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Warum die USA wieder über Abtreibung streiten

Kippt das Oberste Gericht ein gut 50 Jahre altes Grundsatzurteil zu Schwangerschaftsabbrüchen? Ein vorab geleakter Urteilsentwurf deutet darauf hin. Fragen und Antworten zum Streitthema Abtreibung in den USA.

Es ist ein Satz voller politischer Sprengkraft für die beim Thema Abtreibung tief gespaltenen USA: Das bisherige Grundsatzurteil des Obersten Verfassungsgerichts “war von Anfang an ungeheuerlich falsch”, soll einer der Verfassungsrichter, Samuel Alito, geschrieben haben.

So steht es in einem fast 100 Seiten langen mutmaßlichen Urteilsentwurf des Supreme Court, der dem US-Politmagazin Politico vorab zugespielt wurde. Dass der Supreme Court noch in diesem Sommer das seit fast 50 Jahren geltende Abtreibungsrecht auf Bundesebene über den Haufen werfen könnte, sorgt im ganzen Land für ein politisches Beben.

Es ist ein Satz voller politischer Sprengkraft für die beim Thema Abtreibung tief gespaltenen USA: Das bisherige Grundsatzurteil des Obersten Verfassungsgerichts “war von Anfang an ungeheuerlich falsch”, soll einer der Verfassungsrichter, Samuel Alito, geschrieben haben.

Die Debatte trifft die USA zu einem politisch bedeutenden Zeitpunkt. Im Herbst finden Kongresswahlen statt. Sie gelten als großer Stimmungstest für die Zufriedenheit mit dem amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden. Im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist bislang geltendes Recht?

1973, noch unter Präsident Richard Nixon, hatte der Oberste Gerichtshof das Grundsatzurteil mit dem Namen “Roe vs. Wade” verabschiedet. Grundsätzlich besitzen seitdem in den USA Frauen das Recht, selbst über den Abbruch oder die Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden.

US-Bundesstaaten dürfen demnach Abtreibungen im ersten Trimester der Schwangerschaft nicht, und im zweiten Trimester nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen verbieten.

1992 wurde dies durch ein Folgeurteil präzisiert: Durch den medizinischen Fortschritt gelten Föten bereits ab der 23./24. Woche außerhalb des Mutterleibes als lebensfähig – dies gilt als Richtlinie, bis zu welchem Zeitpunkt Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sein sollten.

Seitdem setzen die meisten US-Bundesstaaten eine Frist von 20 Wochen nach Empfängnis; in einigen Bundesstaaten – etwa in New Mexico, Colorado oder New Jersey – sind Abtreibungen sogar bis zur Geburt erlaubt.

Das Urteil “Roe vs. Wade” war von Anfang an umstritten wie kaum eine andere Entscheidung in der Geschichte des Supreme Court. Abtreibungsgegner machen seitdem an jedem Jahrestag der Urteilsverkündung mobil und demonstrieren zu Tausenden in Washington für eine Aufhebung des Gesetzes.

Spekulationen, der Oberste Gerichtshof könnte sich nochmals mit dem Urteil “Roe vs. Wade” befassen, gibt es bereits seit 2020. Sie führten dazu, dass mehrere konservativ regierte Bundesstaaten 2021 schärfere Abtreibungsgesetze beschlossen.

Besonders ein Gesetzentwurf aus Mississippi, der Schwangerschaftsabbrüche bereits ab der 15. Woche verbieten soll, legt es direkt darauf an, “Roe vs. Wade” für ungültig zu erklären. Texas erließ im Mai 2021 ein Gesetz, das Abtreibungen nahezu vollständig verbietet, sobald ein Herzschlag des ungeborenen Kindes nachweisbar ist.

Dies ist in der Regel nach der sechsten Schwangerschaftswoche der Fall. Der Oberste Gerichtshof ließ Texas gewähren, trotz einer Klage der US-Regierung, die fordert, dass das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit umgehend für ungültig erklärt wird.

Eine Aufhebung des Grundsatzurteils würde es jedem Bundesstaat erlauben, nahezu unbegrenzt selbst über seine Abtreibungsgesetze zu bestimmen und dadurch die Polarisierung zwischen konservativen, republikanisch geführten und liberalen demokratischen Bundesstaaten verschärfen. So grenzt Texas mit dem zurzeit strengsten Abtreibungsrecht der USA direkt an New Mexico, wo es bislang überhaupt keine zeitlichen Beschränkungen für Schwangerschaftsabbrüche gibt.

Unter dem republikanischen US-Präsidenten Donald Trump kippten die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court. Trump besetzte drei Posten mit konservativen Richtern: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Vor allem die katholische Barrett gilt als stramme Abtreibungsgegnerin. Trump selbst hatte vor allem mit Blick auf seine große evangelikale Wählerschaft mehrfach versprochen, bei der Benennung der Richter ein besonderes Augenmerk auf deren Haltung zur Abtreibung zu legen.

Noch besitzen die Konservativen eine Mehrheit von sechs zu drei im Obersten Gericht. Doch schon im Oktober wird die von Joe Biden ernannte liberale Richterin Ketanji Brown Jackson ihren Richterposten antreten, wodurch die Mehrheit für eine Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung ins Wanken geraten könnte.

Bislang gibt es noch keine offizielle Bestätigung dafür, dass das nun veröffentlichte Dokument auch tatsächlich echt ist. Dennoch deuten viele Merkmale darauf hin: In Struktur, Länge und Typographie stimme der Text Experten zufolge mit anderen veröffentlichten Papieren des Gerichts überein.

Dass ein derartiger Urteilsentwurf überhaupt vorab bekannt wird, ist allerdings extrem ungewöhnlich und beschädigt massiv den Ruf des Obersten Gerichtshofes. “Die Weitergabe eines Urteilsentwurfs ist ein massiver Verstoß gegen die vorherrschenden Normen”, twitterte etwa der Rechtsexperte Dan Epps von der Washington University in St. Louis.

Die USA wären nicht das einzige Land, in dem Abtreibungsgesetze verschärft werden. Polen etwa besitzt seit Anfang 2021 eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Abtreibungen sind nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist.

In vielen Staaten Afrikas und Lateinamerikas gelten seit langem strenge Abtreibungsverbote. 1994  haben El Salvador und Nicaragua ihre Gesetzgebungen verschärft.

Besonders drakonisch sind die Gesetze in Madagaskar und auf den Philippinen. Hier sind Abtreibungen unter allen Umständen verboten und können jahrelange Haftstrafen nach sich ziehen.

Demgegenüber stehen rund 50 Länder, die in den vergangenen 25 Jahren ihr Abtreibungsrecht zumindest teilweise liberalisiert haben, zuletzt etwa Angola, Ruanda oder Irland.

USA | Supreme Court in Washington | Änderung Abtreibunsgesetz | Demonstrationen
USA 2022 March for Life

Es ist ein Satz voller politischer Sprengkraft für die beim Thema Abtreibung tief gespaltenen USA: Das bisherige Grundsatzurteil des Obersten Verfassungsgerichts “war von Anfang an ungeheuerlich falsch”, soll einer der Verfassungsrichter, Samuel Alito, geschrieben haben.

So steht es in einem fast 100 Seiten langen mutmaßlichen Urteilsentwurf des Supreme Court, der dem US-Politmagazin Politico vorab zugespielt wurde. Dass der Supreme Court noch in diesem Sommer das seit fast 50 Jahren geltende Abtreibungsrecht auf Bundesebene über den Haufen werfen könnte, sorgt im ganzen Land für ein politisches Beben.

Was ist bislang geltendes Recht?

Die Debatte trifft die USA zu einem politisch bedeutenden Zeitpunkt. Im Herbst finden Kongresswahlen statt. Sie gelten als großer Stimmungstest für die Zufriedenheit mit dem amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden. Im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten.

1973, noch unter Präsident Richard Nixon, hatte der Oberste Gerichtshof das Grundsatzurteil mit dem Namen “Roe vs. Wade” verabschiedet. Grundsätzlich besitzen seitdem in den USA Frauen das Recht, selbst über den Abbruch oder die Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden.

US-Bundesstaaten dürfen demnach Abtreibungen im ersten Trimester der Schwangerschaft nicht, und im zweiten Trimester nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen verbieten.

1992 wurde dies durch ein Folgeurteil präzisiert: Durch den medizinischen Fortschritt gelten Föten bereits ab der 23./24. Woche außerhalb des Mutterleibes als lebensfähig – dies gilt als Richtlinie, bis zu welchem Zeitpunkt Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sein sollten.

Was würde eine Aufhebung dieses Grundsatzurteils bedeuten?

Seitdem setzen die meisten US-Bundesstaaten eine Frist von 20 Wochen nach Empfängnis; in einigen Bundesstaaten – etwa in New Mexico, Colorado oder New Jersey – sind Abtreibungen sogar bis zur Geburt erlaubt.

Warum gerade jetzt?

Das Urteil “Roe vs. Wade” war von Anfang an umstritten wie kaum eine andere Entscheidung in der Geschichte des Supreme Court. Abtreibungsgegner machen seitdem an jedem Jahrestag der Urteilsverkündung mobil und demonstrieren zu Tausenden in Washington für eine Aufhebung des Gesetzes.

Spekulationen, der Oberste Gerichtshof könnte sich nochmals mit dem Urteil “Roe vs. Wade” befassen, gibt es bereits seit 2020. Sie führten dazu, dass mehrere konservativ regierte Bundesstaaten 2021 schärfere Abtreibungsgesetze beschlossen.

Besonders ein Gesetzentwurf aus Mississippi, der Schwangerschaftsabbrüche bereits ab der 15. Woche verbieten soll, legt es direkt darauf an, “Roe vs. Wade” für ungültig zu erklären. Texas erließ im Mai 2021 ein Gesetz, das Abtreibungen nahezu vollständig verbietet, sobald ein Herzschlag des ungeborenen Kindes nachweisbar ist.

Wie sicher ist es, dass die Verschärfung eintritt?

Dies ist in der Regel nach der sechsten Schwangerschaftswoche der Fall. Der Oberste Gerichtshof ließ Texas gewähren, trotz einer Klage der US-Regierung, die fordert, dass das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit umgehend für ungültig erklärt wird.

Eine Aufhebung des Grundsatzurteils würde es jedem Bundesstaat erlauben, nahezu unbegrenzt selbst über seine Abtreibungsgesetze zu bestimmen und dadurch die Polarisierung zwischen konservativen, republikanisch geführten und liberalen demokratischen Bundesstaaten verschärfen. So grenzt Texas mit dem zurzeit strengsten Abtreibungsrecht der USA direkt an New Mexico, wo es bislang überhaupt keine zeitlichen Beschränkungen für Schwangerschaftsabbrüche gibt.

Schärfere Abtreibungsgesetze – kein weltweiter Trend

Unter dem republikanischen US-Präsidenten Donald Trump kippten die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court. Trump besetzte drei Posten mit konservativen Richtern: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Vor allem die katholische Barrett gilt als stramme Abtreibungsgegnerin. Trump selbst hatte vor allem mit Blick auf seine große evangelikale Wählerschaft mehrfach versprochen, bei der Benennung der Richter ein besonderes Augenmerk auf deren Haltung zur Abtreibung zu legen.

Noch besitzen die Konservativen eine Mehrheit von sechs zu drei im Obersten Gericht. Doch schon im Oktober wird die von Joe Biden ernannte liberale Richterin Ketanji Brown Jackson ihren Richterposten antreten, wodurch die Mehrheit für eine Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung ins Wanken geraten könnte.

USA Amy Coney legt ihr Eid ab

Bislang gibt es noch keine offizielle Bestätigung dafür, dass das nun veröffentlichte Dokument auch tatsächlich echt ist. Dennoch deuten viele Merkmale darauf hin: In Struktur, Länge und Typographie stimme der Text Experten zufolge mit anderen veröffentlichten Papieren des Gerichts überein.

Dass ein derartiger Urteilsentwurf überhaupt vorab bekannt wird, ist allerdings extrem ungewöhnlich und beschädigt massiv den Ruf des Obersten Gerichtshofes. “Die Weitergabe eines Urteilsentwurfs ist ein massiver Verstoß gegen die vorherrschenden Normen”, twitterte etwa der Rechtsexperte Dan Epps von der Washington University in St. Louis.

Die USA wären nicht das einzige Land, in dem Abtreibungsgesetze verschärft werden. Polen etwa besitzt seit Anfang 2021 eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Abtreibungen sind nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist.

In vielen Staaten Afrikas und Lateinamerikas gelten seit langem strenge Abtreibungsverbote. 1994  haben El Salvador und Nicaragua ihre Gesetzgebungen verschärft.

Besonders drakonisch sind die Gesetze in Madagaskar und auf den Philippinen. Hier sind Abtreibungen unter allen Umständen verboten und können jahrelange Haftstrafen nach sich ziehen.

Demgegenüber stehen rund 50 Länder, die in den vergangenen 25 Jahren ihr Abtreibungsrecht zumindest teilweise liberalisiert haben, zuletzt etwa Angola, Ruanda oder Irland.

Auf der grünen Insel war die Kehrtwende besonders drastisch: 2019 stimmte eine deutliche Mehrheit der Bürger in einem Referendum dafür, eines der bislang strengsten Abtreibungsgesetze der Welt deutlich zu liberalisieren. Erlaubt sind heute Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, bei medizinischen Gründen auch später.

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