1848: Die erste demokratische Verfassung für ganz Deutschland
Vor 175 Jahren arbeitete die Frankfurter Nationalversammlung eine moderne, demokratische Verfassung aus. Sie wurde Vorbild auch für das heutige Grundgesetz der Bundesrepublik.
Es brodelt gewaltig in den 1830er und 1840er Jahren in den Ländern des Deutschen Bundes. Vor allem das städtische Bürgertum will endlich Demokratie, aber auch einen einheitlichen deutschen Staat.
Der Deutsche Bund wurde nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte 1815 als ein lockerer Zusammenschluss einer ganzen Reihe von kleineren und größeren Monarchien gegründet. Vor allem die beiden Schwergewichte Österreich und Preußen unterdrücken gnadenlos alle demokratisch-freiheitlichen Bewegungen.
Es brodelt gewaltig in den 1830er und 1840er Jahren in den Ländern des Deutschen Bundes. Vor allem das städtische Bürgertum will endlich Demokratie, aber auch einen einheitlichen deutschen Staat.
Doch nach zahlreichen Aufständen ab März 1848 haben die demokratischen Kräfte schließlich ein wichtiges Ziel erreicht: Sie erzwingen die Berufung liberaler Regierungen in den Einzelstaaten und die Durchführung von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung für den gesamten Deutschen Bund. “Denen ist der Schreck in die Glieder gefahren, und die allermeisten deutschen Fürsten haben gegen ihre eigenen politischen Überzeugungen Konzessionen gemacht”, sagt der Heidelberger Historiker Frank Engehausen der DW.
Eine Kirche in Frankfurt am Main als Parlamentssaal
Am 18. Mai 1848 ist es soweit. Die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments versammeln sich in Frankfurt am Main, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Aus Platzgründen trifft man sich in der Paulskirche, dem damals größten Saal der Stadt.
Doch die Vorstellungen der verschiedenen Gruppen gehen weit auseinander: Konservative verteidigen die Vorrechte der Einzelstaaten und ihrer Herrscherhäuser, Liberale befürworteten eine bundesstaatliche konstitutionelle Monarchie, während radikalere Kräfte für eine parlamentarisch-demokratische Republik eintreten. Engehausens Kollege Theo Jung von der Universität Halle spricht von “erheblichen ideologischen und regionalen Spaltungen” der Nationalversammlung, die “ein geschlossenes Auftreten erheblich erschwerten”.
Aus heutiger Sicht zu den Glanzlichtern der Verfassung gehört das “Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes”. Zum ersten Mal erlangen damit Menschen- und Bürgerrechte Gesetzeskraft in Deutschland, darunter Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sogar die Todesstrafe soll abgeschafft werden – was erst hundert Jahre später tatsächlich geschieht.
Die ein knappes Jahr später, im März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sieht schließlich einen föderalen deutschen Einheitsstaat vor, dem mit Ausnahme Österreichs alle Staaten des Deutschen Bundes angehören sollen. Staatsoberhaupt soll ein “Kaiser der Deutschen” sein. Ihm fällt nach der Paulskirchenverfassung zwar große Macht zu. Doch steht ihm ein nach allgemeinem, gleichem, direktem und geheimem (Männer-)Wahlrecht gewählter Reichstag als Volksvertretung gegenüber.
Doch die Nationalversammlung hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der preußische König Friedrich Wilhelm IV., den die Delegierten mehrheitlich zum Kaiser machen wollen, lehnt ab. Er glaubt, er sei als Monarch allein von Gott legitimiert, die Krone zu tragen. Eine Alternative wird nach dieser Absage gar nicht erst erwogen, ohne die Großmacht Preußen geht es nicht.
Damit sind die Bemühungen um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats schon so gut wie gescheitert. Die restaurativen Kräfte nehmen schnell wieder zu, in der Bevölkerung schwindet der Rückhalt für die Demokraten.
Engehausen führt das Scheitern auf eine “falsche politische Strategie der Mehrheit der Nationalverfassung” zurück. Die tonangebenden Liberalen wollten “eben nicht eine deutsche Republik, sondern sie wollten einen Nationalstaat auf der Grundlage monarchischer Verfassungen errichten und sind stillschweigend davon ausgegangen, dass die Fürsten das am Ende akzeptieren werden”. Als das ausblieb, “fehlte es den Liberalen sozusagen an einer alternativen Strategie, um ihre Ziele durchzusetzen”.
Im Mai 1849 löst sich das Frankfurter Parlament selbst auf. Ein paar Monate hält sich noch ein Rumpfparlament in Stuttgart, schließlich wird im Sommer 1849 der letzte revolutionäre Widerstand militärisch niedergeschlagen. Die mit großen Hoffnungen angetretene liberale und demokratische Einheits- und Freiheitsbewegung von 1848/49 ist am Ende.
Doch sie hat Langzeitwirkung. Als 1919 die Weimarer Reichsverfassung ausgearbeitet wird, ist der Frankfurter Grundrechtskatalog ein Vorbild. Und auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zitieren genau hundert Jahre später aus der Frankfurter Reichsverfassung.
Der Historiker Theo Jung meint: “Der Paulskirchenverfassung kommt nicht nur als erste gesamtdeutsche Verfassung besondere historische Bedeutung zu. Sehr viele ihrer konkreten Bestimmungen wurden 1949 fast unverändert in das Grundgesetz übernommen.”
Und Frank Engehausen bilanziert: “Die Verfassungsordnung, die wir heute haben, ist über viele Jahrzehnte gewachsen, und der entscheidende Ausgangspunkt auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat ist in den Jahren 1848/49 in der Tätigkeit der Nationalversammlung zu suchen.”
Es brodelt gewaltig in den 1830er und 1840er Jahren in den Ländern des Deutschen Bundes. Vor allem das städtische Bürgertum will endlich Demokratie, aber auch einen einheitlichen deutschen Staat.
Der Deutsche Bund wurde nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte 1815 als ein lockerer Zusammenschluss einer ganzen Reihe von kleineren und größeren Monarchien gegründet. Vor allem die beiden Schwergewichte Österreich und Preußen unterdrücken gnadenlos alle demokratisch-freiheitlichen Bewegungen.
Eine Kirche in Frankfurt am Main als Parlamentssaal
Doch nach zahlreichen Aufständen ab März 1848 haben die demokratischen Kräfte schließlich ein wichtiges Ziel erreicht: Sie erzwingen die Berufung liberaler Regierungen in den Einzelstaaten und die Durchführung von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung für den gesamten Deutschen Bund. “Denen ist der Schreck in die Glieder gefahren, und die allermeisten deutschen Fürsten haben gegen ihre eigenen politischen Überzeugungen Konzessionen gemacht”, sagt der Heidelberger Historiker Frank Engehausen der DW.
Am 18. Mai 1848 ist es soweit. Die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments versammeln sich in Frankfurt am Main, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Aus Platzgründen trifft man sich in der Paulskirche, dem damals größten Saal der Stadt.
Doch die Vorstellungen der verschiedenen Gruppen gehen weit auseinander: Konservative verteidigen die Vorrechte der Einzelstaaten und ihrer Herrscherhäuser, Liberale befürworteten eine bundesstaatliche konstitutionelle Monarchie, während radikalere Kräfte für eine parlamentarisch-demokratische Republik eintreten. Engehausens Kollege Theo Jung von der Universität Halle spricht von “erheblichen ideologischen und regionalen Spaltungen” der Nationalversammlung, die “ein geschlossenes Auftreten erheblich erschwerten”.
Aus heutiger Sicht zu den Glanzlichtern der Verfassung gehört das “Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes”. Zum ersten Mal erlangen damit Menschen- und Bürgerrechte Gesetzeskraft in Deutschland, darunter Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sogar die Todesstrafe soll abgeschafft werden – was erst hundert Jahre später tatsächlich geschieht.
Beispielhafter Grundrechte-Katalog
Die ein knappes Jahr später, im März 1849 verabschiedete Reichsverfassung sieht schließlich einen föderalen deutschen Einheitsstaat vor, dem mit Ausnahme Österreichs alle Staaten des Deutschen Bundes angehören sollen. Staatsoberhaupt soll ein “Kaiser der Deutschen” sein. Ihm fällt nach der Paulskirchenverfassung zwar große Macht zu. Doch steht ihm ein nach allgemeinem, gleichem, direktem und geheimem (Männer-)Wahlrecht gewählter Reichstag als Volksvertretung gegenüber.
Friedrich Wilhelm sieht sich als Monarch aus Gottes Gnaden
Doch die Nationalversammlung hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der preußische König Friedrich Wilhelm IV., den die Delegierten mehrheitlich zum Kaiser machen wollen, lehnt ab. Er glaubt, er sei als Monarch allein von Gott legitimiert, die Krone zu tragen. Eine Alternative wird nach dieser Absage gar nicht erst erwogen, ohne die Großmacht Preußen geht es nicht.
Damit sind die Bemühungen um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats schon so gut wie gescheitert. Die restaurativen Kräfte nehmen schnell wieder zu, in der Bevölkerung schwindet der Rückhalt für die Demokraten.
Engehausen führt das Scheitern auf eine “falsche politische Strategie der Mehrheit der Nationalverfassung” zurück. Die tonangebenden Liberalen wollten “eben nicht eine deutsche Republik, sondern sie wollten einen Nationalstaat auf der Grundlage monarchischer Verfassungen errichten und sind stillschweigend davon ausgegangen, dass die Fürsten das am Ende akzeptieren werden”. Als das ausblieb, “fehlte es den Liberalen sozusagen an einer alternativen Strategie, um ihre Ziele durchzusetzen”.
Frankfurter Reichsverfassung – ein Vorbild für das deutsche Grundgesetz
Im Mai 1849 löst sich das Frankfurter Parlament selbst auf. Ein paar Monate hält sich noch ein Rumpfparlament in Stuttgart, schließlich wird im Sommer 1849 der letzte revolutionäre Widerstand militärisch niedergeschlagen. Die mit großen Hoffnungen angetretene liberale und demokratische Einheits- und Freiheitsbewegung von 1848/49 ist am Ende.
Doch sie hat Langzeitwirkung. Als 1919 die Weimarer Reichsverfassung ausgearbeitet wird, ist der Frankfurter Grundrechtskatalog ein Vorbild. Und auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zitieren genau hundert Jahre später aus der Frankfurter Reichsverfassung.
Der Historiker Theo Jung meint: “Der Paulskirchenverfassung kommt nicht nur als erste gesamtdeutsche Verfassung besondere historische Bedeutung zu. Sehr viele ihrer konkreten Bestimmungen wurden 1949 fast unverändert in das Grundgesetz übernommen.”
Und Frank Engehausen bilanziert: “Die Verfassungsordnung, die wir heute haben, ist über viele Jahrzehnte gewachsen, und der entscheidende Ausgangspunkt auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat ist in den Jahren 1848/49 in der Tätigkeit der Nationalversammlung zu suchen.”