Osman Kavala: Exklusivinterview aus dem Gefängnis
Der türkische Menschenrechtsaktivist und Kunstmäzen Osman Kavala ist seit 2017 inhaftiert. Die Regierung Erdogan betrachtet ihn als Staatsfeind. Der DW hat er erzählt, warum er trotz allem noch Hoffnung hat.
Als die DW Osman Kavala Ende 2019 im Gefängnis besuchte, war er noch sicher, dass er bald entlassen würde. Doch es kam anders: Kavala blieb weiter hinter Gittern und wartete auf ein Urteil. Im April 2022 wurde er dann von einem Istanbuler Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der weltweite Aufschrei war groß, auch Deutschland gehörte zu den Staaten, die die Entscheidung des Gerichts scharf verurteilten. Kavala, Unternehmer, Bürgerrechtler, Kunstmäzen und Philanthrop, wird beschuldigt, die Gezi-Proteste 2013 organisiert und finanziert zu haben. Die Proteste hatten sich damals zunächst gegen den Bau eines Einkaufszentrums, später dann gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichtet.
Als die DW Osman Kavala Ende 2019 im Gefängnis besuchte, war er noch sicher, dass er bald entlassen würde. Doch es kam anders: Kavala blieb weiter hinter Gittern und wartete auf ein Urteil. Im April 2022 wurde er dann von einem Istanbuler Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt.
Für die DW-Dokumentation “Osman Kavala: Eine Stimme aus dem Gefängnis” konnte ihn DW-Reporterin Linda Vierecke noch einmal interviewen – diesmal schriftlich.
DW: Warum ist die Regierung so besorgt, Sie in Freiheit zu sehen?
Osman Kavala: Meine lange Inhaftierung trägt dazu bei, den Eindruck zu erwecken, dass die fingierten Anschuldigungen gegen mich zutreffend sind. Der Präsident hat mehrfach erklärt, dass meine Schuld der Grund für meine Inhaftierung ist. Diese Aussage kann auch so verstanden werden, dass meine Inhaftierung der Indikator für meine Schuld ist. Sollte ich freigelassen werden, würde sich herausstellen, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe frei erfunden sind und Gezi ein Schauprozess war.
Wie haben Sie sich vor zehn Jahren an den Gezi-Protesten beteiligt?
Als ich zum ersten Mal von dem Plan der Regierung erfuhr, ein Einkaufszentrum zu bauen, das den Park völlig zerstören würde, schloss ich mich mit meinen Kollegen einer Kampagne an, um die Regierung und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das eine schreckliche Idee war.
Mein Büro liegt fast direkt neben dem Park. Ich konnte also die jungen Leute, die sich dort versammelten, beobachten und mit ihnen sprechen. Ich war beeindruckt von ihrer Entschlossenheit, den Park zu schützen. Von ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und von dem Geist der Solidarität. Die meisten von ihnen hatten keine Verbindungen zu einer Organisation, und wahrscheinlich war es für sie das erste Mal, dass sie an einer solchen Aktion teilnahmen. Während der Proteste brachte ich einen Lautsprecher und einen Plastiktisch mit in den Park. Das – und ein paar Kekse – sind die Beweise, die einzigen Beweise, die in der Anklageschrift angeführt werden, um den Vorwurf zu untermauern, ich hätte die Proteste finanziert.
Was halten Sie von der Anschuldigung der Regierung, Sie würden hinter den Gezi-Protesten stecken? Es wurde nie bewiesen.
Um in der Türkei heutzutage jemanden hinter Gitter zu bringen, ist der ernsthafte Versuch, eine angeblich kriminelle Handlung zu identifizieren und nach konkreten Beweisen dafür zu suchen, nicht mehr zwingend notwendig – solange die Regierung jemanden für schuldig hält.
In meinem Fall hat Herr Erdogan schon damit begonnen, schwere Anschuldigungen gegen mich zu erheben, noch bevor überhaupt die Anklageschrift erstellt wurde. Ich denke, dass weder die Regierung noch die Staatsanwälte, die die Anklageschrift vorbereitet haben, tatsächlich an die absurde Behauptung glauben, ich hätte die Proteste in Zusammenarbeit mit George Soros geplant und organisiert.Es war von Anfang an klar, dass sich die Proteste spontan entwickelt und keine zentrale Kommandostruktur hatten. (Anm. d. Red.: Kavala gehörte zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros, die demokratische Bewegungen fördert, ihre Aktivitäten in der Türkei 2018 allerdings eingestellt hat.)
Stimmen Sie dem Argument zu, dass die Regierung mit Ihrer Bestrafung versucht, eine Botschaft an die westliche Welt zu senden?
Ich denke, dass mit meiner Verfolgung mehrere Botschaften vermittelt wurden, die sich vor allem an das inländische Publikum richteten. Wie auch in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2019 zu meinem Fall festgestellt wurde, vermittelt meine Verhaftung eine Botschaft an die Aktivisten der Zivilgesellschaft. Sie warnt sie davor, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die von der Regierung als störend angesehen werden.
Das Narrativ der ausländischen Mächte, die angeblich eine Verschwörung gegen die Regierung organisieren, wurde vorbereitet, um die Gezi-Ereignisse zu kriminalisieren. Es wurde zudem verwendet, um auch andere Straßendemonstrationen zu stigmatisieren. Darüber hinaus ist dieser Prozess ein Beispiel für die Justiz, das ihr zeigt, wie sie im Einklang mit den Vorstellungen und Prioritäten der Regierung handeln und entscheiden soll. Die eigentliche Botschaft lautet: Wenn der Präsident als souveräne Autorität eine Person für schuldig hält, dann kann weder das nationale noch das internationale Recht deren Verfolgung verhindern.
Sie haben viel Arbeit in die Stadt Diyarbakir investiert – insbesondere in die kurdischen Gemeinschaft. Warum war das für Sie so wichtig? Haben Sie das jemals als ein gefährliches Engagement angesehen?
Ich hatte in jungen Jahren die Gelegenheit, Diyarbakir und andere südöstlichen Städte zu besuchen. Durch diese Erfahrung wurde mir klar, dass diese Region meines Landes sehr unterschiedlich ist. Meine Gespräche mit kurdischen Freunden halfen mir, besser zu verstehen, wie sie sich angesichts der repressiven und diskriminierenden Politik, der sie ausgesetzt sind, und der unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen in der Region fühlen.
Ich dachte, dass die Förderung persönlicher Kontakte, die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen aus Istanbul und Diyarbakir zur Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses und damit des Vertrauens beitragen würde. Denn Vertrauen ist notwendig ist, um sich als Mitglied derselben Gemeinschaft zu fühlen. Meiner Erfahrung nach tragen Kunst und künstlerische Programme wesentlich dazu bei, mentale und emotionale Brücken zu bauen – sie ermöglichen die Betrachtung und Diskussion von Fragen politischen Inhalts in einer nicht-antagonistischen Atmosphäre.
Warum hat Sie die Regierung Ihrer Meinung nach in den Fokus genommen?
In der gegen mich vorbereiteten Anklageschrift heißt es, dass ich mit Minderheitengruppen zusammengearbeitet habe, um sie gegen die Regierung aufzuhetzen, und dass diese Aktivitäten hinter dem Deckmantel kultureller Programme stattfanden. Wir arbeiten seit 20 Jahren im Südosten der Türkei, und es ist das erste Mal, dass eine offizielle Behörde eine solche falsche Anschuldigung erhebt. Meiner Meinung nach zeigt dies die Zunahme einer autoritären Mentalität mit minderheitenfeindlichen Tendenzen im politischen Bereich.
Warum haben Sie sich ausgerechnet in dieses “Minenfeld” begeben, wo Sie doch wissen, dass es gefährlich ist, sich in solche Themen einzumischen? Sie hätten sich einfach auf das Geldverdienen konzentrieren können, wie viele andere auch…
Als die DW Osman Kavala Ende 2019 im Gefängnis besuchte, war er noch sicher, dass er bald entlassen würde. Doch es kam anders: Kavala blieb weiter hinter Gittern und wartete auf ein Urteil. Im April 2022 wurde er dann von einem Istanbuler Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der weltweite Aufschrei war groß, auch Deutschland gehörte zu den Staaten, die die Entscheidung des Gerichts scharf verurteilten. Kavala, Unternehmer, Bürgerrechtler, Kunstmäzen und Philanthrop, wird beschuldigt, die Gezi-Proteste 2013 organisiert und finanziert zu haben. Die Proteste hatten sich damals zunächst gegen den Bau eines Einkaufszentrums, später dann gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichtet.
Für die DW-Dokumentation “Osman Kavala: Eine Stimme aus dem Gefängnis” konnte ihn DW-Reporterin Linda Vierecke noch einmal interviewen – diesmal schriftlich.
DW: Warum ist die Regierung so besorgt, Sie in Freiheit zu sehen?
Osman Kavala: Meine lange Inhaftierung trägt dazu bei, den Eindruck zu erwecken, dass die fingierten Anschuldigungen gegen mich zutreffend sind. Der Präsident hat mehrfach erklärt, dass meine Schuld der Grund für meine Inhaftierung ist. Diese Aussage kann auch so verstanden werden, dass meine Inhaftierung der Indikator für meine Schuld ist. Sollte ich freigelassen werden, würde sich herausstellen, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe frei erfunden sind und Gezi ein Schauprozess war.
Wie haben Sie sich vor zehn Jahren an den Gezi-Protesten beteiligt?
Als ich zum ersten Mal von dem Plan der Regierung erfuhr, ein Einkaufszentrum zu bauen, das den Park völlig zerstören würde, schloss ich mich mit meinen Kollegen einer Kampagne an, um die Regierung und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das eine schreckliche Idee war.
Mein Büro liegt fast direkt neben dem Park. Ich konnte also die jungen Leute, die sich dort versammelten, beobachten und mit ihnen sprechen. Ich war beeindruckt von ihrer Entschlossenheit, den Park zu schützen. Von ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und von dem Geist der Solidarität. Die meisten von ihnen hatten keine Verbindungen zu einer Organisation, und wahrscheinlich war es für sie das erste Mal, dass sie an einer solchen Aktion teilnahmen. Während der Proteste brachte ich einen Lautsprecher und einen Plastiktisch mit in den Park. Das – und ein paar Kekse – sind die Beweise, die einzigen Beweise, die in der Anklageschrift angeführt werden, um den Vorwurf zu untermauern, ich hätte die Proteste finanziert.
Was halten Sie von der Anschuldigung der Regierung, Sie würden hinter den Gezi-Protesten stecken? Es wurde nie bewiesen.
Um in der Türkei heutzutage jemanden hinter Gitter zu bringen, ist der ernsthafte Versuch, eine angeblich kriminelle Handlung zu identifizieren und nach konkreten Beweisen dafür zu suchen, nicht mehr zwingend notwendig – solange die Regierung jemanden für schuldig hält.
In meinem Fall hat Herr Erdogan schon damit begonnen, schwere Anschuldigungen gegen mich zu erheben, noch bevor überhaupt die Anklageschrift erstellt wurde. Ich denke, dass weder die Regierung noch die Staatsanwälte, die die Anklageschrift vorbereitet haben, tatsächlich an die absurde Behauptung glauben, ich hätte die Proteste in Zusammenarbeit mit George Soros geplant und organisiert.Es war von Anfang an klar, dass sich die Proteste spontan entwickelt und keine zentrale Kommandostruktur hatten. (Anm. d. Red.: Kavala gehörte zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros, die demokratische Bewegungen fördert, ihre Aktivitäten in der Türkei 2018 allerdings eingestellt hat.)
Stimmen Sie dem Argument zu, dass die Regierung mit Ihrer Bestrafung versucht, eine Botschaft an die westliche Welt zu senden?
Ich denke, dass mit meiner Verfolgung mehrere Botschaften vermittelt wurden, die sich vor allem an das inländische Publikum richteten. Wie auch in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2019 zu meinem Fall festgestellt wurde, vermittelt meine Verhaftung eine Botschaft an die Aktivisten der Zivilgesellschaft. Sie warnt sie davor, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die von der Regierung als störend angesehen werden.
Das Narrativ der ausländischen Mächte, die angeblich eine Verschwörung gegen die Regierung organisieren, wurde vorbereitet, um die Gezi-Ereignisse zu kriminalisieren. Es wurde zudem verwendet, um auch andere Straßendemonstrationen zu stigmatisieren. Darüber hinaus ist dieser Prozess ein Beispiel für die Justiz, das ihr zeigt, wie sie im Einklang mit den Vorstellungen und Prioritäten der Regierung handeln und entscheiden soll. Die eigentliche Botschaft lautet: Wenn der Präsident als souveräne Autorität eine Person für schuldig hält, dann kann weder das nationale noch das internationale Recht deren Verfolgung verhindern.
Sie haben viel Arbeit in die Stadt Diyarbakir investiert – insbesondere in die kurdischen Gemeinschaft. Warum war das für Sie so wichtig? Haben Sie das jemals als ein gefährliches Engagement angesehen?
Ich hatte in jungen Jahren die Gelegenheit, Diyarbakir und andere südöstlichen Städte zu besuchen. Durch diese Erfahrung wurde mir klar, dass diese Region meines Landes sehr unterschiedlich ist. Meine Gespräche mit kurdischen Freunden halfen mir, besser zu verstehen, wie sie sich angesichts der repressiven und diskriminierenden Politik, der sie ausgesetzt sind, und der unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen in der Region fühlen.
Ich dachte, dass die Förderung persönlicher Kontakte, die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen aus Istanbul und Diyarbakir zur Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses und damit des Vertrauens beitragen würde. Denn Vertrauen ist notwendig ist, um sich als Mitglied derselben Gemeinschaft zu fühlen. Meiner Erfahrung nach tragen Kunst und künstlerische Programme wesentlich dazu bei, mentale und emotionale Brücken zu bauen – sie ermöglichen die Betrachtung und Diskussion von Fragen politischen Inhalts in einer nicht-antagonistischen Atmosphäre.
Warum hat Sie die Regierung Ihrer Meinung nach in den Fokus genommen?
In der gegen mich vorbereiteten Anklageschrift heißt es, dass ich mit Minderheitengruppen zusammengearbeitet habe, um sie gegen die Regierung aufzuhetzen, und dass diese Aktivitäten hinter dem Deckmantel kultureller Programme stattfanden. Wir arbeiten seit 20 Jahren im Südosten der Türkei, und es ist das erste Mal, dass eine offizielle Behörde eine solche falsche Anschuldigung erhebt. Meiner Meinung nach zeigt dies die Zunahme einer autoritären Mentalität mit minderheitenfeindlichen Tendenzen im politischen Bereich.
Warum haben Sie sich ausgerechnet in dieses “Minenfeld” begeben, wo Sie doch wissen, dass es gefährlich ist, sich in solche Themen einzumischen? Sie hätten sich einfach auf das Geldverdienen konzentrieren können, wie viele andere auch…
Geld zu verdienen ist in Ordnung. Aber ich denke, dass es ein großes Privileg ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der sich Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit als gleichberechtigte Bürger fühlen. Und in der Arme und Reiche die gleichen öffentlichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Die Überzeugung, dass man mit seiner Arbeit zum Entstehen einer solchen Gesellschaft beiträgt, gibt einem auch ein Gefühl der Bereicherung – trotz einiger Risiken, die damit verbunden sind.
Erzählen Sie uns von Ihrem Tagesablauf im Gefängnis: Was machen Sie mit Ihrer Zeit?
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