Welt

Erinnerung bedeutet gemeinsame Verantwortung

Vor 40 Jahren wurde in Deutschland der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegründet. 1982 wurde der Völkermord an den Sinti und Roma in der NS-Zeit erstmals anerkannt. Ein Gastbeitrag vom Vorsitzenden Romani Rose.

Am 17. März 1982 empfing der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des kurz zuvor gegründeten Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und erkannte den Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma im NS-besetzten Europa an. Es wäre politisch korrekt und historisch richtig gewesen, wenn die Regierung der Bundesrepublik schon 1949 den Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt hätte, so wie sie es mit der Shoah, der Ermordung der 6 Millionen Juden, getan hat. Diese Verbrechen waren kein Anhängsel der Shoa, der Völkermord wurde in Berlin zentral und bürokratisch geplant und organisiert und hinter der Ostfront und in den Vernichtungslagern vollzogen. Bis dahin war dieses Verbrechen im politischen oder gesellschaftlichen Bewusstsein nicht existent. Deshalb konnte der Antiziganismus nach dem Krieg seine Wirkungsmächtigkeit auch in der Bundesrepublik weiter entfalten.

Am 7. April 2022 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft, die er zum 40-jährigen Bestehen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma aufgezeichnet hat, die Sinti und Roma für dieses zweite Leid um Verzeihung gebeten. Er betonte, dass die rassistisch motivierten Ressentiments nach der Befreiung nicht verschwunden seien, dass Sinti und Roma auch in der jungen Bundesrepublik Ausgrenzung und Herabwürdigung erlebten. Vor allem in Behörden, Polizei und Justiz seien sie diskriminiert, stigmatisiert oder kriminalisiert worden. In Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verschwiegen, verleugnet oder verdrängt und Ansprüche auf Entschädigung wurden viel zu lange nicht anerkannt, führte der Bundespräsident weiter aus. 

Am 17. März 1982 empfing der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des kurz zuvor gegründeten Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und erkannte den Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma im NS-besetzten Europa an. Es wäre politisch korrekt und historisch richtig gewesen, wenn die Regierung der Bundesrepublik schon 1949 den Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt hätte, so wie sie es mit der Shoah, der Ermordung der 6 Millionen Juden, getan hat. Diese Verbrechen waren kein Anhängsel der Shoa, der Völkermord wurde in Berlin zentral und bürokratisch geplant und organisiert und hinter der Ostfront und in den Vernichtungslagern vollzogen. Bis dahin war dieses Verbrechen im politischen oder gesellschaftlichen Bewusstsein nicht existent. Deshalb konnte der Antiziganismus nach dem Krieg seine Wirkungsmächtigkeit auch in der Bundesrepublik weiter entfalten.

Erstmals hat damit ein deutsches Staatsoberhaupt die Verantwortung übernommen für die nach dem Krieg bruchlos fortgesetzte antiziganistische Diskriminierung der Sinti und Roma in unserem Land. Für seine klaren und historischen Worte gebührt dem Bundespräsidenten Dank. Was nun folgen muss, ist eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Leid, das Sinti und Roma in Deutschland in Behörden und Institutionen, aber auch in ihrem alltäglichen Leben widerfahren ist.

Antiziganismus – ein gesamtgesellschaftliches Problem

Das Bekenntnis des Bundespräsidenten ist ein weiterer Schritt, der deutlich zeigt, dass politisch in Deutschland in Bezug auf die Situation der Sinti und Roma bis heute viel erreicht wurde. Die Bundesrepublik ist in Europa beispielhaft für einen demokratischen Umgang mit unserer Minderheit, und das Gedenken an den Holocaust hat seinen festen Platz in der Erinnerungskultur. Erinnerung bedeutet nicht Schuldübertragung an heutige Generationen, sondern gemeinsam Verantwortung zu übernehmen für unseren Staat, der heute ein demokratischer Rechtsstaat ist.

Gesamtgesellschaftlich ist noch ein weiter Weg zu gehen, damit der Antiziganismus genauso geächtet wird wie der Antisemitismus. Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder wie zuletzt Umfragen der Universität Leipzig zeigen, dass die Ablehnung von Sinti und Roma trotz dieser politischen Erfolge in der Bevölkerung noch immer hoch ist. Der Zentralrat ist besorgt über einen zunehmend gewaltbereiten Antiziganismus in ganz Europa, der sich, wie in Hanau oder München, gezielt gegen Sinti und Roma richtet, der aber im Kern auf die gemeinsamen demokratischen Werte zielt.

Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass mehr Menschen erkennen, dass Antiziganismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Rassistische und antiziganistische Diskriminierungen können ihre volle Kraft nur dann entfalten, wenn ihnen nicht deutlich, auch von solidarischen und nicht direkt betroffenen Menschen, widersprochen wird.

Sinti und Roma waren schon immer als Nachbarn und Arbeitskollegen in das gesellschaftliche Leben und in die lokalen Zusammenhänge integriert, und so ist es bis heute. Es ist die Aufgabe insbesondere der Politik, für den notwendigen Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft, gerade auch durch die gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten, zu sorgen, damit sich die Angehörigen unserer Minderheit endlich zu ihrer kulturellen Identität als Sinti oder Roma bekennen können, ohne in ihrem alltäglichen Leben Ausgrenzungen befürchten zu müssen. 

Die vielen Geschichten auf der DW-Sonderseite “Sinti und Roma in Europa” über Menschen, die den Stereotypen und Diskriminierungen kreativ und konstruktiv, mit viel Mut und Engagement begegnen, zeigen, dass kulturelle Leistungen immer aus Begegnungen entstehen. Sie ermutigen nicht nur die Angehörigen unserer Minderheit, sondern auch viele Menschen in der Mehrheitsgesellschaft.

Romani Rose ist seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.

Berlin Romani Rose und Horst Seehofer Antiziganismus Pressekonferenz

Am 17. März 1982 empfing der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation des kurz zuvor gegründeten Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und erkannte den Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma im NS-besetzten Europa an. Es wäre politisch korrekt und historisch richtig gewesen, wenn die Regierung der Bundesrepublik schon 1949 den Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt hätte, so wie sie es mit der Shoah, der Ermordung der 6 Millionen Juden, getan hat. Diese Verbrechen waren kein Anhängsel der Shoa, der Völkermord wurde in Berlin zentral und bürokratisch geplant und organisiert und hinter der Ostfront und in den Vernichtungslagern vollzogen. Bis dahin war dieses Verbrechen im politischen oder gesellschaftlichen Bewusstsein nicht existent. Deshalb konnte der Antiziganismus nach dem Krieg seine Wirkungsmächtigkeit auch in der Bundesrepublik weiter entfalten.

Am 7. April 2022 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft, die er zum 40-jährigen Bestehen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma aufgezeichnet hat, die Sinti und Roma für dieses zweite Leid um Verzeihung gebeten. Er betonte, dass die rassistisch motivierten Ressentiments nach der Befreiung nicht verschwunden seien, dass Sinti und Roma auch in der jungen Bundesrepublik Ausgrenzung und Herabwürdigung erlebten. Vor allem in Behörden, Polizei und Justiz seien sie diskriminiert, stigmatisiert oder kriminalisiert worden. In Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verschwiegen, verleugnet oder verdrängt und Ansprüche auf Entschädigung wurden viel zu lange nicht anerkannt, führte der Bundespräsident weiter aus. 

Antiziganismus – ein gesamtgesellschaftliches Problem

Erstmals hat damit ein deutsches Staatsoberhaupt die Verantwortung übernommen für die nach dem Krieg bruchlos fortgesetzte antiziganistische Diskriminierung der Sinti und Roma in unserem Land. Für seine klaren und historischen Worte gebührt dem Bundespräsidenten Dank. Was nun folgen muss, ist eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Leid, das Sinti und Roma in Deutschland in Behörden und Institutionen, aber auch in ihrem alltäglichen Leben widerfahren ist.

Das Bekenntnis des Bundespräsidenten ist ein weiterer Schritt, der deutlich zeigt, dass politisch in Deutschland in Bezug auf die Situation der Sinti und Roma bis heute viel erreicht wurde. Die Bundesrepublik ist in Europa beispielhaft für einen demokratischen Umgang mit unserer Minderheit, und das Gedenken an den Holocaust hat seinen festen Platz in der Erinnerungskultur. Erinnerung bedeutet nicht Schuldübertragung an heutige Generationen, sondern gemeinsam Verantwortung zu übernehmen für unseren Staat, der heute ein demokratischer Rechtsstaat ist.

Gesamtgesellschaftlich ist noch ein weiter Weg zu gehen, damit der Antiziganismus genauso geächtet wird wie der Antisemitismus. Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder wie zuletzt Umfragen der Universität Leipzig zeigen, dass die Ablehnung von Sinti und Roma trotz dieser politischen Erfolge in der Bevölkerung noch immer hoch ist. Der Zentralrat ist besorgt über einen zunehmend gewaltbereiten Antiziganismus in ganz Europa, der sich, wie in Hanau oder München, gezielt gegen Sinti und Roma richtet, der aber im Kern auf die gemeinsamen demokratischen Werte zielt.

Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass mehr Menschen erkennen, dass Antiziganismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Rassistische und antiziganistische Diskriminierungen können ihre volle Kraft nur dann entfalten, wenn ihnen nicht deutlich, auch von solidarischen und nicht direkt betroffenen Menschen, widersprochen wird.

Sinti und Roma waren schon immer als Nachbarn und Arbeitskollegen in das gesellschaftliche Leben und in die lokalen Zusammenhänge integriert, und so ist es bis heute. Es ist die Aufgabe insbesondere der Politik, für den notwendigen Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft, gerade auch durch die gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten, zu sorgen, damit sich die Angehörigen unserer Minderheit endlich zu ihrer kulturellen Identität als Sinti oder Roma bekennen können, ohne in ihrem alltäglichen Leben Ausgrenzungen befürchten zu müssen. 

Die vielen Geschichten auf der DW-Sonderseite “Sinti und Roma in Europa” über Menschen, die den Stereotypen und Diskriminierungen kreativ und konstruktiv, mit viel Mut und Engagement begegnen, zeigen, dass kulturelle Leistungen immer aus Begegnungen entstehen. Sie ermutigen nicht nur die Angehörigen unserer Minderheit, sondern auch viele Menschen in der Mehrheitsgesellschaft.

Romani Rose ist seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.

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