Wie eine südafrikanische Streetworkerin gegen Gewalt an Frauen kämpft
Südafrika hat die höchste Rate an Gewaltverbrechen weltweit. Regisseurin Julia Jaki begleitete in ihrer Doku “Dorpie” eine Streetworkerin, die ein Refugium für gefährdete Frauen leitet.
“Du bist jetzt sicher”, sagt Streetworkerin Lana O’Neill zu dem jungen Mädchen. Sie hat Shakira unter der Brücke im Armenviertel gefunden – dort, wo “viele schlimme Dinge geschehen” – und mit ins Safe House genommen.
Shakira hat “Tik” genommen, gestrecktes Crystal Meth, und ist kaum ansprechbar. Wann hast du das letzte Mal gebadet”, fragt Lana. “Vor ein paar Monaten, auntie – Tante”, antwortet Shakira benommen. “Okay, du nimmst jetzt ein Bad, bekommst was zu essen und gehst dann schlafen. Und morgen reden wir darüber, wie es weitergehen soll”, sagt Lana.
“Du bist jetzt sicher”, sagt Streetworkerin Lana O’Neill zu dem jungen Mädchen. Sie hat Shakira unter der Brücke im Armenviertel gefunden – dort, wo “viele schlimme Dinge geschehen” – und mit ins Safe House genommen.
Die Szene aus dem Film “Dorpie” ist keine Fiktion, sondern real. Alltag in Bredasdorp, einer Kleinstadt in Südafrika, rund 188 Kilometer südlich von Kapstadt. Touristen, die die berühmte Garden Route besuchen, halten hier schon mal an, um den pittoresken Ortskern mit den einst von den Buren gebauten Gebäuden und der schönen weißen Kirche zu bewundern. Das “Squatter Camp”, wie Armenviertel in Südafrika genannt werden, liegt hinter den Bahngleisen. Hierher verirren sich die Fremden nicht.
Abgehängt im Squatter Camp
Doch genau hier ist der Wirkungsort von Lana O’Neill, die sich seit 2003 für die Abgehängten der Gesellschaft einsetzt. Sie geht in die Hütten der Armen, bringt Medizin und Essen, holt junge Mädchen, die sich prostituieren oder Drogen nehmen, von der Straße. Im Safe House hat sie ihnen einen sicheren Ort geschaffen. Dort herrschen feste Regeln. “Wir fluchen nicht, wir schreien nicht. Keine Drogen, kein Alkohol, kein Männerbesuch.” Eine klare Ansage. Fluksie, Zana, Jo-Marie, Koekie oder Shakira sind nur einige Mädchen, die bei Lana O’Neill im Laufe der Jahre Zuflucht gefunden haben.
Die bessere Gesellschaft von Bredadorp findet, dass die Menschen im Squatter Camp selbst schuld sind an ihrer Situation. “Doch es liegt natürlich an den Umständen,” sagt Lana gegenüber der DW. “Man muss sich nur anschauen, wie sie aufwachsen: ohne richtige Familienstrukturen, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Wie kann man derart traumatisierten Menschen helfen, ihr Leben zu ändern? Es ist ein Teufelskreis.”
Lana weiß, wovon sie redet. Sie wurde mit elf selbst sexuell missbraucht. “Ich kenne diesen Schmerz, aber ich habe es verarbeiten können,” sagt sie, “weil ich den Rückhalt meiner Familie hatte. Ich hab mich nicht in Drogen geflüchtet. Die Mädchen und Frauen hier haben niemanden, der ihnen hilft.” Wenn doch nur alle aus ihrer Komfortzone kämen und das Problem gemeinsam angehen würden, glaubt sie, wie könne sich Südafrika dann zum Positiven verändern – “oder eben diese kleine Stadt”.
Lana O’Neill will die Welt ein klein bisschen besser machen. Rund 500 Mädchen und Frauen hat sie schon im Safe House betreut, 80 Prozent von ihnen, erzählt sie, seien von Familienmitgliedern missbraucht worden. “Aber niemand will darüber reden, alle gucken weg.”
Die trostlose Situation in Bredasdorp ist kein Einzelfall, sagt die deutsche Regisseurin Julia Jaki, die Lana O’Neill sechs Jahre lang bei ihrer Arbeit gefilmt hat. Der Titel ihrer Doku: “Dorpie”, was so viel heißt wie Kleinstadt: “Weil ja Bredasdorp im Prinzip steht für ganz viele kleine Orte in Südafrika, Im schönen wohlhabenderen Teil leben überwiegend Weiße, im Squatter Camp leben People of Colour – und das 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid.”
Die schlimmen Sachen, die passieren meist in den Squatter Camps der Dorpies. Südafrika hält einen traurigen Rekord. Die Mord- und Vergewaltigungsraten in dem Land gehören zu den höchsten der Welt, die Einheimischen haben sich daran gewöhnt. Bredasdorp allerdings schaffte es in die internationalen Schlagzeilen, als die 17-jährige Anene Booysen vergewaltigt und ermordet wurde. Dass ausgerechnet ihr Tod so große Beachtung fang, vermutet Julia Jaki, lag daran, dass man ihr den Unterleib aufgeschlitzt und die Eingeweide rausgerissen hatte.
Damals gab es Protestmärsche im ganzen Land, die Politiker versprachen, alles zu tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Ein Jahr nach der Tat fuhr Jaki nach Bredasdorp, um zu sehen, ob sich im Ort etwas getan hatte, ob junge Menschen jetzt regelmäßig Unterstützung von staatlicher Seite bekamen. Die Antwort: ein ernüchterndes Nein.
Aber die Regisseurin lernte Lana O’Neill kennen: “Meine erste Frage an sie war natürlich: ‘Wie findest du das, wenn ich als Außenseiterin komme und einen Film über dich mache, deine Arbeit begleite?'”
Lana fand die Idee gut – sie weiß, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit ist. Und sie weiß, dass sie viele Bredasdorper Bürger mit ihren unermüdlichen Appellen auf die Nerven geht. Im wohlhabenden Teil der Stadt fühlt man sich nicht zuständig für ihre Sorgen. “Aber ich bin nicht hier, um jedem zu gefallen, sondern um zu helfen”, sagt sie.
Immerhin wurde irgendwann das “Anene Booysen Skills Centre” eröffnet, allerdings erfüllte es Lanas Hoffnungen nicht. Genutzt wurde es von einer externen Schule, heute steht es leer.
Kurz nachdem Jaki Lana das erste Mal traf, wurde wieder ein Mädchen ermordet – und während der Dreharbeiten zwei weitere. Im Film fällt der Satz: “Man kennt Bredasdorp als Mörderstadt.” Unter Tränen wird der Sarg einen jungen Menschen in die Erde hinabgelassen, die Glocken läuten – und alles geht weiter wie zuvor.
Nur Lana O’Neill gibt nicht auf. Sie organisiert eine Demonstration vor dem Rathaus, um die Offiziellen der Stadt wachzurütteln. Mit großen Worten bedankt sich die stellvertretende Bürgermeisterin für ihr Engagement: “Danke, dass Sie uns die Augen geöffnet haben”, sagt sie und verspricht zu helfen: “Wir können Lana doch nicht um Geld betteln lassen!” Doch es passiert nichts, wieder einmal. Im Film betont die Politikerin später, sie wolle nach ihrer Laufbahn nicht mal als diejenige, die die Menschen belüge, in Erinnerung bleiben. Dass mit der finanziellen Unterstützung sei ihr wohl “durchgerutscht”.
Ebenfalls eine Schlüsselszene: das Zusammentreffen des stellvertretenden Justizmisters mit den Familien zweier ermordeter Mädchen. Auch er schwingt große Worte vor der Kamera; doch die versprochene Unterstützung bei der Auflösung des Falles wurde bis heute nicht eingelöst. “Es ist liegt vielleicht im Wesen eines Politikers zu performen, Versprechungen zu machen und sie nicht zu halten”, sagt Jaki. Das ist genau die Erfahrung, die Lana O’Neill fast täglich macht.
Manchmal würde sie am liebsten alles hinschmeißen und nur noch für ihre Familie da sein. Doch die Arbeit ist ihr Leben, und ihr Mann und ihre Kinder stehen hinter ihr. Und so will sie weitermachen: “Solange ich lebe”, sagt sie im DW-Gespräch, “ich kann nicht anders. Ich fühle mich jetzt schon schuldig, weil ich mit Ihnen telefoniere und dabei nicht gestört werden möchte. Was, wenn genau jetzt ein Mädchen vergewaltigt wird und ich gebraucht werde?”
Die Streetworkerin freut sich, dass Jakis Dokumentarfilm “Dorpie” auch in Deutschland gezeigt wird; sie erhofft sich Unterstützung aus dem Ausland. “Für mich war es wichtig”, sagt die Regisseurin, “dass jemand wie Lana ins Scheinwerferlicht kommt, dass die Leute sehen, es gibt Menschen gibt, die wahnsinnig viel tun. Sie sollten aber auch sehen, woran sie scheitern – an den Strukturen und an den Menschen, die dafür verantwortlich sind.”
“Du bist jetzt sicher”, sagt Streetworkerin Lana O’Neill zu dem jungen Mädchen. Sie hat Shakira unter der Brücke im Armenviertel gefunden – dort, wo “viele schlimme Dinge geschehen” – und mit ins Safe House genommen.
Shakira hat “Tik” genommen, gestrecktes Crystal Meth, und ist kaum ansprechbar. Wann hast du das letzte Mal gebadet”, fragt Lana. “Vor ein paar Monaten, auntie – Tante”, antwortet Shakira benommen. “Okay, du nimmst jetzt ein Bad, bekommst was zu essen und gehst dann schlafen. Und morgen reden wir darüber, wie es weitergehen soll”, sagt Lana.
Abgehängt im Squatter Camp
Die Szene aus dem Film “Dorpie” ist keine Fiktion, sondern real. Alltag in Bredasdorp, einer Kleinstadt in Südafrika, rund 188 Kilometer südlich von Kapstadt. Touristen, die die berühmte Garden Route besuchen, halten hier schon mal an, um den pittoresken Ortskern mit den einst von den Buren gebauten Gebäuden und der schönen weißen Kirche zu bewundern. Das “Squatter Camp”, wie Armenviertel in Südafrika genannt werden, liegt hinter den Bahngleisen. Hierher verirren sich die Fremden nicht.
Doch genau hier ist der Wirkungsort von Lana O’Neill, die sich seit 2003 für die Abgehängten der Gesellschaft einsetzt. Sie geht in die Hütten der Armen, bringt Medizin und Essen, holt junge Mädchen, die sich prostituieren oder Drogen nehmen, von der Straße. Im Safe House hat sie ihnen einen sicheren Ort geschaffen. Dort herrschen feste Regeln. “Wir fluchen nicht, wir schreien nicht. Keine Drogen, kein Alkohol, kein Männerbesuch.” Eine klare Ansage. Fluksie, Zana, Jo-Marie, Koekie oder Shakira sind nur einige Mädchen, die bei Lana O’Neill im Laufe der Jahre Zuflucht gefunden haben.
Die bessere Gesellschaft von Bredadorp findet, dass die Menschen im Squatter Camp selbst schuld sind an ihrer Situation. “Doch es liegt natürlich an den Umständen,” sagt Lana gegenüber der DW. “Man muss sich nur anschauen, wie sie aufwachsen: ohne richtige Familienstrukturen, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Wie kann man derart traumatisierten Menschen helfen, ihr Leben zu ändern? Es ist ein Teufelskreis.”
Lana weiß, wovon sie redet. Sie wurde mit elf selbst sexuell missbraucht. “Ich kenne diesen Schmerz, aber ich habe es verarbeiten können,” sagt sie, “weil ich den Rückhalt meiner Familie hatte. Ich hab mich nicht in Drogen geflüchtet. Die Mädchen und Frauen hier haben niemanden, der ihnen hilft.” Wenn doch nur alle aus ihrer Komfortzone kämen und das Problem gemeinsam angehen würden, glaubt sie, wie könne sich Südafrika dann zum Positiven verändern – “oder eben diese kleine Stadt”.
“Es ist ein Teufelskreis”
Lana O’Neill will die Welt ein klein bisschen besser machen. Rund 500 Mädchen und Frauen hat sie schon im Safe House betreut, 80 Prozent von ihnen, erzählt sie, seien von Familienmitgliedern missbraucht worden. “Aber niemand will darüber reden, alle gucken weg.”
Es gibt viele “Dorpies” in Südafrika
Die trostlose Situation in Bredasdorp ist kein Einzelfall, sagt die deutsche Regisseurin Julia Jaki, die Lana O’Neill sechs Jahre lang bei ihrer Arbeit gefilmt hat. Der Titel ihrer Doku: “Dorpie”, was so viel heißt wie Kleinstadt: “Weil ja Bredasdorp im Prinzip steht für ganz viele kleine Orte in Südafrika, Im schönen wohlhabenderen Teil leben überwiegend Weiße, im Squatter Camp leben People of Colour – und das 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid.”
Die schlimmen Sachen, die passieren meist in den Squatter Camps der Dorpies. Südafrika hält einen traurigen Rekord. Die Mord- und Vergewaltigungsraten in dem Land gehören zu den höchsten der Welt, die Einheimischen haben sich daran gewöhnt. Bredasdorp allerdings schaffte es in die internationalen Schlagzeilen, als die 17-jährige Anene Booysen vergewaltigt und ermordet wurde. Dass ausgerechnet ihr Tod so große Beachtung fang, vermutet Julia Jaki, lag daran, dass man ihr den Unterleib aufgeschlitzt und die Eingeweide rausgerissen hatte.
Damals gab es Protestmärsche im ganzen Land, die Politiker versprachen, alles zu tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Ein Jahr nach der Tat fuhr Jaki nach Bredasdorp, um zu sehen, ob sich im Ort etwas getan hatte, ob junge Menschen jetzt regelmäßig Unterstützung von staatlicher Seite bekamen. Die Antwort: ein ernüchterndes Nein.
Große Worte und leere Versprechungen
Aber die Regisseurin lernte Lana O’Neill kennen: “Meine erste Frage an sie war natürlich: ‘Wie findest du das, wenn ich als Außenseiterin komme und einen Film über dich mache, deine Arbeit begleite?'”
Lana fand die Idee gut – sie weiß, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit ist. Und sie weiß, dass sie viele Bredasdorper Bürger mit ihren unermüdlichen Appellen auf die Nerven geht. Im wohlhabenden Teil der Stadt fühlt man sich nicht zuständig für ihre Sorgen. “Aber ich bin nicht hier, um jedem zu gefallen, sondern um zu helfen”, sagt sie.
“Was, wenn genau jetzt ein Mädchen vergewaltigt wird?”
Immerhin wurde irgendwann das “Anene Booysen Skills Centre” eröffnet, allerdings erfüllte es Lanas Hoffnungen nicht. Genutzt wurde es von einer externen Schule, heute steht es leer.
Kurz nachdem Jaki Lana das erste Mal traf, wurde wieder ein Mädchen ermordet – und während der Dreharbeiten zwei weitere. Im Film fällt der Satz: “Man kennt Bredasdorp als Mörderstadt.” Unter Tränen wird der Sarg einen jungen Menschen in die Erde hinabgelassen, die Glocken läuten – und alles geht weiter wie zuvor.
Nur Lana O’Neill gibt nicht auf. Sie organisiert eine Demonstration vor dem Rathaus, um die Offiziellen der Stadt wachzurütteln. Mit großen Worten bedankt sich die stellvertretende Bürgermeisterin für ihr Engagement: “Danke, dass Sie uns die Augen geöffnet haben”, sagt sie und verspricht zu helfen: “Wir können Lana doch nicht um Geld betteln lassen!” Doch es passiert nichts, wieder einmal. Im Film betont die Politikerin später, sie wolle nach ihrer Laufbahn nicht mal als diejenige, die die Menschen belüge, in Erinnerung bleiben. Dass mit der finanziellen Unterstützung sei ihr wohl “durchgerutscht”.
Ebenfalls eine Schlüsselszene: das Zusammentreffen des stellvertretenden Justizmisters mit den Familien zweier ermordeter Mädchen. Auch er schwingt große Worte vor der Kamera; doch die versprochene Unterstützung bei der Auflösung des Falles wurde bis heute nicht eingelöst. “Es ist liegt vielleicht im Wesen eines Politikers zu performen, Versprechungen zu machen und sie nicht zu halten”, sagt Jaki. Das ist genau die Erfahrung, die Lana O’Neill fast täglich macht.
Manchmal würde sie am liebsten alles hinschmeißen und nur noch für ihre Familie da sein. Doch die Arbeit ist ihr Leben, und ihr Mann und ihre Kinder stehen hinter ihr. Und so will sie weitermachen: “Solange ich lebe”, sagt sie im DW-Gespräch, “ich kann nicht anders. Ich fühle mich jetzt schon schuldig, weil ich mit Ihnen telefoniere und dabei nicht gestört werden möchte. Was, wenn genau jetzt ein Mädchen vergewaltigt wird und ich gebraucht werde?”
Die Streetworkerin freut sich, dass Jakis Dokumentarfilm “Dorpie” auch in Deutschland gezeigt wird; sie erhofft sich Unterstützung aus dem Ausland. “Für mich war es wichtig”, sagt die Regisseurin, “dass jemand wie Lana ins Scheinwerferlicht kommt, dass die Leute sehen, es gibt Menschen gibt, die wahnsinnig viel tun. Sie sollten aber auch sehen, woran sie scheitern – an den Strukturen und an den Menschen, die dafür verantwortlich sind.”