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Ukrainische Flüchtlinge mit Behinderung brauchen besondere Hilfe

Millionen von Menschen sind bislang aus der Ukraine geflohen, auch Menschen mit Behinderung: Blinde und Sehbehinderte, Rollstuhlfahrer und chronisch Kranke. Sie brauchen spezielle Unterstützung.

Allein in die Republik Moldau (Moldawien) waren bis Anfang April fast 400.000 ukrainische Flüchtlinge gekommen – eine große Herausforderung für das ärmste Land Europas, in dem etwas mehr als 2,5 Millionen Menschen leben. Der Staat kann die Flüchtlingsströme kaum bewältigen, Unterstützung ist dringend nötig, vor allem für Menschen mit Behinderung.

 Die kommt u.a. vom Berliner Verein “Be an Angel“.

Allein in die Republik Moldau (Moldawien) waren bis Anfang April fast 400.000 ukrainische Flüchtlinge gekommen – eine große Herausforderung für das ärmste Land Europas, in dem etwas mehr als 2,5 Millionen Menschen leben. Der Staat kann die Flüchtlingsströme kaum bewältigen, Unterstützung ist dringend nötig, vor allem für Menschen mit Behinderung.

Ulrike Lessig ist die Vorsitzende. “Wir sind seit Anfang März in Moldawien, weil wir von dort einen Hilferuf bekommen haben. Geflüchtete sind dort gestrandet, und Moldawien konnte die Menschen kaum versorgen. Das Land hat keine Kapazitäten, irgendetwas zu tun, geschweige denn, die Leute weiterzuleiten.”

Rollstuhlfahrer können nicht einfach weglaufen

Ulrike Lessig hat selbst eine Behinderung. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie weiß, wovon sie redet, wenn Sie beispielsweise die Situation der Menschen beschreibt, die sich nur schlecht oder gar nicht bewegen können.

“Richtig problematisch ist schon mal, dass viele dieser Menschen ja gar nicht erst in einen Luftschutzkeller kommen können. Sie kommen gar nicht dorthin, und sie kommen auch nicht in den Luftschutzkeller hinein. Sie sitzen dann zuhause, im ungünstigsten Fall irgendwo im fünften Stock. Meist werden sie von Angehörigen versorgt, beispielsweise von den Eltern.” Dann müssen gleich mehrere Menschen evakuiert werden, darunter auch viele ältere. 

Gibt es keinen Aufzug oder eine Rampe im Haus, sind Menschen im Rollstuhl quasi zuhause eingeschlossen. Lessig malt sich eine solch schlimme Situation im Detail aus. “Es ist Fliegeralarm, und ich kann nicht aus meiner Wohnung, ich kann mich nirgendwo in Sicherheit bringen. Allein schon die Vorstellung macht mir Gänsehaut. Da wird mir ganz anders.” 

Sie und zwei Pflegekräfte versuchen alles, was möglich ist, um zu helfen. Busse wurden organisiert. Sie sollen die Menschen abholen. Mittlerweile fahren immer zwei Pflegekräfte mit, denn es gibt auch Menschen mit chronischen Erkrankungen. Dazu gehören Dialysepatienten, die regalmäßig versorgt werden müssen.

“Wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen zusammen und bringen beispielsweise Krankenhausbetten, Infusionspumpen oder andere Medizinprodukte nach Moldawien, um diese Menschen angemessen versorgen zu können”, erläutert Lessig. 

Die medizinische Versorgung erfüllt meist nicht einmal die elementarsten Notwendigkeiten. Die Rollstühle, mit denen die Flüchtlinge kommen, seien in einem erbärmlichen Zustand, erklärt Lessig. Aber das ist nicht das einzige Problem. “Es gibt nirgendwo abgesenkte Bordsteine oder ähnliches. Menschen mit Behinderung können also nicht so einfach von A nach B kommen. Wir haben jetzt Rollstühle nach Moldawien geschickt”, so Lessig weiter.

Diese sollen die Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nutzen und dann auch behalten können. Das ermöglicht es ihnen, sich zumindest einigermaßen fortzubewegen. Aber erst einmal müssen sie aus ihrer Wohnung herauskommen.

Für Blinde und sehbehinderte Menschen setzt sich der Deutsche Blinden-und Sehbehindertenverband e.V. ein. Auch dieser hat ein Hilfsprojekt für die Ukraine gestartet. Zunächst versuchten die Mitglieder in Deutschland auf sich aufmerksam zu machen. Aber dann kam ein direkter Hilferuf aus Charkiw. Irgendwie mussten die Menschen in der ukrainischen Stadt, aber auch diejenigen, die bereits nach Polen geflohen waren, weiterkommen. Mit drei Bussen hat der Verband sie dann nach Deutschland gebracht. 

Dieses Projekt hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, DBSV, zusammen mit dem Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik organisiert. Viele der Betroffenen konnten in Förderschulen für Blinde und Sehbehinderte unterkommen oder auch in Häusern mit entsprechenden Einrichtungen. 

Die Konstellationen seien sehr gemischt gewesen, erklärt Reiner Delgado. Er ist Referent für Soziales beim DBSV und selber blind. “Es sind blinde und sehbehinderte Kinder und Erwachsene mit ihren Angehörigen. Das kann zum Beispiel eine vierköpfige Familie mit einem sehbehinderten Kind sein, aber auch mit einem blinden oder sehbehinderten Vater oder einer blinden oder sehbehinderten Mutter.” Es habe jedoch auch blinde Menschen gegeben, die alleine unterwegs waren oder Paare, bei denen beide blind sind. 

Aber wenn man – in Anführungszeichen – ‘nur blind‘ sei, habe man viele Probleme nicht. Als Blinde oder als Blinder könne man eine Treppe hinuntergehen, fährt Delgado fort. “Man kann alleine in einen Luftschutzkeller gelangen. Man kann auch über die Straße gehen. Man ist nicht komplett ausgeschlossen.

Wenn Sie als blinder Mensch einen sehenden Angehörigen haben, dann kommen Sie eigentlich überall hin. Wenn Sie aber auf den Rollstuhl angewiesen sind und selbst wenn Sie eine Begleitung haben, bedeutet das noch lange nicht, dass sie überall hinkommen.” Das sei eine ganz andere Nummer. 

Für Menschen ohne Behinderung gilt dasselbe wie für Menschen mit Behinderung. Sind die Geflüchteten erst einmal in Deutschland angekommen, ist das ein wichtiger Schritt, um dem Krieg in der Ukraine zu entkommen und in Sicherheit zu sein. Aber sie brauchen dringend zusätzliche Unterstützung im Alltag.

“Wenn man nicht blind oder sehbehindert ist, sieht man ja, wo die nächste Bushaltestelle ist oder was es im Supermarkt gibt. Als Blinder habe ich hier in Deutschland meine Strategien, wie ich mich orientiere, und ich kann fragen und um Hilfe bitten. Aber wenn ich blind bin und keinerlei Sprachkenntnisse habe, dann fällt das alles weg”, beschreibt Delgado die Situation. Zeit sei ganz wichtig und es brauche Menschen, die vielleicht mit einem blinden Menschen einkaufen gingen oder spazieren oder was auch immer. 

Die Geflüchteten bräuchten vor allem auch einen Platz, an dem sie zur Ruhe kommen könnten, sagt Lessig. “Diese Menschen waren viele Stunden unterwegs. Sie mussten alles zurücklassen, ihr komplettes Leben und alles drumherum. Einige Freunde und Familienmitglieder, die Männer, mussten vielleicht in der Ukraine bleiben. Und was ich wichtig finde: Eine Tür zum Zumachen, um einfach mal runterzukommen, und dann eben jemanden zu haben, der sagt: ‘Pass auf! Wir machen das jetzt so und so und so.'”

Bei der Suche nach einer Bleibe benötigen Flüchtlinge mit Behinderung ebenfalls besondere Hilfe. Für Lessig ist das ein besonderes Anliegen, das sie u.a. bei Behörden vehement vorbringt, etwa wenn es heißt, es gebe keine rollstuhlgerechten Unterkünfte. Na, dann müsse sich eben jemand darum kümmern, habe sie gesagt.

“Ich war wirklich sauer darüber, dass irgendwie keiner daran denkt. Es kommen ja unter Umständen auch bald Kriegsverletzte. Damit muss man doch rechnen. Da ist Krieg. Diese Menschen kommen nicht hierher, um eine Kur zu machen. Es ist Krieg.” 

Menschen liegen gedrängt in einem improvisierten Luftschutzkeller in Mariupol
Ein Paar flieht mit wenigen Habseligkeiten in der Ukraine

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44. Menschen mit Behinderung auf der Flucht

Allein in die Republik Moldau (Moldawien) waren bis Anfang April fast 400.000 ukrainische Flüchtlinge gekommen – eine große Herausforderung für das ärmste Land Europas, in dem etwas mehr als 2,5 Millionen Menschen leben. Der Staat kann die Flüchtlingsströme kaum bewältigen, Unterstützung ist dringend nötig, vor allem für Menschen mit Behinderung.

 Die kommt u.a. vom Berliner Verein “Be an Angel“.

Rollstuhlfahrer können nicht einfach weglaufen

Ulrike Lessig ist die Vorsitzende. “Wir sind seit Anfang März in Moldawien, weil wir von dort einen Hilferuf bekommen haben. Geflüchtete sind dort gestrandet, und Moldawien konnte die Menschen kaum versorgen. Das Land hat keine Kapazitäten, irgendetwas zu tun, geschweige denn, die Leute weiterzuleiten.”

Ulrike Lessig hat selbst eine Behinderung. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie weiß, wovon sie redet, wenn Sie beispielsweise die Situation der Menschen beschreibt, die sich nur schlecht oder gar nicht bewegen können.

“Richtig problematisch ist schon mal, dass viele dieser Menschen ja gar nicht erst in einen Luftschutzkeller kommen können. Sie kommen gar nicht dorthin, und sie kommen auch nicht in den Luftschutzkeller hinein. Sie sitzen dann zuhause, im ungünstigsten Fall irgendwo im fünften Stock. Meist werden sie von Angehörigen versorgt, beispielsweise von den Eltern.” Dann müssen gleich mehrere Menschen evakuiert werden, darunter auch viele ältere. 

Gibt es keinen Aufzug oder eine Rampe im Haus, sind Menschen im Rollstuhl quasi zuhause eingeschlossen. Lessig malt sich eine solch schlimme Situation im Detail aus. “Es ist Fliegeralarm, und ich kann nicht aus meiner Wohnung, ich kann mich nirgendwo in Sicherheit bringen. Allein schon die Vorstellung macht mir Gänsehaut. Da wird mir ganz anders.” 

Ein schreckliches Szenario

Sie und zwei Pflegekräfte versuchen alles, was möglich ist, um zu helfen. Busse wurden organisiert. Sie sollen die Menschen abholen. Mittlerweile fahren immer zwei Pflegekräfte mit, denn es gibt auch Menschen mit chronischen Erkrankungen. Dazu gehören Dialysepatienten, die regalmäßig versorgt werden müssen.

Unterstützung fehlt an allen Ecken und Enden 

“Wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen zusammen und bringen beispielsweise Krankenhausbetten, Infusionspumpen oder andere Medizinprodukte nach Moldawien, um diese Menschen angemessen versorgen zu können”, erläutert Lessig. 

Die medizinische Versorgung erfüllt meist nicht einmal die elementarsten Notwendigkeiten. Die Rollstühle, mit denen die Flüchtlinge kommen, seien in einem erbärmlichen Zustand, erklärt Lessig. Aber das ist nicht das einzige Problem. “Es gibt nirgendwo abgesenkte Bordsteine oder ähnliches. Menschen mit Behinderung können also nicht so einfach von A nach B kommen. Wir haben jetzt Rollstühle nach Moldawien geschickt”, so Lessig weiter.

Diese sollen die Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nutzen und dann auch behalten können. Das ermöglicht es ihnen, sich zumindest einigermaßen fortzubewegen. Aber erst einmal müssen sie aus ihrer Wohnung herauskommen.

Menschen mit Behinderung brauchen individuelle Hilfe

Für Blinde und sehbehinderte Menschen setzt sich der Deutsche Blinden-und Sehbehindertenverband e.V. ein. Auch dieser hat ein Hilfsprojekt für die Ukraine gestartet. Zunächst versuchten die Mitglieder in Deutschland auf sich aufmerksam zu machen. Aber dann kam ein direkter Hilferuf aus Charkiw. Irgendwie mussten die Menschen in der ukrainischen Stadt, aber auch diejenigen, die bereits nach Polen geflohen waren, weiterkommen. Mit drei Bussen hat der Verband sie dann nach Deutschland gebracht. 

Dieses Projekt hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, DBSV, zusammen mit dem Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik organisiert. Viele der Betroffenen konnten in Förderschulen für Blinde und Sehbehinderte unterkommen oder auch in Häusern mit entsprechenden Einrichtungen. 

Ein fremdes Land und eine fremde Sprache

Die Konstellationen seien sehr gemischt gewesen, erklärt Reiner Delgado. Er ist Referent für Soziales beim DBSV und selber blind. “Es sind blinde und sehbehinderte Kinder und Erwachsene mit ihren Angehörigen. Das kann zum Beispiel eine vierköpfige Familie mit einem sehbehinderten Kind sein, aber auch mit einem blinden oder sehbehinderten Vater oder einer blinden oder sehbehinderten Mutter.” Es habe jedoch auch blinde Menschen gegeben, die alleine unterwegs waren oder Paare, bei denen beide blind sind. 

In Deutschland ankommen

Aber wenn man – in Anführungszeichen – ‘nur blind‘ sei, habe man viele Probleme nicht. Als Blinde oder als Blinder könne man eine Treppe hinuntergehen, fährt Delgado fort. “Man kann alleine in einen Luftschutzkeller gelangen. Man kann auch über die Straße gehen. Man ist nicht komplett ausgeschlossen.

Flüchtlinge aus Mariupol stehen vor einem Bus

Wenn Sie als blinder Mensch einen sehenden Angehörigen haben, dann kommen Sie eigentlich überall hin. Wenn Sie aber auf den Rollstuhl angewiesen sind und selbst wenn Sie eine Begleitung haben, bedeutet das noch lange nicht, dass sie überall hinkommen.” Das sei eine ganz andere Nummer. 

Für Menschen ohne Behinderung gilt dasselbe wie für Menschen mit Behinderung. Sind die Geflüchteten erst einmal in Deutschland angekommen, ist das ein wichtiger Schritt, um dem Krieg in der Ukraine zu entkommen und in Sicherheit zu sein. Aber sie brauchen dringend zusätzliche Unterstützung im Alltag.

“Wenn man nicht blind oder sehbehindert ist, sieht man ja, wo die nächste Bushaltestelle ist oder was es im Supermarkt gibt. Als Blinder habe ich hier in Deutschland meine Strategien, wie ich mich orientiere, und ich kann fragen und um Hilfe bitten. Aber wenn ich blind bin und keinerlei Sprachkenntnisse habe, dann fällt das alles weg”, beschreibt Delgado die Situation. Zeit sei ganz wichtig und es brauche Menschen, die vielleicht mit einem blinden Menschen einkaufen gingen oder spazieren oder was auch immer. 

Die Geflüchteten bräuchten vor allem auch einen Platz, an dem sie zur Ruhe kommen könnten, sagt Lessig. “Diese Menschen waren viele Stunden unterwegs. Sie mussten alles zurücklassen, ihr komplettes Leben und alles drumherum. Einige Freunde und Familienmitglieder, die Männer, mussten vielleicht in der Ukraine bleiben. Und was ich wichtig finde: Eine Tür zum Zumachen, um einfach mal runterzukommen, und dann eben jemanden zu haben, der sagt: ‘Pass auf! Wir machen das jetzt so und so und so.'”

Bei der Suche nach einer Bleibe benötigen Flüchtlinge mit Behinderung ebenfalls besondere Hilfe. Für Lessig ist das ein besonderes Anliegen, das sie u.a. bei Behörden vehement vorbringt, etwa wenn es heißt, es gebe keine rollstuhlgerechten Unterkünfte. Na, dann müsse sich eben jemand darum kümmern, habe sie gesagt.

“Ich war wirklich sauer darüber, dass irgendwie keiner daran denkt. Es kommen ja unter Umständen auch bald Kriegsverletzte. Damit muss man doch rechnen. Da ist Krieg. Diese Menschen kommen nicht hierher, um eine Kur zu machen. Es ist Krieg.” 

 

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