Ukraine: Kommt die ersehnte Gegenoffensive bei Cherson?
Seit Wochen wird mit einer Gegenoffensive der ukrainischen Armee im Süden bei Cherson gerechnet. Ob sie inzwischen begonnen hat, ist immer noch unklar. Der Zeitpunkt scheint jedenfalls günstig.
Kann die Ukraine russische Truppen zurückdrängen? Ist im Süden des Landes das möglich, was zuvor im Norden gelungen ist? Wann ist es so weit? Fragen, die sich Millionen Ukrainer in diesen Tagen stellen. Hinweise auf eine lange erwartete Gegenoffensive im Süden Richtung Cherson mehren sich, doch die Lage ist unübersichtlich.
Zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine scheiterte Russlands Versuch, Kiew einzunehmen – Moskau zog seine Truppen nördlich der ukrainischen Hauptstadt Ende März ab. Die Ukraine konnte besetzte Landesteile zurückerobern. Ein halbes Jahr später hofft die Regierung in Kiew, auch im Süden diesen Erfolg wiederholen zu können. Im Mittelpunkt steht dabei Cherson, die Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets. Vertreter der ukrainischen Armee sprachen am Montag von “Offensivoperationen” im Süden – und sorgten damit weltweit für Aufsehen.
Kann die Ukraine russische Truppen zurückdrängen? Ist im Süden des Landes das möglich, was zuvor im Norden gelungen ist? Wann ist es so weit? Fragen, die sich Millionen Ukrainer in diesen Tagen stellen. Hinweise auf eine lange erwartete Gegenoffensive im Süden Richtung Cherson mehren sich, doch die Lage ist unübersichtlich.
Westliche Medien berichteten von einigen Dörfern, die die ukrainische Armee zurückerobert haben soll. Die Kiewer Führung ist vorsichtig und hält sich mit Erfolgsmeldungen zurück. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, es würden keine Details zu dem Einsatz veröffentlicht. Eine Bestätigung kam jedoch von der russischen Seite. Der Versuch einer ukrainischen Gegenoffensive sei zurückgeschlagen worden, so das Verteidigungsministerium in Moskau. “Man hat schon das Gefühl, dass etwas Großes beginnt, doch sicher sind wir noch nicht”, sagt Ben Hodges, ehemaliger Befehlshaber der US-Truppen in Europa, im DW-Gespräch. “Es müsste in den kommenden Tagen viel mehr passieren.”
Eine Offensive ohne klare Bestätigung
Cherson ist die bisher größte ukrainische Stadt, die Russland seit dem Überfall im Februar besetzt hat. Damals konnte die russische Armee innerhalb weniger Tage von der annektierten Krim aus weit nach Norden vorstoßen, einen Landkorridor zu der Halbinsel sichern und einen Großteil ukrainischer Küstengebiete am Asowschen und Schwarzen Meer erobern. Diese Gebiete sind von strategischer Bedeutung. Zum einen wurden über die dortigen Häfen ukrainische Waren exportiert. Zum anderen wurde die Krim ursprünglich von dort aus mit Süßwasser aus dem größten ukrainischen Fluss Dnipro versorgt. Die Ukraine hatte diese Versorgung nach der Annexion 2014 gekappt. Nun lässt die russische Armee das Wasser über einen Kanal wieder auf die Halbinsel fließen.
Über eine ukrainische Gegenoffensive im Süden wurde seit Wochen spekuliert. Der Präsident habe eine Rückeroberung der Küstengebiete angeordnet, sagte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow im Juli in einem Interview mit der britischen “Times”. Hat diese Offensive jetzt also begonnen oder nicht? Der Moment scheint jedenfalls günstig. “Sollte die Ukraine tatsächlich mit der Offensive beginnen, so hat sie den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort ausgesucht”, meint der ehemalige US-General Hodges.
Mit Hilfe westlicher Waffen, vor allem des US-amerikanischen Mehrfachraketenwerfers HIMARS, konnte die ukrainische Armee die wichtigsten Versorgungswege russischer Truppen am rechten Ufer des Dnipro bei Cherson zerstören oder erschweren. Auch die Stadt selbst liegt am rechten Ufer und ist für russischen Nachschub momentan schwer zu erreichen. Satellitenaufnahmen belegen Berichte der ukrainischen Armee über beschädigte Brücken bei Cherson. Ziel von HIMARS-Einsätzen seien auch russische Kommandostrukturen, sagt Hodges.
Die Regierung in Kiew steht unter doppeltem Druck. Die angekündigte Offensive im Süden hat in der Bevölkerung Erwartungen geweckt. Eine große Sehnsucht nach militärischen Erfolgen ist spürbar in der Gesellschaft. “Kiew steht unter dem Druck, dass die Armee nicht nur das Land verteidigt, sondern auch angreift”, so der Militärexperte Bradley Bowman von der US-amerikanischen Denkfabrik FDD gegenüber der DW. Das sei vor dem Hintergrund des Leidens im Land verständlich. Außerdem könnte sich das zurzeit offene Zeitfenster für Kiew bald schließen. Beobachter in der Ukraine und im Westen rechnen damit, dass Moskau zusätzliche Verbände in die Region schicken wird. Es gibt erste Berichte über Truppenverlegungen.
Außerdem laufen Vorbereitungen für ein “Referendum” an, mit dem Russland die Annexion der südukrainischen Gebiete begründen will – ähnlich wie auf der Krim. Diese Offensive sehe “wesentlich größer aus” als bisherige Vorstöße, betont der britische Militärexperte Justin Crump im DW-Gespräch. “Sie könnte dem entsprechen, was sich der ukrainische Präsident gewünscht hatte.” Die Ukraine habe den Plan gehabt, in Cherson militärische Erfolge zu erzielen, bevor Russland dort im September ein “Referendum” durchführen könne. Schließlich dürfte im Spätherbst das kalte und regnerische Wetter eine ukrainische Offensive erschweren.
Präsident Selenskyj hatte im Juni in einer Videoschalte beim G7-Gipfel in Elmau gesagt, er würde den Krieg gerne bis zum Wintereinbruch beenden. Als er Ende August von einem DW-Reporter auf diese Frist angesprochen wurde, antwortete er ausweichend. Seine Kernbotschaft: Die Ukraine sei entschlossen, sich zu verteidigen, und sie sei nicht um jeden Preis an Verhandlungen mit Russland interessiert.
Kann die Ukraine russische Truppen zurückdrängen? Ist im Süden des Landes das möglich, was zuvor im Norden gelungen ist? Wann ist es so weit? Fragen, die sich Millionen Ukrainer in diesen Tagen stellen. Hinweise auf eine lange erwartete Gegenoffensive im Süden Richtung Cherson mehren sich, doch die Lage ist unübersichtlich.
Zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine scheiterte Russlands Versuch, Kiew einzunehmen – Moskau zog seine Truppen nördlich der ukrainischen Hauptstadt Ende März ab. Die Ukraine konnte besetzte Landesteile zurückerobern. Ein halbes Jahr später hofft die Regierung in Kiew, auch im Süden diesen Erfolg wiederholen zu können. Im Mittelpunkt steht dabei Cherson, die Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets. Vertreter der ukrainischen Armee sprachen am Montag von “Offensivoperationen” im Süden – und sorgten damit weltweit für Aufsehen.
Eine Offensive ohne klare Bestätigung
Westliche Medien berichteten von einigen Dörfern, die die ukrainische Armee zurückerobert haben soll. Die Kiewer Führung ist vorsichtig und hält sich mit Erfolgsmeldungen zurück. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, es würden keine Details zu dem Einsatz veröffentlicht. Eine Bestätigung kam jedoch von der russischen Seite. Der Versuch einer ukrainischen Gegenoffensive sei zurückgeschlagen worden, so das Verteidigungsministerium in Moskau. “Man hat schon das Gefühl, dass etwas Großes beginnt, doch sicher sind wir noch nicht”, sagt Ben Hodges, ehemaliger Befehlshaber der US-Truppen in Europa, im DW-Gespräch. “Es müsste in den kommenden Tagen viel mehr passieren.”
Cherson ist die bisher größte ukrainische Stadt, die Russland seit dem Überfall im Februar besetzt hat. Damals konnte die russische Armee innerhalb weniger Tage von der annektierten Krim aus weit nach Norden vorstoßen, einen Landkorridor zu der Halbinsel sichern und einen Großteil ukrainischer Küstengebiete am Asowschen und Schwarzen Meer erobern. Diese Gebiete sind von strategischer Bedeutung. Zum einen wurden über die dortigen Häfen ukrainische Waren exportiert. Zum anderen wurde die Krim ursprünglich von dort aus mit Süßwasser aus dem größten ukrainischen Fluss Dnipro versorgt. Die Ukraine hatte diese Versorgung nach der Annexion 2014 gekappt. Nun lässt die russische Armee das Wasser über einen Kanal wieder auf die Halbinsel fließen.
Über eine ukrainische Gegenoffensive im Süden wurde seit Wochen spekuliert. Der Präsident habe eine Rückeroberung der Küstengebiete angeordnet, sagte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow im Juli in einem Interview mit der britischen “Times”. Hat diese Offensive jetzt also begonnen oder nicht? Der Moment scheint jedenfalls günstig. “Sollte die Ukraine tatsächlich mit der Offensive beginnen, so hat sie den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort ausgesucht”, meint der ehemalige US-General Hodges.
Mit Hilfe westlicher Waffen, vor allem des US-amerikanischen Mehrfachraketenwerfers HIMARS, konnte die ukrainische Armee die wichtigsten Versorgungswege russischer Truppen am rechten Ufer des Dnipro bei Cherson zerstören oder erschweren. Auch die Stadt selbst liegt am rechten Ufer und ist für russischen Nachschub momentan schwer zu erreichen. Satellitenaufnahmen belegen Berichte der ukrainischen Armee über beschädigte Brücken bei Cherson. Ziel von HIMARS-Einsätzen seien auch russische Kommandostrukturen, sagt Hodges.
Darum ist Cherson wichtig
Die Regierung in Kiew steht unter doppeltem Druck. Die angekündigte Offensive im Süden hat in der Bevölkerung Erwartungen geweckt. Eine große Sehnsucht nach militärischen Erfolgen ist spürbar in der Gesellschaft. “Kiew steht unter dem Druck, dass die Armee nicht nur das Land verteidigt, sondern auch angreift”, so der Militärexperte Bradley Bowman von der US-amerikanischen Denkfabrik FDD gegenüber der DW. Das sei vor dem Hintergrund des Leidens im Land verständlich. Außerdem könnte sich das zurzeit offene Zeitfenster für Kiew bald schließen. Beobachter in der Ukraine und im Westen rechnen damit, dass Moskau zusätzliche Verbände in die Region schicken wird. Es gibt erste Berichte über Truppenverlegungen.
Ex-US-General: Richtiger Zeitpunkt und Ort
Außerdem laufen Vorbereitungen für ein “Referendum” an, mit dem Russland die Annexion der südukrainischen Gebiete begründen will – ähnlich wie auf der Krim. Diese Offensive sehe “wesentlich größer aus” als bisherige Vorstöße, betont der britische Militärexperte Justin Crump im DW-Gespräch. “Sie könnte dem entsprechen, was sich der ukrainische Präsident gewünscht hatte.” Die Ukraine habe den Plan gehabt, in Cherson militärische Erfolge zu erzielen, bevor Russland dort im September ein “Referendum” durchführen könne. Schließlich dürfte im Spätherbst das kalte und regnerische Wetter eine ukrainische Offensive erschweren.
Präsident Selenskyj hatte im Juni in einer Videoschalte beim G7-Gipfel in Elmau gesagt, er würde den Krieg gerne bis zum Wintereinbruch beenden. Als er Ende August von einem DW-Reporter auf diese Frist angesprochen wurde, antwortete er ausweichend. Seine Kernbotschaft: Die Ukraine sei entschlossen, sich zu verteidigen, und sie sei nicht um jeden Preis an Verhandlungen mit Russland interessiert.