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Frankfurter Adlerwerke: Geschichtsort oder Gedenkstätte?

Die Erinnerung an das KZ Katzbach ist Teil eines musealen Konzepts für die ehemaligen Adlerwerke in Frankfurt am Main. Kritiker meinen, das zolle den Opfern nicht genügend Respekt.

30 Jahre lang haben Bürgerinitiativen in Frankfurt am Main den Weg für eine Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach geebnet. Unter diesem Tarnnamen fungierte im Stadtteil Gallus in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs neben einem “normalen” Zwangsarbeitslager auch eine grauenvolle Filiale des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im monumentalen Gebäude der damaligen Adlerwerke. Nach Kriegsende war Katzbach dort ein Tabuthema. Als der Betrieb Anfang der 1990er Jahre geschlossen wurde, geriet das KZ in Vergessenheit.

Insgesamt 1616 Menschen wurden zwischen dem 22. August 1944 und dem 24. März 1945 im KZ Katzbach gefangen gehalten. Sie entstammten acht Nationalitäten, über drei Viertel davon kamen aus Polen. Die meisten KZ-Insassen waren während des Warschauer Aufstands verhaftet und dann ins deutsche Reich deportiert worden. Rund Tausend Katzbach-Häftlinge kamen aus dem KZ Dachau, 600 aus Buchenwald und Auschwitz, einige wenige aus Neuengamme und Natzweiler. In Frankfurt wurde ihre Arbeitskraft für Hitlers Rüstungsindustrie eingesetzt, denn statt Autos wurden bei Adler während des Kriegs Teile für Panzerwagen gefertigt.

30 Jahre lang haben Bürgerinitiativen in Frankfurt am Main den Weg für eine Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach geebnet. Unter diesem Tarnnamen fungierte im Stadtteil Gallus in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs neben einem “normalen” Zwangsarbeitslager auch eine grauenvolle Filiale des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im monumentalen Gebäude der damaligen Adlerwerke. Nach Kriegsende war Katzbach dort ein Tabuthema. Als der Betrieb Anfang der 1990er Jahre geschlossen wurde, geriet das KZ in Vergessenheit.

Die Sterblichkeitsrate im KZ Katzbach war eine der höchsten von allen Konzentrationslagern. Das Kriegsende erlebten nur etwa 100 Häftlinge – keine zehn Prozent. Die anderen waren gestorben, als arbeitsuntauglich in das sogenannte Sterbelager geschickt oder bei Kriegsende auf Todesmärschen umgebracht worden. Die wenigen überlebenden Ex-Gefangenen fordern schon lange, eine Gedenkstätte für sie am Ort ihres Martyriums zu errichten.

Polnische Community schlägt Alarm

Am Gedenken an die Opfer des Lagers KZ Katzbach beteiligt sich die polnische Community in Frankfurt, die sich seit 2018 in der Initiative “Daj Znak” (Deutsch: Gib Zeichen) organisiert hat. Bereits zwei Jahre davor wurde in Frankfurt der Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main gegründet. Das Frankfurter Kulturdezernat finanzierte die Erarbeitung der Konzeption des Ortes und der dort geplanten Ausstellung.

Das Kulturdezernat stellte auch Mittel für die Forschung über das KZ zur Verfügung. Die entsprechende Studie wurde vom Fritz-Bauer-Institut durchgeführt. 160 Quadratmeter im Erdgeschoß der ehemaligen Adlerwerke wurden angemietet, mit Sicht auf den Fabrikturm, in dem einst ein unzureichend ausgestatteter Schlafraum für 1000 KZ-Häftlinge untergebracht war.

Anfangs begrüßten die Aktivisten von “Daj Znak” die Vorbereitungen. Im Herbst 2021 aber schlugen sie Alarm: Sie waren auf eine Broschüre gestoßen, der zufolge die geplante Erinnerungsstätte statt “Gedenk- und Bildungsstätte über das KZ Katzbach” einfach “Geschichtsort Adlerwerke. Fabrik. Zwangsarbeit. Konzentrationslager” heißen sollte. Auch die Juristin Barbara Lange, “Daj Znak”-Mitglied und stellvertretende Vorsitzende der kommunalen Ausländer*innenvertretung, war erstaunt. Immerhin hatte der Stadtrat doch beschlossen, dass eine Gedenk- und Bildungsstätte errichtet werden sollte. Entsprechend war auch der Förderverein der künftigen Gedenkstätte benannt worden.

 

In der neuen Bezeichnung des Geschichtsorts Adlerwerke (Eröffnung: 25. März 2022) sieht Lange eine semantische Verschiebung, die der geschichtlichen Identität des Ortes nicht gerecht wird. “Der neue Name zollt vor allem nicht genügend Respekt für das unermessliche Leid, das den Opfern dort zugeführt wurde”, betont sie im Gespräch mit der DW. Die Institutionen, die für den neuen Namen “Geschichtsort” zeichnen, sähen ihn in erster Linie vor dem Hintergrund der Fabrik, der Stadt bzw. des Stadtteils – und weniger vor dem eines ehemaligen KZ. Ein Treffen mit zuständigen Institutionen und Ämtern zur Klärung dieser Einwände sei ergebnislos geblieben, beklagt Lange.

Der Ausstellungskurator und Leiter des neuen “Geschichtsorts”, Thomas Altmeyer, verteidigt dagegen das erweiterte Konzept und betont, man wolle damit nicht nur Gymnasiasten erreichen. In Planung seien “berufsgruppenspezifische Angebote”, etwa für Gewerkschafter und Betriebsräte. “Diese Angebote lassen sich beispielsweise über die Themen Fabrik, Arbeit und Zwangsarbeit bis hin zur Arbeitsmigration nach Westdeutschland seit den 1960er Jahren entwickeln. So wurde ein ehemaliges Zwangsarbeitslager der Adlerwerke später Wohnstätte von Gastarbeitern“, erklärt Thomas Altmeyer.

Tatsächlich wird die Geschichte des KZ Katzbach am neuen Erinnerungsort – neben der Geschichte der Fabrik selbst, einem Block zum Thema Zwangsarbeit im Dritten Reich und der Darstellung der Arbeitsmigration der Nachkriegszeit in Westdeutschland – zur vierten tragenden Säule. Dabei wird der Name “Katzbach” im Namen des Erinnerungsorts nicht erscheinen. “Solche Decknamen gehörten zur nationalsozialistischen Terminologie”, erklärt Ina Hartwig, die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main. “Bei der Namensfindung hat das Projektteam sich bewusst gegen die Benutzung der nationalsozialistischen Bezeichnung entschieden.”

Auch der Verzicht auf die Bezeichnung “Gedenkstätte” dürfte kein Zufall sein, sagen die Kritiker. “Damit verbindet man Unterdrückung, Vernichtung durch Arbeit und Shoa”, betont der Jurist Daniel Gluch, Mitglied der Initiative “Daj Znak”. “Der Begriff ‘Geschichtsort’ wird für andere Stätten aus der nationalsozialistischen Zeit angewandt, etwa ein Gestapo-Gebäude. In Hamburg haben wir eine Gedenkstätte KZ Neuengamme und einen Geschichtsort, der im Krieg als Gestapo-Sitz fungierte”, gibt Daniel Gluch zu Bedenken.

Die Bezeichnung “Gedenkstätte” im Namen sei für die Träger solcher Institutionen besonders verpflichtend, so Gluch weiter. Und das nicht nur in Bezug auf Gedenkveranstaltungen, die an die Opfer erinnern. Das sogenannteWannsee Memorandum – ein im Jahr 2017 von einem Experten-Forum verabschiedetes Dokument zum Umgang mit ehemaligen deutschen KZ – empfiehlt unter anderem, einen Experten-Rat einzuberufen. Als Vorbild könnte das Internationale Auschwitz Komitee dienen.

Die Kritiker des Konzepts des Frankfurter “Geschichtsorts” sind überzeugt, dass eine “Gedenkstätte” angemessener und besser geeignet wäre, um das KZ Katzbach in der nationalen und internationalen Erinnerungskultur zu verankern. “Wir stehen hier vor einem Teil der europäischen Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Das hier ist eine Stätte von internationaler Bedeutung”, unterstreicht Barbara Lange.

Gedenktafel am Gebäude der ehemaligen Adlerwerke in Frankfurt am Main
Deutschland Adlerwerke in Frankfurt am Main
Mitglieder der Polnischen Dialoginitiative für Frankfurt Daj Znak

30 Jahre lang haben Bürgerinitiativen in Frankfurt am Main den Weg für eine Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach geebnet. Unter diesem Tarnnamen fungierte im Stadtteil Gallus in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs neben einem “normalen” Zwangsarbeitslager auch eine grauenvolle Filiale des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im monumentalen Gebäude der damaligen Adlerwerke. Nach Kriegsende war Katzbach dort ein Tabuthema. Als der Betrieb Anfang der 1990er Jahre geschlossen wurde, geriet das KZ in Vergessenheit.

Insgesamt 1616 Menschen wurden zwischen dem 22. August 1944 und dem 24. März 1945 im KZ Katzbach gefangen gehalten. Sie entstammten acht Nationalitäten, über drei Viertel davon kamen aus Polen. Die meisten KZ-Insassen waren während des Warschauer Aufstands verhaftet und dann ins deutsche Reich deportiert worden. Rund Tausend Katzbach-Häftlinge kamen aus dem KZ Dachau, 600 aus Buchenwald und Auschwitz, einige wenige aus Neuengamme und Natzweiler. In Frankfurt wurde ihre Arbeitskraft für Hitlers Rüstungsindustrie eingesetzt, denn statt Autos wurden bei Adler während des Kriegs Teile für Panzerwagen gefertigt.

Polnische Community schlägt Alarm

Die Sterblichkeitsrate im KZ Katzbach war eine der höchsten von allen Konzentrationslagern. Das Kriegsende erlebten nur etwa 100 Häftlinge – keine zehn Prozent. Die anderen waren gestorben, als arbeitsuntauglich in das sogenannte Sterbelager geschickt oder bei Kriegsende auf Todesmärschen umgebracht worden. Die wenigen überlebenden Ex-Gefangenen fordern schon lange, eine Gedenkstätte für sie am Ort ihres Martyriums zu errichten.

Am Gedenken an die Opfer des Lagers KZ Katzbach beteiligt sich die polnische Community in Frankfurt, die sich seit 2018 in der Initiative “Daj Znak” (Deutsch: Gib Zeichen) organisiert hat. Bereits zwei Jahre davor wurde in Frankfurt der Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main gegründet. Das Frankfurter Kulturdezernat finanzierte die Erarbeitung der Konzeption des Ortes und der dort geplanten Ausstellung.

Das Kulturdezernat stellte auch Mittel für die Forschung über das KZ zur Verfügung. Die entsprechende Studie wurde vom Fritz-Bauer-Institut durchgeführt. 160 Quadratmeter im Erdgeschoß der ehemaligen Adlerwerke wurden angemietet, mit Sicht auf den Fabrikturm, in dem einst ein unzureichend ausgestatteter Schlafraum für 1000 KZ-Häftlinge untergebracht war.

Anfangs begrüßten die Aktivisten von “Daj Znak” die Vorbereitungen. Im Herbst 2021 aber schlugen sie Alarm: Sie waren auf eine Broschüre gestoßen, der zufolge die geplante Erinnerungsstätte statt “Gedenk- und Bildungsstätte über das KZ Katzbach” einfach “Geschichtsort Adlerwerke. Fabrik. Zwangsarbeit. Konzentrationslager” heißen sollte. Auch die Juristin Barbara Lange, “Daj Znak”-Mitglied und stellvertretende Vorsitzende der kommunalen Ausländer*innenvertretung, war erstaunt. Immerhin hatte der Stadtrat doch beschlossen, dass eine Gedenk- und Bildungsstätte errichtet werden sollte. Entsprechend war auch der Förderverein der künftigen Gedenkstätte benannt worden.

Vorwurf: semantische Verschiebung

 

Von Zwangsarbeitern zu Gastarbeitern

In der neuen Bezeichnung des Geschichtsorts Adlerwerke (Eröffnung: 25. März 2022) sieht Lange eine semantische Verschiebung, die der geschichtlichen Identität des Ortes nicht gerecht wird. “Der neue Name zollt vor allem nicht genügend Respekt für das unermessliche Leid, das den Opfern dort zugeführt wurde”, betont sie im Gespräch mit der DW. Die Institutionen, die für den neuen Namen “Geschichtsort” zeichnen, sähen ihn in erster Linie vor dem Hintergrund der Fabrik, der Stadt bzw. des Stadtteils – und weniger vor dem eines ehemaligen KZ. Ein Treffen mit zuständigen Institutionen und Ämtern zur Klärung dieser Einwände sei ergebnislos geblieben, beklagt Lange.

Der Ausstellungskurator und Leiter des neuen “Geschichtsorts”, Thomas Altmeyer, verteidigt dagegen das erweiterte Konzept und betont, man wolle damit nicht nur Gymnasiasten erreichen. In Planung seien “berufsgruppenspezifische Angebote”, etwa für Gewerkschafter und Betriebsräte. “Diese Angebote lassen sich beispielsweise über die Themen Fabrik, Arbeit und Zwangsarbeit bis hin zur Arbeitsmigration nach Westdeutschland seit den 1960er Jahren entwickeln. So wurde ein ehemaliges Zwangsarbeitslager der Adlerwerke später Wohnstätte von Gastarbeitern“, erklärt Thomas Altmeyer.

Tatsächlich wird die Geschichte des KZ Katzbach am neuen Erinnerungsort – neben der Geschichte der Fabrik selbst, einem Block zum Thema Zwangsarbeit im Dritten Reich und der Darstellung der Arbeitsmigration der Nachkriegszeit in Westdeutschland – zur vierten tragenden Säule. Dabei wird der Name “Katzbach” im Namen des Erinnerungsorts nicht erscheinen. “Solche Decknamen gehörten zur nationalsozialistischen Terminologie”, erklärt Ina Hartwig, die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main. “Bei der Namensfindung hat das Projektteam sich bewusst gegen die Benutzung der nationalsozialistischen Bezeichnung entschieden.”

Kritiker: Abstufung des Gedenkens?

Auch der Verzicht auf die Bezeichnung “Gedenkstätte” dürfte kein Zufall sein, sagen die Kritiker. “Damit verbindet man Unterdrückung, Vernichtung durch Arbeit und Shoa”, betont der Jurist Daniel Gluch, Mitglied der Initiative “Daj Znak”. “Der Begriff ‘Geschichtsort’ wird für andere Stätten aus der nationalsozialistischen Zeit angewandt, etwa ein Gestapo-Gebäude. In Hamburg haben wir eine Gedenkstätte KZ Neuengamme und einen Geschichtsort, der im Krieg als Gestapo-Sitz fungierte”, gibt Daniel Gluch zu Bedenken.

Die Bezeichnung “Gedenkstätte” im Namen sei für die Träger solcher Institutionen besonders verpflichtend, so Gluch weiter. Und das nicht nur in Bezug auf Gedenkveranstaltungen, die an die Opfer erinnern. Das sogenannteWannsee Memorandum – ein im Jahr 2017 von einem Experten-Forum verabschiedetes Dokument zum Umgang mit ehemaligen deutschen KZ – empfiehlt unter anderem, einen Experten-Rat einzuberufen. Als Vorbild könnte das Internationale Auschwitz Komitee dienen.

Die Kritiker des Konzepts des Frankfurter “Geschichtsorts” sind überzeugt, dass eine “Gedenkstätte” angemessener und besser geeignet wäre, um das KZ Katzbach in der nationalen und internationalen Erinnerungskultur zu verankern. “Wir stehen hier vor einem Teil der europäischen Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Das hier ist eine Stätte von internationaler Bedeutung”, unterstreicht Barbara Lange.

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