Deutschland

Trotz Kirchen-Krise: Wenn Erwachsene sich dennoch taufen lassen

Die katholische Kirche verzeichnet Rekordzahlen bei den Kirchenaustritten. Und doch entscheiden sich zu Ostern einige Hundert Erwachsene für die Taufe und werden Mitglied. Warum?

“Bei mir”, sagt Matthäus Riedle, “hat der Weg der Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach länger gedauert.” Riedle ist 37 Jahre alt. In der Osternacht wird er im Speyerer Dom getauft und damit in die katholische Kirche aufgenommen.

“Mit dieser Frage” hat sich Riedle, 1985 in Polen geboren und als Fünfjähriger mit der Familie in die Bundesrepublik gekommen, über viele Jahre auseinandergesetzt. Seine Eltern hatten ihn als Kind “ganz bewusst nicht taufen lassen, weil sie mir die Freiheit geben wollten, mich selbst zu entscheiden”, sagt er der Deutschen Welle.

“Bei mir”, sagt Matthäus Riedle, “hat der Weg der Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach länger gedauert.” Riedle ist 37 Jahre alt. In der Osternacht wird er im Speyerer Dom getauft und damit in die katholische Kirche aufgenommen.

Mit zwölf Jahren sei ihm allmählich klar geworden, dass er sich religiös binden wolle. “Ich habe in vielen Situationen meines Lebens Unterstützung von Gott erfahren”, erzählt er und spricht von einer “Kraftquelle” in seinem Alltag. Riedle machte sich ans “Finden der richtigen Gemeinschaft”. Das dauerte. Er holte sich, wie er erzählt, reihenweise Bücher aus kirchlichen Bibliotheken, war oft in katholischen oder evangelischen Gottesdiensten und sprach auch mit weiteren christlichen Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas. Der gelernte Bankkaufmann und studierte Betriebswirt arbeitet heute in der IT-Security und kümmert sich um das Notfall-Managements eines Handelsunternehmens. Vielleicht passt es dazu, dass er den Dingen so auf den Grund gehen will.

Der Dom und der Glaube

Im Erzählen kommt Riedle auf den Speyerer Dom, dieses steinerne Zeugnis großen Glaubens. “Der Dom hat mir gezeigt, dass der Glaube Lebendigkeit bekommt und nicht nur in Büchern steht.” Auch dieser Bau sorgte dafür, dass sich Riedle der katholischen Kirche anschließen will. Er kennt das Gotteshaus gut. Eine ganze Reihe von Jahren lebte Riedle mit seiner Frau fast im Schatten des Domes. Sie habe ihm dort die Form der Liturgie nahegebracht.

Heute wohnen sie in Carlsberg, einem Ort zwischen Kaiserlautern und Ludwigshafen. Von den Geistlichen dort, zwei Ordensleuten aus Nigeria, erzählt er begeistert. Seit Anfang des Jahres traf er den Pfarrer, Pater Clifford Chikeobi Modum, zwei oder drei Mal in der Woche. Zu Gottesdiensten, zu Spaziergängen oder intensiven persönlichen Gesprächen. “Das habe ich sonst so bei anderen Geistlichen in Deutschland nicht erlebt. Bei den Ordensleuten hier steht weniger das Inhaltliche, mehr das Persönliche im Vordergrund.” Riedle schwärmt geradezu von Menschlichkeit, der Frömmigkeit und Lebensfreude des nigerianischen Geistlichen, der seit 2004 im Bistum Speyer tätig ist und ihm zum Begleiter auf seinem geistlichen Weg wurde. “Nahbarkeit”, sagt der Taufkandidat. 

Riedle ist einer der Erwachsenen, die sich zu diesem Osterfest in der katholischen Kirche in Deutschland taufen lassen. Im ganzen Bistum Speyer sind es am Samstagabend sechs, bundesweit einige Hundert. In der Osternacht feiern die Gläubigen die Auferstehung Jesu und gedenken auch ihrer eigenen Taufe. Sie ist deshalb der bevorzugte, aber nicht der alleinige Termin für die Erwachsenentaufe.

Mit seinem Entschluss zur Taufe gehört Riedle zu einer kleinen Schar. Im Jahr 2020 – neuere Zahlen liegen nicht vor – traten bundesweit rund 221.000 Menschen aus der katholischen Kirche aus. Dem standen 236.546 Bestattungen und nur 104.610 Taufen gegenüber. Die allermeisten davon waren, wie es in der katholischen Kirche üblich ist, Kindertaufen bald nach der Geburt. Denn 2020 ließen sich insgesamt nur 1548 Erwachsene ab dem 14. Lebensjahr taufen. Vor der Corona-Pandemie waren es 2446 (2019), 2757 (2018), 3376 (2017). Und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehört in diesem Jahr nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen eine der beiden großen Kirchen an. 

Ganz überwiegend sind es Erwachsene in den alten Bundesländern, die die katholische Kirche um die Taufe bitten. Aber nicht nur: Laura Leuchte (25) und Viktor Brüggemann (29) leben in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Sie sind ein Paar, nicht verheiratet, und bereiten sich gemeinsam auf die Taufe vor. Leuchte, Bereichsleiterin in einer Bank, sagt, sie sei “nicht kirchlich aufgewachsen. In meiner Familie ist auch niemand getauft oder hat bislang mit all dem etwas zu tun gehabt.” Sie habe “ein paar Schicksalsschläge” in ihrem Leben erlebt, “die nicht so leicht für mich waren”, sagt sie. Hauptsächlich sei sie dann durch ihren Freund zur Frage des Glaubens gekommen. Und zum Glauben gehöre für sie die Gemeinschaft der Kirche.

Ihr Freund Viktor Brüggemann, Trainer und Ernährungsberater, stammt aus einer russlanddeutschen Familie, mit der er als Kleinkind nach Deutschland kam. Er erinnert sich an seine Oma, durch die er als Kind einige wenige “Kontaktpunkte mit Kirche” erlebt habe. “Das hat sich aber alles ein bisschen verloren.” Als junger Mann, so Brüggemann, habe er “ein paar unschöne Sachen gemacht” und sei “ein bisschen auf die schiefe Bahn gerutscht”. Eine Vorstellung von Gott habe ihm aber “oft im Leben”, auch “nach jeder Talfahrt”, Kraft gegeben. Und die Erkenntnis wachsen lassen: “Da muss irgendjemand sein, der da schützend die Hand drüber hat. Das war für mich der Punkt, wo ich gesagt habe: Ich muss das offiziell machen.” Seit dem Herbst führen beide Gespräche mit Propst Reinhard Hentschel, dem Pfarrer der Gemeinde in Halle.

An einem Samstag im März sind Leuchte und Brüggemann und Propst Hentschel in Magdeburg. Der Bischof hat alle erwachsenen Taufbewerber aus seiner Diözese eingeladen. Offiziell heißt der Termin “Gottesdienst zur Zulassung von erwachsenen Bewerbern und Bewerberinnen zu Taufe, Firmung und Eucharistie und zur Aufnahme in die katholische Kirche im Bistum Magdeburg.” Aber irgendwie wirkt die Feier nicht wie ein offizieller Termin. “Es ist für mich immer ein bewegender Augenblick, wenn ich in einer solchen Runde wie der Ihren bin”, sagt Gerhard Feige, der römisch-katholische Bischof von Magdeburg, zur Begrüßung. Brüggemann ist hier der einzige Taufbewerber, der nicht in Deutschland geboren ist.

Feige sitzt in einem – in Corona-Zeiten – weiten Stuhlkreis im Pfarrsaal der Magdeburger Innenstadt-Gemeinde. In der Mitte steht eine Kerze. Es gibt zwei Texte aus der Bibel, einige Lieder, eine Ansprache des Bischofs. Und jeder der Taufanwärter erhält eine weiße Kerze, die er zu seiner Feier verzieren kann.

Irgendwann stehen die Bewerberinnen und Bewerber einzeln auf und berichten in wenigen Sätzen. Vom Nachdenken während einer langen Krankheitsphase beispielsweise, von der Teamerfahrung im Kolleginnenkreis in einem katholischen Krankenhaus. Da ist der Mann mittleren Alters, der während einer Autofahrt im Radio die Geschichte aus dem Evangelium hörte, wie Jesus einen Blinden heilte – und der danach Kontakt zu einem Priester suchte. Oder die Frau, die bald 30 Jahre mit einem Katholiken verheiratet ist, ihre Kinder taufen ließ, lange zweifelte und nun selber dazugehören will. Das Gesagte klingt offen, ja schutzlos. Immer berührt es schon beim Zuhören.

Bischof Feige schildert seinen Eindruck der Lage in der Welt und in der Kirche, “Erschütterungen, Polarisierungen, Konflikte”. “Ich bin erfreut und erstaunt, dass sie gerade in solchen Zeiten es wagen, zu dieser Kirche ja zu sagen… Ich staune und bewundere sie.” Man spürt, wie wichtig dem 70-jährigen Bischof diese Feier ist. Man ahnt, dass es ihm sehr wichtig ist, jeden einzelnen zu segnen auf dessen Weg. Wie sagte ein anderer Bischof dieser Tage im Gespräch? Diese Begegnungen mit Taufbewerbern seien mit das Schönste, was ein Bischof erlebe. Wenn die katholische Kirche in Deutschland derzeit in den Medien vorkommt, dann meist wegen Aufarbeitung oder Vertuschung von Missbrauch durch Geistliche, wegen Köln und Knatsch. 

Bewegt das die erwachsenen Taufkandidaten? Lässt es sie zögern? Viktor Brüggemann sagt, natürlich wisse er darum, was es da alles gebe, “aber für mich persönlich spielt es in Bezug auf den Glauben und die Kirche überhaupt keine Rolle”. Die Aufarbeitung sei ein wichtiges Thema, es sei auch richtig, darüber zu sprechen, aber er wende sich gegen eine “Pauschalisierung”. Ähnlich äußert sich Laura Leuchte. Natürlich beschäftige sie sich, wie so viele andere auch, damit. Vieles daran sei einfach “krank”. Es sei auch richtig, darüber zu sprechen. Aber sie wolle “dennoch der Kirche beitreten”. Denn die Skandale änderten nichts an ihrem Glauben und an ihrer Haltung zur Kirche.

Matthäus Riedle im pfälzischen Carlsberg spitzt es zu: “Wenn gerade alle der Kirche den Rücken kehren, ist es richtig, sich ihr zuzuwenden. Wir alle sind doch die Kirche.” Klar, auch er sei enttäuscht, wenn Amtsträger moralisch so scheiterten. Aber das tangiere nicht den Kern seines Glaubens, um den er intensiv und “sehr individuell” gerungen habe.

Wie reagiert das Umfeld, wie reagieren Freunde? Riedle sagt, die meisten hätten eher gleichgültig oder nüchtern reagiert, auch jene, bei denen er kirchliches Engagement vermute. Im Freundeskreis, sagt Leuchte, gehe sie offen mit der Entscheidung um, “das ist nichts, was ich verheimliche”. Der ein oder andere komme auch zur Taufe, weil er sich die Feier ansehen oder ihr beistehen wolle. “Das ist ja doch ein großes Ereignis, das man nur einmal im Leben hat.” Sie habe jedenfalls nicht erlebt, dass “jemand das schlecht bewertet hat”. Eher seien die Reaktionen positiv. Ähnlich äußert sich ihr Freund. Er lebe in einem Umfeld, in dem die meisten Freunde gläubig seien, viele Muslime, auch Juden oder Christen unterschiedlicher Kirchen. “Eigentlich geht jeder sehr positiv damit um.”

So wird es am Samstagabend ein besonderes Ostern werden für Leuchte, Brüggemann und Riedle und einige hundert weitere erwachsene Christen in Deutschland. Mit all ihren Fragen, ihrem Hoffen und Glauben.

Die Gemeinden in Halle gelten im Bistum Magdeburg als Vorzeigepfarreien, schon zu DDR-Zeiten und auch heute. Engagiert, kritisch, in der Gestaltung des Glaubens oft kreativ. Und in Speyer ist der oft sehr gut besetzte Dom ein herausragender Ort der Liturgie. So wie für Matthäus Riedle. Er wird erst mal feiern, wenn er am Samstag gegen Mitternacht den Speyerer Dom verlässt. “Ich habe am 17. April Geburtstag. Das ist in diesem Jahr der Ostersonntag”, sagt er schmunzelnd. “Irgendwie zwei Mal Geburtstag in diesem Jahr.”

Deutschannd Erwachsenentaufe
Deutschland I Dom in Speyer
Deutschland Erwachsenentaufe

“Bei mir”, sagt Matthäus Riedle, “hat der Weg der Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach länger gedauert.” Riedle ist 37 Jahre alt. In der Osternacht wird er im Speyerer Dom getauft und damit in die katholische Kirche aufgenommen.

“Mit dieser Frage” hat sich Riedle, 1985 in Polen geboren und als Fünfjähriger mit der Familie in die Bundesrepublik gekommen, über viele Jahre auseinandergesetzt. Seine Eltern hatten ihn als Kind “ganz bewusst nicht taufen lassen, weil sie mir die Freiheit geben wollten, mich selbst zu entscheiden”, sagt er der Deutschen Welle.

Der Dom und der Glaube

Mit zwölf Jahren sei ihm allmählich klar geworden, dass er sich religiös binden wolle. “Ich habe in vielen Situationen meines Lebens Unterstützung von Gott erfahren”, erzählt er und spricht von einer “Kraftquelle” in seinem Alltag. Riedle machte sich ans “Finden der richtigen Gemeinschaft”. Das dauerte. Er holte sich, wie er erzählt, reihenweise Bücher aus kirchlichen Bibliotheken, war oft in katholischen oder evangelischen Gottesdiensten und sprach auch mit weiteren christlichen Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas. Der gelernte Bankkaufmann und studierte Betriebswirt arbeitet heute in der IT-Security und kümmert sich um das Notfall-Managements eines Handelsunternehmens. Vielleicht passt es dazu, dass er den Dingen so auf den Grund gehen will.

Im Erzählen kommt Riedle auf den Speyerer Dom, dieses steinerne Zeugnis großen Glaubens. “Der Dom hat mir gezeigt, dass der Glaube Lebendigkeit bekommt und nicht nur in Büchern steht.” Auch dieser Bau sorgte dafür, dass sich Riedle der katholischen Kirche anschließen will. Er kennt das Gotteshaus gut. Eine ganze Reihe von Jahren lebte Riedle mit seiner Frau fast im Schatten des Domes. Sie habe ihm dort die Form der Liturgie nahegebracht.

Heute wohnen sie in Carlsberg, einem Ort zwischen Kaiserlautern und Ludwigshafen. Von den Geistlichen dort, zwei Ordensleuten aus Nigeria, erzählt er begeistert. Seit Anfang des Jahres traf er den Pfarrer, Pater Clifford Chikeobi Modum, zwei oder drei Mal in der Woche. Zu Gottesdiensten, zu Spaziergängen oder intensiven persönlichen Gesprächen. “Das habe ich sonst so bei anderen Geistlichen in Deutschland nicht erlebt. Bei den Ordensleuten hier steht weniger das Inhaltliche, mehr das Persönliche im Vordergrund.” Riedle schwärmt geradezu von Menschlichkeit, der Frömmigkeit und Lebensfreude des nigerianischen Geistlichen, der seit 2004 im Bistum Speyer tätig ist und ihm zum Begleiter auf seinem geistlichen Weg wurde. “Nahbarkeit”, sagt der Taufkandidat. 

Riedle ist einer der Erwachsenen, die sich zu diesem Osterfest in der katholischen Kirche in Deutschland taufen lassen. Im ganzen Bistum Speyer sind es am Samstagabend sechs, bundesweit einige Hundert. In der Osternacht feiern die Gläubigen die Auferstehung Jesu und gedenken auch ihrer eigenen Taufe. Sie ist deshalb der bevorzugte, aber nicht der alleinige Termin für die Erwachsenentaufe.

Viele Austritte, wenig Taufen

Mit seinem Entschluss zur Taufe gehört Riedle zu einer kleinen Schar. Im Jahr 2020 – neuere Zahlen liegen nicht vor – traten bundesweit rund 221.000 Menschen aus der katholischen Kirche aus. Dem standen 236.546 Bestattungen und nur 104.610 Taufen gegenüber. Die allermeisten davon waren, wie es in der katholischen Kirche üblich ist, Kindertaufen bald nach der Geburt. Denn 2020 ließen sich insgesamt nur 1548 Erwachsene ab dem 14. Lebensjahr taufen. Vor der Corona-Pandemie waren es 2446 (2019), 2757 (2018), 3376 (2017). Und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehört in diesem Jahr nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen eine der beiden großen Kirchen an. 

Gott und die Talfahrt

Ganz überwiegend sind es Erwachsene in den alten Bundesländern, die die katholische Kirche um die Taufe bitten. Aber nicht nur: Laura Leuchte (25) und Viktor Brüggemann (29) leben in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Sie sind ein Paar, nicht verheiratet, und bereiten sich gemeinsam auf die Taufe vor. Leuchte, Bereichsleiterin in einer Bank, sagt, sie sei “nicht kirchlich aufgewachsen. In meiner Familie ist auch niemand getauft oder hat bislang mit all dem etwas zu tun gehabt.” Sie habe “ein paar Schicksalsschläge” in ihrem Leben erlebt, “die nicht so leicht für mich waren”, sagt sie. Hauptsächlich sei sie dann durch ihren Freund zur Frage des Glaubens gekommen. Und zum Glauben gehöre für sie die Gemeinschaft der Kirche.

Ihr Freund Viktor Brüggemann, Trainer und Ernährungsberater, stammt aus einer russlanddeutschen Familie, mit der er als Kleinkind nach Deutschland kam. Er erinnert sich an seine Oma, durch die er als Kind einige wenige “Kontaktpunkte mit Kirche” erlebt habe. “Das hat sich aber alles ein bisschen verloren.” Als junger Mann, so Brüggemann, habe er “ein paar unschöne Sachen gemacht” und sei “ein bisschen auf die schiefe Bahn gerutscht”. Eine Vorstellung von Gott habe ihm aber “oft im Leben”, auch “nach jeder Talfahrt”, Kraft gegeben. Und die Erkenntnis wachsen lassen: “Da muss irgendjemand sein, der da schützend die Hand drüber hat. Das war für mich der Punkt, wo ich gesagt habe: Ich muss das offiziell machen.” Seit dem Herbst führen beide Gespräche mit Propst Reinhard Hentschel, dem Pfarrer der Gemeinde in Halle.

An einem Samstag im März sind Leuchte und Brüggemann und Propst Hentschel in Magdeburg. Der Bischof hat alle erwachsenen Taufbewerber aus seiner Diözese eingeladen. Offiziell heißt der Termin “Gottesdienst zur Zulassung von erwachsenen Bewerbern und Bewerberinnen zu Taufe, Firmung und Eucharistie und zur Aufnahme in die katholische Kirche im Bistum Magdeburg.” Aber irgendwie wirkt die Feier nicht wie ein offizieller Termin. “Es ist für mich immer ein bewegender Augenblick, wenn ich in einer solchen Runde wie der Ihren bin”, sagt Gerhard Feige, der römisch-katholische Bischof von Magdeburg, zur Begrüßung. Brüggemann ist hier der einzige Taufbewerber, der nicht in Deutschland geboren ist.

Der staunende Bischof

Feige sitzt in einem – in Corona-Zeiten – weiten Stuhlkreis im Pfarrsaal der Magdeburger Innenstadt-Gemeinde. In der Mitte steht eine Kerze. Es gibt zwei Texte aus der Bibel, einige Lieder, eine Ansprache des Bischofs. Und jeder der Taufanwärter erhält eine weiße Kerze, die er zu seiner Feier verzieren kann.

Irgendwann stehen die Bewerberinnen und Bewerber einzeln auf und berichten in wenigen Sätzen. Vom Nachdenken während einer langen Krankheitsphase beispielsweise, von der Teamerfahrung im Kolleginnenkreis in einem katholischen Krankenhaus. Da ist der Mann mittleren Alters, der während einer Autofahrt im Radio die Geschichte aus dem Evangelium hörte, wie Jesus einen Blinden heilte – und der danach Kontakt zu einem Priester suchte. Oder die Frau, die bald 30 Jahre mit einem Katholiken verheiratet ist, ihre Kinder taufen ließ, lange zweifelte und nun selber dazugehören will. Das Gesagte klingt offen, ja schutzlos. Immer berührt es schon beim Zuhören.

Der Glaube und die Krise

Bischof Feige schildert seinen Eindruck der Lage in der Welt und in der Kirche, “Erschütterungen, Polarisierungen, Konflikte”. “Ich bin erfreut und erstaunt, dass sie gerade in solchen Zeiten es wagen, zu dieser Kirche ja zu sagen… Ich staune und bewundere sie.” Man spürt, wie wichtig dem 70-jährigen Bischof diese Feier ist. Man ahnt, dass es ihm sehr wichtig ist, jeden einzelnen zu segnen auf dessen Weg. Wie sagte ein anderer Bischof dieser Tage im Gespräch? Diese Begegnungen mit Taufbewerbern seien mit das Schönste, was ein Bischof erlebe. Wenn die katholische Kirche in Deutschland derzeit in den Medien vorkommt, dann meist wegen Aufarbeitung oder Vertuschung von Missbrauch durch Geistliche, wegen Köln und Knatsch. 

Bewegt das die erwachsenen Taufkandidaten? Lässt es sie zögern? Viktor Brüggemann sagt, natürlich wisse er darum, was es da alles gebe, “aber für mich persönlich spielt es in Bezug auf den Glauben und die Kirche überhaupt keine Rolle”. Die Aufarbeitung sei ein wichtiges Thema, es sei auch richtig, darüber zu sprechen, aber er wende sich gegen eine “Pauschalisierung”. Ähnlich äußert sich Laura Leuchte. Natürlich beschäftige sie sich, wie so viele andere auch, damit. Vieles daran sei einfach “krank”. Es sei auch richtig, darüber zu sprechen. Aber sie wolle “dennoch der Kirche beitreten”. Denn die Skandale änderten nichts an ihrem Glauben und an ihrer Haltung zur Kirche.

Deutschland Erwachsenentaufe Bischof Gerhard Feige beim Gottesdienst mit Taufbewerbern

Matthäus Riedle im pfälzischen Carlsberg spitzt es zu: “Wenn gerade alle der Kirche den Rücken kehren, ist es richtig, sich ihr zuzuwenden. Wir alle sind doch die Kirche.” Klar, auch er sei enttäuscht, wenn Amtsträger moralisch so scheiterten. Aber das tangiere nicht den Kern seines Glaubens, um den er intensiv und “sehr individuell” gerungen habe.

Wie reagiert das Umfeld, wie reagieren Freunde? Riedle sagt, die meisten hätten eher gleichgültig oder nüchtern reagiert, auch jene, bei denen er kirchliches Engagement vermute. Im Freundeskreis, sagt Leuchte, gehe sie offen mit der Entscheidung um, “das ist nichts, was ich verheimliche”. Der ein oder andere komme auch zur Taufe, weil er sich die Feier ansehen oder ihr beistehen wolle. “Das ist ja doch ein großes Ereignis, das man nur einmal im Leben hat.” Sie habe jedenfalls nicht erlebt, dass “jemand das schlecht bewertet hat”. Eher seien die Reaktionen positiv. Ähnlich äußert sich ihr Freund. Er lebe in einem Umfeld, in dem die meisten Freunde gläubig seien, viele Muslime, auch Juden oder Christen unterschiedlicher Kirchen. “Eigentlich geht jeder sehr positiv damit um.”

So wird es am Samstagabend ein besonderes Ostern werden für Leuchte, Brüggemann und Riedle und einige hundert weitere erwachsene Christen in Deutschland. Mit all ihren Fragen, ihrem Hoffen und Glauben.

Die Gemeinden in Halle gelten im Bistum Magdeburg als Vorzeigepfarreien, schon zu DDR-Zeiten und auch heute. Engagiert, kritisch, in der Gestaltung des Glaubens oft kreativ. Und in Speyer ist der oft sehr gut besetzte Dom ein herausragender Ort der Liturgie. So wie für Matthäus Riedle. Er wird erst mal feiern, wenn er am Samstag gegen Mitternacht den Speyerer Dom verlässt. “Ich habe am 17. April Geburtstag. Das ist in diesem Jahr der Ostersonntag”, sagt er schmunzelnd. “Irgendwie zwei Mal Geburtstag in diesem Jahr.”

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