er als Dreizehnjähriger dafür zu jung ist.
Ab Freitag gilt in Serbien eine dreitägige Staatstrauer.