Warum Bertolt Brecht auf der ganzen Welt gespielt wird
Von den Nazis vertrieben, lebte Brecht 15 Jahre im Exil. Seine Helden waren immer Menschen aus einfachen Verhältnissen.
Am 10. Februar 2023 wäre der deutsche Autor Bertolt Brecht 125 Jahre alt geworden. Seine Geburtsstadt Augsburg ehrt ihn mit einem Festival unter dem Motto “Worldwide Brecht”, denn der von den Nazis verfolgte Bühnenautor, der jahrelang im Exil leben musste, hat sich längst zum deutschen Exportschlager entwickelt.
Mit seiner “Dreigroschenoper” (1928), bis heute eines der meistgespielten Musiktheaterstücke der Welt, eroberte er Großbritannien und die USA, aber auch in Japan, Togo und Polen werden seine Stücke heute noch regelmäßig aufgeführt.
Am 10. Februar 2023 wäre der deutsche Autor Bertolt Brecht 125 Jahre alt geworden. Seine Geburtsstadt Augsburg ehrt ihn mit einem Festival unter dem Motto “Worldwide Brecht”, denn der von den Nazis verfolgte Bühnenautor, der jahrelang im Exil leben musste, hat sich längst zum deutschen Exportschlager entwickelt.
In Lomé inszeniert Regisseur Ramsès Alfa eines von Brechts berühmtesten Stücken, “Mutter Courage und ihre Kinder” (1941). Darin geht es um eine Mutter, die versucht, ihre Kinder heil durch einen Krieg zu bringen. Ramsès Alfa erinnert das an die Erntehelferinnen auf den Erdnussfeldern in Togo, die mit ihren Babys auf dem Rücken in sengender Hitze für einen kargen Lohn arbeiten. Oder die Straßenverkäuferinnen in der Hauptstadt Lomé, die auf der Suche nach Kundschaft mit schwerem Gepäck aus Limonaden, Früchten oder Stoffen um die Häuser ziehen, um ihren Familien wenigstens ein kleines Einkommen zu sichern. “Der inhaltliche Schwerpunkt auf sozialen Themen bei Brecht macht ihn zu einem Schriftsteller für Afrika”, zeigt sich Alfa gegenüber den Brechtfestspielen überzeugt.
Brecht in Japan
Aber auch in Japan ist Bertolt Brecht eine bekannte Größe: Laut Untersuchungen der Wissenschaftlerin Monika Ayugai von der City University New York war er zu Beginn des 21. Jahrhunderts einer der meistgespielten ausländischen Autorinnen und Autoren, nur kurz hinter William Shakespeare. Yagi Hiroshi, Theaterwissenschaftler aus Osaka, bezeichnete Brecht vor einigen Jahren als den deutschen Schriftsteller, von dem man in Japan am meisten höre.
Im Exil beschäftigte sich Brecht selber mit japanischer Literatur. Zu Gast bei seiner Kollegin Hella Wuolijoki in Finnland entdeckt er das japanische Drama “Die traurige Geschichte einer Frau, die Geschichte von Chink Okichi”, in dem eine Geisha im 19. Jahrhundert einen US-Konsul verführt, um ihre Heimatstadt Shimoda vor dem Beschuss durch die Amerikaner zu retten. Von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern wird sie dafür als Flittchen und Verräterin gedemütigt. Brecht beginnt das Stück zu übersetzen, fasziniert von dem Schicksal der Sexarbeiterin, die trotz ihrer Heldenhaftigkeit verstoßen wird. Es bleibt aber bei einzelnen Szenen.
Arbeiter, Prostituierte, Geflüchtete: Ramsès Alfa glaubt, dass Brecht auch knapp 70 Jahre nach seinem Tod so beliebt ist, weil er von Menschen erzählt, die wenig haben, die unterdrückt werden, die in der Gesellschaft ganz unten stehen. “Brechts Helden sind oft Menschen aus bescheidenen Verhältnissen”, so Alfa, der auch als Schauspieler tätig ist.
Brecht verbrachte 15 Jahre im Exil, bevor er nach nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Deutschland zurückkehrte, in die DDR. Immer wieder kritisierte er in seinen Stücken die Ungerechtigkeit des Kapitalismus.
“Das klingt paradox, aber Brecht, der als Mensch und Künstler mit äußerst linken Ansichten eigentlich der Ideologie und Ästhetik von Sowjetrussland und Sowjetunion sehr nahestehen sollte, war es überhaupt nicht”, stellt die russische Theaterwissenschaftlerin Marina Davydova fest. Wegen Putins Krieg gegen die Ukraine musste Davydova, die zu den bedeutendsten russischen Theaterwissenschaftlerinnen zählt, ins Exil gehen und ist zurzeit designierte neue Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele. Eher zögerlich und in homöopathischen Dosen wurde “Genosse Brecht” in Sowjetrussland zugelassen, die Obrigkeit spürte das sprengende Potenzial seiner Kunst. Erst die Tauwetter-Periode nach Stalins Tod brachte einen Durchbruch.
Umso größere Bedeutung hatte die Figur von Bert Brecht für die freie Theaterszene in der Sowjetunion, Russland und anderen Staaten des Ostblocks, so Davydova im DW-Gespräch. “Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel gerade die zwei revolutionärsten Theater der ganzen russischen Nachkriegsgeschichte – das Taganka-Theater unter dem Regisseur Juri Ljubimow in den 1960er- und 1970er-Jahren und das Gogol-Zentrum von Kirill Serebrennikow bis zu seiner Schließung im Juli 2022 genau an Brechts Theatersprache appellierten”.
Neben dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Brecht-Theater und jeglicher totalitären Ideologie sieht Davydova auch eine ästhetische Dimension des Widerspruchs: Klassisches russisches und auch weitestgehend europäisches Theater wurzele in der realistischen Tradition von Konstantin Stanislawski, die einen gewissen Kontrapunkt zum Brecht-Theater darstellt. “Bei Stanislawski spielt sich die Handlung quasi in einem Raum mit vier Wänden ab, die Schauspieler tun so, als ob das Publikum nicht existiere”, analysiert Davydova. “Bei Brecht fehlt diese ‘vierte Wand’, seine Figuren sprechen das Publikum direkt an”.
Gerade deswegen sieht Davydova eher schwarz, was die Chancen von Brechts Theater im Putin-Russland von heute anbelangt: “Wenn ein Überleben des russischen Theaters, bei der Zensur, die es momentan gibt, überhaupt möglich ist, dann nur in einer Art Elfenbeinturm, nach dem Motto: ‘Da draußen passiert was Schreckliches, ich kümmere mich aber um meine metaphysischen Probleme.’ Aber das ist genau die Lüge, die Brechts Theater nicht duldet.”
Auch die aus Russland ebenso geflohene Theatermacherin Anastasia Patlay bestätigt diese Meinung: “Brecht fordert von jedem Zuschauer Engagiertheit, Verantwortung für das, was passiert, auch außerhalb des Theaters”. Auch das Moskauer theater.doc, für das Patlay zuletzt inszenierte, arbeitete mit dem Thema der sozialen Verantwortung. Das letzte Stück, dass Patlay in Russland inszenierte, hieß “Memoria” und war zwei Themen gewidmet: zum einen derSchließung der Menschenrechtsorganisation “Memorial”, zum anderen dem Versuch Bertolt Brechts, sich Ende der 1930er-Jahre für die Schauspielerin Carola Näher einzusetzen.
Näher, die erste Polly bei der Uraufführung der “Dreigroschenoper”, wurde 1936 in der Sowjetunion verhaftet und kam im GULAG um. Anastasia Patlay ist ab Februar die erste Stipendiatin des “Artists in Residence”-Programms in Brechts Geburtshaus in Augsburg. “So hat Brecht uns nun ein Zuhause gewährt”, so Patlay.
Am 10. Februar 2023 wäre der deutsche Autor Bertolt Brecht 125 Jahre alt geworden. Seine Geburtsstadt Augsburg ehrt ihn mit einem Festival unter dem Motto “Worldwide Brecht”, denn der von den Nazis verfolgte Bühnenautor, der jahrelang im Exil leben musste, hat sich längst zum deutschen Exportschlager entwickelt.
Mit seiner “Dreigroschenoper” (1928), bis heute eines der meistgespielten Musiktheaterstücke der Welt, eroberte er Großbritannien und die USA, aber auch in Japan, Togo und Polen werden seine Stücke heute noch regelmäßig aufgeführt.
Brecht in Japan
In Lomé inszeniert Regisseur Ramsès Alfa eines von Brechts berühmtesten Stücken, “Mutter Courage und ihre Kinder” (1941). Darin geht es um eine Mutter, die versucht, ihre Kinder heil durch einen Krieg zu bringen. Ramsès Alfa erinnert das an die Erntehelferinnen auf den Erdnussfeldern in Togo, die mit ihren Babys auf dem Rücken in sengender Hitze für einen kargen Lohn arbeiten. Oder die Straßenverkäuferinnen in der Hauptstadt Lomé, die auf der Suche nach Kundschaft mit schwerem Gepäck aus Limonaden, Früchten oder Stoffen um die Häuser ziehen, um ihren Familien wenigstens ein kleines Einkommen zu sichern. “Der inhaltliche Schwerpunkt auf sozialen Themen bei Brecht macht ihn zu einem Schriftsteller für Afrika”, zeigt sich Alfa gegenüber den Brechtfestspielen überzeugt.
Aber auch in Japan ist Bertolt Brecht eine bekannte Größe: Laut Untersuchungen der Wissenschaftlerin Monika Ayugai von der City University New York war er zu Beginn des 21. Jahrhunderts einer der meistgespielten ausländischen Autorinnen und Autoren, nur kurz hinter William Shakespeare. Yagi Hiroshi, Theaterwissenschaftler aus Osaka, bezeichnete Brecht vor einigen Jahren als den deutschen Schriftsteller, von dem man in Japan am meisten höre.
Im Exil beschäftigte sich Brecht selber mit japanischer Literatur. Zu Gast bei seiner Kollegin Hella Wuolijoki in Finnland entdeckt er das japanische Drama “Die traurige Geschichte einer Frau, die Geschichte von Chink Okichi”, in dem eine Geisha im 19. Jahrhundert einen US-Konsul verführt, um ihre Heimatstadt Shimoda vor dem Beschuss durch die Amerikaner zu retten. Von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern wird sie dafür als Flittchen und Verräterin gedemütigt. Brecht beginnt das Stück zu übersetzen, fasziniert von dem Schicksal der Sexarbeiterin, die trotz ihrer Heldenhaftigkeit verstoßen wird. Es bleibt aber bei einzelnen Szenen.
Arbeiter, Prostituierte, Geflüchtete: Ramsès Alfa glaubt, dass Brecht auch knapp 70 Jahre nach seinem Tod so beliebt ist, weil er von Menschen erzählt, die wenig haben, die unterdrückt werden, die in der Gesellschaft ganz unten stehen. “Brechts Helden sind oft Menschen aus bescheidenen Verhältnissen”, so Alfa, der auch als Schauspieler tätig ist.
Brecht im Osten: ein fremder Freund
Brecht verbrachte 15 Jahre im Exil, bevor er nach nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Deutschland zurückkehrte, in die DDR. Immer wieder kritisierte er in seinen Stücken die Ungerechtigkeit des Kapitalismus.
Unter Putin hat Brechts Theater keine Chance
“Das klingt paradox, aber Brecht, der als Mensch und Künstler mit äußerst linken Ansichten eigentlich der Ideologie und Ästhetik von Sowjetrussland und Sowjetunion sehr nahestehen sollte, war es überhaupt nicht”, stellt die russische Theaterwissenschaftlerin Marina Davydova fest. Wegen Putins Krieg gegen die Ukraine musste Davydova, die zu den bedeutendsten russischen Theaterwissenschaftlerinnen zählt, ins Exil gehen und ist zurzeit designierte neue Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele. Eher zögerlich und in homöopathischen Dosen wurde “Genosse Brecht” in Sowjetrussland zugelassen, die Obrigkeit spürte das sprengende Potenzial seiner Kunst. Erst die Tauwetter-Periode nach Stalins Tod brachte einen Durchbruch.
Umso größere Bedeutung hatte die Figur von Bert Brecht für die freie Theaterszene in der Sowjetunion, Russland und anderen Staaten des Ostblocks, so Davydova im DW-Gespräch. “Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel gerade die zwei revolutionärsten Theater der ganzen russischen Nachkriegsgeschichte – das Taganka-Theater unter dem Regisseur Juri Ljubimow in den 1960er- und 1970er-Jahren und das Gogol-Zentrum von Kirill Serebrennikow bis zu seiner Schließung im Juli 2022 genau an Brechts Theatersprache appellierten”.
Neben dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Brecht-Theater und jeglicher totalitären Ideologie sieht Davydova auch eine ästhetische Dimension des Widerspruchs: Klassisches russisches und auch weitestgehend europäisches Theater wurzele in der realistischen Tradition von Konstantin Stanislawski, die einen gewissen Kontrapunkt zum Brecht-Theater darstellt. “Bei Stanislawski spielt sich die Handlung quasi in einem Raum mit vier Wänden ab, die Schauspieler tun so, als ob das Publikum nicht existiere”, analysiert Davydova. “Bei Brecht fehlt diese ‘vierte Wand’, seine Figuren sprechen das Publikum direkt an”.
Gerade deswegen sieht Davydova eher schwarz, was die Chancen von Brechts Theater im Putin-Russland von heute anbelangt: “Wenn ein Überleben des russischen Theaters, bei der Zensur, die es momentan gibt, überhaupt möglich ist, dann nur in einer Art Elfenbeinturm, nach dem Motto: ‘Da draußen passiert was Schreckliches, ich kümmere mich aber um meine metaphysischen Probleme.’ Aber das ist genau die Lüge, die Brechts Theater nicht duldet.”
Auch die aus Russland ebenso geflohene Theatermacherin Anastasia Patlay bestätigt diese Meinung: “Brecht fordert von jedem Zuschauer Engagiertheit, Verantwortung für das, was passiert, auch außerhalb des Theaters”. Auch das Moskauer theater.doc, für das Patlay zuletzt inszenierte, arbeitete mit dem Thema der sozialen Verantwortung. Das letzte Stück, dass Patlay in Russland inszenierte, hieß “Memoria” und war zwei Themen gewidmet: zum einen derSchließung der Menschenrechtsorganisation “Memorial”, zum anderen dem Versuch Bertolt Brechts, sich Ende der 1930er-Jahre für die Schauspielerin Carola Näher einzusetzen.
Näher, die erste Polly bei der Uraufführung der “Dreigroschenoper”, wurde 1936 in der Sowjetunion verhaftet und kam im GULAG um. Anastasia Patlay ist ab Februar die erste Stipendiatin des “Artists in Residence”-Programms in Brechts Geburtshaus in Augsburg. “So hat Brecht uns nun ein Zuhause gewährt”, so Patlay.