Kultur

Auslands-Oscar: Wo bleibt Afrika?

In fast 75 Jahren ging der Oscar für den “Besten Internationalen Film” nur dreimal nach Afrika. Europa dominiert die Kategorie. Warum ist das so?

Ein harmonisches Zusammenspiel summender Stimmen begleitet das Bild eines jungen Mannes mit Baby im Arm, der zwischen hohen Gräsern sitzt und in die Ferne blickt, auf die Skyline Johannesburgs. Der Mann hört auf Tsotsi, ein Synonym für Gangster, und ist Protagonist des gleichnamigen Filmes. 2006 ging der Auslands-Oscar mit “Tsotsi” an ein afrikanisches Land, Südafrika, doch das ist die Ausnahme.

In der Regel geht die begehrte Filmtrophäe in der Kategorie “Bester Internationaler Film”, die seit 1948 vergeben wird, an ein europäisches Land. In den vergangenen 15 Jahren gewannen zwar öfters nicht-europäische Filme, doch Filmemacher bestimmter Kontinente sind nur selten unter den Preisträgern: In fast 75 Jahren gingen etwa nur drei Oscars dieser Kategorie an ein afrikanisches Land. Neben afrikanischen Produktionen sind auch asiatische und südamerikanische Filme stark unterrepräsentiert. 

Ein harmonisches Zusammenspiel summender Stimmen begleitet das Bild eines jungen Mannes mit Baby im Arm, der zwischen hohen Gräsern sitzt und in die Ferne blickt, auf die Skyline Johannesburgs. Der Mann hört auf Tsotsi, ein Synonym für Gangster, und ist Protagonist des gleichnamigen Filmes. 2006 ging der Auslands-Oscar mit “Tsotsi” an ein afrikanisches Land, Südafrika, doch das ist die Ausnahme.

Von den drei afrikanischen Preisträgern waren jedoch zwei französische Ko-Produktionen: “Z” und “Noirs et Blancs en couleur”. Überraschend sind die Ko-Produktionen in Anbetracht der kolonialen Vergangenheit nicht. Zwischen Frankreich und Ländern wie Algerien oder der Elfenbeinküste bestehen enge Verbindungen. Durch die Zusammenarbeit profitierten die Filme vom großen Einfluss der französischen Filmlobby in Hollywood

Auch Bollywood hat es schwer in Hollywood

Erst 2006 gewann mit “Tsotsi” ein nicht-französischsprachiger Film aus Afrika. Die südafrikanische Produktion von Regisseur Gavin Hood ist der erste und bisher einzige afrikanische Gewinnerfilm, welcher nicht in französischer Sprache produziert wurde. Doch auch der Erfolg von “Tsotsi” kommt nicht von ungefähr, wie Steve Ayorinde, renommierter nigerianischer Filmkritiker mit Erfahrung in Jurys internationaler Filmfestspiele wie Cannes, Berlin und Toronto, sagt: “Man sollte dabei nicht vergessen: Viele der Filme aus Südafrika, die international bekannt werden, sind vermutlich von weißen Südafrikanern.” Diese Kritik trifft auch auf den Oscar-prämierten Film “Tsotsi” zu, denn Regisseur Gavin Hood ist weiß.

Lobbying ist laut Ayorinde ein wichtiger Gewinnfaktor: “Die afrikanischen Filme sind immer am Rande der großen Filmfestspiele. Aber wer treibt sie dann voran? Ohne Zusammenarbeit, ohne jegliche Unterstützung, ohne dass eine große europäische oder US-amerikanische Institution oder Produktionsfirma investiert, ist es schwierig, einen solchen Film international zu vermarkten.”

Das gelingt beispielsweise US-amerikanischen oder europäischen Filmemachern viel besser. Da überrascht es wenig, dass die Gewinner der Kategorie “Bester Internationaler Film” zu 78 Prozent europäisch sind. Frankreich und Italien sind die Dauerbrenner mit mehr als der Hälfte der Gewinne. Beide Länder verfügen über großen Einfluss in Hollywood, während Filme aus afrikanischen, asiatischen oder südamerikanischen Ländern unsichtbar bleiben. 

Die Hälfte der asiatischen Gewinnerfilme sind japanische Produktionen. Trotz großer Bollywood-Industrie hat Indien noch kein einziges Mal gewonnen. Ein Grund sei ebenfalls die fehlende Vermarktung, sagt Namrata Joshi, Filmkritikerin und Autorin mit Erfahrung in Jurys internationaler Filmfestspiele wie Toronto, Moskau und Cluj: “Indischen Filmemachern fehlen die finanziellen Mittel für die Vermarktung. Die Oscar-Verleihung ist eben ein Marketing-Spiel.” Wer mit guter Vermarktung die Aufmerksamkeit der Academy gewinnen kann, habe bessere Chancen auf eine Nominierung. 

Eine weitere Barriere sei laut Joshi die inhaltliche Gestaltung der Filme. Oft seien indische Filme für ein globales Publikum teilweise zu melodramatisch oder enthalten zu viele Musik- und Tanzszenen. Dabei präge besonders Bollywood das Bild des indischen Films im Ausland: “Es gilt diese Erwartungen zu durchbrechen, denn das indische Kino ist kein Einheitsbrei. Die Vielfalt ist immens, wie Indien selbst: Indien ist wie Europa, mit so vielen Sprachen und Kulturen. Bollywood beschreibt nicht die gesamte indische Filmbranche”, so Joshi. 

Auch afrikanische Filme stehen vor vielen Herausforderungen: Dass sie bei der Preisverleihung unterrepräsentiert sind, liegt nicht daran, dass gute Filme fehlen. Mehrere Faktoren sind laut Ayorinde hinderlich. Es sei sehr schwierig, ohne Finanzierung von westlichen Institutionen, Kollaboration oder technische Unterstützung internationale Aufmerksamkeit, geschweige denn eine Nominierung zu erreichen. 

Eine bedeutende Rolle spielt die Sprache: “Der Vorteil, den die europäischen Filme meiner Meinung nach haben, besteht darin, dass Sprachen wie Deutsch, Französisch, Spanisch oder Italienisch bereits internationale Sprachen sind. Somit sind auch diejenigen, die die Filme beurteilen werden, bereits vertraut mit der Sprache.” Kisuaheli oder Zulu, um nur zwei der afrikanischen Sprachen zu nennen, sind laut Ayorinde in Afrika bekannt, aber international meist nicht.  

Es scheint fast unmöglich, dass Nigeria mit der international bekannten Nollywood Industrie, die jährlich etwa 2500 Filme produziert, noch nicht ein einziges Mal gewonnen hat. Nollywood-Filme erfüllen meist nicht die technischen Ansprüche eines Kinofilmes, da der Fokus das Heimfernsehen ist. Streamingdienste wie Netflix könnten die Situation laut Ayorinde stark verändern: “Netflix hat nun die Messlatte höher gelegt und sagt: Ja, ihr erstellt den Film für den heimischen Konsum, aber er muss Kinoqualität bieten.” Netflix bezahle genug für die Produktion entsprechender Netflix-Originalfilme in Kinoqualität. Ob dies fortgeführt werde, hänge jedoch von der Anzahl der Abonnements ab, die Netflix aus Nigeria, und Afrika generell, gewinnen kann. Dann könnten afrikanische Filme durch Netflix internationale Aufmerksamkeit und Wertschätzung erlangen. 

Doch auch wenn die Nollywood-Produktionen ihre Qualität verbessern, erhöht das nicht zwingend die Chancen auf eine Oscarnominierung oder Gewinn. Bedingungen der Academy, etwa, dass ein Film im Kino laufen muss, schließt Nollywood-Produktionen auch dann weiter aus. 

Joshi und Ayorinde sehen in den vergangenen Jahren Bemühungen der Academy zu mehr Diversität. So eine grundlegende Veränderung passiere jedoch nicht über Nacht, sagt Joshi: “Es braucht eine gewisse Neugier [in der Jury] und das Bestreben, Filme aus aller Welt zu verstehen. Sofern die Zusammensetzung [der Mitglieder] vielfältig bleibt, sich diese öffnen und versuchen, verschiedene Filme in all ihren Facetten kennenzulernen und zu verstehen, dann wird sich die Situation langsam verändern.” Dass nun mehr Menschen aus ihrem Heimatland Indien Teil der Academy-Jury werden, sei ein erster wichtiger Schritt, so Joshi.

Ein weiterer großer Schritt zu mehr Chancengleichheit für spärlich vertretene Länder wäre die Veränderung der Zulassungsvoraussetzungen. Ayorinde schlägt insbesondere zwei zusätzliche Ansätze vor: Die Bedingung der Kinoaufführungen abschaffen, zumal Plattformen wie Netflix und Amazon Prime die Filmindustrie stark verändern und mehr qualitativ hochwertige Filme für den Heimkonsum produziert werden. Außerdem empfiehlt er, mehr Kategorien für nicht-englischsprachige Filme zu schaffen. Die stärkere Vertretung unterrepräsentierter Regionen in den stimmberechtigten Mitgliedern sieht Ayorinde wie Joshi als sehr wichtig an.

Auf Anfragen zur fehlenden Repräsentation Afrikas, Reformen zu mehr Fairness und der Bedeutung von Vermarktung und Lobbying hat sich die Academy auf Anfrage der DW bislang nicht geäußert (Stand: 23.03.2022). 

Durch die Änderungsvorschläge Ayorindes hätten mehr nicht-englischsprache Filmen eine Chance, sich für den Wettbewerb zu qualifizieren. Das Gesamt-Niveau der Oscars würde sich dadurch nicht verschlechtern, findet Ayorinde: “Die guten Filme werden sich immer durchsetzen.”

 

Ein harmonisches Zusammenspiel summender Stimmen begleitet das Bild eines jungen Mannes mit Baby im Arm, der zwischen hohen Gräsern sitzt und in die Ferne blickt, auf die Skyline Johannesburgs. Der Mann hört auf Tsotsi, ein Synonym für Gangster, und ist Protagonist des gleichnamigen Filmes. 2006 ging der Auslands-Oscar mit “Tsotsi” an ein afrikanisches Land, Südafrika, doch das ist die Ausnahme.

In der Regel geht die begehrte Filmtrophäe in der Kategorie “Bester Internationaler Film”, die seit 1948 vergeben wird, an ein europäisches Land. In den vergangenen 15 Jahren gewannen zwar öfters nicht-europäische Filme, doch Filmemacher bestimmter Kontinente sind nur selten unter den Preisträgern: In fast 75 Jahren gingen etwa nur drei Oscars dieser Kategorie an ein afrikanisches Land. Neben afrikanischen Produktionen sind auch asiatische und südamerikanische Filme stark unterrepräsentiert. 

Auch Bollywood hat es schwer in Hollywood

Von den drei afrikanischen Preisträgern waren jedoch zwei französische Ko-Produktionen: “Z” und “Noirs et Blancs en couleur”. Überraschend sind die Ko-Produktionen in Anbetracht der kolonialen Vergangenheit nicht. Zwischen Frankreich und Ländern wie Algerien oder der Elfenbeinküste bestehen enge Verbindungen. Durch die Zusammenarbeit profitierten die Filme vom großen Einfluss der französischen Filmlobby in Hollywood

Erst 2006 gewann mit “Tsotsi” ein nicht-französischsprachiger Film aus Afrika. Die südafrikanische Produktion von Regisseur Gavin Hood ist der erste und bisher einzige afrikanische Gewinnerfilm, welcher nicht in französischer Sprache produziert wurde. Doch auch der Erfolg von “Tsotsi” kommt nicht von ungefähr, wie Steve Ayorinde, renommierter nigerianischer Filmkritiker mit Erfahrung in Jurys internationaler Filmfestspiele wie Cannes, Berlin und Toronto, sagt: “Man sollte dabei nicht vergessen: Viele der Filme aus Südafrika, die international bekannt werden, sind vermutlich von weißen Südafrikanern.” Diese Kritik trifft auch auf den Oscar-prämierten Film “Tsotsi” zu, denn Regisseur Gavin Hood ist weiß.

Lobbying ist laut Ayorinde ein wichtiger Gewinnfaktor: “Die afrikanischen Filme sind immer am Rande der großen Filmfestspiele. Aber wer treibt sie dann voran? Ohne Zusammenarbeit, ohne jegliche Unterstützung, ohne dass eine große europäische oder US-amerikanische Institution oder Produktionsfirma investiert, ist es schwierig, einen solchen Film international zu vermarkten.”

Das gelingt beispielsweise US-amerikanischen oder europäischen Filmemachern viel besser. Da überrascht es wenig, dass die Gewinner der Kategorie “Bester Internationaler Film” zu 78 Prozent europäisch sind. Frankreich und Italien sind die Dauerbrenner mit mehr als der Hälfte der Gewinne. Beide Länder verfügen über großen Einfluss in Hollywood, während Filme aus afrikanischen, asiatischen oder südamerikanischen Ländern unsichtbar bleiben. 

Schritte der Academy in Richtung Chancengleichheit

Die Hälfte der asiatischen Gewinnerfilme sind japanische Produktionen. Trotz großer Bollywood-Industrie hat Indien noch kein einziges Mal gewonnen. Ein Grund sei ebenfalls die fehlende Vermarktung, sagt Namrata Joshi, Filmkritikerin und Autorin mit Erfahrung in Jurys internationaler Filmfestspiele wie Toronto, Moskau und Cluj: “Indischen Filmemachern fehlen die finanziellen Mittel für die Vermarktung. Die Oscar-Verleihung ist eben ein Marketing-Spiel.” Wer mit guter Vermarktung die Aufmerksamkeit der Academy gewinnen kann, habe bessere Chancen auf eine Nominierung. 

Eine weitere Barriere sei laut Joshi die inhaltliche Gestaltung der Filme. Oft seien indische Filme für ein globales Publikum teilweise zu melodramatisch oder enthalten zu viele Musik- und Tanzszenen. Dabei präge besonders Bollywood das Bild des indischen Films im Ausland: “Es gilt diese Erwartungen zu durchbrechen, denn das indische Kino ist kein Einheitsbrei. Die Vielfalt ist immens, wie Indien selbst: Indien ist wie Europa, mit so vielen Sprachen und Kulturen. Bollywood beschreibt nicht die gesamte indische Filmbranche”, so Joshi. 

Auch afrikanische Filme stehen vor vielen Herausforderungen: Dass sie bei der Preisverleihung unterrepräsentiert sind, liegt nicht daran, dass gute Filme fehlen. Mehrere Faktoren sind laut Ayorinde hinderlich. Es sei sehr schwierig, ohne Finanzierung von westlichen Institutionen, Kollaboration oder technische Unterstützung internationale Aufmerksamkeit, geschweige denn eine Nominierung zu erreichen. 

Eine bedeutende Rolle spielt die Sprache: “Der Vorteil, den die europäischen Filme meiner Meinung nach haben, besteht darin, dass Sprachen wie Deutsch, Französisch, Spanisch oder Italienisch bereits internationale Sprachen sind. Somit sind auch diejenigen, die die Filme beurteilen werden, bereits vertraut mit der Sprache.” Kisuaheli oder Zulu, um nur zwei der afrikanischen Sprachen zu nennen, sind laut Ayorinde in Afrika bekannt, aber international meist nicht.  

Es scheint fast unmöglich, dass Nigeria mit der international bekannten Nollywood Industrie, die jährlich etwa 2500 Filme produziert, noch nicht ein einziges Mal gewonnen hat. Nollywood-Filme erfüllen meist nicht die technischen Ansprüche eines Kinofilmes, da der Fokus das Heimfernsehen ist. Streamingdienste wie Netflix könnten die Situation laut Ayorinde stark verändern: “Netflix hat nun die Messlatte höher gelegt und sagt: Ja, ihr erstellt den Film für den heimischen Konsum, aber er muss Kinoqualität bieten.” Netflix bezahle genug für die Produktion entsprechender Netflix-Originalfilme in Kinoqualität. Ob dies fortgeführt werde, hänge jedoch von der Anzahl der Abonnements ab, die Netflix aus Nigeria, und Afrika generell, gewinnen kann. Dann könnten afrikanische Filme durch Netflix internationale Aufmerksamkeit und Wertschätzung erlangen. 

Doch auch wenn die Nollywood-Produktionen ihre Qualität verbessern, erhöht das nicht zwingend die Chancen auf eine Oscarnominierung oder Gewinn. Bedingungen der Academy, etwa, dass ein Film im Kino laufen muss, schließt Nollywood-Produktionen auch dann weiter aus. 

Joshi und Ayorinde sehen in den vergangenen Jahren Bemühungen der Academy zu mehr Diversität. So eine grundlegende Veränderung passiere jedoch nicht über Nacht, sagt Joshi: “Es braucht eine gewisse Neugier [in der Jury] und das Bestreben, Filme aus aller Welt zu verstehen. Sofern die Zusammensetzung [der Mitglieder] vielfältig bleibt, sich diese öffnen und versuchen, verschiedene Filme in all ihren Facetten kennenzulernen und zu verstehen, dann wird sich die Situation langsam verändern.” Dass nun mehr Menschen aus ihrem Heimatland Indien Teil der Academy-Jury werden, sei ein erster wichtiger Schritt, so Joshi.

Ein weiterer großer Schritt zu mehr Chancengleichheit für spärlich vertretene Länder wäre die Veränderung der Zulassungsvoraussetzungen. Ayorinde schlägt insbesondere zwei zusätzliche Ansätze vor: Die Bedingung der Kinoaufführungen abschaffen, zumal Plattformen wie Netflix und Amazon Prime die Filmindustrie stark verändern und mehr qualitativ hochwertige Filme für den Heimkonsum produziert werden. Außerdem empfiehlt er, mehr Kategorien für nicht-englischsprachige Filme zu schaffen. Die stärkere Vertretung unterrepräsentierter Regionen in den stimmberechtigten Mitgliedern sieht Ayorinde wie Joshi als sehr wichtig an.

Auf Anfragen zur fehlenden Repräsentation Afrikas, Reformen zu mehr Fairness und der Bedeutung von Vermarktung und Lobbying hat sich die Academy auf Anfrage der DW bislang nicht geäußert (Stand: 23.03.2022). 

Durch die Änderungsvorschläge Ayorindes hätten mehr nicht-englischsprache Filmen eine Chance, sich für den Wettbewerb zu qualifizieren. Das Gesamt-Niveau der Oscars würde sich dadurch nicht verschlechtern, findet Ayorinde: “Die guten Filme werden sich immer durchsetzen.”

 

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