Tanja Maljartschuk erhält Usedomer Literaturpreis
Die Schriftstellerin Tanja Maljartschuk ist als Stimme der Ukraine gefragt, nicht erst seit Putins Angriffskrieg. Die Literaturtage in Usedom zeichnen sie für ihr Gesamtwerk aus.
Auf der Suche nach Erklärungen für das Unerklärbare sind Ukrainerinnen und Ukrainer derzeit gefragte Gesprächspartner. Neben Politikern und Diplomaten sollen auch Kunstschaffende Einblicke geben in die ukrainische Seele nach der russischen Invasion. Gerade bei Künstlerinnen und Künstlern kommt in der Wahrnehmung derzeit ihre Kernaufgabe, nämlich ihre Werke, zu kurz.
“Es ist sehr schwierig für mich, die Ukraine zu repräsentieren”, sagt die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk im DW-Gespräch. Sie sei keine Militärexpertin, oft fehle es ihr am Wissen, das von ihr abgefragt werde. “Auf der anderen Seite kann ich nicht so tun, als ob ich damit nichts zu tun hätte, denn das stimmt nicht.”
Auf der Suche nach Erklärungen für das Unerklärbare sind Ukrainerinnen und Ukrainer derzeit gefragte Gesprächspartner. Neben Politikern und Diplomaten sollen auch Kunstschaffende Einblicke geben in die ukrainische Seele nach der russischen Invasion. Gerade bei Künstlerinnen und Künstlern kommt in der Wahrnehmung derzeit ihre Kernaufgabe, nämlich ihre Werke, zu kurz.
An diesem Samstag (30. April 2022) erhält die Schriftstellerin den Usedomer Literaturpreis. Auch die Usedomer Literaturtage stehen in diesem Jahr unter dem Vorzeichen des Krieges. Nach zwei Pandemie-Jahren war das Festival ursprünglich unter dem Motto “Zerbrechlichkeit unserer Existenz” geplant worden. Nach dem Kriegsbeginn lautet es nun: “Die Zerbrechlichkeit der Welt”.
“Aufrichtige Selbstbefragung über Identität”
Maljartschuks Roman “Blauwal der Erinnerung” – geschrieben auf Ukrainisch, ins Deutsche übersetzt von Maria Weissenböck – würdigt die Jury um die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk als “bestechend aufrichtige Selbstbefragung über Identität”. Es gibt zwei Erzählebenen, die Ich-Erzählerin und die historische Biografie des selbst in der Ukraine weitgehend vergessenen Wjatscheslaw Lypynskyj (1882-1931), der als Philosoph und Politiker für die Unabhängigkeit des Landes eintrat und in den 1920er-Jahren vor den Bolschewiken nach Wien emigrierte.
In der österreichischen Hauptstadt lebt seit 2011 auch Tanja Maljartschuk, die 1983 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren wurde, ukrainische Philologie studierte und in Kiew als Journalistin arbeitete. Sie schreibt Kolumnen und Beiträge für verschiedene Medien, wie auch für die Deutsche Welle. 2009 erschien mit dem Erzählband “Neunprozentiger Haushaltsessig” ihr erstes Buch in deutscher Sprache, es folgten die Romane “Biografie eines zufälligen Wunders” (2013) und “Von Hasen und anderen Europäern” (2014).
2018 erhielt sie für den Text “Frösche im Meer” den Ingeborg-Bachmann-Preis, für “Blauwal der Erinnerung” bekam sie den BBC Ukrainian Book of the Year Award. Seit 2014 schreibt Maljartschuk auch in deutscher Sprache.
Die tiefe Enttäuschung über den Westen, den viele Ukrainerinnen und Ukrainer empfinden, findet sich auch in den Texten Tanja Maljartschuks – schon vor der russischen Invasion.
Im Juli 2021 schrieb sie in einem Essay, der in gekürzter Fassung im “Tagesspiegel” erschien, über den EU-Beitritt von gleich zehn Ländern im Jahr 2004, darunter Polen, Ungarn, die baltischen Staaten – nicht aber die Ukraine: “Wenn sich andere zusammenschließen, wird die eigene Einsamkeit besonders deutlich”, schreibt sie damals.
Wie geht eine Autorin, die in ihren Texten von ihrer Heimat erzählt, damit um, nun als Sprachrohr einer angegriffenen Nation gefragt zu sein? “Viele Künstler sind in diesem Moment physisch im Krieg”, sagt Tanja Maljartschuk. Immer wieder bricht ihr die Stimme, wofür sie sich entschuldigt. “Wie kann ich, die sich in Sicherheit befindet, ablehnen, wenn ich zum Krieg gefragt werde?” Auch sie sei eine Soldatin des Krieges.
Sie spricht engagiert über die demokratischen Fortschritte in ihrer Heimat, die auf einem so guten Weg gewesen sei. Sie zählt die Jahreszahlen auf, die Unabhängigkeit 1991, die keine wirkliche gewesen sei, “weil die Regierungen nur Vasallen Russlands waren und das sowjetische Erbe übernommen haben”; die Orange Revolution 2004 und 2005, als erstmals die Zivilgesellschaft Stärke zeigte; der Euromaidan 2013 und 2014, dem die russische Annexion der Krim und der Krieg in der Ost-Ukraine folgten.
Maljartschuk kritisiert, dass der Westen nach 2014 weiter Geschäfte mit Russland machte – und damit zur aktuellen Situation womöglich beigetragen habe. Auf der Pop-up-Buchmesse in Leipzig warf sie dem Westen vor, fasziniert zu sein vom russischen Täter. “Der Westen vereinfacht den Osten, um sich nicht damit konfrontieren zu müssen”, sagt sie im DW-Gespräch.
Ihren 2019 veröffentlichten Roman zeichnen die Usedomer Literaturtage stellvertretend für ihr Gesamtwerk aus. In dem setzt sich die Autorin mit ihrer Heimat auch kritisch auseinander. Sie beschreibt in früheren Werken Generationen, die das Gefühl der Unterdrückung vererben, von einer unbeweglichen Bürokratie, die nur durch Schmiergeld in Gang komme.
Sie zeichnet ein Land, das den Anschluss an die Marktwirtschaft und die Transformation zur Demokratie zu verpassen droht. “Aber “, sagt sie nun, “man darf nicht vergessen: Demokratie setzt sich nicht von gestern auf morgen durch.”
Als Russland am 24. Februar die Ukraine angriff, recherchierte Maljartschuk noch für ihr nächstes Buch über den Holocaust und die Rolle, die auch die Ukraine dabei spielte. Nun, da der russische Präsident die Geschichte umschreibe, um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen, sei es ihr unmöglich, das Buch fortzusetzen.
Gerade haben 28 Erstunterzeichner, unter ihnen der Regisseur Andreas Dresen und die Schriftstellerin Juli Zeh, einen Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz adressiert: Sie fordern den Stopp von deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine, damit Deutschland nicht zur Kriegspartei und ein Gegenschlag Russlands vermieden werde.
Tanja Maljartschuk kennt den Brief noch nicht und bleibt deshalb allgemein: “Ich kann das nur so verstehen: Die Menschen haben Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Putin schürt diese Angst, damit der Westen nicht hilft.” Sie fragt, ob der Westen wirklich glaube, dass Putins Krieg nach der Einnahme der Ukraine aufhören werde.
Von ihrer Auszeichnung mit dem Usedomer Literaturpreis habe sie ein paar Wochen vor der russischen Invasion erfahren. “Ich habe mich sehr gefreut, aber dazu bin ich physisch nicht mehr fähig”, sagt Tanja Maljartschuk. Mit dem Preisgeld in Höhe von 5000 Euro wolle sie Freunde unterstützen, die ihr Zuhause verloren hätten und nicht wüssten, wie es weitergehe. Auch ihre Eltern seien in der Ukraine geblieben.
Mit dem Preis verbunden ist auch eine einmonatige Residenz zum Arbeiten auf Usedom. Wann und wie sie das umsetzen werde, sei noch offen. “In der Ukraine sagen sie: alle Pläne nach dem Sieg.”
Auf der Suche nach Erklärungen für das Unerklärbare sind Ukrainerinnen und Ukrainer derzeit gefragte Gesprächspartner. Neben Politikern und Diplomaten sollen auch Kunstschaffende Einblicke geben in die ukrainische Seele nach der russischen Invasion. Gerade bei Künstlerinnen und Künstlern kommt in der Wahrnehmung derzeit ihre Kernaufgabe, nämlich ihre Werke, zu kurz.
“Es ist sehr schwierig für mich, die Ukraine zu repräsentieren”, sagt die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk im DW-Gespräch. Sie sei keine Militärexpertin, oft fehle es ihr am Wissen, das von ihr abgefragt werde. “Auf der anderen Seite kann ich nicht so tun, als ob ich damit nichts zu tun hätte, denn das stimmt nicht.”
“Aufrichtige Selbstbefragung über Identität”
An diesem Samstag (30. April 2022) erhält die Schriftstellerin den Usedomer Literaturpreis. Auch die Usedomer Literaturtage stehen in diesem Jahr unter dem Vorzeichen des Krieges. Nach zwei Pandemie-Jahren war das Festival ursprünglich unter dem Motto “Zerbrechlichkeit unserer Existenz” geplant worden. Nach dem Kriegsbeginn lautet es nun: “Die Zerbrechlichkeit der Welt”.
Maljartschuks Roman “Blauwal der Erinnerung” – geschrieben auf Ukrainisch, ins Deutsche übersetzt von Maria Weissenböck – würdigt die Jury um die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk als “bestechend aufrichtige Selbstbefragung über Identität”. Es gibt zwei Erzählebenen, die Ich-Erzählerin und die historische Biografie des selbst in der Ukraine weitgehend vergessenen Wjatscheslaw Lypynskyj (1882-1931), der als Philosoph und Politiker für die Unabhängigkeit des Landes eintrat und in den 1920er-Jahren vor den Bolschewiken nach Wien emigrierte.
In der österreichischen Hauptstadt lebt seit 2011 auch Tanja Maljartschuk, die 1983 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren wurde, ukrainische Philologie studierte und in Kiew als Journalistin arbeitete. Sie schreibt Kolumnen und Beiträge für verschiedene Medien, wie auch für die Deutsche Welle. 2009 erschien mit dem Erzählband “Neunprozentiger Haushaltsessig” ihr erstes Buch in deutscher Sprache, es folgten die Romane “Biografie eines zufälligen Wunders” (2013) und “Von Hasen und anderen Europäern” (2014).
2018 erhielt sie für den Text “Frösche im Meer” den Ingeborg-Bachmann-Preis, für “Blauwal der Erinnerung” bekam sie den BBC Ukrainian Book of the Year Award. Seit 2014 schreibt Maljartschuk auch in deutscher Sprache.
Ist sie ein Sprachrohr?
Die tiefe Enttäuschung über den Westen, den viele Ukrainerinnen und Ukrainer empfinden, findet sich auch in den Texten Tanja Maljartschuks – schon vor der russischen Invasion.
Maljartschuk übt Kritik am Westen
Im Juli 2021 schrieb sie in einem Essay, der in gekürzter Fassung im “Tagesspiegel” erschien, über den EU-Beitritt von gleich zehn Ländern im Jahr 2004, darunter Polen, Ungarn, die baltischen Staaten – nicht aber die Ukraine: “Wenn sich andere zusammenschließen, wird die eigene Einsamkeit besonders deutlich”, schreibt sie damals.
Wie geht eine Autorin, die in ihren Texten von ihrer Heimat erzählt, damit um, nun als Sprachrohr einer angegriffenen Nation gefragt zu sein? “Viele Künstler sind in diesem Moment physisch im Krieg”, sagt Tanja Maljartschuk. Immer wieder bricht ihr die Stimme, wofür sie sich entschuldigt. “Wie kann ich, die sich in Sicherheit befindet, ablehnen, wenn ich zum Krieg gefragt werde?” Auch sie sei eine Soldatin des Krieges.
Sie spricht engagiert über die demokratischen Fortschritte in ihrer Heimat, die auf einem so guten Weg gewesen sei. Sie zählt die Jahreszahlen auf, die Unabhängigkeit 1991, die keine wirkliche gewesen sei, “weil die Regierungen nur Vasallen Russlands waren und das sowjetische Erbe übernommen haben”; die Orange Revolution 2004 und 2005, als erstmals die Zivilgesellschaft Stärke zeigte; der Euromaidan 2013 und 2014, dem die russische Annexion der Krim und der Krieg in der Ost-Ukraine folgten.
Mit dem Preisgeld will sie Freunden helfen
Maljartschuk kritisiert, dass der Westen nach 2014 weiter Geschäfte mit Russland machte – und damit zur aktuellen Situation womöglich beigetragen habe. Auf der Pop-up-Buchmesse in Leipzig warf sie dem Westen vor, fasziniert zu sein vom russischen Täter. “Der Westen vereinfacht den Osten, um sich nicht damit konfrontieren zu müssen”, sagt sie im DW-Gespräch.
Ihren 2019 veröffentlichten Roman zeichnen die Usedomer Literaturtage stellvertretend für ihr Gesamtwerk aus. In dem setzt sich die Autorin mit ihrer Heimat auch kritisch auseinander. Sie beschreibt in früheren Werken Generationen, die das Gefühl der Unterdrückung vererben, von einer unbeweglichen Bürokratie, die nur durch Schmiergeld in Gang komme.
Sie zeichnet ein Land, das den Anschluss an die Marktwirtschaft und die Transformation zur Demokratie zu verpassen droht. “Aber “, sagt sie nun, “man darf nicht vergessen: Demokratie setzt sich nicht von gestern auf morgen durch.”
Als Russland am 24. Februar die Ukraine angriff, recherchierte Maljartschuk noch für ihr nächstes Buch über den Holocaust und die Rolle, die auch die Ukraine dabei spielte. Nun, da der russische Präsident die Geschichte umschreibe, um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen, sei es ihr unmöglich, das Buch fortzusetzen.
Gerade haben 28 Erstunterzeichner, unter ihnen der Regisseur Andreas Dresen und die Schriftstellerin Juli Zeh, einen Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz adressiert: Sie fordern den Stopp von deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine, damit Deutschland nicht zur Kriegspartei und ein Gegenschlag Russlands vermieden werde.
Tanja Maljartschuk kennt den Brief noch nicht und bleibt deshalb allgemein: “Ich kann das nur so verstehen: Die Menschen haben Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Putin schürt diese Angst, damit der Westen nicht hilft.” Sie fragt, ob der Westen wirklich glaube, dass Putins Krieg nach der Einnahme der Ukraine aufhören werde.
Von ihrer Auszeichnung mit dem Usedomer Literaturpreis habe sie ein paar Wochen vor der russischen Invasion erfahren. “Ich habe mich sehr gefreut, aber dazu bin ich physisch nicht mehr fähig”, sagt Tanja Maljartschuk. Mit dem Preisgeld in Höhe von 5000 Euro wolle sie Freunde unterstützen, die ihr Zuhause verloren hätten und nicht wüssten, wie es weitergehe. Auch ihre Eltern seien in der Ukraine geblieben.
Mit dem Preis verbunden ist auch eine einmonatige Residenz zum Arbeiten auf Usedom. Wann und wie sie das umsetzen werde, sei noch offen. “In der Ukraine sagen sie: alle Pläne nach dem Sieg.”