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Pakistan: Deutschland ruft Top-Diplomaten nach Vorwürfen sexueller Belästigung zurück

Auf einer LGBTQ-Veranstaltung in Karachi soll ein deutscher Diplomat eine Frau sexuell belästigt haben. Das Auswärtige Amt will ihn jetzt von seinem Posten abberufen. Eine DW-Investigation.

Es ist ein ganz besonderer Abend mit Live-Musik und Stand-up-Comedy. Im November 2021 treffen sich Mitglieder der LGBTQ-Community und ihre Unterstützer in der pakistanischen Hafenstadt Karachi zu einer Kulturveranstaltung.

Das Event, organisiert von der kanadisch-pakistanischen Rockmusikerin Urvah Khan, wird vom deutschen Generalkonsulat in Karachi mitfinanziert. Das sogenannte ScrapFest, so Khan gegenüber der DW, sei als “Schaufenster” gedacht, das “die talentierten Spinner, Querköpfe und Außenseiter unserer Gesellschaft feiert”.

Es ist ein ganz besonderer Abend mit Live-Musik und Stand-up-Comedy. Im November 2021 treffen sich Mitglieder der LGBTQ-Community und ihre Unterstützer in der pakistanischen Hafenstadt Karachi zu einer Kulturveranstaltung.

Nur eingeladene und überprüfte Gäste bekommen Zutritt. Denn in Pakistan ist Homosexualität immer noch ein Verbrechen, basierend auf Gesetzen, die noch aus der Kolonialzeit stammen. Queere Menschen sind gezwungen, sich in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig zu verhalten.

Ein sicherer Raum für die LGBTQ-Community

Auf dem ScrapFest, so berichten Gäste, hätten sie sich zunächst sicher gefühlt. Weil es eine der wenigen Gelegenheiten gewesen sei, um unbeschwert sie selbst zu sein. Doch schon bald soll die Veranstaltung für viele zu einem traumatischen Erlebnis geworden sein, das sie bis heute nicht vergessen können.

Zunächst ist die Stimmung auf dem sehr gut besuchten Fest ausgelassen. Musiker und DJs treten auf. Eine Künstlerin gibt ihr Debüt mit einem Stück über emotionalen und körperlichen Missbrauch: “Ihr seid dazu gemacht, verarscht zu werden, übergangen zu werden, über euch zu reden, kleine Mädchen… Versteht ihr das nicht?”

Zeilen, die im Nachhinein fast prophetisch erscheinen. Denn nur kurze Zeit später wird ein weiblicher Gast offenbar von einem hochrangigen deutschen Diplomaten, Mitte 60, begrapscht, wie VICE News im Mai zum ersten Mal berichtete.

Das Auswärtige Amt hat die Vorwürfe untersucht und zieht jetzt Konsequenzen. Nach exklusiven DW-Informationen soll der Diplomat in wenigen Wochen abberufen werden. Gleichzeitig aber erklärt das Auswärtige Amt gegenüber der DW, man habe den “spezifischen Vorwurf der sexuellen Belästigung” nicht nachweisen können.

Das sehen die Gäste des Festes ganz anders.

Das Investigativ-Team der DW hat mit acht Zeugen gesprochen, die auf der Veranstaltung waren, hat Videomaterial analysiert und Textnachrichten gesehen, die der Diplomat mit der Organisatorin der Veranstaltung ausgetauscht hat. Sie zeichnen das Bild eines betrunkenen und enthemmten Mannes.

Im Interview mit der DW schildert die betroffene junge Frau, die wie die anderen Zeugen aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, erstmals öffentlich den Übergriff. Sie sei gegen Ende der Veranstaltung in der Nähe der Bühne an dem deutschen Diplomaten vorbeigegangen. Als sie direkt hinter ihm war, habe er sie am Po begrapscht: “Das war auf keinen Fall aus Versehen.”

Das Videomaterial zeigt den Moment der mutmaßlichen sexuellen Belästigung. Und auch wenn in dem Bildausschnitt die eigentliche Berührung nicht zu sehen ist, wird deutlich, dass sich der Arm des Diplomaten bewegt, als die Frau an ihm vorbeigeht.

Ein weiteres Indiz: Später am Abend schickt der deutsche Diplomat eine SMS an die Organisatorin Urvah Khan mit dem Bild des Opfers und bittet Khan um deren Kontaktdaten.

Als Khan von dem Vorfall erfährt und den Diplomaten am folgenden Tag konfrontiert, schreibt er in Textnachrichten, die der DW vorliegen: “Ich habe? Bloody hell! Schlimm!!!” und “Ich erinnere mich nur daran, dass sie mich sehr herzlich angelächelt hat, aber ich kann mich absolut nicht an einen Körperkontakt erinnern.”

Zwar hat keiner der Zeugen, mit denen die DW gesprochen hat, den sexuellen Übergriff gesehen, doch ihre Aussagen stimmen in wichtigen Punkten überein: Unabhängig voneinander betonten sie, dass der Deutsche sich den Gästen in einer Weise genähert habe, die für sie eindeutig eine Grenze überschritt.

Eine Transfrau berichtet, wie er sie angefasst und ihr ins Ohr geflüstert habe: “Du solltest tanzen, du bist heiß”. Eine andere erzählt, wie der Diplomat sie auf die Tanzfläche gezerrt habe: “Ich habe das Gefühl, dass er dachte, sie sind Transgender, also kann man alles mit ihnen machen.”

Ein Mann beschreibt, wie unwohl ihm war, als der Deutsche seine Hand auf den Rücken seiner Freundin gelegt habe und sie versuchte, das abzuwehren. Plötzlich, so erzählt er der DW, habe sich die Veranstaltung nicht mehr sicher angefühlt.

Im Laufe des Abends habe er deshalb versucht, seine Freundin zu schützen, indem er sich immer zwischen sie und den deutschen Mann stellte: “Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass das hier passiert.” Er habe bis dahin immer geglaubt, “dass die Menschen im Westen anders sind”, wenn es um die Behandlung von Frauen und Mitgliedern der LGBTQ-Community gehe.

Das Verhalten des Top-Diplomaten habe ihn geschockt:  “Er hat die Veranstaltung finanziert – also hat er sich wahrscheinlich mächtig gefühlt. Er war sehr herablassend.”

Er bezieht sich damit auch auf eine Rede, die der Abgesandte Deutschlands gehalten hat. In einem Video, das der DW vorliegt, steht er auf der Bühne, in der einen Hand ein Mikrofon, in der anderen eine Dose Bier. “Ist”, so fragt er sichtbar betrunken und deutet auf sein Haar, “mein Blond heute Abend das beste Blond”? Dann lacht er laut ins Mikrofon.

“Deutschland ist ein Land der Freiheit”, fährt er fort, “Wir sind hier in Pakistan, um Pakistan zu einem Land zu machen, das in die Zukunft blickt. Wir wollen nicht, dass ihr ein Land seid wie Deutschland, wie es vor 50 Jahren war.” 

Botschaftsschild Außen Pakisten
Rockmusikerin Urvah Khan auf dem Scrapfest in Karatschi

Es ist ein ganz besonderer Abend mit Live-Musik und Stand-up-Comedy. Im November 2021 treffen sich Mitglieder der LGBTQ-Community und ihre Unterstützer in der pakistanischen Hafenstadt Karachi zu einer Kulturveranstaltung.

Das Event, organisiert von der kanadisch-pakistanischen Rockmusikerin Urvah Khan, wird vom deutschen Generalkonsulat in Karachi mitfinanziert. Das sogenannte ScrapFest, so Khan gegenüber der DW, sei als “Schaufenster” gedacht, das “die talentierten Spinner, Querköpfe und Außenseiter unserer Gesellschaft feiert”.

Ein sicherer Raum für die LGBTQ-Community

Nur eingeladene und überprüfte Gäste bekommen Zutritt. Denn in Pakistan ist Homosexualität immer noch ein Verbrechen, basierend auf Gesetzen, die noch aus der Kolonialzeit stammen. Queere Menschen sind gezwungen, sich in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig zu verhalten.

Auf dem ScrapFest, so berichten Gäste, hätten sie sich zunächst sicher gefühlt. Weil es eine der wenigen Gelegenheiten gewesen sei, um unbeschwert sie selbst zu sein. Doch schon bald soll die Veranstaltung für viele zu einem traumatischen Erlebnis geworden sein, das sie bis heute nicht vergessen können.

Zunächst ist die Stimmung auf dem sehr gut besuchten Fest ausgelassen. Musiker und DJs treten auf. Eine Künstlerin gibt ihr Debüt mit einem Stück über emotionalen und körperlichen Missbrauch: “Ihr seid dazu gemacht, verarscht zu werden, übergangen zu werden, über euch zu reden, kleine Mädchen… Versteht ihr das nicht?”

Zeilen, die im Nachhinein fast prophetisch erscheinen. Denn nur kurze Zeit später wird ein weiblicher Gast offenbar von einem hochrangigen deutschen Diplomaten, Mitte 60, begrapscht, wie VICE News im Mai zum ersten Mal berichtete.

Vorwurf sexueller Übergriff

Das Auswärtige Amt hat die Vorwürfe untersucht und zieht jetzt Konsequenzen. Nach exklusiven DW-Informationen soll der Diplomat in wenigen Wochen abberufen werden. Gleichzeitig aber erklärt das Auswärtige Amt gegenüber der DW, man habe den “spezifischen Vorwurf der sexuellen Belästigung” nicht nachweisen können.

Betrunkener Diplomat soll weitere Frauen belästigt haben

Das sehen die Gäste des Festes ganz anders.

Das Investigativ-Team der DW hat mit acht Zeugen gesprochen, die auf der Veranstaltung waren, hat Videomaterial analysiert und Textnachrichten gesehen, die der Diplomat mit der Organisatorin der Veranstaltung ausgetauscht hat. Sie zeichnen das Bild eines betrunkenen und enthemmten Mannes.

Im Interview mit der DW schildert die betroffene junge Frau, die wie die anderen Zeugen aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, erstmals öffentlich den Übergriff. Sie sei gegen Ende der Veranstaltung in der Nähe der Bühne an dem deutschen Diplomaten vorbeigegangen. Als sie direkt hinter ihm war, habe er sie am Po begrapscht: “Das war auf keinen Fall aus Versehen.”

Keine Anzeige in Pakistan möglich

Das Videomaterial zeigt den Moment der mutmaßlichen sexuellen Belästigung. Und auch wenn in dem Bildausschnitt die eigentliche Berührung nicht zu sehen ist, wird deutlich, dass sich der Arm des Diplomaten bewegt, als die Frau an ihm vorbeigeht.

Ein weiteres Indiz: Später am Abend schickt der deutsche Diplomat eine SMS an die Organisatorin Urvah Khan mit dem Bild des Opfers und bittet Khan um deren Kontaktdaten.

Begrapschen ist in Deutschland strafbar

Als Khan von dem Vorfall erfährt und den Diplomaten am folgenden Tag konfrontiert, schreibt er in Textnachrichten, die der DW vorliegen: “Ich habe? Bloody hell! Schlimm!!!” und “Ich erinnere mich nur daran, dass sie mich sehr herzlich angelächelt hat, aber ich kann mich absolut nicht an einen Körperkontakt erinnern.”

Vorfall könnte Deutschlands Ruf schädigen

Zwar hat keiner der Zeugen, mit denen die DW gesprochen hat, den sexuellen Übergriff gesehen, doch ihre Aussagen stimmen in wichtigen Punkten überein: Unabhängig voneinander betonten sie, dass der Deutsche sich den Gästen in einer Weise genähert habe, die für sie eindeutig eine Grenze überschritt.

Eine ermordete Transmensch liegt aufgebart mit rot lackierten Fußnäglen

Eine Transfrau berichtet, wie er sie angefasst und ihr ins Ohr geflüstert habe: “Du solltest tanzen, du bist heiß”. Eine andere erzählt, wie der Diplomat sie auf die Tanzfläche gezerrt habe: “Ich habe das Gefühl, dass er dachte, sie sind Transgender, also kann man alles mit ihnen machen.”

Ein Mann beschreibt, wie unwohl ihm war, als der Deutsche seine Hand auf den Rücken seiner Freundin gelegt habe und sie versuchte, das abzuwehren. Plötzlich, so erzählt er der DW, habe sich die Veranstaltung nicht mehr sicher angefühlt.

Im Laufe des Abends habe er deshalb versucht, seine Freundin zu schützen, indem er sich immer zwischen sie und den deutschen Mann stellte: “Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass das hier passiert.” Er habe bis dahin immer geglaubt, “dass die Menschen im Westen anders sind”, wenn es um die Behandlung von Frauen und Mitgliedern der LGBTQ-Community gehe.

Das Verhalten des Top-Diplomaten habe ihn geschockt:  “Er hat die Veranstaltung finanziert – also hat er sich wahrscheinlich mächtig gefühlt. Er war sehr herablassend.”

Er bezieht sich damit auch auf eine Rede, die der Abgesandte Deutschlands gehalten hat. In einem Video, das der DW vorliegt, steht er auf der Bühne, in der einen Hand ein Mikrofon, in der anderen eine Dose Bier. “Ist”, so fragt er sichtbar betrunken und deutet auf sein Haar, “mein Blond heute Abend das beste Blond”? Dann lacht er laut ins Mikrofon.

“Deutschland ist ein Land der Freiheit”, fährt er fort, “Wir sind hier in Pakistan, um Pakistan zu einem Land zu machen, das in die Zukunft blickt. Wir wollen nicht, dass ihr ein Land seid wie Deutschland, wie es vor 50 Jahren war.” 

Das übergriffige und arrogante Verhalten des Diplomaten, wettert eine selbstbewusste queere Besucherin gegenüber der DW, sei “sehr, sehr peinlich für die deutsche Botschaft”. Deutschland habe so viel Macht und könne wirklich etwas bewirken. Sie ist immer noch wütend. “Sie sollten ihn feuern – alles andere ist eine Beleidigung!”

Der Diplomat selbst will nicht auf die schriftlichen Fragen der DW antworten und verweist in einer kurzen E-Mail an die Pressestelle des Auswärtigen Amtes.

Der Diplomat selbst will nicht auf die schriftlichen Fragen der DW antworten und verweist in einer kurzen E-Mail an die Pressestelle des Auswärtigen Amtes.

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