Ukraine aktuell: Der Krieg und das Giftgas
Als wäre dieser Krieg nicht schon grausam genug, wächst nun auch noch die Sorge vor einem Chemiewaffeneinsatz. Zugleich schwindet die Hoffnung auf sichere Fluchtkorridore aus den belagerten Städten. Der Überblick.
Das Wichtigste in Kürze:
Russland beschuldigt die Ukraine, Angriffe unter falscher Flagge auf Diplomaten zu planen. “Unter falscher Flagge” heißt, einen Vorwand für einen Angriff künstlich zu inszenieren. Aus dem russischen Verteidigungsministerium heißt es demnach: “Das nationalistische Kiewer Regime plant, Angriffe auf diplomatische Objekte der USA und westlicher Länder als angeblichen ‘gezielten Angriff der russischen Streitkräfte’ darzustellen.” Zudem behauptet Moskau, Kiew plane in den Regionen Sumy und Mykolajiw Angriffe auf Zivilisten mit Chemikalien. Für beide Aussagen gibt es keine Belege.
Das Wichtigste in Kürze:
Die Ukraine wirft ihrerseits Russland immer wieder vor, Unwahrheiten über angeblich geplante Provokationen zu verbreiten, um dann wiederum selbst unter falscher Flagge angreifen zu können. Auch die USA hatten die Sorge geäußert, dass Russland mit Vorwürfen über einen drohenden Einsatz chemischer Waffen eine potenzielle Aktion unter falscher Flagge vorbereiten könnte.
Ukraine meldet weitere Opfer russischer Angriffe
Die Ukraine berichtet von Toten und Verletzten bei erneuten russischen Angriffen. Im Ort Butscha nordwestlich der Hauptstadt Kiew seien durch Beschuss sieben Zivilisten ums Leben gekommen, teilte die Polizei der Region Kiew mit. In der ostukrainischen Region Donezk sprach die regionale Polizeibehörde von Dutzenden Toten und Verletzten ebenfalls bei Angriffen am Freitag. Angaben wie diese lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Nach dem verheerenden Luftangriff auf eine Kaserne im südukrainischen Mykolajiw ist die Stadt von zahlreichen weiteren russischen Attacken erschüttert worden. Die Luftangriffe erfolgten in so rascher Abfolge, dass kein Alarm habe ausgelöst werden könne, erklärte Gouverneur Vitali Kim in den Online-Netzwerken. “Bis wir diesen Tornado ankündigen, ist er bereits da.” Zum Ausmaß der Schäden oder zur Zahl möglicher Opfer machte Kim keine Angaben.
Der Bürgermeister von Tschernihiw hat in einem dramatischen Appell auf die prekäre Lage in der von russischen Truppen eingekesselten nordukrainischen Stadt hingewiesen. “Der wahllose Artilleriebeschuss der Wohngebiete dauert an, dabei sterben friedliche Menschen”, sagte Wladislaw Atraschenko nach Angaben der Agentur Unian. Die Stadt erlebe gerade eine humanitäre Katastrophe.
In der belagerten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer wird nach wie vor erbittert gekämpft. Von ukrainischer Seite heißt es, man habe “vorübergehend” den Zugang zum Asowschen Meer verloren. Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums beschreibt die Lage in der Stadt als “katastrophal”. Es gebe Kämpfe um das Stahlwerk Asowstal. “Eines der größten Stahlwerke Europas wird gerade zu einer Ruine.”
Nach Angaben der Stadtverwaltung der ukrainischen Stadt Mariupol haben russische Streitkräfte in der vergangenen Woche mehrere Tausend Menschen gewaltsam aus der belagerten Stadt deportiert. “Die Besatzer haben illegal Menschen aus dem Stadtteil Livoberezhniy und aus dem Schutzraum des Sportklubs verschleppt, wo sich mehr als Tausend Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, vor den ständigen Bombardierungen versteckt hatten”, teilte der Stadtrat in einer Erklärung auf seinem Telegram-Kanal mit.
Die Agentur RIA Novosti berichtete letzte Woche unter Berufung auf Hilfsdienste, dass fast 300.000 Menschen, darunter etwa 60.000 Kinder, aus den Regionen Luhansk und Donbass sowie Mariupol nach Russland gekommen seien.
Nach UN-Angaben sind inzwischen mehr als 3,3 Millionen Menschen vor den Kämpfen aus der Ukraine geflohen. Allein in Polen kamen bisher rund zwei Millionen Menschen an. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf spricht zudem von weiteren fast 6,5 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind.
In Deutschland registrierte die Bundespolizei seit Beginn des russischen Angriffs 207.742 Kriegsflüchtlinge. Die Zahl der tatsächlich Angekommenen dürfte deutlich höher sein. Bildungspolitiker in den Ländern schätzen, dass etwa die Hälfte der in Deutschland ankommenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Kinder und Jugendliche sind, die früher oder später in Schulen oder Kitas unterkommen müssen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Ukrainerinnen vor Übergriffen von Menschenhändlern und Sexualstraftätern schützen. “Jeder, der versucht die Not der Geflüchteten auszunutzen, sollte wissen: Auf solche Taten reagieren wir mit aller Härte des Gesetzes.” Niemand dürfe das Leid der Flüchtlinge missbrauchen, sagte sie der “Bild am Sonntag”. “Solche Übergriffe sind zutiefst verachtenswert.”
Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fordert eine schnellere und bessere Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Nötig sei ein “ministeriumsübergreifender nationaler Krisenstab im Kanzleramt”, sagte Göring-Eckardt der “Bild am Sonntag”. Dort könnten alle Fragen von der Unterbringung bis zur Versorgung und Kinderbetreuung geklärt werden. “Wir brauchen eine Flüchtlingskoordination, bei der alle Fäden, auch die Abstimmung mit den Bundesländern, zusammenlaufen”, plädierte sie.
Die Politik müsse jetzt “schnell staatliche Strukturen hochfahren und für eine bessere Verteilung sorgen”, mahnte die Grünen-Politikerin an. Die Koalition müsse zudem mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung stellen. “Da braucht es zügig mehr Personal und mehr Geld. Das wird Teil der Haushaltsverhandlungen nächste Woche”, kündigte sie an.
Die letzten Diplomaten aus der autoritär geführten Republik Belarus haben Angaben aus Minsk zufolge die Ukraine verlassen. Hintergrund seien “unerträgliche Zustände” für die Belarussen in der Ukraine gewesen, sagte Botschafter Igor Sokol im belarussischen Staatsfernsehen. Er verwies etwa auf gesperrte Bankkonten. Belarus gilt als enger Verbündeter Russlands. Das Land war Aufmarschgebiet für russische Soldaten und soll auch Stützpunkt für Raketenangriffe gegen die Ukraine gewesen sein.
Womöglich haben belarussische Bahnarbeiter alle Schienenverbindungen zwischen Belarus und der Ukraine unterbrochen. Jedenfalls dankte der Vorsitzende der ukrainischen Eisenbahnen, Olexander Kamyschin, den Kollegen in Belarus für die nicht näher beschriebene Aktion. “Mit dem heutigen Tag kann ich sagen, dass es keinen Bahnverkehr zwischen Belarus und der Ukraine gibt”, wird er von der Agentur Unian zitiert. Dies würde bedeuten, dass die russischen Truppen in der Ukraine über diese Strecken weder Verstärkungen noch Nachschub erhalten.
Zur Stärkung der NATO-Ostflanke wollen die USA ein Truppenkontingent nach Bulgarien entsenden. Das sagte der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow nach Gesprächen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Sofia. Dieses Kontingent soll unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers in Europa stehen.
rb/ack (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)
Das Wichtigste in Kürze:
Russland beschuldigt die Ukraine, Angriffe unter falscher Flagge auf Diplomaten zu planen. “Unter falscher Flagge” heißt, einen Vorwand für einen Angriff künstlich zu inszenieren. Aus dem russischen Verteidigungsministerium heißt es demnach: “Das nationalistische Kiewer Regime plant, Angriffe auf diplomatische Objekte der USA und westlicher Länder als angeblichen ‘gezielten Angriff der russischen Streitkräfte’ darzustellen.” Zudem behauptet Moskau, Kiew plane in den Regionen Sumy und Mykolajiw Angriffe auf Zivilisten mit Chemikalien. Für beide Aussagen gibt es keine Belege.
Ukraine meldet weitere Opfer russischer Angriffe
Die Ukraine wirft ihrerseits Russland immer wieder vor, Unwahrheiten über angeblich geplante Provokationen zu verbreiten, um dann wiederum selbst unter falscher Flagge angreifen zu können. Auch die USA hatten die Sorge geäußert, dass Russland mit Vorwürfen über einen drohenden Einsatz chemischer Waffen eine potenzielle Aktion unter falscher Flagge vorbereiten könnte.
Die Ukraine berichtet von Toten und Verletzten bei erneuten russischen Angriffen. Im Ort Butscha nordwestlich der Hauptstadt Kiew seien durch Beschuss sieben Zivilisten ums Leben gekommen, teilte die Polizei der Region Kiew mit. In der ostukrainischen Region Donezk sprach die regionale Polizeibehörde von Dutzenden Toten und Verletzten ebenfalls bei Angriffen am Freitag. Angaben wie diese lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Nach dem verheerenden Luftangriff auf eine Kaserne im südukrainischen Mykolajiw ist die Stadt von zahlreichen weiteren russischen Attacken erschüttert worden. Die Luftangriffe erfolgten in so rascher Abfolge, dass kein Alarm habe ausgelöst werden könne, erklärte Gouverneur Vitali Kim in den Online-Netzwerken. “Bis wir diesen Tornado ankündigen, ist er bereits da.” Zum Ausmaß der Schäden oder zur Zahl möglicher Opfer machte Kim keine Angaben.
Der Bürgermeister von Tschernihiw hat in einem dramatischen Appell auf die prekäre Lage in der von russischen Truppen eingekesselten nordukrainischen Stadt hingewiesen. “Der wahllose Artilleriebeschuss der Wohngebiete dauert an, dabei sterben friedliche Menschen”, sagte Wladislaw Atraschenko nach Angaben der Agentur Unian. Die Stadt erlebe gerade eine humanitäre Katastrophe.
Berichte über Deportationen
In der belagerten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer wird nach wie vor erbittert gekämpft. Von ukrainischer Seite heißt es, man habe “vorübergehend” den Zugang zum Asowschen Meer verloren. Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums beschreibt die Lage in der Stadt als “katastrophal”. Es gebe Kämpfe um das Stahlwerk Asowstal. “Eines der größten Stahlwerke Europas wird gerade zu einer Ruine.”
Flüchtlingsbewegungen übertreffen alle Befürchtungen
Nach Angaben der Stadtverwaltung der ukrainischen Stadt Mariupol haben russische Streitkräfte in der vergangenen Woche mehrere Tausend Menschen gewaltsam aus der belagerten Stadt deportiert. “Die Besatzer haben illegal Menschen aus dem Stadtteil Livoberezhniy und aus dem Schutzraum des Sportklubs verschleppt, wo sich mehr als Tausend Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, vor den ständigen Bombardierungen versteckt hatten”, teilte der Stadtrat in einer Erklärung auf seinem Telegram-Kanal mit.
Die Agentur RIA Novosti berichtete letzte Woche unter Berufung auf Hilfsdienste, dass fast 300.000 Menschen, darunter etwa 60.000 Kinder, aus den Regionen Luhansk und Donbass sowie Mariupol nach Russland gekommen seien.
Nach UN-Angaben sind inzwischen mehr als 3,3 Millionen Menschen vor den Kämpfen aus der Ukraine geflohen. Allein in Polen kamen bisher rund zwei Millionen Menschen an. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf spricht zudem von weiteren fast 6,5 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind.
Ein nationaler Krisenstab muss her
In Deutschland registrierte die Bundespolizei seit Beginn des russischen Angriffs 207.742 Kriegsflüchtlinge. Die Zahl der tatsächlich Angekommenen dürfte deutlich höher sein. Bildungspolitiker in den Ländern schätzen, dass etwa die Hälfte der in Deutschland ankommenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Kinder und Jugendliche sind, die früher oder später in Schulen oder Kitas unterkommen müssen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Ukrainerinnen vor Übergriffen von Menschenhändlern und Sexualstraftätern schützen. “Jeder, der versucht die Not der Geflüchteten auszunutzen, sollte wissen: Auf solche Taten reagieren wir mit aller Härte des Gesetzes.” Niemand dürfe das Leid der Flüchtlinge missbrauchen, sagte sie der “Bild am Sonntag”. “Solche Übergriffe sind zutiefst verachtenswert.”
Belarus zieht seine Diplomaten aus der Ukraine ab
Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fordert eine schnellere und bessere Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Nötig sei ein “ministeriumsübergreifender nationaler Krisenstab im Kanzleramt”, sagte Göring-Eckardt der “Bild am Sonntag”. Dort könnten alle Fragen von der Unterbringung bis zur Versorgung und Kinderbetreuung geklärt werden. “Wir brauchen eine Flüchtlingskoordination, bei der alle Fäden, auch die Abstimmung mit den Bundesländern, zusammenlaufen”, plädierte sie.
USA schicken Militärkontingent nach Bulgarien
Die Politik müsse jetzt “schnell staatliche Strukturen hochfahren und für eine bessere Verteilung sorgen”, mahnte die Grünen-Politikerin an. Die Koalition müsse zudem mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung stellen. “Da braucht es zügig mehr Personal und mehr Geld. Das wird Teil der Haushaltsverhandlungen nächste Woche”, kündigte sie an.
Die letzten Diplomaten aus der autoritär geführten Republik Belarus haben Angaben aus Minsk zufolge die Ukraine verlassen. Hintergrund seien “unerträgliche Zustände” für die Belarussen in der Ukraine gewesen, sagte Botschafter Igor Sokol im belarussischen Staatsfernsehen. Er verwies etwa auf gesperrte Bankkonten. Belarus gilt als enger Verbündeter Russlands. Das Land war Aufmarschgebiet für russische Soldaten und soll auch Stützpunkt für Raketenangriffe gegen die Ukraine gewesen sein.
Womöglich haben belarussische Bahnarbeiter alle Schienenverbindungen zwischen Belarus und der Ukraine unterbrochen. Jedenfalls dankte der Vorsitzende der ukrainischen Eisenbahnen, Olexander Kamyschin, den Kollegen in Belarus für die nicht näher beschriebene Aktion. “Mit dem heutigen Tag kann ich sagen, dass es keinen Bahnverkehr zwischen Belarus und der Ukraine gibt”, wird er von der Agentur Unian zitiert. Dies würde bedeuten, dass die russischen Truppen in der Ukraine über diese Strecken weder Verstärkungen noch Nachschub erhalten.
Zur Stärkung der NATO-Ostflanke wollen die USA ein Truppenkontingent nach Bulgarien entsenden. Das sagte der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow nach Gesprächen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Sofia. Dieses Kontingent soll unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers in Europa stehen.
rb/ack (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)