IPC-Präsident Andrew Parsons: “Wir sind uns der Verantwortung bewusst”
Dürfen russische Aktive bei den Paralympischen Winterspielen in Peking starten? Im DW-Interview will sich IPC-Chef Andrew Parsons nicht auf das Ergebnis der Vorstandssitzung am Mittwoch festlegen lassen.
DW: Es sind nur noch drei Tage bis zum Beginn der Paralympischen Winterspiele in Peking. Viele Sportverbände, darunter die FIFA und die UEFA, haben inzwischen Russland wegen der Invasion in Ukraine von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Das IOC hat seine Mitglieder aufgerufen, auf diese Weise zu verfahren. Wie reagiert das IPC darauf?
Andrew Parsons: Am morgigen Mittwoch wird das IPC Entscheidungen zur Situation um Russland und die Ukraine treffen. Grundlage wird die Verfassung des IPC sein. Wir müssen die Rechtsgrundlagen und die Werte achten, für die wir stehen. Wir sind 13 Personen im IPC-Vorstand, acht davon sind ehemalige oder aktive Sportler. Es wäre nicht fair, wenn ich jetzt hier als Präsident meine eigene Meinung öffentlich äußern würde. Die Entscheidung fällt morgen bei unserer Sitzung.
DW: Es sind nur noch drei Tage bis zum Beginn der Paralympischen Winterspiele in Peking. Viele Sportverbände, darunter die FIFA und die UEFA, haben inzwischen Russland wegen der Invasion in Ukraine von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Das IOC hat seine Mitglieder aufgerufen, auf diese Weise zu verfahren. Wie reagiert das IPC darauf?
Russland hat eine Mannschaft mit 71 Aktiven entsandt. Werden sie bei den Paralympics starten dürfen, womöglich unter neutraler Flagge?
Das sind die wichtigsten Entscheidungen, die wir morgen treffen müssen. Wir müssen aber auch über die Konsequenzen reden, die sich daraus ergeben. Es wird also ein sehr arbeitsreicher Tag für den Vorstand.
Angesichts der Entscheidungen des IOC und der FIFA ist der Druck auf das IPC enorm. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), hat angekündigt, einen Ausschluss Russland vorzuschlagen. Hat das IPC überhaupt eine andere Wahl?
Jeder hat ein Recht auf seine Meinung. Aber man muss Entscheidungen auf der Grundlage von Fakten treffen, auf der Grundlage von Gesetzen, auf der Grundlage der eigenen Verfassung. Wir müssen also bei unseren Entscheidungen sehr vorsichtig sein und unsere Emotionen heraushalten. Auch weil eine Verantwortung gegenüber der paralympischen Bewegung haben.
Gastgeber der Paralympics ist China, die einzige Großmacht, die enge Beziehung zu Russland hat. Macht das eine mögliche Entscheidung, russische Athleten von den Spielen auszuschließen, komplizierter?
Nein. Die Entscheidung liegt einzig beim IPC, nicht bei irgendjemand anderem.
Organisationen wie Human Rights Watch haben das IOC scharf kritisiert, weil es sich trotz der Menschenrechtslage für China entschieden hat. Einige argumentieren, dass weder die Olympischen Spiele noch die Paralympics in China stattfinden sollten. Was antworten Sie den Kritikern?
Dass wir mit den Paralympischen Sommerspielen 2008 in Peking, die Art und Weise, wie Menschen mit Behinderungen in China wahrgenommen werden, für immer verändert haben. Selbst die chinesische Regierung hatte zuvor in ihren offiziellen Berichten Behinderte meist mit Bettlern auf der Straße gleichgesetzt. Seit den Spielen 2008 werden behinderte Menschen eher als Sportler wahrgenommen, vom Basketballspieler bis zum Judoka. Jetzt haben wir eine zweite Chance, diese Wahrnehmung für eine neue Generation von Chinesen zu verstärken.
Können Sie die Zahlen nennen, um die von Ihnen geschilderte Entwicklung zu belegen?
Es ist schwierig, die Wahrnehmung einer Bedrohung zu quantifizieren. Aber vor fünf Jahren gab es in China nur 10.000 Menschen mit Behinderung, die Wintersport trieben. Heute sind es 300.000. Wir sagen immer, dass Menschen mit Behinderungen nicht überbehütet werden müssen, sondern dass man ihnen Möglichkeiten eröffnen muss. Und ich glaube, dass China genau das tut.
DBS-Präsident Beucher hat den deutschen Paralympics-Startern geraten, auf öffentliche Kritik an China zu verzichten, solange sie im Land sind. Sind Sie derselben Meinung? Und wenn ja, steht das im Einklang mit den paralympischen Prinzipien?
Es steht den Deutschen frei, ihre Athleten so zu beraten, wie sie es für richtig halten. Ich kann nicht für Friedhelm Julius Beucher sprechen. Aber ich denke, es geht ihm darum zu verhindern, dass die Athleten in irgendwelche Schwierigkeiten geraten zu lassen. Sie sollen sich auf ihr Training und die Wettkämpfe hier konzentrieren. Die Aktiven haben das Recht, ihre Meinung gegenüber der Presse und in den sozialen Medien zu äußern. Aber wenn sie sich über das Gastgeberland äußern wollen, sollten sie sich meiner Meinung nach bewusst machen, dass sie hier zu Gast sind. Und man sollte höflich sein. Die behinderten Sportlerinnen und Sportler sind hier, um die Welt zu inspirieren. Sie können doch auch positive Dinge sagen, über Frieden und Inklusion.
Nach wie vor beherrscht die Corona-Pandemie das Leben weltweit. Bei den Olympischen Spielen ist es den Organisatoren gelungen, die Zahl der Infektionen niedrig zu halten. Sind Paralympics-Starter aufgrund von Vorerkrankungen einem höheren Risiko ausgesetzt? Macht Ihnen das Sorgen?
Eigentlich zeigen alle vorliegenden Studien, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken, bei Para-Sportlerinnen und -Sportlern nicht größer ist. Aber je nach Art und Grad der Behinderung können die Folgen natürlich schwerwiegender sein. Der Umfang der Corona-Schutzmaßnahmen ist derselbe wie bei den Olympischen Spielen. Wahrscheinlich ist dies momentan der sicherste Ort der Welt vor COVID-19. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Zahlen wirklich niedrig bleiben werden.
Es ist eine schwierige Zeit. Können Sie sich überhaupt auf die Spiele freuen?
Ich freue mich wirklich auf Samstag, den Tag nach der Eröffnungsfeier, weil dann der Sport im Mittelpunkt steht. Aber natürlich ist uns klar, dass morgen ein sehr wichtiger Tag ist, an dem einige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir sind uns des Ausmaßes der Geschehnisse in der Welt bewusst, insbesondere des Krieges in der Ukraine. Wir sind uns also auch unserer Verantwortung bewusst.
Der Brasilianer Andrew Parsons ist seit September 2017 Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Von 2005 bis 2009 hatte der Sohn schottischer Eltern an der Spitze des Paralympischen Komitees der USA gestanden, von 2009 bis 2017 führte er das Gremiums Brasiliens. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger als IPC-Chef, dem früheren Rollstuhl-Basketballer Philipp Craven, ist Parsons nicht behindert.
Das Interview, das Chuck Penfold führte, wurde aus dem Englischen adaptiert.
DW: Es sind nur noch drei Tage bis zum Beginn der Paralympischen Winterspiele in Peking. Viele Sportverbände, darunter die FIFA und die UEFA, haben inzwischen Russland wegen der Invasion in Ukraine von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Das IOC hat seine Mitglieder aufgerufen, auf diese Weise zu verfahren. Wie reagiert das IPC darauf?
Andrew Parsons: Am morgigen Mittwoch wird das IPC Entscheidungen zur Situation um Russland und die Ukraine treffen. Grundlage wird die Verfassung des IPC sein. Wir müssen die Rechtsgrundlagen und die Werte achten, für die wir stehen. Wir sind 13 Personen im IPC-Vorstand, acht davon sind ehemalige oder aktive Sportler. Es wäre nicht fair, wenn ich jetzt hier als Präsident meine eigene Meinung öffentlich äußern würde. Die Entscheidung fällt morgen bei unserer Sitzung.
Russland hat eine Mannschaft mit 71 Aktiven entsandt. Werden sie bei den Paralympics starten dürfen, womöglich unter neutraler Flagge?
Das sind die wichtigsten Entscheidungen, die wir morgen treffen müssen. Wir müssen aber auch über die Konsequenzen reden, die sich daraus ergeben. Es wird also ein sehr arbeitsreicher Tag für den Vorstand.
Angesichts der Entscheidungen des IOC und der FIFA ist der Druck auf das IPC enorm. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), hat angekündigt, einen Ausschluss Russland vorzuschlagen. Hat das IPC überhaupt eine andere Wahl?
Jeder hat ein Recht auf seine Meinung. Aber man muss Entscheidungen auf der Grundlage von Fakten treffen, auf der Grundlage von Gesetzen, auf der Grundlage der eigenen Verfassung. Wir müssen also bei unseren Entscheidungen sehr vorsichtig sein und unsere Emotionen heraushalten. Auch weil eine Verantwortung gegenüber der paralympischen Bewegung haben.
Gastgeber der Paralympics ist China, die einzige Großmacht, die enge Beziehung zu Russland hat. Macht das eine mögliche Entscheidung, russische Athleten von den Spielen auszuschließen, komplizierter?
Nein. Die Entscheidung liegt einzig beim IPC, nicht bei irgendjemand anderem.
Organisationen wie Human Rights Watch haben das IOC scharf kritisiert, weil es sich trotz der Menschenrechtslage für China entschieden hat. Einige argumentieren, dass weder die Olympischen Spiele noch die Paralympics in China stattfinden sollten. Was antworten Sie den Kritikern?
Dass wir mit den Paralympischen Sommerspielen 2008 in Peking, die Art und Weise, wie Menschen mit Behinderungen in China wahrgenommen werden, für immer verändert haben. Selbst die chinesische Regierung hatte zuvor in ihren offiziellen Berichten Behinderte meist mit Bettlern auf der Straße gleichgesetzt. Seit den Spielen 2008 werden behinderte Menschen eher als Sportler wahrgenommen, vom Basketballspieler bis zum Judoka. Jetzt haben wir eine zweite Chance, diese Wahrnehmung für eine neue Generation von Chinesen zu verstärken.
Können Sie die Zahlen nennen, um die von Ihnen geschilderte Entwicklung zu belegen?
Es ist schwierig, die Wahrnehmung einer Bedrohung zu quantifizieren. Aber vor fünf Jahren gab es in China nur 10.000 Menschen mit Behinderung, die Wintersport trieben. Heute sind es 300.000. Wir sagen immer, dass Menschen mit Behinderungen nicht überbehütet werden müssen, sondern dass man ihnen Möglichkeiten eröffnen muss. Und ich glaube, dass China genau das tut.
DBS-Präsident Beucher hat den deutschen Paralympics-Startern geraten, auf öffentliche Kritik an China zu verzichten, solange sie im Land sind. Sind Sie derselben Meinung? Und wenn ja, steht das im Einklang mit den paralympischen Prinzipien?
Es steht den Deutschen frei, ihre Athleten so zu beraten, wie sie es für richtig halten. Ich kann nicht für Friedhelm Julius Beucher sprechen. Aber ich denke, es geht ihm darum zu verhindern, dass die Athleten in irgendwelche Schwierigkeiten geraten zu lassen. Sie sollen sich auf ihr Training und die Wettkämpfe hier konzentrieren. Die Aktiven haben das Recht, ihre Meinung gegenüber der Presse und in den sozialen Medien zu äußern. Aber wenn sie sich über das Gastgeberland äußern wollen, sollten sie sich meiner Meinung nach bewusst machen, dass sie hier zu Gast sind. Und man sollte höflich sein. Die behinderten Sportlerinnen und Sportler sind hier, um die Welt zu inspirieren. Sie können doch auch positive Dinge sagen, über Frieden und Inklusion.
Nach wie vor beherrscht die Corona-Pandemie das Leben weltweit. Bei den Olympischen Spielen ist es den Organisatoren gelungen, die Zahl der Infektionen niedrig zu halten. Sind Paralympics-Starter aufgrund von Vorerkrankungen einem höheren Risiko ausgesetzt? Macht Ihnen das Sorgen?
Eigentlich zeigen alle vorliegenden Studien, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken, bei Para-Sportlerinnen und -Sportlern nicht größer ist. Aber je nach Art und Grad der Behinderung können die Folgen natürlich schwerwiegender sein. Der Umfang der Corona-Schutzmaßnahmen ist derselbe wie bei den Olympischen Spielen. Wahrscheinlich ist dies momentan der sicherste Ort der Welt vor COVID-19. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Zahlen wirklich niedrig bleiben werden.
Es ist eine schwierige Zeit. Können Sie sich überhaupt auf die Spiele freuen?
Ich freue mich wirklich auf Samstag, den Tag nach der Eröffnungsfeier, weil dann der Sport im Mittelpunkt steht. Aber natürlich ist uns klar, dass morgen ein sehr wichtiger Tag ist, an dem einige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir sind uns des Ausmaßes der Geschehnisse in der Welt bewusst, insbesondere des Krieges in der Ukraine. Wir sind uns also auch unserer Verantwortung bewusst.
Der Brasilianer Andrew Parsons ist seit September 2017 Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Von 2005 bis 2009 hatte der Sohn schottischer Eltern an der Spitze des Paralympischen Komitees der USA gestanden, von 2009 bis 2017 führte er das Gremiums Brasiliens. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger als IPC-Chef, dem früheren Rollstuhl-Basketballer Philipp Craven, ist Parsons nicht behindert.
Das Interview, das Chuck Penfold führte, wurde aus dem Englischen adaptiert.