Kultur

Wendung im Antisemitismus-Streit bei der documenta 15

Sechs Wochen vor ihrer Eröffnung ringt die 15. documenta weiter mit Antisemitismus-Vorwürfen. Für eine geplante Gesprächsreihe zum Thema Kunstfreiheit kam jetzt das überraschende Aus.

Im Januar kam der Vorwurf zum ersten Mal auf: Ein Aktionsbündnis kritisierte in einem anonymen Blogbeitrag die Künstlerauswahl von Ruangrupa, dem indonesischen Kuratorenteam der “documenta fifteen”. Das palästinensische Künstlerkollektiv “The Question of Funding” sei antisemitisch, weil die Künstler den kulturellen Boykott Israels unterstützten, behaupteten die Autoren.  Ruangrupa, die documenta und die Museum Friedericianum GmbH wiesen die Anschuldigungen zurück. Auch der documenta-Aufsichtsrat und selbst Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) stellten sich hinter die Macher der Weltkunstschau.

Die Kuratorinnen und Kuratoren von Ruangrupa meldeten sich mit einem Statement zu Wort. Sie lehnten Eingriffe in die künstlerische Freiheit ab, sprachen sich jedoch gleichzeitig für politische Neutralität aus und erklärten ihre Dialogbereitschaft. Bei einem Expertenforum sollte in den nächsten Tagen über das “Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie” diskutiert werden. Geplant waren drei Online-Gesprächsrunden: am 8., 15. und 22. Mai. Der Titel: “We need to talk!” Doch kurz vor dem Start der Reihe kam nun die überraschende Absage.

Im Januar kam der Vorwurf zum ersten Mal auf: Ein Aktionsbündnis kritisierte in einem anonymen Blogbeitrag die Künstlerauswahl von Ruangrupa, dem indonesischen Kuratorenteam der “documenta fifteen”. Das palästinensische Künstlerkollektiv “The Question of Funding” sei antisemitisch, weil die Künstler den kulturellen Boykott Israels unterstützten, behaupteten die Autoren.  Ruangrupa, die documenta und die Museum Friedericianum GmbH wiesen die Anschuldigungen zurück. Auch der documenta-Aufsichtsrat und selbst Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) stellten sich hinter die Macher der Weltkunstschau.

“Die documenta hat, auch nach Rücksprache mit verschiedenen Teilnehmer*innen, entschieden, die für den 08., 15. und 22. Mai 2022 geplante Veranstaltungsreihe ‘We need to talk! Art – Freedom – Solidarity’ auszusetzen”, ließ die Weltkunstschau am Mittwoch (04. Mai) wissen. Die documenta werde “zunächst die Ausstellung beginnen und für sich sprechen lassen, um die Diskussion dann auf dieser Basis sachgerecht fortzusetzen”. Und weiter heißt es in der Begründung: “Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das Ziel, das die documenta mit der Gesprächsreihe erreichen wollte, nämlich im Vorfeld der documenta fifteen einen multiperspektivischen Dialog jenseits institutioneller Rahmen zu eröffnen, nur schwer umsetzbar.” Gleichwohl sei es sehr wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die bisherigen Ansätze sollen “als verändertes Format vor Ort in Kassel” während der documenta fifteen stattfinden. Offenbar reagieren die Veranstalter damit auf Bedenken, die in den vergangenen Tagen erneut öffentlich wurden.

­Keine Expertenrunde über Kunstfreiheit

Unmut hatte offenbar die Besetzung der Panels ausgelöst, wie ein Brief des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, an Kulturstaatsministerin Claudia Roth nahelegt. Schuster hat seinen Brief zwar nicht öffentlich gemacht, und Nachfragen der DW beim Zentralrat blieben unbeantwortet, doch konnte die Nachrichtenagentur dpa über wesentliche Passagen berichten. Schuster soll darin seine Kritik folgendermaßen begründet haben: Gegen Antisemitismus würden nur “klare Bekenntnisse und entschlossenes politisches Handeln auf jeder Ebene von Politik, Kunst, Kultur und Gesellschaft” helfen.

Wollte der Zentralrat selbst mit am Diskussionstisch sitzen? War Schuster mit der Auswahl der Experten nicht einverstanden? Oder hielt der Zentralrat die Fragestellungen des Forums für falsch? Eines der Gespräche thematisierte etwa – laut Ankündigung der documenta – Unterschiede im “deutschen und internationalen Antisemitismus- und Rassismus-Verständnis”, ein anderes “das Phänomen des anti-muslimischen und anti-palästinensischen Rassismus”. Das Spektrum der Diskutierenden sollte breit sein. Es reichte quer durch die internationale Kultur- und Wissenschaftslandschaft. Die Berliner Islamforscherin Schirin Amir-Moazami war ebenso zur Teilnahme eingeladen wie der israelische Autor Omri Boehm oder die Antisemitismusforscherin Marina Chernivsky, die auch Beraterin der Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland ist.

Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der documenta GmbH ist, hatte zuvor das Expertenforum begrüßt, “mit Stimmen aus unterschiedlichen Bereichen wie Holocaust- und Antisemitismusforschung, Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Recht, Medien sowie Kunst und Kultur”. Die dort verhandelte Kunstfreiheit sei ein hohes Gut. Die Bedeutung und Verteidigung des Existenzrechts Israels, so Dorn, sei untrennbar mit der historischen Verantwortung Deutschlands verbunden. “Ich bedauere sehr, dass diese Foren nun nicht in der geplanten Form zustande kommen”, erklärte Dorn auf DW-Anfrage. 

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte betont, Antisemitismus habe keinen Platz auf der documenta. “Gleichzeitig ist Kunstfreiheit ein zentraler Punkt”, so die Grünen-Politikerin. Deutschland mit seiner historischen Verantwortung sei ein “ganz besonderer Ort, was den Umgang mit Antisemitismus angeht und was den Umgang mit der Kunstfreiheit angeht”. Zugleich hatte Roth sich gegen Kritik an der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler gewandt. Nun ist die Gesprächsreihe “Wir müssen reden” abgesagt. Die Weltkunstschau öffnet am 18. Juni in Kassel ihre Pforten. Die Antisemitismus-Debatte dürfte noch nicht zu Ende zu sein. 

 

An der Fassade des Fridericianums hängen drei Motive des documenta-Künstlers Dan Perjovschi, die den Ukrainekrieg zum Thema haben.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, am Mikrofon
Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Im Januar kam der Vorwurf zum ersten Mal auf: Ein Aktionsbündnis kritisierte in einem anonymen Blogbeitrag die Künstlerauswahl von Ruangrupa, dem indonesischen Kuratorenteam der “documenta fifteen”. Das palästinensische Künstlerkollektiv “The Question of Funding” sei antisemitisch, weil die Künstler den kulturellen Boykott Israels unterstützten, behaupteten die Autoren.  Ruangrupa, die documenta und die Museum Friedericianum GmbH wiesen die Anschuldigungen zurück. Auch der documenta-Aufsichtsrat und selbst Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) stellten sich hinter die Macher der Weltkunstschau.

Die Kuratorinnen und Kuratoren von Ruangrupa meldeten sich mit einem Statement zu Wort. Sie lehnten Eingriffe in die künstlerische Freiheit ab, sprachen sich jedoch gleichzeitig für politische Neutralität aus und erklärten ihre Dialogbereitschaft. Bei einem Expertenforum sollte in den nächsten Tagen über das “Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie” diskutiert werden. Geplant waren drei Online-Gesprächsrunden: am 8., 15. und 22. Mai. Der Titel: “We need to talk!” Doch kurz vor dem Start der Reihe kam nun die überraschende Absage.

­Keine Expertenrunde über Kunstfreiheit

“Die documenta hat, auch nach Rücksprache mit verschiedenen Teilnehmer*innen, entschieden, die für den 08., 15. und 22. Mai 2022 geplante Veranstaltungsreihe ‘We need to talk! Art – Freedom – Solidarity’ auszusetzen”, ließ die Weltkunstschau am Mittwoch (04. Mai) wissen. Die documenta werde “zunächst die Ausstellung beginnen und für sich sprechen lassen, um die Diskussion dann auf dieser Basis sachgerecht fortzusetzen”. Und weiter heißt es in der Begründung: “Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das Ziel, das die documenta mit der Gesprächsreihe erreichen wollte, nämlich im Vorfeld der documenta fifteen einen multiperspektivischen Dialog jenseits institutioneller Rahmen zu eröffnen, nur schwer umsetzbar.” Gleichwohl sei es sehr wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Die bisherigen Ansätze sollen “als verändertes Format vor Ort in Kassel” während der documenta fifteen stattfinden. Offenbar reagieren die Veranstalter damit auf Bedenken, die in den vergangenen Tagen erneut öffentlich wurden.

Unmut hatte offenbar die Besetzung der Panels ausgelöst, wie ein Brief des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, an Kulturstaatsministerin Claudia Roth nahelegt. Schuster hat seinen Brief zwar nicht öffentlich gemacht, und Nachfragen der DW beim Zentralrat blieben unbeantwortet, doch konnte die Nachrichtenagentur dpa über wesentliche Passagen berichten. Schuster soll darin seine Kritik folgendermaßen begründet haben: Gegen Antisemitismus würden nur “klare Bekenntnisse und entschlossenes politisches Handeln auf jeder Ebene von Politik, Kunst, Kultur und Gesellschaft” helfen.

Wollte der Zentralrat selbst mit am Diskussionstisch sitzen? War Schuster mit der Auswahl der Experten nicht einverstanden? Oder hielt der Zentralrat die Fragestellungen des Forums für falsch? Eines der Gespräche thematisierte etwa – laut Ankündigung der documenta – Unterschiede im “deutschen und internationalen Antisemitismus- und Rassismus-Verständnis”, ein anderes “das Phänomen des anti-muslimischen und anti-palästinensischen Rassismus”. Das Spektrum der Diskutierenden sollte breit sein. Es reichte quer durch die internationale Kultur- und Wissenschaftslandschaft. Die Berliner Islamforscherin Schirin Amir-Moazami war ebenso zur Teilnahme eingeladen wie der israelische Autor Omri Boehm oder die Antisemitismusforscherin Marina Chernivsky, die auch Beraterin der Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland ist.

Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der documenta GmbH ist, hatte zuvor das Expertenforum begrüßt, “mit Stimmen aus unterschiedlichen Bereichen wie Holocaust- und Antisemitismusforschung, Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Recht, Medien sowie Kunst und Kultur”. Die dort verhandelte Kunstfreiheit sei ein hohes Gut. Die Bedeutung und Verteidigung des Existenzrechts Israels, so Dorn, sei untrennbar mit der historischen Verantwortung Deutschlands verbunden. “Ich bedauere sehr, dass diese Foren nun nicht in der geplanten Form zustande kommen”, erklärte Dorn auf DW-Anfrage. 

Falsche Fragen an das Expertenforum?

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte betont, Antisemitismus habe keinen Platz auf der documenta. “Gleichzeitig ist Kunstfreiheit ein zentraler Punkt”, so die Grünen-Politikerin. Deutschland mit seiner historischen Verantwortung sei ein “ganz besonderer Ort, was den Umgang mit Antisemitismus angeht und was den Umgang mit der Kunstfreiheit angeht”. Zugleich hatte Roth sich gegen Kritik an der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler gewandt. Nun ist die Gesprächsreihe “Wir müssen reden” abgesagt. Die Weltkunstschau öffnet am 18. Juni in Kassel ihre Pforten. Die Antisemitismus-Debatte dürfte noch nicht zu Ende zu sein. 

Roth: “Antisemitismus hat keinen Platz auf der documenta”

 

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