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Syrien: Die verspätete Erdbebenhilfe und das Versäumnis der UN

Die späte Reaktion der UN auf das Erdbeben in Syrien führte laut Einschätzungen von Betroffenen vor Ort zu vermeidbaren weiteren Opfern. Doch werden die UN ihr bereits öffentlich eingestandenes Versagen auch aufarbeiten?

Vier Stunden brauchte Muhannad Aswad nach dem furchtbaren Erdstoß vom 6. Februar in Syrien und der Türkei, um sich mit bloßen Händen durch die Trümmer seines Hauses an die Oberfläche zu kämpfen. Oben angekommen, hörte er inmitten der Tonnen zusammengestürzten Betons die Stimmen anderer Menschen, die um ihr Leben kämpften.

Auch Aswads Bruder Ammar war von Schutt begraben. “Von unten rief er um Hilfe”, erinnert sich Aswad. “Wir warteten vergeblich auf Unterstützung”, beschreibt er die Situation in Salkin, einer Ortschaft im Nordwesten Syriens. Das Gebiet steht unter der Kontrolle aufständischer Kräfte – also jener Gruppen, die sich während der Revolution gegen das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad stellten.

Vier Stunden brauchte Muhannad Aswad nach dem furchtbaren Erdstoß vom 6. Februar in Syrien und der Türkei, um sich mit bloßen Händen durch die Trümmer seines Hauses an die Oberfläche zu kämpfen. Oben angekommen, hörte er inmitten der Tonnen zusammengestürzten Betons die Stimmen anderer Menschen, die um ihr Leben kämpften.

Am Ende verlor Aswad bei dem Erdbeben 25 Mitglieder seiner Familie, darunter auch Ammar. Als endlich Hilfe von außen eintraf, war es “viel zu spät”, so Aswad.

Keine internationalen Rettungsteams angefordert

Louay Younis, Medienaktivist aus der syrischen Stadt Dschindires, erzählte eine ähnliche Geschichte. “Es war wie das Ende der Welt”, berichtet er. Unmittelbar nach dem Erdbeben hätten Freiwillige versucht, mit Äxten und Spitzhacken verschüttete Überlebende zu erreichen.

“Wir haben viele Menschen gesehen, die sich zwei oder drei Tage lang unter den Trümmern halten konnten”, sagt er gegenüber der DW. “Aber weil die Hilfe von außen so langsam ankam, sind sie gestorben.”

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bei dem Erdbeben im Nordwesten Syriens über 4500 Menschen getötet. Mehr als 8700 Personen wurden verletzt – und mehr als 11.000 obdachlos.

Für die Verzögerung der Hilfe im überwiegend von islamistischen Milizen und anderen Regime-Gegnern gehaltenen Nordwesten Syriens nennen Hilfsorganisationen mehrere Gründe. So waren auch ihre eigenen Büros von dem Erdbeben betroffen, dabei kamen auch einige ihrer Mitarbeiter ums Leben. Zudem waren mehrere Straßen nach Syrien nicht mehr befahrbar.

Besonders stark in die Kritik gerieten die Vereinten Nationen. Als koordinierende Instanz der Katastrophenhilfe hatten sie anfangs keine internationalen Such- und Rettungsteams angefordert. Die UN hatten entschieden, zunächst die Zustimmung der syrischen Regierung einzuholen – ungeachtet der Einschätzung von Rechtsexperten, dass die UN für diese Art der grenzüberschreitenden Hilfe keine Genehmigung benötigten. Auch ignorierten die Vereinten Nationen die Realität vor Ort: Die syrische Regierung kontrolliert diese Grenzen ohnehin nicht. Die Gewalt liegt bei den syrischen Rebellengruppen und der türkischen Regierung.

Raed Saleh, der Leiter der syrischen Zivilschutztruppe Weißhelme, warf den UN vor, sie hätten nicht schnell genug geholfen. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. “Ohne Zweifel hat das Versagen der UN im Nordwesten Syriens direkt zu vermeidbaren Todesfällen, Verletzungen und Erkrankungen geführt”, schrieb eine Gruppe von Forschern in der Märzausgabe der britischen medizinischen Fachzeitschrift “The Lancet”. Nötig sei nun “eine unabhängige Untersuchungskommission unter UN-Mandat”.

Bereits am 12. Februar hatte sich der Leiter der UN-Hilfsmaßnahmen, Martin Griffiths, auf Twitter für die späte Reaktion seiner Organisation entschuldigt.

Anfang vergangener Woche schloss sich auch ein UN-Gremium, die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien, der Kritik an. Die 2011 zur Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien eingerichtete Kommission legte dem UN-Menschenrechtsrat in Genf einen entsprechenden Bericht vor.

Das Gremium unterstütze “die Forderungen vieler Syrer und anderer nach einer gründlichen Überprüfung der Wirksamkeit der humanitären Reaktion der UN und der internationalen Gemeinschaft auf die Katastrophe”, erklärte der Vorsitzende der Kommission, Paulo Pinheiro.

Viele Beobachter begrüßten die Aussage der Kommission. Offen ist allerdings, wie eine solche Überprüfung aussehen könnte. Unklar ist auch, ob die UN jemals bereit und vor allem in der Lage wäre, gegenüber Erdbebenopfern wie Aswad nicht nur zu bekennen, dass die Organisation ihre Verantwortung nicht wahrgenommen habe – sondern ihnen auch eine Entschädigung zu zahlen. Nach entsprechenden Anfragen der DW bei mehreren UN-Organisationen und -Büros ist weiterhin unklar, wie eine solche Untersuchung ablaufen könnte. Mehr noch:  Es ist nicht einmal klar, ob sie überhaupt jemals durchgeführt wird.

Eine solche Untersuchung falle nicht in ihr Mandat, teilte die Syrien-Kommission der DW mit. Ihre Aufgabe sei es, Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu überwachen. Sie sei daher nicht das richtige Gremium, um eine solche Untersuchung durchzuführen, so ein Sprecher der Kommission.

Wahrscheinlich werde es eher eine interne Untersuchung geben, heißt es seitens des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). “Es ist üblich, dass OCHA bei jeder größeren Notsituation eine interne Überprüfung seiner Maßnahmen durchführt”, sagt Kirsten Mildren, die bei OCHA die Öffentlichkeitsarbeit leitet. “Dies hilft uns, die Art und Weise, wie wir auf künftige Krisen reagieren, zu verbessern und bei Bedarf Änderungen am System vorzunehmen.”

Allerdings habe die Untersuchung noch nicht begonnen, schränkt sie ein, denn noch dauerten die Hilfeleistungen an. Zudem würden die Ergebnisse nicht veröffentlicht.

Eine künftige Untersuchung könnte vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN-HRC) durchaus unterstützt werden, sagt Matthew Brown, der Öffentlichkeitsbeauftragte des Rates, der DW. Allerdings stehe eine Untersuchung der Verzögerungen bei der Syrienhilfe dort derzeit nicht auf der Tagesordnung.

Eine andere Möglichkeit, eine solche Untersuchung in Gang zu bringen, wäre ein Antrag bei der UN-Generalversammlung. Dies wäre jedoch schwieriger, weil dann eine Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsstaaten einer entsprechenden Resolution zustimmen müssten. Allerdings wäre auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres befugt, eine solche Untersuchung anzuordnen.

Zusammenfassend sieht es derzeit nicht so aus, als käme eine Untersuchung zustande. “Es ist leicht zu sagen, dass wir eine Untersuchung brauchen, aber es ist viel schwieriger, sie durchzuführen”, sagte ein auf Anonymität bestehender UN-Mitarbeiter der DW. “Es ist auch schwer zu sagen, welcher Teil der UNO eine Untersuchung durchführen würde.” Allerdings untersuchten humanitäre Organisationen innerhalb der UNO die Geschehnisse sehr genau. Auch würden sie immer noch auf höchster Ebene diskutiert.

Aswad und Younis, die bei der Katastrophe Freunde und Angehörige verloren haben, haben darum vorerst keine andere Wahl, als die Folgen von Entscheidungen zu tragen, die Anfang Februar weit weg von ihrer Heimat getroffen wurden.

Blick auf die von dem Erdbeben zerstörte Ortschaft Dschindires in Syrien
Raed Saleh, Leiter der syrischen Zivilschutztruppe Weißhelme

Vier Stunden brauchte Muhannad Aswad nach dem furchtbaren Erdstoß vom 6. Februar in Syrien und der Türkei, um sich mit bloßen Händen durch die Trümmer seines Hauses an die Oberfläche zu kämpfen. Oben angekommen, hörte er inmitten der Tonnen zusammengestürzten Betons die Stimmen anderer Menschen, die um ihr Leben kämpften.

Auch Aswads Bruder Ammar war von Schutt begraben. “Von unten rief er um Hilfe”, erinnert sich Aswad. “Wir warteten vergeblich auf Unterstützung”, beschreibt er die Situation in Salkin, einer Ortschaft im Nordwesten Syriens. Das Gebiet steht unter der Kontrolle aufständischer Kräfte – also jener Gruppen, die sich während der Revolution gegen das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad stellten.

Keine internationalen Rettungsteams angefordert

Am Ende verlor Aswad bei dem Erdbeben 25 Mitglieder seiner Familie, darunter auch Ammar. Als endlich Hilfe von außen eintraf, war es “viel zu spät”, so Aswad.

Louay Younis, Medienaktivist aus der syrischen Stadt Dschindires, erzählte eine ähnliche Geschichte. “Es war wie das Ende der Welt”, berichtet er. Unmittelbar nach dem Erdbeben hätten Freiwillige versucht, mit Äxten und Spitzhacken verschüttete Überlebende zu erreichen.

“Wir haben viele Menschen gesehen, die sich zwei oder drei Tage lang unter den Trümmern halten konnten”, sagt er gegenüber der DW. “Aber weil die Hilfe von außen so langsam ankam, sind sie gestorben.”

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bei dem Erdbeben im Nordwesten Syriens über 4500 Menschen getötet. Mehr als 8700 Personen wurden verletzt – und mehr als 11.000 obdachlos.

UN-Vorgehen soll überprüft werden – aber wie?

Für die Verzögerung der Hilfe im überwiegend von islamistischen Milizen und anderen Regime-Gegnern gehaltenen Nordwesten Syriens nennen Hilfsorganisationen mehrere Gründe. So waren auch ihre eigenen Büros von dem Erdbeben betroffen, dabei kamen auch einige ihrer Mitarbeiter ums Leben. Zudem waren mehrere Straßen nach Syrien nicht mehr befahrbar.

Die Überlebenden fordern Rechenschaft

Besonders stark in die Kritik gerieten die Vereinten Nationen. Als koordinierende Instanz der Katastrophenhilfe hatten sie anfangs keine internationalen Such- und Rettungsteams angefordert. Die UN hatten entschieden, zunächst die Zustimmung der syrischen Regierung einzuholen – ungeachtet der Einschätzung von Rechtsexperten, dass die UN für diese Art der grenzüberschreitenden Hilfe keine Genehmigung benötigten. Auch ignorierten die Vereinten Nationen die Realität vor Ort: Die syrische Regierung kontrolliert diese Grenzen ohnehin nicht. Die Gewalt liegt bei den syrischen Rebellengruppen und der türkischen Regierung.

Raed Saleh, der Leiter der syrischen Zivilschutztruppe Weißhelme, warf den UN vor, sie hätten nicht schnell genug geholfen. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. “Ohne Zweifel hat das Versagen der UN im Nordwesten Syriens direkt zu vermeidbaren Todesfällen, Verletzungen und Erkrankungen geführt”, schrieb eine Gruppe von Forschern in der Märzausgabe der britischen medizinischen Fachzeitschrift “The Lancet”. Nötig sei nun “eine unabhängige Untersuchungskommission unter UN-Mandat”.

Bereits am 12. Februar hatte sich der Leiter der UN-Hilfsmaßnahmen, Martin Griffiths, auf Twitter für die späte Reaktion seiner Organisation entschuldigt.

Anfang vergangener Woche schloss sich auch ein UN-Gremium, die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für Syrien, der Kritik an. Die 2011 zur Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien eingerichtete Kommission legte dem UN-Menschenrechtsrat in Genf einen entsprechenden Bericht vor.

Das Gremium unterstütze “die Forderungen vieler Syrer und anderer nach einer gründlichen Überprüfung der Wirksamkeit der humanitären Reaktion der UN und der internationalen Gemeinschaft auf die Katastrophe”, erklärte der Vorsitzende der Kommission, Paulo Pinheiro.

Viele Beobachter begrüßten die Aussage der Kommission. Offen ist allerdings, wie eine solche Überprüfung aussehen könnte. Unklar ist auch, ob die UN jemals bereit und vor allem in der Lage wäre, gegenüber Erdbebenopfern wie Aswad nicht nur zu bekennen, dass die Organisation ihre Verantwortung nicht wahrgenommen habe – sondern ihnen auch eine Entschädigung zu zahlen. Nach entsprechenden Anfragen der DW bei mehreren UN-Organisationen und -Büros ist weiterhin unklar, wie eine solche Untersuchung ablaufen könnte. Mehr noch:  Es ist nicht einmal klar, ob sie überhaupt jemals durchgeführt wird.

Eine solche Untersuchung falle nicht in ihr Mandat, teilte die Syrien-Kommission der DW mit. Ihre Aufgabe sei es, Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu überwachen. Sie sei daher nicht das richtige Gremium, um eine solche Untersuchung durchzuführen, so ein Sprecher der Kommission.

Paulo Pinheiro, Vorsitzender der Untersuchungskommission UN zu Syrien, auf einer Sitzung der UN in Genf

Wahrscheinlich werde es eher eine interne Untersuchung geben, heißt es seitens des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). “Es ist üblich, dass OCHA bei jeder größeren Notsituation eine interne Überprüfung seiner Maßnahmen durchführt”, sagt Kirsten Mildren, die bei OCHA die Öffentlichkeitsarbeit leitet. “Dies hilft uns, die Art und Weise, wie wir auf künftige Krisen reagieren, zu verbessern und bei Bedarf Änderungen am System vorzunehmen.”

Allerdings habe die Untersuchung noch nicht begonnen, schränkt sie ein, denn noch dauerten die Hilfeleistungen an. Zudem würden die Ergebnisse nicht veröffentlicht.

Eine künftige Untersuchung könnte vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN-HRC) durchaus unterstützt werden, sagt Matthew Brown, der Öffentlichkeitsbeauftragte des Rates, der DW. Allerdings stehe eine Untersuchung der Verzögerungen bei der Syrienhilfe dort derzeit nicht auf der Tagesordnung.

Eine andere Möglichkeit, eine solche Untersuchung in Gang zu bringen, wäre ein Antrag bei der UN-Generalversammlung. Dies wäre jedoch schwieriger, weil dann eine Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsstaaten einer entsprechenden Resolution zustimmen müssten. Allerdings wäre auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres befugt, eine solche Untersuchung anzuordnen.

Zusammenfassend sieht es derzeit nicht so aus, als käme eine Untersuchung zustande. “Es ist leicht zu sagen, dass wir eine Untersuchung brauchen, aber es ist viel schwieriger, sie durchzuführen”, sagte ein auf Anonymität bestehender UN-Mitarbeiter der DW. “Es ist auch schwer zu sagen, welcher Teil der UNO eine Untersuchung durchführen würde.” Allerdings untersuchten humanitäre Organisationen innerhalb der UNO die Geschehnisse sehr genau. Auch würden sie immer noch auf höchster Ebene diskutiert.

Aswad und Younis, die bei der Katastrophe Freunde und Angehörige verloren haben, haben darum vorerst keine andere Wahl, als die Folgen von Entscheidungen zu tragen, die Anfang Februar weit weg von ihrer Heimat getroffen wurden.

“Inzwischen weiß ich, dass sich Überlebende mit Hilfe von Wärmebildkameras und Audiogeräten lokalisieren lassen”, so Aswad gegenüber der DW. “Warum hatten wir solche Mittel nicht hier bei uns?”

Die Reaktion der UN und anderer internationaler Organisationen sei zu spät gekommen, klagt auch Younis, der dies nicht auf sich beruhen lassen kann und will. “Ich möchte, dass die UN-Beamten für ihre langsame Reaktion zur Rechenschaft gezogen werden”, sagt er. “Ihretwegen sind Menschen gestorben.”

Die Reaktion der UN und anderer internationaler Organisationen sei zu spät gekommen, klagt auch Younis, der dies nicht auf sich beruhen lassen kann und will. “Ich möchte, dass die UN-Beamten für ihre langsame Reaktion zur Rechenschaft gezogen werden”, sagt er. “Ihretwegen sind Menschen gestorben.”

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