Deutschlands Sicherheitsstrategie: Großer Wurf oder unendliche Geschichte?
Seit einem Vierteljahr wartet Deutschland auf seine erste Nationale Sicherheitsstrategie. Jetzt wurde die Vorstellung erneut verschoben. Das Projekt ist ambitioniert – und sorgt für Streit in der Regierungskoalition.
Es ist schon wieder passiert: Die Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie wurde ein weiteres Mal verschoben. Das Kabinett wird jetzt frühestens Mitte Juni grünes Licht für das schon seit Februar erwartete Grundlagendokument geben. Eine für den 25. Mai geplante Diskussion der Sicherheitsstrategie im Bundestag wurde abgesagt. Eine der Folgen: Wenn sich die deutsche und die chinesische Regierung am 20. Juni in Berlin zu Regierungskonsultationen treffen, wird das geschehen, ohne dass die ebenfalls schon lange angekündigte China-Strategie vorliegen wird. Denn die soll auf der Nationalen Sicherheitsstrategie aufbauen. Wie so vieles andere.
Der Anspruch dieser Nationalen Sicherheitsstrategie ist ambitioniert. Zum ersten Mal will Deutschland eine umfassende Vermessung des außen- und sicherheitspolitischen Umfelds unter dem Begriff der “Integrierten Sicherheit” vornehmen. Basierend auf der Erkenntnis: Sicherheitspolitik ist mehr als Militär plus Diplomatie. In diesem Licht, erläutert der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt, “gehören zur Sicherheit ganz viele Dinge: von der Bildungspolitik über die Gesundheitspolitik bis zu Umwelt-, Ernährungs- und Finanzpolitik.” Arlt, vor seinem Einzug ins Parlament Major der Bundeswehr, folgert: “Damit haben wir jede Menge Sicherstellungsbereiche und Dimensionen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir über Sicherheit als Gesamtes sprechen”.
Es ist schon wieder passiert: Die Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie wurde ein weiteres Mal verschoben. Das Kabinett wird jetzt frühestens Mitte Juni grünes Licht für das schon seit Februar erwartete Grundlagendokument geben. Eine für den 25. Mai geplante Diskussion der Sicherheitsstrategie im Bundestag wurde abgesagt. Eine der Folgen: Wenn sich die deutsche und die chinesische Regierung am 20. Juni in Berlin zu Regierungskonsultationen treffen, wird das geschehen, ohne dass die ebenfalls schon lange angekündigte China-Strategie vorliegen wird. Denn die soll auf der Nationalen Sicherheitsstrategie aufbauen. Wie so vieles andere.
Die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte sich die Erstellung dieses sicherheitspolitischen Kompasses für so viele Politikfelder schon im Koalitionsvertrag vorgenommen. Damals herrschte noch Frieden in Europa. Als Mitte März 2022 mit einer Rede von Außenministerin Annalena Baerbock offiziell die Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie begann, tobte seit drei Wochen der Krieg in der Ukraine. Und Baerbock definierte als Ziel des Vorhabens nichts Geringeres als “die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens”. Den Dreiklang dazu bilden sollen: Wehrhaftigkeit, Resilienz, Nachhaltigkeit.
“Sicherheit der Freiheit unseres Lebens”
Hinter diesem Ziel kann sich auch die Opposition versammeln. So steht etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl hinter der Entwicklung der Sicherheitsstrategie: “Wenn wir uns die Bedrohungslage anschauen, hybride Bedrohungen, Lieferketten, Abhängigkeiten, selbst im Medikamentenbereich, dann ist klar, dass wir eine ganzheitliche Betrachtung brauchen und Antworten finden müssen.” Zugleich streut Erndl genüsslich Salz in die Wunde der wiederholt verschobenen Vorstellung des Papiers: “Aber es muss dann natürlich auch ein konkretes Ergebnis kommen. Und das ist leider bisher nicht sichtbar.”
Die Schlussfolgerung des Oppositionspolitikers: “Offensichtlich ist sich die Regierung in zentralen Fragen nicht einig!”. Erndl erinnert an die in Deutschland gepflegte Tradition, “in außenpolitischen Fragen die wesentlichen Entscheidungen mit großer Geschlossenheit zu treffen”. Und kritisiert, jetzt bekämen es die Regierungsparteien nicht einmal hin, gemeinsam so ein Dokument vorzulegen.
Vielleicht hätte sich die Regierung und das bei der Strategieentwicklung federführende Auswärtige Amt von vornherein nicht so sehr zeitlich unter Druck setzen müssen. Es geht schließlich um einen komplexen Prozess mit sehr vielen Beteiligten, erklärt Antonia Witt von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, HSFK: “Das braucht einen breiten Verständigungsprozess innerhalb der Regierung, aber eben auch mit der Bevölkerung und mit Expert*innen darüber, was eigentlich die Sicherheitsherausforderungen sind, welche Bedrohungsszenarien wir zu erwarten haben in der Zukunft und welche Mittel Deutschland einsetzen möchte, um welche Ziele in der Sicherheitspolitik zu erreichen. Und das ist ein sehr, sehr wichtiger politischer Prozess.” Und weil die Strategie alle Politikbereiche betrifft, muss sie “eben auch sehr viele politisch umstrittene Fragen abdecken”, sagt die Politikwissenschaftlerin.
Vieles ist bereits ausverhandelt und festgeschrieben in der Nationalen Sicherheitsstrategie, nach Zeitungsberichten auf gerade einmal 36 Seiten. Aber eben nicht alles. Streit gibt es nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters unter anderem bei der Frage von Rüstungsexporten und im Bereich Cybersicherheit. Das FDP-geführte Justizministerium sperrt sich gegen sogenannte “Hackbacks”. Gemeint ist die Erlaubnis, nach einem Cyberangriff selbst Angreifer attackieren zu können.
Ein großer Streitfaktor sei auch, ob das Zwei-Prozent-Ziel der NATO in der Strategie festgeschrieben werden soll, führt Politikwissenschaftlerin Witt aus. “Da war die Frage, ob es einen unmittelbaren Ausgleich von militärischen und nichtmilitärischen Ausgaben geben muss, also, ob für jeden Euro, der militärisch ausgegeben wird, auch ein Euro in nichtmilitärische Maßnahmen investiert werden soll. Damit ist vor allen Dingen Krisendiplomatie gemeint, aber auch Entwicklungszusammenarbeit”, sagt Witt.
Bereits vor längerer Zeit begraben wurde der Plan, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten. Der hätte als Koordinierungsstelle dienen können, um ressortübergreifend Antworten auf Krisen und Herausforderungen zu finden. “Weil strittig ist, wo dieser Nationale Sicherheitsrat angesiedelt werden soll”, vermutet Antonia Witt. Medienberichten zufolge wollten sowohl das Kanzleramt als auch das Außenministerium den Sicherheitsrat unter ihrem Dach haben.
SPD-Parlamentarier Arlt sieht die Verschiebung des Vorstellungstermins gelassen. Und richtet den Blick auf das – hoffentlich bald vorliegende – Ergebnis: “Eine Sicherheitsstrategie soll natürlich helfen, dass es im Endeffekt schneller geht und schneller Entscheidungen getroffen werden können”, sagt der Politiker. “Darum sehe ich es jetzt auch nicht als Schwäche, dass wir es immer wieder verschieben, und nochmal einen Monat, und nochmal einen Monat. Das ist für uns ein neuer Prozess. Wenn das Produkt gut wird, dann hat sich das Warten gelohnt.”
Es ist schon wieder passiert: Die Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie wurde ein weiteres Mal verschoben. Das Kabinett wird jetzt frühestens Mitte Juni grünes Licht für das schon seit Februar erwartete Grundlagendokument geben. Eine für den 25. Mai geplante Diskussion der Sicherheitsstrategie im Bundestag wurde abgesagt. Eine der Folgen: Wenn sich die deutsche und die chinesische Regierung am 20. Juni in Berlin zu Regierungskonsultationen treffen, wird das geschehen, ohne dass die ebenfalls schon lange angekündigte China-Strategie vorliegen wird. Denn die soll auf der Nationalen Sicherheitsstrategie aufbauen. Wie so vieles andere.
Der Anspruch dieser Nationalen Sicherheitsstrategie ist ambitioniert. Zum ersten Mal will Deutschland eine umfassende Vermessung des außen- und sicherheitspolitischen Umfelds unter dem Begriff der “Integrierten Sicherheit” vornehmen. Basierend auf der Erkenntnis: Sicherheitspolitik ist mehr als Militär plus Diplomatie. In diesem Licht, erläutert der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt, “gehören zur Sicherheit ganz viele Dinge: von der Bildungspolitik über die Gesundheitspolitik bis zu Umwelt-, Ernährungs- und Finanzpolitik.” Arlt, vor seinem Einzug ins Parlament Major der Bundeswehr, folgert: “Damit haben wir jede Menge Sicherstellungsbereiche und Dimensionen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir über Sicherheit als Gesamtes sprechen”.
“Sicherheit der Freiheit unseres Lebens”
Die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte sich die Erstellung dieses sicherheitspolitischen Kompasses für so viele Politikfelder schon im Koalitionsvertrag vorgenommen. Damals herrschte noch Frieden in Europa. Als Mitte März 2022 mit einer Rede von Außenministerin Annalena Baerbock offiziell die Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie begann, tobte seit drei Wochen der Krieg in der Ukraine. Und Baerbock definierte als Ziel des Vorhabens nichts Geringeres als “die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens”. Den Dreiklang dazu bilden sollen: Wehrhaftigkeit, Resilienz, Nachhaltigkeit.
Hinter diesem Ziel kann sich auch die Opposition versammeln. So steht etwa der CSU-Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl hinter der Entwicklung der Sicherheitsstrategie: “Wenn wir uns die Bedrohungslage anschauen, hybride Bedrohungen, Lieferketten, Abhängigkeiten, selbst im Medikamentenbereich, dann ist klar, dass wir eine ganzheitliche Betrachtung brauchen und Antworten finden müssen.” Zugleich streut Erndl genüsslich Salz in die Wunde der wiederholt verschobenen Vorstellung des Papiers: “Aber es muss dann natürlich auch ein konkretes Ergebnis kommen. Und das ist leider bisher nicht sichtbar.”
Die Schlussfolgerung des Oppositionspolitikers: “Offensichtlich ist sich die Regierung in zentralen Fragen nicht einig!”. Erndl erinnert an die in Deutschland gepflegte Tradition, “in außenpolitischen Fragen die wesentlichen Entscheidungen mit großer Geschlossenheit zu treffen”. Und kritisiert, jetzt bekämen es die Regierungsparteien nicht einmal hin, gemeinsam so ein Dokument vorzulegen.
Vielleicht hätte sich die Regierung und das bei der Strategieentwicklung federführende Auswärtige Amt von vornherein nicht so sehr zeitlich unter Druck setzen müssen. Es geht schließlich um einen komplexen Prozess mit sehr vielen Beteiligten, erklärt Antonia Witt von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, HSFK: “Das braucht einen breiten Verständigungsprozess innerhalb der Regierung, aber eben auch mit der Bevölkerung und mit Expert*innen darüber, was eigentlich die Sicherheitsherausforderungen sind, welche Bedrohungsszenarien wir zu erwarten haben in der Zukunft und welche Mittel Deutschland einsetzen möchte, um welche Ziele in der Sicherheitspolitik zu erreichen. Und das ist ein sehr, sehr wichtiger politischer Prozess.” Und weil die Strategie alle Politikbereiche betrifft, muss sie “eben auch sehr viele politisch umstrittene Fragen abdecken”, sagt die Politikwissenschaftlerin.
“Regierung in zentralen Fragen nicht einig”
Vieles ist bereits ausverhandelt und festgeschrieben in der Nationalen Sicherheitsstrategie, nach Zeitungsberichten auf gerade einmal 36 Seiten. Aber eben nicht alles. Streit gibt es nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters unter anderem bei der Frage von Rüstungsexporten und im Bereich Cybersicherheit. Das FDP-geführte Justizministerium sperrt sich gegen sogenannte “Hackbacks”. Gemeint ist die Erlaubnis, nach einem Cyberangriff selbst Angreifer attackieren zu können.
Rüstungsexporte, Hackbacks, Zwei-Prozent-Ziel
Ein großer Streitfaktor sei auch, ob das Zwei-Prozent-Ziel der NATO in der Strategie festgeschrieben werden soll, führt Politikwissenschaftlerin Witt aus. “Da war die Frage, ob es einen unmittelbaren Ausgleich von militärischen und nichtmilitärischen Ausgaben geben muss, also, ob für jeden Euro, der militärisch ausgegeben wird, auch ein Euro in nichtmilitärische Maßnahmen investiert werden soll. Damit ist vor allen Dingen Krisendiplomatie gemeint, aber auch Entwicklungszusammenarbeit”, sagt Witt.
Bereits vor längerer Zeit begraben wurde der Plan, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten. Der hätte als Koordinierungsstelle dienen können, um ressortübergreifend Antworten auf Krisen und Herausforderungen zu finden. “Weil strittig ist, wo dieser Nationale Sicherheitsrat angesiedelt werden soll”, vermutet Antonia Witt. Medienberichten zufolge wollten sowohl das Kanzleramt als auch das Außenministerium den Sicherheitsrat unter ihrem Dach haben.
SPD-Parlamentarier Arlt sieht die Verschiebung des Vorstellungstermins gelassen. Und richtet den Blick auf das – hoffentlich bald vorliegende – Ergebnis: “Eine Sicherheitsstrategie soll natürlich helfen, dass es im Endeffekt schneller geht und schneller Entscheidungen getroffen werden können”, sagt der Politiker. “Darum sehe ich es jetzt auch nicht als Schwäche, dass wir es immer wieder verschieben, und nochmal einen Monat, und nochmal einen Monat. Das ist für uns ein neuer Prozess. Wenn das Produkt gut wird, dann hat sich das Warten gelohnt.”
Kein Nationaler Sicherheitsrat