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Hermannstadt in Rumänien: Kultur als Motor für eine ganze Region

Einmal im Jahr wird eine kleine Stadt in Siebenbürgen von Kulturbegeisterten überflutet. Das Theaterfestival zieht Tausende Besucher an und sorgt für Arbeitsplätze.

“Diese kleine Stadt wirbelt ja von Kunst, Kultur und Begegnungen. Da kommt man ganz schön außer Atem”, beschreibt Theaterlegende Claus Peymann im DW-Interview das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt. Der vielfach ausgezeichnete Theaterregisseur und frühere Intendant des Berliner Ensembles hat in diesem Jahr mit Ionescos “Der König stirbt”, einer Produktion der ältesten Wiener Bühne, des Theater in der Josefstadt, das Publikum in Hermannstadt begeistert.

Jahr für Jahr findet in dieser pittoresken mittelalterlichen Stadt im Herzen Siebenbürgens ein wahres Fest der Künste statt. In diesem Jahr kamen mehr als 3500 Künstler und Kulturschaffende aus 75 Ländern zu dem zehntägigen Theaterfestival, das am letzten Sonntag zu Ende (3.07.2022) gegangen ist. Sie begeisterten das Publikum mit Theater- und Tanzvorstellungen, mit Konzerten, Akrobatik und Zirkus, aber auch mit Konferenzen, Workshops, Lesungen und Ausstellungen. 

“Diese kleine Stadt wirbelt ja von Kunst, Kultur und Begegnungen. Da kommt man ganz schön außer Atem”, beschreibt Theaterlegende Claus Peymann im DW-Interview das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt. Der vielfach ausgezeichnete Theaterregisseur und frühere Intendant des Berliner Ensembles hat in diesem Jahr mit Ionescos “Der König stirbt”, einer Produktion der ältesten Wiener Bühne, des Theater in der Josefstadt, das Publikum in Hermannstadt begeistert.

Hermannstadt (rumänisch Sibiu) ist eine Stadt mit rund 150.000 Einwohnern, die im 13. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet wurde und 2007 europäische Kulturhauptstadt war. “Hermannstadt wurde durch die Jahrhunderte bis heute von Besatzern verschont. Erobert wurde es nur von der Kultur”, betont Intendant und Festivalgründer Constantin Chiriac. Auch in diesem Jahr stürmten wieder die Besucher die Stadt und das Festival, etwa 85.000 waren es im Durchschnitt pro Tag, am Eröffnungstag sogar über 100.000.

Kultur schafft Arbeitsplätze

Kein Wunder, denn in dieser Stadt wird Kultur großgeschrieben. 14 Prozent des Budgets werden in Kultur investiert, und während anderswo bei Kürzungen oft zuerst dieser Bereich betroffen ist, bleibt der Kulturetat in Hermannstadt stabil. 

Davon profitieren nicht nur Kulturinteressierte, Touristen und Besucher, die von nah und fern in die Stadt kommen, sondern auch die Bürger und die Wirtschaft selbst. In der Hotel- und Gastronomiebranche sind neue Arbeitsplätze entstanden. Darüber hinaus haben sich in der Region große Firmen angesiedelt, die zusätzliche Beschäftigung bieten. Für die Stadt und die Umgebung ist die Kultur also auch ein Motor des Aufschwungs. 

Hermannstadt ist “bereits seit Jahrhunderten von einem engen Kulturaustausch zwischen Deutschen und Rumänen geprägt”, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Botschaft an das Festival. In diesem Jahr, in dem sich die Unterzeichnung des deutsch-rumänischen Vertrages über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zum 30. Mal jährt, stand das Festival nicht nur unter der Schirmherrschaft des deutschstämmigen Staatsoberhauptes Rumäniens, Klaus Iohannis, der vor seinem jetzigen Amt 14 Jahre Oberbürgermeister von Hermannstadt war, sondern auch unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

Sehr treffend sei das Motto des diesjährigen Theaterfestivals, Schönheit, sagte Steinmeier, “trotz des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, trotz der massiven Einschränkungen während der Pandemie, die vor allem den Kulturbereich getroffen haben.” Kunst und Kultur könnten Kraft und Hoffnung spenden, so Steinmeier, in Krisenzeiten mehr denn je. “Lasst uns zusammen aus Hermannstadt eine Botschaft der Hoffnung, der Kraft, der Freundschaft und der Freiheit senden!”

Auch wenn während der Festivaltage bis in die frühen Morgenstunden auf den Straßen, in den 80 Spielstätten der Stadt und Clubs gefeiert wurde – der Krieg im Nachbarland Ukraine war stets gegenwärtig. “Man sieht, wie die Menschen miteinander umgehen, hier in Frieden vor einander spielen mit viel Lachen und Weinen und, nicht weit entfernt, fliegen die Raketen und die Bomben”, betont Theaterregisseur Claus Peymann. “Das ist schon ein besonderer Augenblick, der uns Theaterleuten und Künstlern auch zeigt, was Kunst kann, nämlich Frieden schaffen ohne Waffen.” Peymann konnte vor kurzem seinen 85. Geburtstag feiern. Sein Name erstrahlt nun am Walk of Fame, dem 2013 eingeweihten Sternenweg, mit dem Hermannstadt rumänische und ausländische Künstler ehrt. Auf einer von dichten Bäumen umsäumten Allee entlang der ehemaligen Wehrmauer der Stadt sind die Namen bedeutender Regisseure, Schauspieler und Musiker wie Ariane Mnouchkine, Klaus Maria Brandauer und Tim Robbins eingraviert. Im “Jahr der deutsch-rumänischen Freundschaft” wurden zwei weitere deutsche Künstler mit einem Stern geehrt: Choreografin Sasha Waltz, eine gute Freundin des Festivals, und Cellist Götz Teutsch.

Der 81-jährige ehemalige Solocellist der Berliner Philharmoniker und Mitbegründer der “12 Cellisten”, entstammt einer traditionsreichen Hermannstädter Familie. “Diese Wurzeln sind bei mir immens stark”, erzählt er. Die Erfahrungen, die er als Jugendlicher in der Stadt gemacht habe, mit Rumänen, Ungarn und Roma, hätten ihn geprägt und ihn gelehrt, wie man miteinander auskomme. “All die Sprachen spreche ich bis heute noch. Auch das Siebenbürgisch-Sächsische (der Dialekt der Deutschen in Siebenbürgen) kann ich und spreche es begeistert, wenn ich noch jemanden finde, der das kann. Die Gegenwart können wir nur verstehen, wenn wir wissen, woher sie kommt – ob aus düsteren oder aus schönen Zeiten”, so Teutsch. Was ihn am meisten auf dem Festival beindruckt habe, seien nicht nur Professionalität und Engagement, sondern menschliche Wärme, die man sonst selten treffe. 

Zu den Ehrengästen in diesem Jahr gehörte auch der international renommierte französisch-belgische Schriftsteller Éric-Emmanuel Schmitt, dessen Name ebenfalls auf einem der Sterne des Walk of Fame eingraviert ist. Er erntete viel Applaus mit seiner Vorstellung von “Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran” und mit seinem Gespräch mit Moderator Octavian Saiu über Leben und Werk, über Krieg und Aggressivität, über das Scheitern von Mensch und Menschlichkeit. “Es mussten Katastrophen und das Böse geschehen, es musste Massaker und Tote geben, damit die Menschheit wachgerüttelt wird, um es besser zu machen. Ich glaube, der Mensch ist nicht auf der Suche nach dem Guten, sondern nach dem geringsten Übel”, meint Schmitt, der sich selbst als “tragischen Optimisten” bezeichnet.

Hermannstadt ist stolz auf das älteste Theater in Mittel- und Südosteuropa, gegründet 1788, und auf seine Theatertradition. Theaterliebhaber finden hier immer etwas zu sehen, denn eine Sommerpause gibt es nicht. Auch deutschsprachige Stücke werden gezeigt. Darüber hinaus gibt es praktisch kein Wochenende ohne Kulturevents an mehreren Orten der Stadt, vor allem am sogenannten Großen und Kleinen Ring. Dazu kommen die “Orgelsommer” mit Konzerten in den Evangelischen Kirchen oder den prachtvollen Kirchenburgen der Region.

Die malerischen Dörfer um Hermannstadt mit ihren von März bis September bewohnten Storchennestern und die imposanten Berge der Karpaten sind ein Magnet für Touristen von nah und fern. Die Vorbereitungen für die 30. Ausgabe des Theaterfestivals FITS (23.06 – 2.07.2023) sind schon im Gange. 

Rumänien Hermannstadt | Theaterfestival Der deutsche Regisseur Claus Peymann
Rumänien Hermannstadt | Theaterfestival, Großer Ring, Sibiu

“Diese kleine Stadt wirbelt ja von Kunst, Kultur und Begegnungen. Da kommt man ganz schön außer Atem”, beschreibt Theaterlegende Claus Peymann im DW-Interview das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt. Der vielfach ausgezeichnete Theaterregisseur und frühere Intendant des Berliner Ensembles hat in diesem Jahr mit Ionescos “Der König stirbt”, einer Produktion der ältesten Wiener Bühne, des Theater in der Josefstadt, das Publikum in Hermannstadt begeistert.

Jahr für Jahr findet in dieser pittoresken mittelalterlichen Stadt im Herzen Siebenbürgens ein wahres Fest der Künste statt. In diesem Jahr kamen mehr als 3500 Künstler und Kulturschaffende aus 75 Ländern zu dem zehntägigen Theaterfestival, das am letzten Sonntag zu Ende (3.07.2022) gegangen ist. Sie begeisterten das Publikum mit Theater- und Tanzvorstellungen, mit Konzerten, Akrobatik und Zirkus, aber auch mit Konferenzen, Workshops, Lesungen und Ausstellungen. 

Kultur schafft Arbeitsplätze

Hermannstadt (rumänisch Sibiu) ist eine Stadt mit rund 150.000 Einwohnern, die im 13. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet wurde und 2007 europäische Kulturhauptstadt war. “Hermannstadt wurde durch die Jahrhunderte bis heute von Besatzern verschont. Erobert wurde es nur von der Kultur”, betont Intendant und Festivalgründer Constantin Chiriac. Auch in diesem Jahr stürmten wieder die Besucher die Stadt und das Festival, etwa 85.000 waren es im Durchschnitt pro Tag, am Eröffnungstag sogar über 100.000.

Kein Wunder, denn in dieser Stadt wird Kultur großgeschrieben. 14 Prozent des Budgets werden in Kultur investiert, und während anderswo bei Kürzungen oft zuerst dieser Bereich betroffen ist, bleibt der Kulturetat in Hermannstadt stabil. 

Davon profitieren nicht nur Kulturinteressierte, Touristen und Besucher, die von nah und fern in die Stadt kommen, sondern auch die Bürger und die Wirtschaft selbst. In der Hotel- und Gastronomiebranche sind neue Arbeitsplätze entstanden. Darüber hinaus haben sich in der Region große Firmen angesiedelt, die zusätzliche Beschäftigung bieten. Für die Stadt und die Umgebung ist die Kultur also auch ein Motor des Aufschwungs. 

Hermannstadt ist “bereits seit Jahrhunderten von einem engen Kulturaustausch zwischen Deutschen und Rumänen geprägt”, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Botschaft an das Festival. In diesem Jahr, in dem sich die Unterzeichnung des deutsch-rumänischen Vertrages über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zum 30. Mal jährt, stand das Festival nicht nur unter der Schirmherrschaft des deutschstämmigen Staatsoberhauptes Rumäniens, Klaus Iohannis, der vor seinem jetzigen Amt 14 Jahre Oberbürgermeister von Hermannstadt war, sondern auch unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

Die Kraft der Kunst im Schatten des Krieges

Sehr treffend sei das Motto des diesjährigen Theaterfestivals, Schönheit, sagte Steinmeier, “trotz des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, trotz der massiven Einschränkungen während der Pandemie, die vor allem den Kulturbereich getroffen haben.” Kunst und Kultur könnten Kraft und Hoffnung spenden, so Steinmeier, in Krisenzeiten mehr denn je. “Lasst uns zusammen aus Hermannstadt eine Botschaft der Hoffnung, der Kraft, der Freundschaft und der Freiheit senden!”

Auf der Suche nach dem geringsten Übel

Auch wenn während der Festivaltage bis in die frühen Morgenstunden auf den Straßen, in den 80 Spielstätten der Stadt und Clubs gefeiert wurde – der Krieg im Nachbarland Ukraine war stets gegenwärtig. “Man sieht, wie die Menschen miteinander umgehen, hier in Frieden vor einander spielen mit viel Lachen und Weinen und, nicht weit entfernt, fliegen die Raketen und die Bomben”, betont Theaterregisseur Claus Peymann. “Das ist schon ein besonderer Augenblick, der uns Theaterleuten und Künstlern auch zeigt, was Kunst kann, nämlich Frieden schaffen ohne Waffen.” Peymann konnte vor kurzem seinen 85. Geburtstag feiern. Sein Name erstrahlt nun am Walk of Fame, dem 2013 eingeweihten Sternenweg, mit dem Hermannstadt rumänische und ausländische Künstler ehrt. Auf einer von dichten Bäumen umsäumten Allee entlang der ehemaligen Wehrmauer der Stadt sind die Namen bedeutender Regisseure, Schauspieler und Musiker wie Ariane Mnouchkine, Klaus Maria Brandauer und Tim Robbins eingraviert. Im “Jahr der deutsch-rumänischen Freundschaft” wurden zwei weitere deutsche Künstler mit einem Stern geehrt: Choreografin Sasha Waltz, eine gute Freundin des Festivals, und Cellist Götz Teutsch.

Der 81-jährige ehemalige Solocellist der Berliner Philharmoniker und Mitbegründer der “12 Cellisten”, entstammt einer traditionsreichen Hermannstädter Familie. “Diese Wurzeln sind bei mir immens stark”, erzählt er. Die Erfahrungen, die er als Jugendlicher in der Stadt gemacht habe, mit Rumänen, Ungarn und Roma, hätten ihn geprägt und ihn gelehrt, wie man miteinander auskomme. “All die Sprachen spreche ich bis heute noch. Auch das Siebenbürgisch-Sächsische (der Dialekt der Deutschen in Siebenbürgen) kann ich und spreche es begeistert, wenn ich noch jemanden finde, der das kann. Die Gegenwart können wir nur verstehen, wenn wir wissen, woher sie kommt – ob aus düsteren oder aus schönen Zeiten”, so Teutsch. Was ihn am meisten auf dem Festival beindruckt habe, seien nicht nur Professionalität und Engagement, sondern menschliche Wärme, die man sonst selten treffe. 

Zu den Ehrengästen in diesem Jahr gehörte auch der international renommierte französisch-belgische Schriftsteller Éric-Emmanuel Schmitt, dessen Name ebenfalls auf einem der Sterne des Walk of Fame eingraviert ist. Er erntete viel Applaus mit seiner Vorstellung von “Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran” und mit seinem Gespräch mit Moderator Octavian Saiu über Leben und Werk, über Krieg und Aggressivität, über das Scheitern von Mensch und Menschlichkeit. “Es mussten Katastrophen und das Böse geschehen, es musste Massaker und Tote geben, damit die Menschheit wachgerüttelt wird, um es besser zu machen. Ich glaube, der Mensch ist nicht auf der Suche nach dem Guten, sondern nach dem geringsten Übel”, meint Schmitt, der sich selbst als “tragischen Optimisten” bezeichnet.

Hermannstadt ist stolz auf das älteste Theater in Mittel- und Südosteuropa, gegründet 1788, und auf seine Theatertradition. Theaterliebhaber finden hier immer etwas zu sehen, denn eine Sommerpause gibt es nicht. Auch deutschsprachige Stücke werden gezeigt. Darüber hinaus gibt es praktisch kein Wochenende ohne Kulturevents an mehreren Orten der Stadt, vor allem am sogenannten Großen und Kleinen Ring. Dazu kommen die “Orgelsommer” mit Konzerten in den Evangelischen Kirchen oder den prachtvollen Kirchenburgen der Region.

Die malerischen Dörfer um Hermannstadt mit ihren von März bis September bewohnten Storchennestern und die imposanten Berge der Karpaten sind ein Magnet für Touristen von nah und fern. Die Vorbereitungen für die 30. Ausgabe des Theaterfestivals FITS (23.06 – 2.07.2023) sind schon im Gange. 

Intendant des Theaterfestivals FITS in Sibiu Constantin Chiriac

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