Kultur

Berlinale: Murat Kurnaz’ Mutter kämpft gegen die Weltpolitik

Andreas Dresens Berlinale-Beitrag “Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” erzählt vom unbändigen Willen der Mutter des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz.

Murat Kurnaz passte ins Raster: Der Sohn einer türkischstämmigen Familie hatte sich einen langen Bart wachsen lassen, interessierte sich verstärkt für den Islam, besuchte in seiner Heimatstadt Bremen eine Moschee und reiste am 3. Oktober 2001 schließlich nach Pakistan. Er wollte dort, so gab es Kurnaz später an, mehr über den Koran lernen, bevor seine Ehefrau aus der Türkei zu ihm nach Deutschland ziehen würde. Doch wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Kurnaz verdächtigt, sich den Taliban im Kampf gegen die USA anschließen zu wollen.

Was danach kam, ist weithin bekannt – und in Andreas Dresens Berlinale-Beitrag “Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” doch völlig neu. Sein Film nach einem Drehbuch von Laila Stieler erzählt die Geschichte aus der Sicht der Mutter und beginnt an eben jenem 3. Oktober 2001. 

Murat Kurnaz passte ins Raster: Der Sohn einer türkischstämmigen Familie hatte sich einen langen Bart wachsen lassen, interessierte sich verstärkt für den Islam, besuchte in seiner Heimatstadt Bremen eine Moschee und reiste am 3. Oktober 2001 schließlich nach Pakistan. Er wollte dort, so gab es Kurnaz später an, mehr über den Koran lernen, bevor seine Ehefrau aus der Türkei zu ihm nach Deutschland ziehen würde. Doch wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Kurnaz verdächtigt, sich den Taliban im Kampf gegen die USA anschließen zu wollen.

Rabiye Kurnaz will ihren Sohn wecken, doch der meldet sich wenig später telefonisch aus Frankfurt, kurz vor der Weiterreise nach Pakistan. Die Mutter ist außer sich, sucht die Moschee auf, geht sogar zur Polizei. Jemand muss ihren Sohn zu dieser Reise gedrängt haben.

Kurnaz, der “Taliban aus Bremen”

Bald schon steht die Presse vor ihrem Wohnhaus und schreibt über den “Taliban aus Bremen”. So resolut, wie die Hausfrau in den wechselnden Mercedes-Jahreswagen, die ihr Ehemann Mehmet als Werksarbeiter bekommt, durch die Stadt braust, platzt sie ins Büro des Menschenrechtsanwalts Bernhard Docke – und geht erst wieder, als der ihren Fall annimmt.

Ihr Sohn Murat landet Anfang 2002 im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba – unter Terrorverdacht, aber ohne Haftbefehl, ohne Anklage. Rabiye Kurnaz vertraut dem Rechtsstaat, es wird sich schon alles aufklären. “Schreiben Sie doch einen Brief, ein Mann wie Sie”, sagt sie ihrem Anwalt, als sei das Problem schnell zu lösen. Ihren Ehemann lässt sie über ihr Engagement lange im Dunkeln, der Kampf gegen die Weltpolitik und die zähen Mühlen der Behörden ist ihre Sache.

Es ist eine Stärke dieses Films, dass er Leichtigkeit zulässt und in einem guten Rhythmus zwischen Humor und Ernst pendelt. Die zupackende Art der türkischen Protagonistin trifft auf einen drögen norddeutschen Anwalt, der zwar alles unternimmt, von seiner Mandantin aber dennoch auf Trab gehalten wird. Diese Rollenverteilung wechselt mit der Zeit: Irgendwann ist es der Anwalt, der Rabiye antreibt und ermutigt, als ihr die Kräfte auszugehen drohen.

Von der zermürbenden Dauer des Verfahrens zeugen die oft sehr langen Zeitsprünge des Films. “Es gab monatelang keine Nachricht, keine Fortschritte”, sagte  Drehbuchautorin Laila Stieler auf der Berlinale. Anwalt Docke habe von einem “Sieg der Geduld” gesprochen.

In Washington hält Rabiye Kurnaz im Film eine kurze Ansprache vor Menschen, die ihr Anliegen teilen, selbst Kinder in Guantanamo haben. Sie redet auf Deutsch, nüchtern, ihr Anwalt übersetzt. Dann geht sie noch mal ans Mikrofon und spricht von ihren Gefühlen, von ihrer Sorge um ihr Kind – und der Machtlosigkeit, ihm nicht helfen zu können: “Ich bin doch seine Mama”, sagt sie unter Tränen.

Immer wieder keimt Hoffnung auf, die sich in Fröhlichkeit und großen Kochorgien niederschlägt. Doch statt der Erlösung folgt Enttäuschung: Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Washington, wonach der Fall Kurnaz vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden muss, kontert die US-Regierung mit Militärtribunalen, die sie kurzerhand dem Status eines Gerichts gleichsetzt.

Als Anwalt Docke ihr davon berichtet, dass ihr Sohn Murat in Guantanamo gefoltert wurde, versucht sie, es mit Fassung zu tragen. Sie habe sich das schon gedacht.

Später, als Murat endlich freikommen soll und die Familie ihn am türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik in Empfang nehmen will, steigt ein Fremder aus dem Auto – eine Verwechslung.

Die Hauptrolle besetze Andreas Dresen mit der 41-jährigen Comedienne Meltem Kaptan, die hier in ihrer ersten Hauptrolle in einem Spielfilm zu sehen ist. Sie spielt die Mutter mit einer einnehmenden Herzlichkeit – heiter und schmerzvoll. Sie verkörpert das Muttertiers, das für ihr Kind alle Hebel in Bewegung setzt und nach Rückschlägen auch dann weiter macht, wenn die eigenen Kräfte schwinden.

Ihre Darstellung sei “eine Hommage an ihre Leistung”, sagte Kaptan mit Blick auf Rabiye Kurnaz, die “ihre mütterliche Kraft bedingungslos lebt”. Wer Meltem Kaptan in diesem Jahr zum engsten Favoritenkreis auf den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung zählt, lehnt sich damit wohl nicht zu weit aus dem Fenster.

Sowohl Rabiye Kurnaz als auch Bernhard Docke waren bei der Entstehung des Drehbuchs beratend eingebunden. Docke ist auch kurz im Film zu sehen – als Richter am Supreme Court in Washington und dort als Sitznachbar von Andreas Dresen, der seit 2012 tatsächlich ehrenamtlicher Verfassungsrichter in Brandenburg ist. Mit dieser Szene gönnt sich der Regisseur einen kleinen Spaß in seinem launig inszenierten Film über ein sehr ernstes Thema: Noch heute sind 39 Gefangene in Guantanamo inhaftiert.

“Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” ist folglich auch ein politischer Kommentar. An einer Stelle des Films will Anwalt Docke nicht wahrhaben, dass sich die rot-grüne Regierung – die er selbst hoffnungsvoll gewählt hat – nicht für die Freilassung seines Mandanten einsetzt. 

Tatsächlich hatten die USA bereits im September 2002 angeboten, Murat Kurnaz an Deutschland auszuliefern. Wie zwei Untersuchungsausschüsse zeigten, war die Bundesregierung darauf nicht eingegangen. Alexander Scheer, der 2018 die Hauptrolle in Dresens preisgekrönter Filmbiografie “Gundermann” spielte, nannte es eine “köstliche Verlockung des Schicksals”, dass der Film seine Weltpremiere auf der Berlinale ausgerechnet am Vorabend der Wahl des Bundespräsidenten feiert.

Die 

Wiederwahl Frank-Walter Steinmeiers durch die Bundesversammlung am 13. Februar 2022 gilt als sicher. Steinmeier war von 1999 bis 2005 Kanzleramtschef und als Geheimdienstkoordinator damals verantwortlich dafür, dass Murat Kurnaz nicht früher nach Deutschland zurückkehrte.

Für seine Haftzeit in Guantanamo hat der Bremer nie eine Entschuldigung oder eine Entschädigung erhalten. “Wenn man es später besser weiß, sollte man zu Fehlern stehen”, sagte Andreas Dresen. Diese Geste vermisse er bei Bundespräsident Steinmeier. Der Mut, sich zu entschuldigen, unterscheide den Staatsmann von einem Politiker, so Alexander Scheer.

Andreas Dresen hob den Einsatz der damals neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel hervor. Der Film zeigt, dass das Bundeskanzleramt unter Merkel 2005 einen Brief des Anwalts Bernhard Docke nach nur wenigen Tagen beantwortete. Auch bei ihrem Antrittsbesuch bei George W. Bush in Washington sprach Angela Merkel den Fall an. Im August 2006 kam Murat Kurnaz schließlich frei.

Eine Szene des Films Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Der ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz sitzt neben seinem Anwalt Bernhard Docke
Meltem Kaptan lächelt auf einer Berlinale-Pressekonferenz

Murat Kurnaz passte ins Raster: Der Sohn einer türkischstämmigen Familie hatte sich einen langen Bart wachsen lassen, interessierte sich verstärkt für den Islam, besuchte in seiner Heimatstadt Bremen eine Moschee und reiste am 3. Oktober 2001 schließlich nach Pakistan. Er wollte dort, so gab es Kurnaz später an, mehr über den Koran lernen, bevor seine Ehefrau aus der Türkei zu ihm nach Deutschland ziehen würde. Doch wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Kurnaz verdächtigt, sich den Taliban im Kampf gegen die USA anschließen zu wollen.

Was danach kam, ist weithin bekannt – und in Andreas Dresens Berlinale-Beitrag “Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” doch völlig neu. Sein Film nach einem Drehbuch von Laila Stieler erzählt die Geschichte aus der Sicht der Mutter und beginnt an eben jenem 3. Oktober 2001. 

Kurnaz, der “Taliban aus Bremen”

Rabiye Kurnaz will ihren Sohn wecken, doch der meldet sich wenig später telefonisch aus Frankfurt, kurz vor der Weiterreise nach Pakistan. Die Mutter ist außer sich, sucht die Moschee auf, geht sogar zur Polizei. Jemand muss ihren Sohn zu dieser Reise gedrängt haben.

Bald schon steht die Presse vor ihrem Wohnhaus und schreibt über den “Taliban aus Bremen”. So resolut, wie die Hausfrau in den wechselnden Mercedes-Jahreswagen, die ihr Ehemann Mehmet als Werksarbeiter bekommt, durch die Stadt braust, platzt sie ins Büro des Menschenrechtsanwalts Bernhard Docke – und geht erst wieder, als der ihren Fall annimmt.

Ihr Sohn Murat landet Anfang 2002 im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba – unter Terrorverdacht, aber ohne Haftbefehl, ohne Anklage. Rabiye Kurnaz vertraut dem Rechtsstaat, es wird sich schon alles aufklären. “Schreiben Sie doch einen Brief, ein Mann wie Sie”, sagt sie ihrem Anwalt, als sei das Problem schnell zu lösen. Ihren Ehemann lässt sie über ihr Engagement lange im Dunkeln, der Kampf gegen die Weltpolitik und die zähen Mühlen der Behörden ist ihre Sache.

Es ist eine Stärke dieses Films, dass er Leichtigkeit zulässt und in einem guten Rhythmus zwischen Humor und Ernst pendelt. Die zupackende Art der türkischen Protagonistin trifft auf einen drögen norddeutschen Anwalt, der zwar alles unternimmt, von seiner Mandantin aber dennoch auf Trab gehalten wird. Diese Rollenverteilung wechselt mit der Zeit: Irgendwann ist es der Anwalt, der Rabiye antreibt und ermutigt, als ihr die Kräfte auszugehen drohen.

Pendeln zwischen Humor und Ernst

Von der zermürbenden Dauer des Verfahrens zeugen die oft sehr langen Zeitsprünge des Films. “Es gab monatelang keine Nachricht, keine Fortschritte”, sagte  Drehbuchautorin Laila Stieler auf der Berlinale. Anwalt Docke habe von einem “Sieg der Geduld” gesprochen.

“Folter? Das habe ich mir schon gedacht”

In Washington hält Rabiye Kurnaz im Film eine kurze Ansprache vor Menschen, die ihr Anliegen teilen, selbst Kinder in Guantanamo haben. Sie redet auf Deutsch, nüchtern, ihr Anwalt übersetzt. Dann geht sie noch mal ans Mikrofon und spricht von ihren Gefühlen, von ihrer Sorge um ihr Kind – und der Machtlosigkeit, ihm nicht helfen zu können: “Ich bin doch seine Mama”, sagt sie unter Tränen.

Immer wieder keimt Hoffnung auf, die sich in Fröhlichkeit und großen Kochorgien niederschlägt. Doch statt der Erlösung folgt Enttäuschung: Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Washington, wonach der Fall Kurnaz vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden muss, kontert die US-Regierung mit Militärtribunalen, die sie kurzerhand dem Status eines Gerichts gleichsetzt.

Als Anwalt Docke ihr davon berichtet, dass ihr Sohn Murat in Guantanamo gefoltert wurde, versucht sie, es mit Fassung zu tragen. Sie habe sich das schon gedacht.

39 Gefangene sind noch in Guantanamo inhaftiert

Später, als Murat endlich freikommen soll und die Familie ihn am türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik in Empfang nehmen will, steigt ein Fremder aus dem Auto – eine Verwechslung.

Die Hauptrolle besetze Andreas Dresen mit der 41-jährigen Comedienne Meltem Kaptan, die hier in ihrer ersten Hauptrolle in einem Spielfilm zu sehen ist. Sie spielt die Mutter mit einer einnehmenden Herzlichkeit – heiter und schmerzvoll. Sie verkörpert das Muttertiers, das für ihr Kind alle Hebel in Bewegung setzt und nach Rückschlägen auch dann weiter macht, wenn die eigenen Kräfte schwinden.

Der Mut, sich zu entschuldigen

Ihre Darstellung sei “eine Hommage an ihre Leistung”, sagte Kaptan mit Blick auf Rabiye Kurnaz, die “ihre mütterliche Kraft bedingungslos lebt”. Wer Meltem Kaptan in diesem Jahr zum engsten Favoritenkreis auf den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung zählt, lehnt sich damit wohl nicht zu weit aus dem Fenster.

Sowohl Rabiye Kurnaz als auch Bernhard Docke waren bei der Entstehung des Drehbuchs beratend eingebunden. Docke ist auch kurz im Film zu sehen – als Richter am Supreme Court in Washington und dort als Sitznachbar von Andreas Dresen, der seit 2012 tatsächlich ehrenamtlicher Verfassungsrichter in Brandenburg ist. Mit dieser Szene gönnt sich der Regisseur einen kleinen Spaß in seinem launig inszenierten Film über ein sehr ernstes Thema: Noch heute sind 39 Gefangene in Guantanamo inhaftiert.

Deutschland Berlinale-PK mit Andreas Dresen zum Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

“Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” ist folglich auch ein politischer Kommentar. An einer Stelle des Films will Anwalt Docke nicht wahrhaben, dass sich die rot-grüne Regierung – die er selbst hoffnungsvoll gewählt hat – nicht für die Freilassung seines Mandanten einsetzt. 

Tatsächlich hatten die USA bereits im September 2002 angeboten, Murat Kurnaz an Deutschland auszuliefern. Wie zwei Untersuchungsausschüsse zeigten, war die Bundesregierung darauf nicht eingegangen. Alexander Scheer, der 2018 die Hauptrolle in Dresens preisgekrönter Filmbiografie “Gundermann” spielte, nannte es eine “köstliche Verlockung des Schicksals”, dass der Film seine Weltpremiere auf der Berlinale ausgerechnet am Vorabend der Wahl des Bundespräsidenten feiert.

Die 

Wiederwahl Frank-Walter Steinmeiers durch die Bundesversammlung am 13. Februar 2022 gilt als sicher. Steinmeier war von 1999 bis 2005 Kanzleramtschef und als Geheimdienstkoordinator damals verantwortlich dafür, dass Murat Kurnaz nicht früher nach Deutschland zurückkehrte.

Für seine Haftzeit in Guantanamo hat der Bremer nie eine Entschuldigung oder eine Entschädigung erhalten. “Wenn man es später besser weiß, sollte man zu Fehlern stehen”, sagte Andreas Dresen. Diese Geste vermisse er bei Bundespräsident Steinmeier. Der Mut, sich zu entschuldigen, unterscheide den Staatsmann von einem Politiker, so Alexander Scheer.

Andreas Dresen hob den Einsatz der damals neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel hervor. Der Film zeigt, dass das Bundeskanzleramt unter Merkel 2005 einen Brief des Anwalts Bernhard Docke nach nur wenigen Tagen beantwortete. Auch bei ihrem Antrittsbesuch bei George W. Bush in Washington sprach Angela Merkel den Fall an. Im August 2006 kam Murat Kurnaz schließlich frei.

“Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” startet am 28. April in den deutschen Kinos.

Nachrichten

Ähnliche Artikel

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"