Russlands zweite Front: Wie sich Europa gegen einen hybriden Krieg wappnen kann
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Experten warnen, dass die Politiker den sogenannten „hybriden Krieg“ Russlands ernster nehmen und die Bevölkerung besser vorbereiten müssten.
Seit Beginn der groß angelegten russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 wird täglich über den Krieg berichtet. Gleichzeitig führt Russland einen zweiten Krieg, der weniger Schlagzeilen macht.
Russlands sogenannter “zweiter Krieg” richtet sich gegen den Westen. “Es ist ein Krieg gegen ein (westliches) Demokratiemodell”, sagt Osteuropa-Expertin Franziska Davies.
Was Experten als Russlands „hybriden Krieg“ bezeichnen, lässt sich schwer definieren. Er umfasst alles, was nicht zu einer direkten militärischen Konfrontation führt. Davies zufolge haben die Aktionen Russlands ein gemeinsames Ziel: den Westen zu schwächen und zu destabilisieren.
Ein Beispiel für Russlands hybride Kriegsführung ist das aufgedeckte Komplott zur Ermordung des Vorstandsvorsitzenden des deutschen Automobil- und Waffenherstellers Rheinmetall mit Sitz in Düsseldorf Anfang dieses Monats. Das Komplott, über das zuerst der US-Sender CNN berichtete, war Teil eines umfassenderen Plans, Führungskräfte europäischer Rüstungsunternehmen anzugreifen, die Waffen für die Ukraine herstellen.
„Was Russland letztlich anstrebt, ist ein Europa, in dem Russland seine Ziele ungeachtet internationaler Regeln und Gesetze durchsetzen kann. Ein Europa, in dem Russland Macht mit Gewalt ausüben kann“, erklärt Franziska Davies von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die Bedrohung durch Fake News im Internet
Experten zufolge besteht Russlands hybrider Krieg aus mehreren Strategien: Hackerangriffen, Angriffen auf Einzelpersonen oder Desinformation und Fake News. „Wir alle sind Ziel dieser Kampagnen zur Informationsbeeinflussung“, sagt Tapio Pyysalo, Leiter für internationale Beziehungen beim Europäischen Zentrum zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen.
Vor den Europawahlen im Juni gab es einen koordinierten Versuch, gezielte pro-russische, impfgegnerische und anti-LGBTQ-Kampagnen in den sozialen Medien zu verbreiten.
Das niederländische private ForschungsinstitutTrollrensics stellte fest, dass im Rahmen einer großen Desinformationskampagne in Deutschland Inhalte zugunsten der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) beworben und verbreitet wurden. Das Unternehmen vermutet, dass die Bots hinter diesen Inhalten aus russischen oder pro-russischen Kreisen stammen.
Obwohl viele europäische Länder seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 ihre Sicherheitsmaßnahmen gegen hybride Angriffe verbessert haben, warnt der estnische Experte Pyysalo, dass die Länder besser auf Bedrohungen vorbereitet wären, wenn sie Daten untereinander austauschen würden. Ein solcher Datenaustausch verstößt jedoch oft gegen die nationalen Sicherheitsgesetze der einzelnen Länder.
„Was demokratische Staaten noch tun müssen, ist, ihre Gesetzgebung generell zu stärken, um Lücken zu schließen, die von hybriden Akteuren ausgenutzt werden“, sagte Pyysalo.
Wie erkennt man Desinformation?
Was täglich passieren muss und was jeder tun kann, ist, Fake News zu erkennen und nicht zu verbreiten, sagt Pyysalo. „Jeder sollte eine Rolle dabei spielen, Informationen zu überprüfen und sicherzustellen, dass alles, was sie verbreiten, auf Fakten und nicht auf Desinformationsnarrativen beruht.“
Dabei hilf, dass von Russland verbreitete Desinformationskampagnen oft ähnlichen Mustern folgen, erklärt Dr. Frank Sauer, Sicherheitspolitikexperte an der Universität der Bundeswehr München.
“Egal, ob es um den Abschuss von MH17 geht oder um die Bombardierung des Kinderkrankenhauses in Kiew: Immer heißt es zuerst, das war Wahnsinn, dann, die anderen und am Ende heißt es: ‘Okay, wir waren es, aber die haben es verdient'”, sagte Sauer.
Um Desinformationskampagnen zu entlarven, ist es Experten zufolge wichtig zu prüfen, ob andere Medien die geteilten Informationen unabhängig verifizieren. Wichtig ist auch, die Quelle der Nachrichten zu überprüfen, zum Beispiel, von welchem Social-Media-Profil sie stammen.
A Handbuch des ukrainischen Verteidigungsministeriums zum Entlarven von Fake News weist darauf hin, dass die Benutzernamen von X-Profilen oft zufällige Zahlenkombinationen sind und gefälschte Profile oft alte oder zufällig ausgewählte Bilder direkt aus den Google-Ergebnissen verwenden.
Das Ziel der russischen Desinformation sei es, so Sauer, „den Menschen ein Gefühl der Machtlosigkeit zu hinterlassen und sie davon zu überzeugen, dass sie die Wahrheit sowieso nie erfahren können.“
Hybride Angriffe können sich jedoch auch über den Online-Bereich hinaus erstrecken. Der estnische Experte für hybride Bedrohungen, Tapio Pyysalo, sagt, dass kritische Infrastrukturen im übrigen Europa ebenfalls zum Ziel russischer Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine werden könnten.
Er wolle keine Besorgnis schüren, aber „die Menschen sollten auf alle Arten von Störungen vorbereitet sein, zum Beispiel bei der Versorgung mit lebenswichtigen Dienstleistungen oder mit Lebensmitteln.“
Pyysalo fasst zusammen: „Seien Sie auf das Schlimmste vorbereitet, aber hoffen Sie natürlich auf das Beste.“
Deutschlands “Horrorszenario”
In Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas und Ziel mehrerer mutmaßlich aus Russland stammender Angriffe, besteht das Schlimmste – das „absolute Albtraumszenario“ – in dem, was Frank Sauer einen totalen Stromausfall nennt.
“Die Bevölkerung ist auf solche Situationen nicht gut vorbereitet. Wir gehen einfach davon aus, dass das Wetter immer angenehm ist, Wasser aus dem Hahn kommt und es im Supermarkt Lebensmittel gibt”, erklärt Sauer.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat Schritte unternommen, um Bedarfslistendie den Menschen rät, einen Vorrat an Lebensmitteln für zehn Tage und zwei Liter Flüssigkeit pro Person und Tag anzulegen. Zu den Empfehlungen gehört, dass ein Erste-Hilfe-Kasten für den Notfall verfügbar sein und wichtige Dokumente aufbewahrt werden sollten, um sie im Notfall schnell mitnehmen zu können.
Notwendigkeit des Aufbaus zivilen Widerstands
In solchen möglichen Ausnahmesituationen sei der Aufbau ziviler Widerstandskraft wichtiger als die militärische Stärkung, argumentiert Sauer.
Der deutsche Sicherheitsexperte erklärt: “Wir brauchen grundsätzlich eine Reserve an Leuten, die im Notfall helfen können. Wir brauchen Leute, die Sandsäcke stapeln und die Notstromaggregate aus der Halle holen und anwerfen können.”
In Deutschland müsse es darum gehen, dass man “im Notfall so organisieren kann, dass jeder eine warme Decke hat, dass die Kinder eine Spielecke haben, dass es Notstromaggregate gibt, an denen Handys geladen werden können und dass jemand Suppe kochen kann”.
Dies sei nicht nur bei externen Angriffen auf die Infrastruktur wichtig, betont Sauer; auch die Klimakrise könne Auslöser von Stromausfällen sein.
Seine Hoffnung sei, „dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, dass wir als Gesellschaft Geld, aber auch Zeit investieren sollten.“ Er spricht etwa davon, dass Bürger zwölf Monate beim Technischen Hilfswerk, bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder auch bei der Bundeswehr verbringen. „Damit ich weiß, was zu tun ist, wenn in meiner Gemeinde oder Nachbarschaft etwas kaputtgeht.“